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PSYCHOLOGIE - Seelenarzt im Liebesnest SPGL000020070115e31f0002g PRISMA 204 Words 15 January 2007 Der Spiegel 119 German (c) 2007 Der Spiegel |
Sigmund Freud führte vermutlich über Jahre eine sexuelle Beziehung mit seiner Schwägerin Minna Bernays. Gerüchte, dass der Erfinder der Psychoanalyse mit der jüngeren Schwester seiner Gattin auch erotisch verbunden war, schwelten seit langem. Durch eine Entdeckung des Heidelberger Soziologen Franz Maciejewski rückt der Verdacht nun fast zur Gewissheit auf. Am 13. August 1898, während einer gemeinsamen Alpenreise, schliefen Sigmund und Minna zusammen im Hotel Schweizerhaus in Maloja (Oberengadin). Auf diese Neuigkeit stieß Maciejewski, als er im über hundert Jahre alten "schweinsledernen Fremdenbuch" des Hotels stöberte. Dort trug sich das Paar als "Dr. Sigm. Freud u. Frau" ein und bewohnte das Zimmer 11. "In diesem Raum stand nur ein Doppelbett", so der Forscher, "das Paar blieb drei Tage." Minna lebte 42 Jahre lang im Haushalt der Freuds. Die Psychoanalyse-Gemeinde stritt fleischliche Aspekte der Beziehung stets ab. |
"Freud, der sich so eingehend mit dem Inzest beschäftigte, war selbst in eine heikle Affäre verstrickt", meint nun jedoch Maciejewski. "Das ergibt neue Einblicke in die Entwicklung seiner Lehre." Der Wirt des Schweizerhauses rüstet das Zimmer 11 derweil zur Pilgerstätte um. Das alte Liebeslager soll fortan als "Sigmund-Freud-Zimmer" Gäste anlocken. Freud, Ehefrau Martha, Schwägerin Minna Bernays (l.) AKG |
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Personalien - Doc Gynéco SPGL000020070115e31f0003d PERSONALIEN 152 Words 15 January 2007 Der Spiegel 152 German (c) 2007 Der Spiegel |
Doc Gynéco , 32, eigentlich Bruno Beausir, erfolgreicher französischer Rap-Sänger und erklärter Anhänger des rechten Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy , 51, will dessen Wahl sichern - und sorgte jüngst für Aufmerksamkeit, auf die sein Freund gern verzichtet hätte. Der Musiker verursachte einen Verkehrsunfall und musste einige Stunden in der Ausnüchterungszelle der Pariser Polizei verbringen. Gemeinsam mit der Autorin Christine Angot - international bekannt durch ihren autobiografischen Skandalroman "Inzest" - hatte er sich auf einer feuchtfröhlichen Party amüsiert. Auf dem Heimweg folgte er dem Taxi der Schriftstellerin völlig betrunken mit dem Motorrad. Schon bei der ersten Bremsung des Fahrers fuhr Doc Gynéco auf den Wagen auf. |
Mittelfristig will der Rapper mit einem Sarkozy-Buch einen positiveren Beitrag zur Präsidentschaftskampagne leisten: Das Werk "Zusammentreffen großer Geister" mit dem prophetischen Untertitel "2007, Sarkozy und ich, eine Freundschaft im Dienste Frankreichs" kommt Anfang Februar in die Buchhandlungen. Sarkozy, Doc Gynéco MANFRED WITT / SIPA PRESS |
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Der Personenkult um den Apple-Chef ist extrem – und ungesund - Steven Jobs Superstar FINWIR0020070114e31d0001u Mark Dittli 506 Words 13 January 2007 Finanz und Wirtschaft 33 German Homepage Address: http://www.finanzinfo.ch |
Wer bloss tut sich das freiwillig an? Seit einer Stunde stehe ich in der Lobby des Moscone-Kongresszentrums in San Francisco, als Teil einer wachsenden Traube von Journalisten, die auf Einlass warten. Drei Männer in coolen, hellblauen, hautengen Trikots mit Apfel-Logo auf der Brust versperren den Zugang zur Rolltreppe, die in den Konferenzsaal führt. Babel ist versammelt. Hinter mir wird schwedisch gesprochen, links spanisch, vor mir amerikanisch. Ein Kollege aus Japan sitzt mit gekreuzten Beinen auf dem Fussboden. Alle tragen einen Badge um den Hals, der Herkunftsland und Publikation verrät. Augenfällig, wie sich der Apple-Inzest in der Medienwelt ausgebreitet hat: Zwei Damen sind für den «Mac Observer» hier, einer schreibt für den «Mac Insider», ein anderer für die «Mac Connection». Sie haben die vergangenen Monate mit der Spekulation verbracht, ob Apple das iPhone präsentieren wird oder nicht. Sie tun es jetzt noch. |
Unverhofft fällt das Startsignal. Die Apfelmänner treten zur Seite, und dreihundert Reporter stürzen die Treppe hoch, als wartete oben ein Exklusivinterview mit Hillary Clinton auf den Sieger. Mindestens. Ich lasse mich von der Masse treiben, blicke nach oben; der Kollege aus Japan, der eben noch neben mir auf dem Boden sass, sprintet allen davon. Coldplay und U2 dröhnen aus den Lautsprechern im Saal, viertausend Sitze, rammelvoll. Dann erfüllt James Brown selig den Raum, «I feel good», und der Mann tritt auf die Bühne, für den alle gekommen sind: Steven Jobs, 51, unehelicher Sohn eines syrischen Immigranten, Adoptivkind, College-Abbrecher, Querschläger, Krebs-Besieger, Idol. Wie immer in Jeans und schwarzem Rollkragenpullover. «We are going to make history today», grinst er ins Mikrofon. Der Saal tobt. Angestellte, Zulieferer, Verkäufer, Analysten und Journalisten jubeln. In den folgenden zwei Stunden stellt Jobs neue Produkte vor, spielt in einer perfekt inszenierten Show mit dem iPhone, zu den Ohs, Ahs und Awesomes des Publikums. Schliesslich meldet er, Apple Computer werde künftig auf den Zusatz Computer verzichten und nur noch als Apple auftreten. Für die Nachricht, die in jedem normalen Unternehmen eine Lappalie wäre, erntet er stehenden Applaus. Für ihn ist der Auftritt ein Heimspiel in Überzahl mit der Sonne im Rücken. Steven Jobs Superstar. Dieser Mann ist für seine Gläubiger mehr als ein Mensch, er, der das Unternehmen 1976 mitbegründete, 1985 entlassen wurde, zwölf Jahre später aus der Verbannung zurückkehrte und Apple zur Kult-Ikone aufbaute. Niemanden im Saal scheint zu interessieren, dass Apple zur Jahrtausendwende Mitarbeiteroptionen rückdatierte, um den Empfängern höhere Gewinne zu ermöglichen. Dass Jobs in einzelnen Fällen gar die Rückdatierung – eine nicht illegale, aber fragwürdige Praktik – empfohlen hatte. Eine Untersuchung des Verwaltungsrats, angeführt von keinem Geringeren als Al Gore, stellte Jobs kürzlich einen Persilschein aus. Andere CEO hatten weniger Glück und wurden für ähnliche Vergehen in die Wüste geschickt. Kein Konzern der Welt wird dermassen mit der Person des CEO identifiziert wie Apple. Gesund ist das nicht – aber immerhin unterhaltsam. Und solange Jobs liefert, am Leben und sauber bleibt, soll’s den Aktionären recht sein.MD |
Entsagung, Inzest und Verrat; «Das Kissen der Jadwiga» - der Ungar Pál Závada erzählt von einer obsessiven Liebe NEUZZ00020070113e31d0005a 738 Words 13 January 2007 Neue Zürcher Zeitung 3 German Besuchen Sie die Website der führenden Schweizer Internationalen Tageszeitung unter http://www.nzz.ch |
Ondris liebt Jadwiga, er ist besessen von ihr, will sie heiraten, unbedingt, wenn seine Mutter auch tobt: Wen...? Die Mutter faucht, als sie den Namen hört, sie röchelt, schreit dann, dass die Wände beben: «Hast dich einfangen lassen, du Hammel, was?» Nie hat der Sohn sie so gesehen. Man schreibt das Jahr 1915, wir sind in einem namenlosen Dorf im Ungarn der k.u.k. Epoche. Ondris ist Sohn eines Gutsbesitzers, Jadwiga (aus ärmlichem Hause und etliche Jahre älter als er) war das Mündel seines verstorbenen Vaters. Na und? Liebe und Hass haben kein Mass, sagt der Volksmund; im Februar eines uns fernen Kriegsjahres heiraten die zwei. «Dank sei Gott dem Herrn», denkt Ondris an jenem Tag, er denkt es slowakisch, «Djakovatj pána Bohu!», denn die Familie gehört zur slawischen Minderheit der Region. |
In der Nacht vor der Trauung beginnt Ondris Tagebuch zu führen. Das Dankgebet steht auf Seite eins. Nur Tage später ist sich der junge Mann seines Glücks nicht mehr so sicher: Zwar gab es ein rauschendes Fest (trogweise Pasteten, Torten auf sechs oder mehr Tischen, Blechmusik und Wein in Strömen), doch die Angetraute verweigert sich. Wenn er sich nähert, weist sie ihn ab; dabei wird es bleiben. Ein Mysterium von Frau Ein seltsames Wesen. Liebt ihren Mann und hat doch ewig einen Liebhaber. Jahre später bekommt sie mit dem Nebenbuhler sogar einen Sohn, Miso. Ein Mysterium umgibt diese Frau. Ondris, in seinem Tagebuch (blasslila Seiten, liniert, der Leineneinband indigofarben), kann nur Rätsel raten, was die Gattin so wunderlich macht, und selbst der Leser kommt lange nicht dahinter: Hat das Geheimnis mit Ondris' Vater zu tun? War da was zwischen den beiden, dem Vormund und dem Mündel? Oder, schlimmer noch, ist der Vormund in Wirklichkeit Jadwigas Vater gewesen? Ondris beginnt zu trinken, er wird früh sterben, wohl an gebrochenem Herzen. Jadwiga findet sein Tagebuch - und führt es weiter; sie kommentiert hier und da eine Eintragung des Toten, korrigiert, relativiert, fügt Lebensstoff hinzu. (Draussen, ausserhalb des Dorfes, zerbersten in der Zwischenzeit komplette Reiche.) Irgendwann entdeckt Miso das Journal, unter Jadwigas Kissen. Nach Jadwigas Tod wird auch er, der uneheliche Sohn, das Büchlein als Spiegel oder Beichtstuhl nutzen. Am Ende, nach 400 Romanseiten, liegt eine Art Palimpsest vor uns, ein Konvolut einander ergänzender und widersprechender Textfragmente in drei Handschriften. Der Schöpfer des ambitionierten Werkes - Pál Závada, Jahrgang 1954 - stammt aus einem Ort im Südosten Ungarns, aus eben so einem Dorf, wie er es im Buch mit viel Zuneigung beschreibt. Gleich Ondris ist Závada slowakischer Abstammung, und wie sein Held gibt er nicht viel auf hehre nationale Werte. (Der Autor im Interview: «Ich bin ungarischer Schriftsteller, meine slowakische Abstammung ist mehr eine Tradition.») 1986 publizierte der Ökonom und Soziologe eine Monographie über die Sozialgeschichte seines Heimatortes. Das damals gesammelte Material konnte er nun auch bei der Niederschrift des Romans verwenden. Mit Begeisterung zitiert der Forscher aus den Quellen (etwa wenn er en détail Jadwigas Aussteuer beschreibt, «4 Höschen aus Barchent, 3 Oberbetten mit je 8kg Daunen...»), er mischt Fakten und Fiktives. Und dies alles ist «Das Kissen der Jadwiga»: eine tragische Lovestory mit drei oder vier Protagonisten (eine Geschichte von Hingabe und Entsagung, Inzest und Verrat), die Biografie einer unangepassten Frau, die Historie einer zweisprachigen Siedlung von 1915 bis in die späten achtziger Jahre, auch eine Familiensaga aus einer Epoche des Niedergangs. Ondris galt als kultivierter Mann, belesen, beredt in mehreren Sprachen; sein Erbe Miso, der Bastard, begegnet uns in Zeiten des Gulasch-Kommunismus als armseliges Subjekt, ein Spitzel der Staatssicherheit. Opulentes Werk Ja, es war ein ehrgeiziges Prosaprojekt, es wurde ein opulentes Werk. Der Autor hat viel hineingetan und am Ende vielleicht zu viel. Bisweilen spürt man das Artifizielle der Konstruktion, steht die Kunstfertigkeit des Autors vor seiner Geschichte. In Ungarn gilt der Bestseller als literarische Sensation. Kein Wunder; Závada spricht seinen Lesern aus dem Herzen. Portionsweise, auf gleich mehreren Ebenen, transportiert der Text ungarisches (und slowakisches) Nationalgefühl. Wir spüren die Sorge kleiner Völker um ihre Identität, den bitteren Nachgeschmack all der Schrecken des 20.Jahrhunderts, die Furcht vor weiterem Verhängnis sowie die Sehnsucht nach der scheinbar so sinnlichen und so heilen ländlichen Welt, die es irgendwann vor den grossen Stürmen gegeben haben muss. Uwe Stolzmann Pál Závada: Das Kissen der Jadwiga. Roman. Aus dem Ungarischen von Ernö Zeltner. Luchterhand-Literaturverlag, München 2006. 448S., Fr. 38.60. |
Gore Vidal - "Wir haben's vergeigt" DWELT00020070109e31900046 FEUILLETON Nathan Gardels 1612 Words 09 January 2007 Die Welt DWBE-HP 28 7 German Copyright 2007 Axel Springer AG . Zusatzhinweis: "Dieser Artikel darf ohne die vorherige Zustimmung des Verlages nicht weiter-verbreitet werden. Dies ist eine Einschränkung der Rechte, die Ihnen generell hinsichtlich der Factiva-Dienste eingeräumt wurden." Notice: "This article may not be redistributed without the prior consent of the Publisher. This is a restriction on the rights granted under the terms of your subscription for Factiva Services." |
Der Schriftsteller Gore Vidal über Amerikas Imperium, Politikerinnen, Schwulenehe und L. A. DIE WELT: |
Als Autor historischer Romane kennen Sie sich mit dem Imperium aus. Welche Bedeutung hat das Scheitern im Irak für die amerikanische Geschichte? Gore Vidal: Es bedeutet, dass der Vorhang fällt. Amerika war eigentlich immer ein unbeholfenes Imperium, was meiner Meinung nach ein Plus war. Außerhalb unserer Hemisphäre hatten wir nie großartige imperiale Pläne. Unser Imperium war auf Geld und Macht gebaut, aber das Geld ist alle. Statt eine anständige Armee aufzubauen, die den Job ordentlich hätte erledigen können, kamen die Ganoven, die Atomwaffen, computergesteuerte Kampfflugzeuge und andere komplizierte Waffen verkaufen, ins Spiel und haben die Staatskasse geplündert. Statt in ein gutes Offizierkorps zu investieren, haben wir das Geld für technische Spielereien verschwendet. In West Point wird gute Arbeit geleistet, aber nur für die Belange eines kleinen Landes. In seiner Glanzzeit hat es Rumsfeld auf den Punkt gebracht: "Einen Krieg führt man mit der Armee, die man hat, nicht mit der, die man haben möchte." Für das Abenteuer im Irak oder anderswo, wo wir verloren haben, wie in Vietnam, haben wir die falsche Armee. Viele der Schwierigkeiten haben mit Woodrow Wilson und seiner unsterblichen Sehnsucht begonnen, die Welt zu retten. Kann man sich etwas Alberneres vorstellen, als den Versuch, jedermann die Demokratie zu bringen? Man hätte gedacht, dass Vietnam mit diesem dummen Ehrgeiz aufgeräumt hätte. Man hofft, dass der Irak es am Ende tut. WELT: Im Kongress haben die Demokraten wieder die Mehrheit. Trägt das in Ihren Augen ein wenig zur Erlösung Amerikas bei? Vidal: Dieser demokratische Kongress ist die letzte Hoffnung für die Republik - oder wenigstens für den Anschein einer Republik. Die Republik mag zurückkehren, vielleicht mit einem demokratischen Präsidenten in Verbindung mit einem demokratischen Kongress, aber zunächst einmal haben wir sie an dem Tag verloren, als Bushs sonderbarer kleiner Justizminister die Habeaskorpusakte kassiert hat. Ohne sie keine Magna Charta, ohne Magna Charta keine Freiheiten, ohne Freiheiten keine Republik. Alles baut auf der Habeaskorpusakte und dem ordentlichen Gerichtsverfahren auf. Fehlt das erst, ist man bloß eine von vielen Bananenrepubliken ohne Bananen. Geht es um die Bürgerrechte, dann ist Amerika unter den entwickelten Ländern das schlimmste. WELT: Nancy Pelosi führt den Kongress, Hillary Clinton könnte die erste Präsidentin werden und Ségolène Royal in den Elysée Palast einziehen. Manch einer hofft, mit Frauen an der Macht ginge es uns besser. Vidal: Ich kenne keine amerikanische Politikerin, die etwas so Dummes sagen würde. Wenn es um die Macht geht, sind die Frauen wie die Männer. Als Senator war mein Großvater gegen das Frauenwahlrecht, weil er die Frauen kannte und wusste, dass sie sich gegenseitig in den Rücken fallen würden. Er hatte völlig Recht, wenigstens was die erste Generation von Wählerinnen betraf. Ich stelle Frauen auf kein Podest. WELT: Wenn man Ihre Memoiren liest, ist man überrascht, dass Sie, der gelehrte Romancier, so viel über Hollywood schreiben. Vidal: Nun ja, Hollywood ist die neue Agora. Ich sage das ohne Zustimmung. Aber Filme sind das einzige Wissen, das sich die Leute noch teilen. WELT: Wir leben also im Zeitalter Hollywoods? Vidal: Ja. Und es ist ein lausiges Zeitalter. WELT: Sie waren lange als Drehbuchautor in Hollywood. Was hat sich dort verändert? Vidal: Trash war in Hollywood immer schrecklich wichtig. Früher hatten wir allerdings eine Art göttliches Register. Es gab A- und B-Movies. Das wurde nicht vermischt. Alles hatte sein Niveau. Heute ist es ein einziges Kuddelmuddel. Und dieses schreckliche Wort "Promi" wurde erfunden. Ist ein Schauspieler berühmt, kann er den Film für die Produzenten vermarkten. Nur das zählt, nicht, wie der Film ist. WELT: Amerikas Filme und Popkultur waren, zum Guten wie zum Schlechten, immer auch Propaganda für den amerikanischen "way of life". "Soft power" hat der Politologe Joseph Nye das genannt. Ist dieses Image durch den Irak, Abu Ghraib, Guantanamo beschädigt? Vidal: Das Image allein war schädlich. Und es ist wahr, unser Ansehen hat auf dramatische Weise gelitten. Man kann nicht so viele Kriege verlieren wie wir - in Korea, in Vietnam, im Irak - und immer noch als großartige Macht bewundert werden. Schauen Sie, wir sind ein Land der Handlungsreisenden und der Massenproduktion. Daher rührte unsere Macht. Wir dachten, wir hätten das sicher. Jetzt lagern wir alles aus. Andere nehmen unseren Platz ein. Also haben wir nicht mehr so viel zu verkaufen. Wir kaufen zu viel. Unser Defizit geht in die Milliarden. Wir haben's vergeigt. Ich bin mir nicht sicher, wie wichtig "soft power" ist. Blue Jeans sind als Symbol des amerikanischen Lebensstils allgegenwärtig, aber heutzutage werden sie in China gemacht! WELT: Lange Zeit haben Sie die Amerikaner für ihren Puritanismus gescholten, nicht zuletzt für die Reaktion auf Ihre Auseinendersetzung mit homosexuellen Themen. Mittlerweile ist das Publikum globalisiert und durch den kulturkonservativen Islam noch puritanischer geworden. Vidal: Da müssen Sie vorsichtig sein. Die Sehnsucht nach einem Krieg der USA gegen den Islam liegt im Interesse fremder Parteien. Angeblich wäre es ein Krieg der Werte. Glauben Sie das nicht. Es geht bloß um Öl. Dass es einen Krieg zwischen uns und dem Islam gibt, dass es um Puritanismus, den einen Gott gehen werde und dass wir alle darin umkommen, ist kein anständiges Gespräch wert. Das ist dieselbe Sch ..., mit der man uns seit Jahren füttert. Wir suchen verzweifelt nach einem großen, gefährlichen Feind. Man muss dem amerikanischen Volk Angst einjagen, damit man an sein Geld kommt und Waffen kaufen und die Rüstungsunternehmer noch reicher machen kann, als sie schon sind. WELT: Viele Ihrer Bücher konnten in islamischen Ländern nicht erscheinen. Vidal: Wen zum Teufel schert das? Hocke ich etwa hier und sorge mich um die Aufnahme meines letzten Buches im Iran? Die Zensur dort geht uns nichts an. Sorgen mache ich mir über die Zensur in diesem Land. WELT: Drei Ausbrüche von Heidentum hätte es gegeben, haben Sie einmal gesagt. Die Renaissance, die Romantik und Hollywood. Auf die ersten beiden folgten religiöse Erweckungsbewegungen. Vidal: Wie der größte Teil Westeuropas sind die Vereinigten Staaten ein post-christliches Land. Es ist wahr, im Süden gibt es schlecht erzogene Leute, die nur die Kirche haben, um ihre Gemeinschaft zusammenzuhalten. Ihre Einmischung in die Politik ist aber keine Erweckung. Sie geht auf den Mutwillen George Bushs und Karl Roves zurück, die diese Leute auf dem Weg zur Macht mobilisiert haben. Als ob das 99 Prozent der Bevölkerung überhaupt kümmerte, haben sie ihnen mit dem Schreckgespenst der Schwulenehe Angst eingejagt und ihnen weisgemacht, die Muslime würden bald an ihren Gestaden landen, um ihnen die Freiheit zu rauben. Lassen Sie uns diese Adolf-Hitler-Taktik, hasserfüllte Minderheiten zu schaffen, nicht mit einer Erweckung verwechseln. WELT: In Ihren Erinnerungen lassen Sie durchblicken, dass Sie Ihren langjährigen Lebensgefährten Howard auf dessen Sterbett zum ersten Mal seit Jahrzehnten auf die Lippen geküsst haben. Vidal: Zum ersten Mal überhaupt. WELT: Warum? Vidal: Jetzt sind Sie gerade in die Falle getappt - in Amerika gilt jede Beziehung gleich als sexuell. Viele Beziehungen sind es nicht. Ich predige das den Briten seit Jahren. Sie werden wütend, insbesondere wenn ich auf den Bloomsbury-Kreis zu sprechen komme, wo jeder jedermanns Mann, Frau oder Kind gebumst hat. Inzest war tatsächlich nichts Unbekanntes. Mir könnte es nicht gleichgültiger sein. Wenn es das ist, was die Leute wollen - mich geht es nichts an. Hier in den literarischen Kreisen der USA aber gehen wir mit Freunden nicht ins Bett. Ich wüsste keine zwei Freunde, die Sex miteinander gehabt hätten. Ich spreche hier nicht von Heterosexuellen. Eine Schriftstellerin und ein Schriftsteller kommen am Ende zusammen. Und dann lassen sie sich scheiden, weil es viel mehr Schriftstellerinnen als Schriftsteller gibt. Mir fällt es schwer, Sex mit jemandem zu haben, mit dem man lange zusammenleben will. Das ist Irrsinn. Sex ist überall. Niemand muss dafür auf die Jagd gehen. Eine Beziehung ist da ganz etwas anderes. Dafür, dass ich das sage, werde ich in Schwulenkreisen nicht gerade bewundert. Nun ja, Homosexualität ist, wie Heterosexualität, einfach ein Teil des gewöhnlichen Säugerverhaltens. In einer lebenslangen Beziehung hat Sex keine Bedeutung. Wer kann schon versprechen, 70 Jahre lang monogam zu sein? WELT: Sie haben Jahrzehnte in Italien gelebt, jetzt wohnen Sie seit einem halben Jahr wieder in Los Angeles, wo Sie in den frühen achtziger Jahren für den Senat kandidiert haben. Warum sind Sie zurückgekehrt? Vidal: Wissen Sie, Geografie interessiert mich nicht besonders. Wo ich bin, kümmert mich eigentlich nicht, solange ich meine Bücher um mich habe. Ich will keine großen Häuser haben, sie werden nur immer größer, weil ich Platz für meine 10 000 Bücher brauche. Sind die erst mal da, habe ich ein Zuhause. Geht es nach mir, könnte ich auch in Guatemala leben. WELT: Wie gefällt Ihnen L.A.? Vidal: Ich habe mich dort nie umgesehen. Ich komme nicht oft in die Stadt, außer wenn ich Spenden für die Demokratische Partei sammele. WELT: In L.A. hat man Sie mit Nancy Reagan gesehen. Vidal: Unmöglich, solange wie ich in Hollywood und der Politik zu sein und die Reagans nicht zu kennen. Außerdem sind wir, auch wenn wir uns damals noch nicht kannten, auf dieselbe Schule in Washington gegangen. Neulich habe ich mit Gorbatschow und Nancy über das, was damals in Reykjavik geschah, gesprochen. Reagan sagte damals zu Gorbatschow: Lass uns unserer Atomwaffen abschaffen. Plötzlich kamen die amerikanischen Neocons aus allen Ecken des winzigen Island gekrochen, um das Treffen zu unterbrechen. Im Wesentlichen haben sie gesagt: "Der Präsident ist gaga, hört nicht auf ihn." Nancy kriegte Wind davon und - Junge, Junge! - war sie wütend. Sie hatte enormen Einfluss auf Ronnie und fing an, auf ein Ende des Kalten Kriegs hinzuarbeiten. Bald spielte sie eine entscheidende Rolle. Sie und Gorbatschow schreiben einander immer noch. Das Gespräch führte Nathan Gardels. © 2006 Global Viewpoint Übersetzung: Wieland Freund |
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Die Kunst des Wegsteckens // "Der Hässliche": An der Schaubühne wird Marius von Mayenburgs neues Stück uraufgeführt. Ein Porträt des Dramatikers TAGSS00020070105e3150001z BERLIN_KULTUR Von Christine Wahl 988 Words 05 January 2007 Der Tagesspiegel 029 19420 German Copyright 2007. Verlag Der Tagesspiegel GmbH. All rights reserved. For future information see http://www.tagesspiegel.de |
Herrn Lette mangelt es an einer entscheidenden Arbeitnehmerqualität: jenem Gesicht, dem man mit Freude noch den größten Schwachsinn abkauft. Zwar hat der "Hässliche" aus seinem schrägen Kopf den ultimativen Starkstromstecker herausgetüftelt. Zur Präsentation aber soll der glatte Hiwi reisen. Also investiert Lette in eine Schönheitsoperation. Das Ergebnis: eine optische Sensation, die nicht nur den Starkstromsteckerabsatz schlagartig verzehnfacht, sondern an deren Hotelzimmer auch allabendlich fünfundzwanzig Frauen Schlange stehen. Der Clou des neuen Stückes vom Schaubühnen-Hausautor Marius von Mayenburg, das heute in der Regie von Benedict Andrews uraufgeführt wird, besteht darin, dass Lette (gespielt von Lars Eidinger) sich vor dem Optimierungseingriff weder eine Quasimodo-Maske überstülpen noch hinterher zum Brad-Pitt-Verschnitt zurechtschminken lassen wird, sondern abendfüllend sein unverfremdetes Eidinger-Gesicht zur Schau trägt. Bestimmt das Bewusstsein also das Sein? |
Marius von Mayenburg sitzt im Schaubühnen-Café, schaut tief in sein Mineralwasserglas und überlegt. "Das sind so Thesen, über die ich gar nicht nachdenke beim Schreiben", sagt er schließlich. "Für mich war das mit dem unveränderten Gesicht primär der Rückgriff auf eine Theatertechnik. Das Theater lebt von solchen Verabredungen, davon, dass wir festlegen: Das ist jetzt der König. Oder die Frau, die alle wollen. Oder eben: der Hässliche. Und diese Möglichkeiten auszuloten hat mir einfach Spaß gemacht." Tatsächlich ist Mayenburgs Stück eine quietschvergnügte, bewusst stereotypisierende Farce, die keinen philosophischen Tiefgangspokal anstrebt. Und auch nicht davor zurückschreckt, aus "en detail" in schummrigen Hotelzimmern vorgeführten "Steckern" und "Steckverbindungen" schlüpfriges Pointenkapital zu schlagen. Trotzdem wäre es bei einem eher nachdenklichen Dramatiker wie Marius von Mayenburg - man denke an Stücke wie "Feuergesicht", "Das kalte Kind" oder "Augenlicht", die bei allem Verbalwitz immer um deformierte Kindheiten, um extrem konfliktträchtige Biografien bis zum körperlich veräußerlichten Defekt kreisen - einigermaßen überraschend, wenn er nicht spätestens drei Mineralwasserschlucke später doch mit einer handfesten These aufwartete. "Ich glaube, dass alle schönen Menschen sich mehr oder weniger ähnlich sehen, aber die hässlichen extrem individuell hässlich sind. Zum Beispiel Sartre: Was man bei dessen ganzer Schieläugigkeit schätzt, ist das Unverwechselbare. So, als hätte sich ein einzigartiges Gehirn auch eine einzigartige Fassade geschaffen." Wogegen die wohlfeile Fassade des Steckerbastlers im "Hässlichen" folgerichtig bald in Serie geht. Natürlich erzählt dieser lustige Kommentar zu Uniformierung und Attraktivitätsdiktat vor allem viel über jenen professionellen Vermarktungszwang, der den Steckerbastler mit dem Bäcker, dem Journalisten oder eben dem Dramatiker eint. "Ich selbst tue mich mit öffentlichen Auftritten schwer", gesteht von Mayenburg, "ich bin beklommen, wenn ich vor einem Mikrofon sitze. Die intelligentesten Sachen fallen mir meist auf dem Nachhauseweg ein." Und wenn er jetzt Kollegen seine tiefste Bewunderung zollt, die beim Reden übers eigene Werk immer so extrem "schnell im Kopf" sind, klingt das nicht kokett. Tatsächlich überlegt Marius von Mayenburg genau, bevor er antwortet, dreht jedes Sujet sorgfältig hin und her, bis er sich ihm aus mindestens zwei Einerseits- und zwei Andererseits-Perspektiven genähert hat. Was der Dramatiker als beklommen bezeichnet, wirkt im Zeitalter der munteren Kurzdenker und Schnellschussredner eher sympathisch. Als Umkreisen von Fragen beschreibt Marius von Mayenburg auch seine dramatische Methode: "Ich will ja keine Beweisführungen liefern." Nach Moralkeulen sucht man in seinen Texten vergeblich; von Moralkeulen zur plastischen Chirurgie ganz zu schweigen. Sein Ausgangspunkt sei immer eine Frage, ein Punkt, den er nicht verstehe. "In dem Moment, in dem ich die Antwort habe oder reflektiert darüber nachdenken kann, interessiert es mich nicht mehr als Schreibthema." Den Schauspielern gegenüber schwört der Dramatiker denn auch Stein und Bein, selbst keine Silbe mehr zu wissen, als auf dem Papier steht, wenn er - wie jetzt beim "Hässlichen" - in Proben seiner Stücke sitzt. Und das passiert notwendigerweise oft. Schließlich kam er im Jahr 2000 mit der Leitungsübernahme von Thomas Ostermeier, den er noch aus Baracken-Zeiten kennt, und Sasha Waltz nicht nur als Autor, sondern auch als Dramaturg an die Schaubühne. Eine Berufskombination, die, zumal bei eigenen Texten, nicht ohne Konflikte und Überzeugungskämpfe abgeht. Es soll ja vorkommen, dass Regisseuren komplett andere Wege vorschweben als Dramaturgen. "Aber letzten Endes ist es für mich eher fruchtbar", sagt Mayenburg, "weil ich etwas erfahre über meinen Text, womit ich nicht unbedingt gerechnet hätte." Der 1972 in München geborene Dramatiker hatte einiges einzustecken im Laufe seiner Karriere, die 1998 nach einigen Semestern Altgermanistik und dem Studium des szenischen Schreibens an der Berliner Universität der Künste mit "Feuergesicht" begann. Das mittlerweile in viele Sprachen übersetzte und gespielte Werk katapultierte ihn umgehend zum Jungdramatiker-Star. Seither, lacht er, "habe ich für alles Mögliche schlechte Kritiken bekommen: Für mein Aussehen, für meinen Namen, für meine Herkunft aus Bayern - und für die Stücke sowieso." Bei Texten wie "Feuergesicht", jener Inzest-, Elternmord- und Pyromanie-Geschichte in gutbürgerlichen Verhältnissen, war es beispielsweise die Verengung des Blicks aufs Nächstliegende: die pubertierende Generation in der bürgerlichen Familienhölle. Und vorletztes Jahr, bei "Turista", wo der Dramatiker tadelsfrei über den Wohlstandsfamilientellerrand blickte und seine Perspektive in die europäische Geschichte und Gegenwart zu weiten suchte, die vermeintliche Sprach- und Konstruktionsglätte nach dem "Creative-Writing"-Baukastenprinzip, die mehreren Rezensenten missfiel. "Am Anfang hat mich das schon überrascht", gesteht der Dramatiker. "Manchmal schlägt einem da ein Hass entgegen, wo ich denke: Ich hab’ ja jetzt nicht den Irak-Krieg angefangen." Und er fährt fort: "Ich denke, es ändern sich weniger die Themen als vielmehr die Perspektiven darauf - Letzteres hoffe ich zumindest." Er selbst könne jedenfalls keine definitive dramatische Vorliebenverschiebung feststellen: "Theater packt mich immer dann, wenn mich Figuren Dinge erleben lassen, die ich selbst nicht oder nur im Ansatz erlebe. Wenn sie also für mich Erfahrungen machen, die ich in meinem eigenen Leben versuche zu vermeiden." Seien es Inzestgeschichten, Campingplätze oder Schönheitsoperationen. "Der Hässliche" von Marius von Mayenburg hat heute um 20 Uhr in der Schaubühne Premiere. |
200701053003338 Sich hängen lassen. Lars Eidinger und Rafael Stachowiak werden für die Proben zu "Der Hässliche" in den Bühnenhimmel gehievt. Foto: Jens Knappe // Marius von // Mayenburg // Foto: David Baltzer |
HITparade // Anna David // Diese Woche auf Platz 42 mit: "Fick Dich" TAGSS00020070105e3150001x KULTUR 320 Words 05 January 2007 Der Tagesspiegel 028 19420 German Copyright 2007. Verlag Der Tagesspiegel GmbH. All rights reserved. For future information see http://www.tagesspiegel.de |
Skandinavien gilt hierzulande schon lange als Reich besonderer Freizügigkeit. In den sechziger Jahren lösten so genannte "Schwedenfilme" in Deutschland Skandale aus, die ihre Darsteller und vor allem Darstellerinnen so zeigten, wie Gott sie erschaffen hatte. Das Spektrum des anstoßerregenden Genres reichte von Ingmar Bergmans Inzest-Drama "Das Schweigen" bis zu Softpornos mit Titeln wie "Schwedensex in Paris", die heute allenfalls noch als sittengeschichtliches Quellenmaterial für Kulturhistoriker taugen. |
Zwölf Wochen hielt Anna David mit ihrem Song "Fuck Dig" den ersten Platz der dänischen Single-Charts besetzt, aufgeregt hat sich darüber niemand. Kaum aber hatte sie eine deutsche Version ihres Hits unter dem wortgetreu übersetzten Titel "Fick Dich" aufgenommen, kam es zum Skandal, besser gesagt: Skandälchen. Das Presswerk fand, dass Schimpfwörter in einem Songtext nichts zu suchen haben, und weigerte sich, die Maxi-CD herzustellen. Im englischsprachigen Hiphop gehört "Fuck You" längst zu den harmloseren Formen übler Nachrede, doch auf Deutsch ist das F-Wort offenbar immer noch ein Tabu. Ein Fall von versuchter Zensur? Vielleicht auch bloß eine schöne Story aus der Marketingabteilung, denn der Plattenfirma Sony BMG gelang es nicht nur rasch, ein anderes Presswerk zu beauftragen, sie machte die Affäre auch umgehend publik. Der Titel mag aggressiv klingen, doch eigentlich ist "Fick Dich" eine Schmerzenshymne, eine herzerweichend säuselnd vorgetragene R’n’B-Ballade über das Ende einer Liebe. "Für all die Male, die du mir wehgetan hast / Für all die Zeit, die ich bei dir verlor’n hab / Vergiss dich, vergiss mich / Fick dich", barmt die 21-jährige Dänin. Jede Zeile ein Aufschrei, ein Fußtritt. Im Video taumelt sie über eine nächtliche Autobahn, von hinten nähern sich die Scheinwerfer eines Pickup-Wagens, der in der letzten Sekunde vor der Kollision immer wieder abbiegt. Manchmal ist die Liebe, so muss man die Bilder wohl verstehen, keine Leidenschaft, sondern bloß ein Unfall. Christian Schröder |
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"Homonale" wirbt für Toleranz FRARUN0020070103e3140005p 221 Words 04 January 2007 Frankfurter Rundschau 33 German (c) Copyright Frankfurter Rundschau 2007 www.fr-aktuell.de |
Schwul-lesbisches Filmfestival zum siebten Mal im Caligari-Kino Schwule Cowboys, Inzest und Toleranz sind Themen des schwul-lesbischen Filmfestivals "Homonale" ab 19. Januar im kommunalen Caligari-Kino. |
Wiesbaden · Veranstalter des Festivals ist zum bereits siebten Mal der Verein "Come Out", dessen Ziel es ist, "eine schwul-lesbische Öffentlichkeit in Wiesbaden und Rhein-Main herzustellen". Dazu beitragen soll mit Unterstützung des Kulturamtes die "Homonale" im Caligari-Kino, Marktplatz 9. Zwischen Freitag, 19. und Sonntag 21. Januar, werden dort ausgewählte Filme gezeigt, die gleichgeschlechtliche Liebe thematisieren und für Toleranz werben - erotisch, komödiantisch, aber auch dokumentarisch. Zum Auftakt des Festivals zeigen die Veranstalter am Freitag, 19. Januar, um 17.30 Uhr den Film "Tintenfischalarm": in einer Langzeit-Dokumentation begleitete Regisseurin Elisabeth Scharang drei Jahre lang Alex Jürgen, der als Zwitter geboren wurde. Jürgen ist an dem Abend zu Gast im Kino. Am Samstag stehen drei Filme auf dem Programm, unter anderem "Oublier Chayenne" um 20 Uhr. Der französische Film mit Untertiteln erzählt die Liebesgeschichte eines lesbischen Paares, das am Kapitalismus zu scheitern droht. Der letzte Festivaltag, Sonntag, 21. Januar, startet um 11 Uhr mit einem Frühstück. Anschließend läuft "Brokeback Mountain" - das Drama um die verbotene Liebe zweier Cowboys. sab Karten kosten je Film 5 Euro, mit der neuen Ermäßigungskarte 4 Euro. |
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Die Kinder von Bethlehem NEUZZ00020061223e2cn0007w 3739 Words 23 December 2006 Neue Zürcher Zeitung 3 German Besuchen Sie die Website der führenden Schweizer Internationalen Tageszeitung unter http://www.nzz.ch |
Von Karin Wenger (Text) und Peter Dammann (Bilder) |
Es riecht nach Fisch. Nach verbranntem Fisch. Der Durchzug, der durch das kahle Haus fährt und an Menschen und Gardinen leckt, wird den Gestank bald wegtragen, durch die Mauerritzen hinaus ins Dorf Beit Kahel und über die Hügel des Heiligen Landes Richtung Hebron oder Bethlehem. Seine Frau habe geschimpft, weil er den Fisch verbrannt habe, sagt Naim Ataune zur Sozialarbeiterin, und dann zu sich selbst: «Wie dünnhäutig wir geworden sind in den letzten Monaten.» Naim hat Hände, stark und gross wie Schaufeln, aber Kopf und Schultern erinnern an die Trauben an der Hauswand, die schwer an den Ästen hängen. Müde ist er, wie das Baby in den Armen seiner Frau Mariam. Im vergangenen Mai, als die Wehen einsetzten, acht Wochen zu früh, fuhr Mariam sofort nach Jerusalem. Der Name ihres Kindes sollte unbedingt in eine blaue Jerusalemer Identitätskarte eingetragen werden. Nur mit dieser Karte würde es auch in Zukunft ohne Spezialbewilligung aus dem Westjordanland nach Israel reisen können. Blau ist die Farbe der Bewegungsfreiheit, und diese ermöglicht Arbeit. Die Karten der Palästinenser aus dem Westjordanland dagegen sind grün. So grün wie im Frühling die Hügel, über die die Menschen auch im Sommer, Herbst und Winter wandern, wie Gefangene mit Blick über die Mauer und die Sperrzäune, die das Westjordanland umschliessen. Am 17.Mai klopfte Mariam beim Makassad-Spital in Jerusalem an. Die Hebamme untersuchte sie, schüttelte den Kopf: «Ein schwieriger Fall», zu schwierig für sie, denn die Ärzte seien in den Ferien, niemand könne helfen. Die Zeit drängte. Das Kind wollte auf die Welt. Mariam wurde ins Hadassha-Spital geschickt und dort als Notfall akzeptiert und entbunden. Die zu früh geborene Aya war krank. Die Gedärme waren unterentwickelt, zudem verdreht, und Aya musste am ersten Tag nach der Geburt operiert werden. Drei Monate blieb das Baby im Hadassha-Spital in Jerusalem. Die Rechnung war hoch. «Wie soll ich denn 51000 Schekel bezahlen?», fragte Naim, der nicht nur keine Versicherung, sondern auch kein regelmässiges Einkommen hat, die Spitalbehörden. «Zahlen Sie in Raten», war die Antwort. Und Naim stottert ab, Monat für Monat. «Vom Hadassha-Spital kamen sie dann zu uns ins Caritas Baby Hospital der Kinderhilfe Bethlehem. Wir versuchten Aya mit allen Mitteln am Leben zu erhalten», erinnert sich die 35-jährige Sozialarbeiterin Lina Rahil. Nach sechzehn Tagen wurden Mutter und Kind nach Hause entlassen. Manchmal schaut die Sozialarbeiterin in Beit Kahel vorbei, um sich nach dem Befinden der Kleinen zu erkundigen. Aya verträgt nur eine ganz spezielle Milch. Eine Schachtel Milchpulver kostet 265 Schekel, das sind 88 Franken. Alle fünf Tage braucht sie eine neue Schachtel. Auch noch dafür das nötige Geld aufzutreiben, erscheint Naim schlicht unmöglich. Dabei ist ihm jeder Job recht, auch Automechaniker oder Anstreicher, obwohl er eigentlich den Master für Business-Administration von einer Universität in Virginia hätte und früher sogar Direktor eines Spitals war. Derlei Papiere sind ohne Wert in Zeiten der kollektiven Arbeitslosigkeit. Als er noch einen Fahrausweis hatte, fuhr er Palästinenser ohne Arbeitsbewilligung durch Schlupflöcher in der Mauer nach Israel. Zweimal wurde er erwischt, ins israelische Gefängnis gesteckt und mit monatelangem Fahrausweisentzug bestraft. Jetzt wartet er auf die Gerichtsverhandlung, hofft auf eine Busse in Form von Gemeinschaftsarbeit, vielleicht Strassenkehren. Er schämt sich seiner Lage, fühlt sich hilflos, abhängig. Auch deshalb geht Lina auf Hausbesuch zu den Familien, deren Kinder vom Baby-Spital in Bethlehem betreut werden: Sie klärt die Einkommensverhältnisse und Lebensumstände ab und entscheidet dann, wie viel Hilfe das Spital gewährt. «Sechs Schachteln Milch pro Monat», verspricht sie Naim und Mariam, «am Ersten des nächsten Monats bringe ich die erste.» Mariam wischt sich die Tränen ab, klopft Aya mit einer Hand auf die rosa Strampelhosen und streckt die andere dankbar Lina entgegen. Im Van des Kinderspitals fahren wir über die holprigen Strassen und durch die engen Gassen der Dörfer um Hebron und Bethlehem zurück zum Spital. An manchem Dorfeingang stehen Soldaten, die Gewehre geschultert. Ein Palästinenser, der aus seinem Krämerladen hastet, als er das Spitalauto gewahrt, klopft an die Scheibe: «Mein fünfjähriger Sohn spricht nicht mehr, seit die Soldaten das Haus durchsucht haben. Was soll ich tun?» Später wird die Chefärztin des Kinderspitals sagen, dass psychische Krankheiten, Bettnässen, Bauchschmerzen, Depressionen vom Stress der Eltern, der sich auf die Kinder überträgt, stark zugenommen haben seit dem Ausbruch der Intifada. Der Schweizer Ernst Langensand, Mitglied des Spitalvorstands, wird von Vernetzung sprechen, von Aufklärung der Eltern, von Zusammenarbeit mit anderen Spitälern, von Langfristigkeit und davon, dass man sich im Kinderspital in Zukunft mehr mit den Traumata auseinandersetzen wolle. Sie gehörten heute neben den klassischen Armeleutekrankheiten unübersehbar zum Krankheitsbild der Kinder. Ähnlich wie der Stress und die Depressionen zu den Müttern und Vätern. Immer habe ihr Onkel von seinen Kindern und seinen Müttern in Bethlehem erzählt, wenn er wieder einmal in der Schweizer Heimat aufgekreuzt sei und der Dorfpfarrer in Sins sagte: Schau her, der Zigeunerpfarrer ist wieder da. Hanni Kawwas erinnert sich lebhaft an ihren Onkel Pater Ernst Schnydrig, den Mitbegründer des Caritas Baby Hospital in Bethlehem. Bittere Armut kannte er von seinem Elternhaus in einem Walliser Bergdorf, wo die Mutter das Brot in den Keller legte, damit es hart wurde und länger gekaut werden musste. Das Theologiestudium war für Schnydrig die einzige Möglichkeit, der Armut zu entfliehen. Gottesbewusst sei er schon gewesen, dazu sehr praktisch veranlagt, auch ein guter Redner und Schreiber. Mit der Engstirnigkeit der Schweiz wusste der junge Pater jedoch wenig anzufangen. Er zog los, um aus Menschen Christen zu machen. Im Laufe der Zeit habe er dann gemerkt, dass er aus Christen Menschen machen musste, lacht die Krankenschwester Hanni, die selbst jahrelang fürs Baby-Spital gearbeitet hat. In Bethlehem lernte er Hedwig Vetter, die Schweizer Delegierte der Caritas, und den palästinensischen Arzt Antoine Dabdoub kennen. Beide beklagten die mangelhafte medizinische Versorgung der Kinder. Und dann kam jener Heiligabend 1952. Auf dem Weg zur Geburtskirche sieht Schnydrig einen Vater sein totes Kind in der Nähe eines palästinensischen Flüchtlingslagers begraben. Mit einem Schlag wird ihm klar: Es braucht ein Kinderspital. Er mietet ein Haus, stellt vierzehn Betten hinein und nennt es «Caritas Baby Hospital». In der Schweiz gründet er zusammen mit der Caritas Schweiz und dem Deutschen Caritasverband die Kinderhilfe Bethlehem als unabhängigen, internationalen Verein. Spenden aus der Schweiz, Deutschland, Italien und Österreich halten das Projekt der Hoffnung am Leben. 1978 wird das Provisorium durch einen modernen Bau aus hellem Jerusalemstein ersetzt. Über achtzig Betten stehen nun den kleinen Kranken zur Verfügung. Im Laufe der Jahre kommen ein Sozialdienst, eine Krankenpflegeschule und ein Ambulatorium hinzu. Pater Schnydrig erlebt die Einweihung der neuen Einrichtung nicht mehr. Er stirbt wenige Tage zuvor. Sein Vermächtnis steht im Grundstein des Neubaus: «Wir haben den Ärmsten geholfen, so gut wir konnten, und haben dabei nie nach Rasse oder Religion gefragt.» Unerschütterlich habe er an einen möglichen Frieden zwischen Israeli und Palästinensern geglaubt. Umso mehr habe es ihn geschmerzt, dass die Zustände nicht menschlicher sind, sagt die Nichte. Ein Spital als Friedensbrücke: Das wollte Pater Schnydrig, und so sehen die Spitalmitarbeiter ihren Auftrag noch heute. Doch die Brücke ist schmal, die Schwierigkeiten sind mannigfaltig. Im Caritas Baby Hospital existiert keine chirurgische Abteilung, und in den schlecht ausgerüsteten palästinensischen Spitälern können komplizierte Operationen nicht durchgeführt werden. Deshalb werden die Kinder nach Möglichkeit für Operationen in ein Spital nach Israel gebracht. «Die Bürokratie ist dabei das Problem, nicht die israelischen Ärzte, die sehr gut kooperieren», sagt ein Mitarbeiter. Seit die Mauer Bethlehem von Israel und damit auch von Jerusalem trennt, braucht es für jeden Transfer, für jedes Kind, stunden-, manchmal tagelange Koordinationsarbeit. Oft bleiben die Eltern an der Mauer auf der palästinensischen Seite zurück. Und dann die Kosten. Der Transport zum wenige hundert Meter entfernten Grenzübergang in der Mauer kostet 50 Schekel. Das Baby wird ausgeladen, zu Fuss auf die andere Seite gebracht, in eine israelische Ambulanz gehoben, in ein Jerusalemer Spital gefahren. Macht 300 Schekel. Die wenigsten Eltern können sie bezahlen. Geschweige denn die Operationskosten oder die anschliessende Pflege im Baby-Hospital. Schuld daran sind die hohe Arbeitslosigkeit und die damit einhergehende Armut. Seit Ausbruch der zweiten Intifada werden israelische Arbeitsgenehmigungen nur noch spärlich an Palästinenser vergeben. Zu den neuen Armen gehören seit der Wahl der Hamas und dem internationalen Boykott auch die Angestellten der palästinensischen Autonomiebehörde. Seit Monaten haben sie keine Löhne mehr erhalten. Deshalb wird auch in den öffentlichen Spitälern gestreikt, worauf die kranken Kinder ins Baby-Spital gebracht werden. Das merke man sofort. Für jene, die nicht mehr bezahlen können, springt die Kinderhilfe Bethlehem in die Bresche und übernimmt alle Kosten. Niemand werde hier abgewiesen, das sagte schon Pater Schnydrig. Und es kommen immer mehr. 31000 Kinder alleine im Jahr 2005. So viele waren es noch nie. Obwohl sie nur noch aus den umliegenden Dörfern bis Hebron, vielleicht noch aus Ramallah kommen können und nicht mehr aus dem Norden, aus Nablus, Kalkilya, Jenin. Wegen der Mauer und der Strassensperren, die das Reisen für viele auch innerhalb des Westjordanlandes verunmöglichen. Rattenschwanz der Besatzungspolitik. «Genetisch bedingte Krankheiten haben zugenommen in den letzten Jahren. Wegen der Armut und weil die Leute nicht mehr reisen können, heiraten sie immer öfter im engsten Familienkreis, im Dorf. Das ist billiger. Herzfehler, Down-Syndrom, Nierenkrankheiten treten häufiger auf. Im Sommer sind die typischen Infektionskrankheiten Durchfall und Erbrechen, im Winter Bronchitis und Lungenentzündungen. Ferner sehen wir Unterkühlungen, weil die Häuser nicht richtig geheizt sind. Hinzu kommen psychische Störungen und dann natürlich Mangelernährung bei Kindern, deren Mütter schon unterernährt sind und deshalb nährstoffarme Milch haben.» Hiyam Marzouqa, die in Würzburg ausgebildete palästinensische Chefärztin, geht langsam durch die Reihen der Kinderbetten und Inkubatoren in der Neugeborenenstation. In der Hand die Krankenblätter: Abd-el Ruhman Samer, Frühgeburt, 1,7 Kilogramm, Schluckschwäche. Abdel Rahman Mazen Abed-Rabbo, Speiseröhren-Lungen-Verbindung. Sollte zur Untersuchung ins Al-Makassad-Spital nach Jerusalem transportiert werden. «Wir arbeiten an der Bewilligung für die Mutter.» Dort zwei Kinder unter einer blauen Lampe: Gelbsucht. Ein nackter Säugling im Inkubator, die Fäustchen klein wie Baumnüsse. Viraler Infekt. Und der Winzling mit den dunklen Seidenhaaren? Trisomie 13. Er wird nicht lange leben. Zwischen zwei Bettchen eine Mutter im blauen Kittel, die Lippen tiefrot geschminkt, den Blick auf ihr unterernährtes Mädchen gesenkt: 3,2 Kilogramm, auch nach zwei Monaten nur wenig mehr als das Geburtsgewicht. Die Mutter wendet sich der Ärztin zu: «Ich habe kein Geld. Mein Mann wird von den Israeli verfolgt. Meine Milch ist wie Wasser.» Über dem Kopf des drei Monate alten Qutaiba Fares Jumhour eine durchsichtige Haube. Sie versorgt ihn mit Sauerstoff. Aus seinen Händchen wachsen Schläuche wie Bonsai-Äste. Wenn die Physiotherapeutin Amal Nasar dreimal am Tag die Haube hebt, schiebt sie einen Schlauch in den kleinen Rachen, saugt den Schleim ab, der sich tief in den Lungen angesammelt hat. Qutaiba ist einer von zwei Zwillingen. Was den Kindern fehlt, weiss niemand genau, deshalb wurde Qutaibas Bruder zur Untersuchung in ein Spital in Israel gebracht. «Unruhig ist er. Als ob er von einem inneren Motor angetrieben würde. Seit wir mit ihm arbeiten, ist es ein wenig besser geworden. Manchmal hält er sogar den Kopf still», sagt Amal, bevor Qutaiba wieder unter der Haube verschwindet. «Bravo», flüstert die deutsche Physiotherapeutin Margit Lindner und legt die Daumen unter die Schultern von Basmala, sanft, als prüfe sie die Konsistenz einer Aprikose, und Basmala seufzt tief, entspannt. Basmala, geboren am 15.Mai 2004 in Bethlehem, schwerbehindert, die dürren Ärmchen an den Brustkorb gepresst, den Kopf starr in den Nacken gelegt, in der Nase eine Magensonde. Alleine könnte sie nicht schlucken. Wenn die Physiotherapeutinnen arbeiten, atmet die Zeit in langsamen regelmässigen Zügen. Keine Hast, kein Hü, kein Hott. Jede Bewegung wie eine langgezogene Note. «Es ist, als ob wir mit dem Kind eine Melodie spielten. Manchmal spielen wir lauter, manchmal leiser. Mit ihr muss man ganz leise spielen. Basmala fürchtet sich vor Bewegungen.» Aber diesmal weint sie nicht. Sie kann die Bewegung nachvollziehen. Im Treppenhaus riecht es nach angerührter Milch. Auch nach Sauberkeit. Nicht nach Bohnerwachs, nicht nach Desinfektionsmitteln, aber sicher nach Schweiz, Ordnung, Organisation. Manchmal wird die Ordnung durcheinandergebracht, weil die Kinder ungeachtet ihrer Krankheit leben und spielen wollen. In der Sektion B unter dem Tisch der Krankenschwestern erklingt ein Kinderlachen, glockenhell. Dann schiebt sich ein Stuhl unter dem Tisch hervor und nach dem Stuhl ein brauner Haarschopf, ein Gesicht dreht sich in die Höhe mit einem Mund, aus dem das Lachen kullert wie die Milchtropfen auf die Handrücken der Krankenschwestern, wenn sie die Temperatur testen. Ilham Taysir-Rabay'ah, zwei Jahre und vier Monate alt, geboren mit einer Analstenose, einer Verengung des Darmausgangs. Wenn sie die Stühle verschiebt, wippt das Säcklein mit dem Beutel, in dem sich ihre Exkremente sammeln, an ihrer Seite auf und ab. Der künstliche Darmausgang gehört zu Ilhams Leben, ganz selbstverständlich, wie zu anderen Kindern der Schnuller oder das Bilderbuch. Für die Krankenschwestern und Ärzte ist sie der Sonnenschein der Abteilung. Und was noch viel wichtiger ist: Sie isst. Zwölf Kilogramm soll Ilham auf die Waage bringen, damit in einer zweiten Operation ihr künstlicher Darmausgang wieder geschlossen und der After erweitert werden kann. Erst dann darf sie nach Hause. Ob sie das will? Die meiste Zeit ihres Lebens hat sie doch im Kinderspital verbracht und verlor jedes Mal Gewicht, wenn sie eine Weile zu Hause war. Dort gilt sie als Behinderte und wird nur mit dem Allernötigsten versorgt. Unterernährt, wie sie dann ist, kommt sie jeweils wieder in die Sektion B, verschiebt fröhlich lachend Stühle, während die Ärzte und Krankenschwestern über ihr Gewicht wachen, damit sie endlich operiert werden und hernach ohne Behinderung zu Hause aufwachsen kann. Die Sozialarbeiterin Lina erzählt: «Gestern war ich an einem Fortbildungskurs zum Thema Missbrauch von Frauen und Kindern. Das hat zugenommen in letzter Zeit. Die äussere Gewalt wirkt sich auf die Familie aus. Aber in unserer Gesellschaft reden wir nicht darüber, vor allem nicht über sexuellen Missbrauch. All dieser Inzest, und niemand wagt darüber zu sprechen. Nicht einmal die Frauen. Sie sagen: 'Nicht so schlimm, es ist ja dein Vater.' Wir informieren das Sozialdepartement der Autonomiebehörde. Aber eingreifen können wir nicht.» Lina wartet einen Moment im Auto, als ob sie Kraft sammeln müsste vor ihrem nächsten Hausbesuch. Dort am Hang, mit Blick über das Tal, durch das einst das Trinkwasser aus Salomons Sammelbecken nach Jerusalem floss, liegt das Haus. Aus dem untersten Stockwerk dringt das Meckern von Ziegen. Darüber liegt die Wohnung, wo der Pascha mit seiner Frau, seiner 105-jährigen Mutter, seinen drei Söhnen, deren Kindern und Frauen wohnt. Unter ihnen auch Maschdulin. Siebzehn Personen in fünf Zimmern. Der Alte hockt am Boden vor der Tür, den Stock in der Hand. Wenn er die Kinder ruft, bleiben sie im Türrahmen stehen, ausser Reichweite des Stocks. Geisterhaft schleichen die Schwiegertöchter über den Flur. Wortlos verschwinden sie, wenn die Urgrossmutter aus dem Zimmer schlurft und ruft: «Maschdulin, machst du nun endlich das Essen, oder soll ich noch verhungern?» Maschdulin zieht stumm den Kopf ein und eines ihrer fünf Kinder auf den Schoss. Mit Lina spricht sie nur im Flüsterton. Die Wände sind dünn, die Ohren der Schwiegermutter gut. Von Anfang an war sie bloss eine Geduldete gewesen. Ihr Schwiegervater hätte lieber eine andere Frau an der Seite seines Sohnes gesehen als Maschdulin, die Tochter seines Bruders. Mit diesem Bruder ist er seit Jahren zerstritten, ebenso mit seinem Sohn, der einmal vom Vater geborgtes Geld einem Freund geliehen hatte. Das Geld kam nie zurück. Deshalb hockt nun der Vater gleich einem Pförtner an der Haustür und nimmt Abend für Abend, wenn der Sohn nach Hause kommt, alles, was dieser tagsüber verdient hat, an sich. Deshalb liegt Maschdulins Brautgold bei der Schwiegermutter. Deshalb hat der Vater seinen beiden anderen Söhnen die Wohnung und die Zweitwohnung versprochen und Maschdulins Mann nur das Dach, auf dem er bauen könnte, wenn er Geld hätte. Und deshalb wurde Maschdulins Kindern das fensterlose Zimmer mit den schimmligen Wänden zugeteilt. An Milchschorf, Bronchitis, Anämie, vergrösserter Niere, Unterernährung litten Maschdulins Kinder, als sie vor Monaten mit ihnen das Baby-Spital aufsuchte. Die Kinder wurden gepflegt und wohlversorgt mit Milchpulverpackungen nach Hause geschickt. Sie kamen bald wieder nach Bethlehem. Maschdulins Schwägerinnen hatten sich das Milchpulver angeeignet und für ihre Kinder verwendet. Lina sagt: «Ihr müsst euch emanzipieren. Dein Mann muss sich wehren.» Dieser jedoch liefert schweigend das Geld ab zum Bezahlen der Rechnungen. Schliesslich hat ihn der Vater einmal nach einem Streit mitten in der Nacht mit Frau und Kindern auf die Strasse gesetzt. Und wenn Lina mit dem Schwiegervater sprechen würde, hiesse es: Maschdulin, du plauderst die Geheimnisse des Hauses aus. Und dann wäre alles nur noch schlimmer. Deshalb sagt auch Maschdulin nichts. Auch nicht zu ihrem Mann, dessen Frustration sie immer wieder am eigenen Leib zu spüren bekommt. Nur zu Lina. Die hat den Kindern einen lustigen Stoffclown mitgebracht, dem bald ein Auge fehlt. Und Lina hört zu, schweigend, weil sie nicht mehr weiss, wie sie diese Frau und ihre Familie aus ihrem Gefängnis befreien könnte. Weil Sozialarbeit Grenzen hat. Hundert Schritte hinter dem Baby-Spital zieht sich die Grenze als Betonmauer der Strasse entlang und um die Häuser, wie ein Magenband, das immer enger geschnallt wird. Acht Meter hoch ist sie hier, vor einem Jahr fertig gebaut. Wenn man davorsteht, muss man den Kopf in den Nacken legen, um den Himmel nicht aus den Augen zu verlieren. Sie windet sich von drei Seiten um ein Haus und schneidet die Strasse, die vor zwei Jahren noch die Hauptstrasse von Jerusalem nach Bethlehem war. Das einzige Lebenszeichen ist ein schlafender Hund. Hinter der Mauer Maschinengeratter. Das Grab von Rahel, der Frau Jakobs, wird eingemauert, annektiert. Kein Zutritt für Touristen. Doch die bleiben ohnehin seit Jahren weg. Zu gefährlich, glauben sie. Der «jewellery shop» ist vergittert, nicht wegen irgendeiner Gefahr, sondern weil niemand mehr kommt. Das Restaurant mit «Bethlehems bestem Kebab» ist menschenleer. Auf der Strasse ein Souvenirverkäufer mit baumelnden Ketten. «Billig», sagt er, «wirklich billig.» An die Mauer gesprayt, in bunter Schrift: «Aus der Asche der Hoffnungslosigkeit entspringen die Flammen der Hoffnung» und «Die Mauer verhaftet uns alle» und «Gott wird die Mauer zerstören». «Gott hat den Glauben an seine Kinder nicht verloren. Er gibt nicht auf», sagt Schwester Erika, eine Franziskanerin vom Orden der heiligen Elisabeth von Padua und Leiterin des Pflegebereichs des Caritas Baby Hospital. An Jesu Geburtsort mit Kindern zu arbeiten, sei ein Zeichen der Hoffnung. Obwohl: «Damals waren die Zeiten schlimm. Sie sind es noch immer.» Seit Bethlehem zum Gefängnis geworden ist, beten die Schwestern jeden Freitag an der Mauer für den Frieden. Regelmässig sieben bis zwölf Personen, manchmal kommen auch die Franziskanerpater und Mönche. Nein, Protest könne man das nicht nennen, viel eher eine friedliche Form von Demonstration. Sogar die Soldaten hätten sich an die Frauen in ihren weissen Ordensgewändern, auf denen das schlichte Silberkreuz glänzt, gewöhnt. «Wir sind noch nicht bereit für den Frieden, den Er versprochen hat», meint Schwester Erika. Friede sei nur möglich, wenn die Menschen lernten, die von Gott gewollte Freiheit gut zu nützen. Nicht, wenn sie sich höher stellten als andere und dabei zu Unterdrückern werden. Ernst fragt sie: «Ist es nicht widersinnig, dass das Heilige Land so unheilig ist? Aber es sind die Menschen, die es so machen.» Den Glauben aufrechtzuerhalten an einem solchen Ort, sei schwierig, sagt Vater George, der Organist der Franziskaner. Er sitzt im Garten der katholischen Kirche, die symbiotisch an die Geburtskirche angebaut ist, beklagt sich über die Abwanderung der Christen und das Verhältnis zu den griechisch-orthodoxen Hütern der Geburtskirche. Bis vor kurzem sei dieses Verhältnis äusserst angespannt gewesen, es habe Zank gegeben, wer wann die Kirche putze, wer wann beten dürfe. Aber nun habe man sich zu einem grossen Schritt durchgerungen: Einen Schlüssel zur Geburtskirche besitzen jetzt nicht mehr nur die Vertreter der Griechisch-Orthodoxen, sondern auch jene der Franziskaner und der Armenier. Die Geburtskirche ist leer und dunkel. Ein griechisch-orthodoxer Mönch schabt Bienenwachs vom Marmorboden. Ab und zu kramt er ein Handy aus seinen langen schwarzen Flügelärmeln. Vereinzelte Gläubige zünden neue Bienenwachskerzen an, wispern Gebete, streifen mit den Lippen die Ikonen. Jesus am Kreuz. Jesus in der Krippe. Maria über ihn gebeugt. Aus der Geburtsgrotte, da, wo Er zur Welt gekommen ist, erschallen die Stimmen des Priesters und der Mönche, die Ihn lobpreisen mit vollen Bässen. Um sie der Weihrauch und die Myrrhe, die sie einhüllen wie Herbstnebel. Ein Geschenk Gottes seien ihre Zwillinge Bara und Jasmin, sagt Naja. Ein federleichtes Geschenk. Bei der Geburt am 11.Mai dieses Jahres waren sie 1,3 und 1,27 Kilogramm schwer. «Ahmed, ich muss zum Arzt. Ich glaube, sie kommen», hatte sie damals des Nachts zu ihrem Mann gesagt. Im Beduinendorf Rashaida mitten in der judäischen Wüste war es nicht einfach, ein Auto zu finden, das sie ins Nachbardorf fuhr, wo sie in einen Wagen für illegale Arbeiter umstiegen. Er brachte sie nach Bethlehem. Im Holy Family Hospital wurden die Zwillinge per Kaiserschnitt in die Welt gehoben. Drei Wochen später kamen sie für einen Monat ins Baby-Hospital zum Aufpäppeln. Eine Zeitlang weigerte sich Naja, ihre Kinder in den Arm zu nehmen, nicht weil sie so klein waren, sondern weil sie die Kinder ablehnte: Eine postnatale Depression hatte sie aggressiv gemacht und ihr vorübergehend jedes Mutterglück geraubt. Die Krankenschwestern im Spital waren überfordert. Sie begriffen auch nicht, warum kein Mensch sich um Mutter und Kinder zu sorgen schien. Niemand kam, weder der Vater der Kinder noch Najas Bruder oder ihre Schwiegermutter. Bis schliesslich Naja der Sozialarbeiterin Lina erzählte, dass ihr Mann im Gefängnis sitze, weil er ohne Bewilligung versucht habe, in Israel zu arbeiten, und dabei erwischt wurde. Naja borgte 2500 Schekel, um die Kaution für Ahmed zu bezahlen. Gemeinsam holten sie ihre Zwillinge heim. Von dem kleinen Vorplatz ihres Hauses sieht man fast bis zum Toten Meer. Im einzigen Raum steht ein Kinderbett, die Bettdecke zurückgeschlagen. Lina hat es gebracht, weil Naja und Ahmed das Geld dazu fehlte und sie die Kinder am Boden auf Kissen betten mussten, wo auch Skorpione und Schlangen leben. Ahmed hat immer noch keine Arbeit, dafür Zeit, sich um die Kinder zu kümmern. Er trägt Bara sorgsam wie eine Glaspuppe im Arm. «Das ist eine Erfolgsgeschichte», sagt Lina. «Schau, wie zufrieden sie aussehen, wie liebevoll sie sind und wie gesund die Zwillinge.» Ahmed sagt, wenn er sich von Gott etwas wünschen könnte, wären es Arbeit und Frieden. Oder eigentlich nur Frieden, denn dann könnte er jeden Tag nach Jerusalem, um zu arbeiten, und müsste nicht bei anderen betteln. Naja sagt, sie würde sich Milchpulver und Pampers wünschen. Milchpulver erhalten sie manchmal vom Baby-Spital. Dann, wenn Lina kommt. |
Killer Krampus; Der Horrorthriller „Black Christmas” von Glen Morgan SDDZ000020061223e2cn00031 Feuilleton 326 Words 23 December 2006 Süddeutsche Zeitung 15 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Ausgerechnet zu Weihnachten feiert der deftige, direkte Splatterfilm ein kleines Comeback. Mit bitterbösen, karnevalesken Geschmacklosigkeiten torpediert Glen Morgan, einer der Schöpfer der „Final Destination”-Serie, die Rührseligkeit des Fests. Eine tiefschwarze Attacke auf weihnachtliche Harmoniesucht gibt es gleich zu Beginn.Ein Weihnachtsmann kommt zur Bescherung in einen albtraumhaft stilisierten Knast für psychisch kranke Schwerverbrecher. Wie Türchen eines Adventskalenders öffnen sich die Klappen der Zellentüren und offenbaren dem erstaunten Nikolaus grimmige Bösewichte und deren schauderhafte Biographien. Der schlimmste Psychokiller, ein junger Bursche namens Billy, schafft es bei der Bescherung auszubrechen und als Anti-Weihnachtsmann nach Hause zurückzukehren. |
Coming home for Christmas . . . Das alte Zuhause des irren Billy, ein verwinkeltes Haus mit Speichern und Gängen wie Gehirnwindungen, dient jetzt als schmuckes Studentenheim für mehr oder weniger hedonistische Elevinnen, die sich eher besinnungslos besaufen als besinnlich zu feiern. Während Billy wie ein Krampus des Hardcore-Horror einen Totentanz unter den dekadenten und unzufriedenen Girls aufführt, wird parallel die alte, geheime Geschichte des verwunschenen Hauses durchleuchtet. Billys White-Trash-Kindheit mit Inzest und Kannibalismus kommt zum Vorschein, bei dem Horror-Ikonen wie Norman Bates und Michael Myers Vorbilder waren. Als handfester B-Horrorfilm ist „Black Christmas” weder subtil noch psychologisierend in den Charakterzeichnungen, er stellt eher selbstironisch Psycho-Archetypen vor: Morgans kleines Machwerk, inspiriert übrigens von dem raren Gruselklassiker „Jessy – die Treppe in den Tod”, ist nicht sonderlich originell – aber wie die „Final Destination”-Filme flirtet dieses schmutzige kleine Märchen unverschämt und in geradezu befreiender Weise mit dem Grauen. Wie in einem Pop-Surrealismus kullern Augäpfel durchs Bild, sie gleichen bizarren Weihnachtskugeln, die der amerikanische Comic-Künstler Von Dutch entworfen haben könnte. Ein Film für alle Teenager, die nach Weihnachts-Familien-Stress durchatmen wollen in einer Kino-Geisterbahnfahrt. HANS SCHIFFERLE BLACK CHRISTMAS, USA 2006 – Regie, Buch: Glen Morgan. Kamera: Robert McLachlan. Musik: Shirley Walker. Mit: Katie Cassidy, Mary Elizabeth Winstead, Lacey Chabert, Michelle Trachtenberg, Oliver Hudson. Concorde, 85 Minuten. |
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Wir flüchten in Frivolitäten FACTS00020061222e2cl0001c Lebensart 1701 Words 21 December 2006 FACTS 96 German (c) 2006 FACTS, TA-Media AG Homepage Address: http://www.facts.ch |
Wenn Frauen vor lauter Pomp und Pumps den Kopf verlieren: Regiestar Sofia Coppola über «Marie Antoinette», Kaufen im Rausch und Pop im Schloss. Interview: Annemarie Ballschmiter FACTS: Frau Coppola, Marie Antoinette stürzt sich im Film aus Einsamkeit und Unglück in einen Vergnügungs- und Shoppingwahn. Kennen Sie das? |
Sofia Coppola: Ja - die meisten Frauen kennen das: einkaufen, um sich was Gutes zu tun. Bei Marie Antoinette war das extrem. So weit bin ich nie gegangen. FACTS: Ihre Marie Antoinette, letzte Königin von Frankreich, erinnert an Lady Diana und Paris Hilton. Absicht? Coppola: Nein, aber ich sehe definitiv Parallelen zu unserer Kultur. Marie Antoinette war eine Berühmtheit ihrer Zeit. Die Pamphlete, die über sie im Umlauf waren, erinnern an die Boulevard-Berichterstattung von heute. Und es gibt eindeutig gelangweilte Frauen, die nur shoppen gehen, weil ihre Ehemänner sie ignorieren. FACTS: Marie Antoinette spricht wie ein Girlie von heute. Und dazu läuft Popmusik. Was wollen Sie uns damit sagen? Coppola: Das ist einfach meine impressionistische Sichtweise. Ich wollte zeigen, wie es sich für Marie Antoinette angefühlt haben könnte, zu dieser Zeit in Versailles zu leben. Eine trockene Geschichtslektion hatte ich jedenfalls nicht im Sinn. FACTS: Und die Musik? Coppola: Die Songs verleihen den Szenen die Emotionen, die mir vorschwebten. FACTS: Ist «Marie Antoinette» eine Hommage an die Modewelt? Coppola: Der Film ist stark von ihr inspiriert. Der Modekontext war mir wichtig. Wir wollten keinen typischen Kostümfilm machen, sondern etwas Einzigartiges. FACTS: Was ist einzigartig? Coppola: Unsere Styling-Arbeit. Ich bewundere die Arbeit von Designer John Galliano seit langem. Und was Odile Gilbert für ihn macht, ist fantastisch: Ihre Frisuren sind Kunstwerke. Sie und Make-up-Artist Stéphane Marais habe ich verpflichtet. Und was die Schuhe betrifft: Wen sonst als Manolo Blahnik hätte ich fragen sollen? Ich bin mir sicher, wenn Marie Antoinette heute lebte, sie würde Schuhe von Manolo Blahnik tragen. FACTS: Haben Sie selbst mal eines dieser Korsetts anprobiert, die Kirsten Dunst als Marie Antoinette trägt? Man muss sich darin ja ziemlich seltsam fühlen. Coppola: Nein, aber ich war jedes Mal beeindruckt, wenn Kirsten Dunst mit einem neuen Outfit zum Set kam. FACTS: Wie wichtig ist Mode für Sie? Coppola: Ich nehme die Mode nicht ernst, aber ich geniesse sie. Ob sie wirklich wichtig ist? Ich weiss nicht, aber sie ist auf jeden Fall unterhaltsam. Manchmal flüchten wir Frauen eben in Frivolitäten. Wir haben da viel mehr Möglichkeiten als Män-ner. Wenn sich jemand für visuelle und schöne Dinge interessiert, kann Mode sehr grossen Spass machen. FACTS: Sind Sie oberflächlich? Coppola: Man kann tiefgründig sein und sich trotzdem für Frivolitäten interessieren. FACTS: Sie haben früher mal für das Mode-Label von Kim Gordon, der Gitarristin der Band Sonic Youth, gearbeitet. Coppola: Ich habe geholfen, ihre Fashion-Shows zu organisieren. Ich war zwanzig. FACTS: Für den Designer Marc Jacobs sind Sie eine Art Muse und enge Freundin. Ausserdem gelten Sie als Stil-Ikone. Coppola: Ich habe Marc Jacobs in den frühen Neunzigern kennen gelernt. Es war spannend zuzusehen, wie er erfolgreich wurde. Ich liebe alles, was er macht. FACTS: Haben Sie Stil-Vorbilder? Coppola: Als ich jünger war, habe ich für Diana Vreeland geschwärmt, die ehemalige Chefredaktorin der US-«Vogue». Sie war originell und einzigartig. Und für die französische Schauspielerin Aurore Clément, eine Freundin der Familie. Sie war immer so schick. Als Kind habe ich sie unheimlich gern angesehen. Und natürlich Anjelica Huston. Wenn man jünger ist, bewundert man Frauen, die älter sind. FACTS: Sie pendeln zwischen New York und Paris. Hat das Ihren Stil verändert? Coppola: Ja. Paris ist anders. Die Leute kleiden sich schicker hier. Und Paris hat auch einen langsameren Rhythmus. Das mag ich. Das Leben hat hier Vorrang. In New York arbeitet jeder die ganze Zeit. FACTS: In Frankreich gab es arge Bedenken, ob Sie die Geschichte von Marie Antoinette in angemessener Weise verfilmen können. Verstehen Sie solche Zweifel? Coppola: Wie konnte Steven Spielberg einen Film über einen Ausserirdischen machen, wo er doch kein Ausserirdischer ist? Marie Antoinette war Österreicherin. Ich bin keine Österreicherin. Jeder kann aus jeder Geschichte seinen Film machen. Für mich ist das einfach die Geschichte eines Mädchens, das zur Frau wird. Man kennt Marie Antoinette nur als verschwenderische Prinzessin. Aber sie war erst 14, als sie nach Versailles kam. Ich beleuchte die Person hinter den Mythen und jenseits von Klischees. FACTS: Marie Antoinette hatte stets Leute um sich herum. Beim Aufwachen, Anziehen, selbst bei der Geburt ihrer Kinder. Kennen Sie das Gefühl, dass alle Augen auf Sie gerichtet sind? Coppola: Nicht so extrem. Wir sind auf dem Land gross geworden, nicht in Hollywood. Ich hatte eine private Kindheit. FACTS: Ihr Vater koproduzierte Ihren Film, Bruder Roman war Second-Unit-Regisseur, Cousin Jason Schwartzman spielt Ludwig XVI. Gehts nicht ohne Familie? Coppola: Wir haben schon als Kinder viel zusammen gemacht. Mein Vater hat auch immer viel mit Verwandten gearbeitet. Eine Art Familientradition. Und weil meine Familie nun mal im Filmbusiness tätig ist, macht es auch Spass, mit ihr zu arbeiten. FACTS: Sie haben nicht den Drang, alles allein zu machen? Coppola: Nein. Mein Vater war ja nicht die ganze Zeit auf dem Set, sondern kam nur mal für ein paar Tage vorbei. Ich fühle mich wohl so. Ich mache meine Filme auf meine Art, muss mich aber nicht zwanghaft abgrenzen. FACTS: Gab es Zeiten, in denen Sie das Bedürfnis nach mehr Abstand hatten? Coppola: Sicher. Aber zu meinem Bruder hatte ich immer ein sehr enges Verhältnis. Und ich bin immer gern nach Hause gekommen. Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass die Familie wichtig ist. Für meinen Vater bedeutet der Familienzusammenhalt sehr viel. So bin ich erzogen worden. FACTS: Ihr Film schwelgt in Pastell, Gold, Rüschen, üppigem Dekor. Haben Sie sich von all der Buntheit erholt? Coppola: Ja. Ich hatte zwar eine Überdosis bei den Dreharbeiten. Aber diese Opulenz hat mir grossen Spass gemacht. FACTS: Wohin flüchteten Sie sich nach den Drehtagen? Coppola: In mein Apartment - es ist komplett weiss. Ohne Muster und Farben. Wenn man sich den ganzen Tag solche Sachen angeschaut hat, braucht man anschliessend Leere. Einen Raum, der ganz pur und rein ist. Eine weisse Leinwand. FACTS: War das eine Folge des Films - oder lebten Sie schon immer so? Coppola: Schon immer. Ich habe zwar meinen Kram, aber ich habe nicht so gern viele visuelle Dinge um mich herum. Ich schaue mir so etwas lieber gezielt an. In einem Buch zum Beispiel. Und nach diesem Film brauchte ich definitiv eine Pause. FACTS: So? Ist Prunk und Luxus dermassen anstrengend? Coppola: Das Gold, die Seide und das alles haben wirklich Spass gemacht. Aber ich könnte niemals so leben. « Sofia Coppola: «Ich nehme die Mode nicht ernst, aber ich geniesse sie.» «Marie Antoinette» mit Kirsten Dunst in der Titelrolle: «Ich sehe definitiv Parallelen zu unserer Kultur.» Coppola und Dunst bei den Dreharbeiten: «Ich war jedesmal beeindruckt, wenn Kirsten mit einem neuen Outfit zum Set kam.» Sofia Coppola, 35 Ihr Vater Francis Ford Coppola gab ihr 1990 in «Der Pate III» die erste grosse Rolle - ein Desaster. Doch ihr Regiedebüt «Virgin Suicides» (1999) fand Lob, und mit «Lost in Translation» (2003) gewann sie einen Oscar. «Marie Antoinette» ist Coppolas dritte - und oberflächlichste - Sicht auf eine Frau im inneren Exil. Lost in Versailles Sofia Coppola zeichnet eine Marie Antoinette zum Gernhaben - prompt revoltiert das französische Kinovolk gegen den Film. K ann eine Amerikanerin das Leben einer Österreicherin verfilmen, die Königin Frankreichs wurde und auf dem Schafott landete? Zumindest auf den Applaus des französischen Publikums sollte sie nicht hoffen. Die Franzosen verrissen Sofia Coppolas Film «Marie Antoinette». Die Historikerin Antonia Fraser, ihrerseits Britin, weiss, weshalb: «Weil er ihren Blutdurst nicht stillt. Sie wollen L'Autrichienne noch immer auf dem Schafott sehen.» Denn in Frankreich ist Marie Antoinette noch immer als Luxusluder verschrien, als eine Art Paris Hilton des absolutistischen Zeitalters. Und als eine Mutter, die Inzest mit ihrem Sohn trieb und lesbische Spiele mit ihren Hofdamen - ein perverses Scheusal. Das ist alles üble Politpropaganda. Die Grande Nation verteufelt Marie Antoinette bis heute als Symbolfigur des verhassten Ancien Régime; hatte sie doch fremde Monarchen angefleht, gegen das revolutionäre Volk zu marschieren. Dabei war L'Autrichienne («die Österreicherin», zugleich «die andere Hündin») auch klug, warmherzig und musisch begabt. Der österreichische Autor Stefan Zweig etwa beschrieb sie mit Milde als «Charakter, der alles könnte und nichts will». Ihre grösste Furcht war, sich zu langweilen. Ihre Amüsierwut: Kompensation für Jahre ohne Sex. Ihr Schicksal: gefangen in der Gleichgültigkeit. 1789, als sie 34 Jahre alt war, marschierte das aufbegehrende Volk nach Versailles, und die Königsfamilie musste sich in die Pariser Tuilerien zurückziehen. Da vollzog sich die Metamorphose der Marie Antoinette zum heroischen Charakter. Die Hedonistin reifte zur mutigen Königin. Unübersehbare Nachlässigkeiten Sofia Coppola zeigt davon wenig. Zwar ignorierte die Regisseurin die Fakten nicht; sie verliess sich auf Antonia Frasers neue «Marie Antoinette»-Biografie - die gilt als historisch akkurat. Doch Nachlässigkeiten sind unübersehbar: Die nicht belegte Affäre mit dem schwedischen Schönling Graf von Fersen läuft allenfalls unter dem Etikett «künstlerische Freiheit». Schliesslich muss die Königin (Kirsten Dunst) nochmals den unsäglichen Satz sagen: «S'ils n'ont pas de pain, qu'ils mangent de la brioche» (Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen). Der Spruch stammt nicht von ihr, sondern von Jean-Jacques Rousseau; er schrieb ihn in seinen «Confessions», die entstanden waren, als Marie Antoinette ein Kind war. Coppola porträtiert das vergnügungssüchtige Modepüppchen, die schwärmerische Naturfreundin und die Gattin eines tölpischen Mannes, den sie, zarte 14 Jahre jung, aus machtpolitischen Gründen ehelichen muss. Ludwig XVI. müht sich 2000 Nächte lang an ihrem Körper ab, ohne dass ein Kind die erzwungene Heirat besiegelt hätte. Man fühlt Mitleid mit einem lebensfrohen Teen - aber nicht mehr. «Marie Antoinette» bleibt eine poppige, obgleich unterhaltsame Sicht auf die Jahre in Versailles von 1770 bis 1789. Offenkundig war die Stilikone lost in Versailles. Nie sah Marie Antoinette ein Bürgerhaus von innen, nie las sie ein Buch. Sie interessierte sich nicht für Politik, sie feierte die Nächte durch. Derweil ihr Gatte schlief, ermüdet von der Hirschjagd. André Grieder Marie Antoinette (Bild eines unbekannten Malers): Eine Art Paris Hilton. Foto: Oly Barnsley/Camera Press/Keystone Foto: Leigh Johnson/Sony Pictures Entertainment Foto: Leigh Johnson/Sony Pictures Entertainment Inc. Foto: Bridgemanart.com |
Live NEU - Knackig bis in den Tod HABEND0020061221e2cl0004y Film MICHAEL RANZE 277 Words 21 December 2006 Hamburger Abendblatt LN 8 298 German Copyright 2006 Axel Springer AG . Zusatzhinweis: "Dieser Artikel darf ohne die vorherige Zustimmung des Verlages nicht weiter-verbreitet werden. Dies ist eine Einschränkung der Rechte, die Ihnen generell hinsichtlich der Factiva-Dienste eingeräumt wurden." Notice: "This article may not be redistributed without the prior consent of the Publisher. This is a restriction on the rights granted under the terms of your subscription for Factiva Services." |
Das Horrorfilm-Remake "Black Christmas" bietet lediglich sinnfreie Metzelein Erst wird der kleine Billy von seiner Mutter für Jahre auf den Dachboden verbannt. Dann muss der Knirps mit ansehen, wie die lieblose Frau im Verein mit ihrem Lover Billys Vater abmurkst. Damit nicht genug: Jahre später zeugt die Mama mit ihrem Sohn eine Tochter. Inzest, noch ein Mord, ab in die Irrenanstalt - wer denkt sich bloß so einen hanebüchenen und geschmacklosen Unfug aus, fragt man sich. Doch es kommt noch schlimmer: Jahre später hat sich der grausige Ort des Geschehens in ein Verbindungsheim verwandelt, in dem sechs knackige Studentinnen Weihnachten feiern wollen. Doch ein heimlicher Anrufer stört die besinnlichen Stunden: Immer öfter klingelt er durch und kündet von unheilvollen Begebenheiten. Und dann, wie gemein, liegt das erste Mädchen tot danieder. |
"Black Christmas" ist das Remake eines Horrorfilms aus dem Jahr 1974: "Jessy - Die Treppe in den Tod". Man muss das Original aber nicht kennen, um sich verschaukelt fühlen zu dürfen. Rüde und sinnlos reiht Autor und Regisseur Glen Morgan, der schon 2003 mit "Willard" einen Horrorfilm wiederbelebte, eine unappetitliche Metzelei an die nächste. Wer wann warum stirbt - egal, denn die Mädchen gewinnen nie Konturen. Ihre einzige Funktion ist es, gut auszusehen und schlecht zu sterben. Wie soll da der Zuschauer mitfiebern, geschweige denn sich identifizieren? Kurzum: "Black Christmas" ist weder spannend noch doppelbödig, von Unterhaltung ganz zu schweigen. Eine schöne Bescherung. >> Black Christmas Kanada/USA 2006, 85 Min., ab 18 J., R: Glen Morgan, D: Katie Cassidy, M. E. Winstead, täglich außer So im Cinemaxx, Cinemaxx Harburg, UCI Othmarschen-Park, Smart-City; http://www.concorde-film.de |
49976502 |
Tipps für die Party nach der Bescherung OSTSEZ0020061221e2cl0000o Ozelot IVO HILGENFELDT 440 Words 21 December 2006 Ostsee-Zeitung 3 German © 2006 Ostsee-Zeitung GmbH & Co. KG All rights reserved. For further information see http://www.ostsee-zeitung.de |
Heiligabend & Langeweile? Nicht mit uns: Hier gibt es sexy Engel, heiße Musik und Geschenke-Nachschlag. Christmas Homecoming heißt es ab 22.00 Uhr im Rostocker Studentenkeller - . Zu dieser Veranstaltung treffen sich regelmäßig Heiligabend viele ehemalige Stammgäste in der Location am Uniplatz. Dazu gibt's Musik querbeet mit DJ Phips. |
¤ Xmas Sushi - eine Mixtur aus den Partyreihen ChocoClub und Miami Vice Lounge - wartet Heiligabend im Rostocker Theater des Friedens auf Gäste. Musikalisch zwischen HipHop, R'n'B, Disco und Funk. Dafür sorgen an den Plattentellern: MC Fast, Mas Massive, Mondmann und natürlich Phatclick Swayze (Miami Vice Lounge). Der Weihnachtsmann kommt und verteilt Give-aways. ¤ Prickelnd wird es im Club FUNworld in Stralsund. Dort steigt die erotische Christmas. Dieser Tag ist Kult. Denn: Heiligabend treffen sich all die, die hier geblieben sind und die, die zum Fest mal wieder in die Heimat kommen. Alte Freunde wiedersehen? Kein Problem! Mit sexy Engeln und heißem Weihnachtsmann! Einlassbeginn ist um 22.00 Uhr. ¤ Erst Gänsebraten unterm Tannenbaum, dann der Spaß, Geschenke zu verteilen . . . und dann geht es in die Bacio Lounge in den Rostocker Hafenterrassen zur Merry-Christmas-Party. Dort trifft man sich traditionell an Heiligabend gegen 21.00 Uhr, um in lockerer Atmosphäre zu plauschen und Piste-Toms Happy Birthday zu feiern. Als besondere Weihnachtsgeschenke gibt es kostenlosen Eintritt, Cocktails zum halben Preis und Xmas-DJ-Kugel Stuth als Bescherung. ¤ Christmas-Geschenke-Party heißt es Heiligabend ab 22.00 Uhr im Greifswalder Club Crazy Town. An diesem Abend werden dort Weihnachtsgeschenke verlost - Fernseher, DVD-Player und mehr. Musikalisch bewegt sich die Party irgendwo zwischen Blackmusic und Trance. Die ersten 100 Gäste bekommen eine Weihnachtsmannmütze. Ladies haben bis 23.30 Uhr freien Eintritt! Studenten ebenfalls. ¤ Anybody Needs Xmas. So der Titel der Veranstaltung Heiligabend im JAZ Rostock. Dort heißt es im Theater Bühne frei für "INRI" - Inzest, Sünde, Lachen, Töten. Das ist ein visuelles Hörspiel vom Absoluten Vakuum. Line-up: Peter Nikolai (delikat), Truck On! (fortschritt3000), Coost Lardy Cakes & Gabba Reifenstihl (NoStyleFuckers), Klang AG (bbu). Beginn: 23.00 Uhr. ¤ Im Rostocker ST-Club beginnt Sonntag um 21.30 Uhr die Bescherungsparty mit Überraschung unter dem Weihnachtsbaum. ¤ Wer mit einer Weihnachtsmannmütze bekleidet auftaucht, bekommt einen Kurzen kostenfrei. So lautet die Devise im Mah K'ina in Bergen auf Rügen. Da gibt's am 24. 12. ab 22.00 Uhr die Mah K'ina-Xmas-Party mit Bescherung. Leute können Geschenke mitbringen und dort verteilen. Musikalisch locken Rock, Reggae, Indie, Latino, HipHop, Ska, Punk und mehr. Und: Es wird auch die eine oder andere Überraschung zum Fest geben. IVO HILGENFELDT |
Kinderstube des Horrors FRARUN0020061220e2cl0003x VON SASCHA WESTPHAL 625 Words 21 December 2006 Frankfurter Rundschau 40 German (c) Copyright Frankfurter Rundschau 2006 www.fr-aktuell.de |
Glen Morgans "Black Christmas" verschafft dem kollektiv Verdrängten ein zeitgemäßes Ventil Nach seiner ersten dunkel schimmernden Blüte in den dreißiger und vierziger Jahren hat das amerikanische Horrorkino in den Siebzigern noch mal so etwas wie ein goldenes Zeitalter erlebt: Es war die Ära der Midnight Movies und Grindhouses, in der neben Regisseuren wie George Romero und Wes Craven auch ein zu Unrecht in Vergessenheit geratener Filmemacher wie Bob Clark den amerikanischen Alptraum auf Zelluloid gebannt hat. Trotz der Erfolge der Slasher-Filme der Achtziger und des postmodernen Teen-Horrors der neunziger Jahre hat das Genre seitdem nicht mehr zu deren wilder Energie zurückgefunden. Was sicher auch gesellschaftliche und politische Hintergründe hat: Angesichts des amerikanischen Traumas der Siebziger verblassten selbst die härtesten Krisen nachfolgender Dekaden. |
Nun scheint aber diese Ära mit aller Macht des Verdrängten zurückzukommen. Denkt man an das von Kriegen und Angst geprägte Klima in den Vereinigten Staaten, drängen sich Vergleiche zu den Jahren von Vietnam und Watergate geradezu auf. Das scheinen auch die heutigen Genrefilmemacher zu spüren, die einen Klassiker der 70er Jahre nach dem anderen neu verfilmen. Die Paranoia der Nixon-Ära ist in diesen Remakes allerdings einer fatalistischen Akzeptanz der Machtlosigkeit gegenüber dem Bösen gewichen. So verzichtet Glen Morgan bei seinem Remake von Bob Clarks epochalem Slasher-Film Black Christmas dann auch ganz bewusst auf die Spannungsdramaturgie des Originals. In Clarks Variation der Schauermär vom Schwarzen Mann glichen die Morde und ihr Vorspiel noch subtilen Symphonien des Schreckens. Morgan hat sie in wüste Grand-Guignol-Nummern verwandelt, die dazu einladen, lustvoll in den drastischen Gore-Effekten zu schwelgen. Kurz vor Weihnachten ist es so weit Bei Clark kam der Killer im wahrsten Sinne aus dem Dunkeln: Er hatte keine Geschichte. Von einem Tag auf den anderen nistete er sich auf dem Dachboden eines von einer Studentinnenverbindung bewohnten Hauses ein und fing an, die jungen Frauen mit obszönen Anrufen zu terrorisieren. Glen Morgan gibt dagegen sowohl dem Haus als auch dem Killer eine Vorgeschichte: 15 Jahre ist es her, dass sich Billy für grausamste Erniedrigungen und Misshandlungen brutal an seiner Mutter und seinem Stiefvater gerächt hat. Seither sitzt er in einer Anstalt für psychisch kranke Gewaltverbrecher und wartet nur auf eine Chance, nach Hause in das "Murder House" zurückzukehren. Kurz vor Weihnachten gelingt ihm die Flucht aus der Anstalt. Allerdings findet er in seinem alten Heim nicht nur die Gruppe der unterdessen eingezogenen Studentinnen vor. Glen Morgan nimmt dem Geschehen jedes Geheimnis. Das Böse ist keine metaphysische Kraft, die sich plötzlich in einem geheimnisvollen Stalker und Slasher manifestiert, es ist vielmehr ein Produkt einer von Gier und Niedertracht beherrschten Gesellschaft. In grotesken Rückblenden erzählt Morgan voller Verachtung von verschiedenen Weihnachtstagen im Haus des Mörders, die bis in die Zeit zurückreichen, aus der Morgans Vorlage stammt. Die siebziger Jahre sind hier nichts als ein endloser Alptraum, aus dem es für die amerikanische Gesellschaft seither kein Erwachen mehr gibt. Eine durch und durch verkommene Generation hat noch monströsere Kinder geboren und damit einen Zyklus von Mord und Inzest, Furcht und Gewalt in Gang gesetzt, der nun, 30 Jahre später, seinen schaurigen Höhepunkt erreicht. Die irrwitzigen Flashbacks stellen in ihrer drastischen Darstellung der unaufhaltsamen Degeneration einer sich regelrecht selbst auffressenden Familie sogar die satirisch überspitzten Sitcom-Familienszenen aus Oliver Stones Natural Born Killers in den Schatten. Sie sind das schwarze Herz von Morgans Black Christmas, der in seiner Gegenwartshandlung den Fun-Slasher-Filmen der achtziger Jahre weitaus näher ist als Clarks Film. In ihr findet die enorme Energie und die maßlose Wut, die schon das Horrorkino der siebziger Jahre so aufregend gemacht haben, ein neues, zeitgemäßes Ventil. Black Christmas, Regie: Glen Morgan, mit Katie Cassidy, Mary Elizabeth Winstead, Lacey Chabert, USA 2006, 84 Minuten. |
200612215551679 |
Die Künstlerin als Ehefrau betrachtet GNLZGR0020061219e2cj000b7 Hans-Christoph Zimmermann 466 Words 19 December 2006 General Anzeiger German (c) 2006 General-Anzeiger, Bonn |
SCHAUSPIEL DÜSSELDORF Oliver Reese hat Ingmar Bergmans Filmskript "Treulose" für die Bühne bearbeitet. Die Uraufführung entpuppt sich als unterkühlte Versuchsanordnung ohne Leidenschaft |
Von Hans-Christoph Zimmermann Der Verfasser heißt Ingmar Bergman. Das Opus ist ein Filmskript mit dem Titel "Treulose". Es handelt von einer Schauspielerin zwischen zwei Männern. Geschrieben hat er es für seine frühere Geliebte, die Schauspielerin Liv Ullmann. Im Jahr 2000 verfilmte sie das Skript, in dem auch eine Figur namens Bergman vorkommt. Gespielt wird sie von Erland Josephson, der wiederum mit Liv Ullmann in Ingmar Bergmans Film "Szenen einer Ehe" spielte. Es ist diese faszinierende Art von ästhetischem Inzest, die den Plot von "Treulose" strukturiert und dessen dramatisierte Fassung das Düsseldorfer Schauspielhaus nun zur Uraufführung brachte. Einerseits schildert der Film die Ehe der Schauspielerin Marianne mit dem Dirigenten Markus. Marianne verliebt sich in den Regisseur David, einen guten Freund der Familie, und die Liaison entwickelt sich zum Sprengsatz, der alle Bindungen restlos zerstört. Andererseits ist all dies als Prozess einer künstlerischen Imagination beschrieben. Bergman hat sich als Autor ins Skript hineingeschrieben, dem die Figur der Marianne erscheint und die ganze Geschichte erzählt. Damit aber beginnen die formalen Probleme der Düsseldorfer Produktion. Regisseur und Dramaturg Oliver Reese hat die gesamte psychologisch zutiefst spannende Imaginationsebene gestrichen. Was bleibt, ist ein Ehedrama, das auf der Bühne des Kleines Hauses wie eine Versuchsanordnung vorgeführt wird. Hansjörg Hartung hat die Bühne als strahlend weißen Cinemascope-Kasten entworfen. Drei Schalenstühle dienen als Möblierung für ein asketisches Spiel, das großenteils von Esther Hausmann getragen wird. Sie spielt Marianne, die in rekapitulierendem Ton die Trümmer ihrer Ehe in eine Genese des Chaos einzufügen versucht. Im Wechsel von Erzählpassagen und Spielszenen malt sie ein Bild von der "guten, stabilen Ehe" mit Markus, der ersten Nacht mit David, den Heimlichkeiten oder dem Leiden der Tochter Isabelle. Wie aus der Erinnerung ruft Marianne die anderen Figuren auf. Den Ehemann Markus, von Götz Schulte zunächst als abgeklärt libertärer Künstleraristokrat vorgeführt, der dann die gemeinsame Tochter instrumentalisiert bis zum geplanten gemeinsamen Selbstmord. Oder der knapp an der Karikatur vorbeischrammende David, den Markus Scheumann als von Selbstzweifeln gequälten Hysteriker vorführt. Und schließlich die wunderbare Kathleen Morgeneyer als Isabelle, die ihre psychischen Zustandsbeschreibungen in Märchenerzählungen verpackt. Faszinierend an diesem Abend ist, wie er die moralische Erosion dieser aufgeklärten Künstleraristokratie vorführt, die selbst in der Erinnerung ihrer Gefühle nicht Herr wird. Doch das Plus der Inszenierung ist zugleich ihr Minus. Die Entfernung der künstlerischen Imaginationsebene reduziert Marianne Erzählung auf schiere Selbstvergewisserung, die in der Versuchsanordnung zudem fast aller Emotionen entkleidet wird. Man vermisst gerade die leidenschaftlichen "Szenen einer Ehe". Doch letztlich fordert genau dieser Zwiespalt den Schauspielern ein Höchstmaß an Intensität ab, weshalb ein Besuch in Düsseldorf trotzdem lohnt. Die nächsten Aufführungen: 19. und 27. Dezember; Karten: (0211) 85 23-711. |
Von wegen dörflicher Idylle MARKAL0020061216e2cg000ks SAABKA 276 Words 16 December 2006 Märkische Allgemeine DMA German Copyright 2006 Märkische Allgemeine – Brandenburgs beste Seiten. All rights reserved. For further information see http://www.MaerkischeAllgemeine.de |
Die namenlose Ich-Erzählerin muss nur aus dem Fenster schauen, schon hat sie vor Augen, was sie am liebsten beobachtet: die Nachbarin. Doch so oft sie auch hinsieht oder die einsame Frau nebenan besucht, erkennen kann sie nichts. Sie spürt genau, irgendetwas Unheimliches brodelt da unter der Oberfläche scheinbarer Normalität. Ist nicht gerade der erwachsene Sohn der Nachbarin ertrunken? Die Umstände seines Todes geben Rätsel auf. Und warum sind vor Jahren die Tochter und der Mann der Nachbarin verschwunden? Von wegen dörflicher Idylle. Im Ort wabert die Gerüchteküche. Jedem Hinweis nachgehend, gräbt die Ich-Erzählerin in der fremden Vergangenheit. Und verfängt sich dabei auch in den Fallstricken ihres eigenen Lebens: In einer Art Hassliebe ist sie dem blinden Mann, mit dem sie zusammenlebt, verbunden. |
Unterschiedliche Blickwinkel bedeuten andere Versionen der Geschichte. Wie in einer Versuchsanordnung lässt Jäckle alle Figuren immer neue Versionen berichten. Wahnsinn, Mord, Inzest, Missbrauch, Intrigen – alles scheint möglich. Dass diese Varianten nicht zusammenpassen, sich immerzu widerlegen, gehört zum erzählerischen Kalkül der Autorin. Nur, das geht nicht auf. Schade, denn die bewusst unterkühlte Diktion, zu der gehört, dass man sich mit keiner Figur identifizieren kann, hat durchaus ihren Reiz. Aber Jäckle dreht das Karussell der Möglichkeiten so lange, bis am Ende alles verschwimmt. Der Konjunktivfetischismus, den sie zelebriert („so könnte es gewesen sein“), lässt den Erzählfluss immer wieder ins Stocken geraten. In ihrem Vorgängerroman „Noll“ setzt die 40-jährige Autorin das Spiel mit den Möglichkeiten souverän und mit leichter Hand um. Dieses Mal jedoch hat sie dieses Prinzip ins Maßlose übersteigert. Antje Weger Nina Jäckle: Gleich nebenan. Berlin Verlag, 127 Seiten, 18 Euro. |
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Schützt unsere Kleinen- von Kurt Scholz DIEP000020061212e2cc0004a me 452 Words 12 December 2006 Die Presse German (c) Die Presse 2006 www.diepresse.at. |
Reicht es aus, bloß den Nikolo zu verbannen? Gehört nicht die ganze Bibel weg? |
In den letzten Wochen ist das "Nikoloverbot" in liebloser Weise kritisiert und medial durch den Kakao gezogen worden. Hier, liebe Leser, sind klare Worte nötig: Der Zeitungsboulevard irrt. Nicht das Verbot des Nikolo ist falsch, sondern die Beschränkung dieses Verbots auf einen zwar populären, aber kirchengeschichtlich relativ unbedeutenden Heiligen ist der Skandal. Nikolaus ist nicht die Hauptgefahr für unsere Kleinen! Er hat ja, altmodischen Auffassungen nach, sogar gute Seiten gehabt. So soll er durch mildtätige Gaben drei armen Bauerntöchtern Eheschließungen (wenngleich heterosexueller Art) ermöglicht haben. Ähnliche mildernde Umstände fehlen bei anderen Bibelgestalten. Die sollen nicht verboten werden? Finden Sie es richtig, unseren Kindern versuchte Menschenopfer (Isaak), inzestuöse Greise (Lot) oder alte Männer mit Kebsweibern (Abraham und Hagar) vorzusetzen? Reicht es aus, bloß den Nikolo zu verbannen? Gehört nicht die ganze Bibel weg? Ist nichts für Kinder! Man kann sie nicht lesen, ohne zu erröten. Gleichzeitig mit der Heiligen Schrift würde ich das Märchenerzählen drastisch reduzieren. Welches Gift droht hier den Kleinen! Von bösen Stiefmüttern, stolzen Prinzen, unterwürfig schweigenden Frauen bis hin zu Wölfen, die (eindeutig sexuell konnotiert) kleine Kinder "vernaschen" wollen. Ja, Gutmenschen wie der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim haben gemeint, dass Kinder Märchen brauchen, weil auf das Erschrecken (Nikolaus!) die Vision vom glücklichen Ende folgt und damit etwas Elementares vermittelt wird _ ein Vertrauen in Gerechtigkeit. Aber sind wir heute nicht weiter als Bettelheim und seine falschen Propheten? Tugend muss herrschen, vom Nikolaus bis zu den deutschen Heldensagen. Auch sie, sadomasochistische Blutorgien allesamt, gehören verboten. Sage mir niemand, dass er an der Verbreitung dieser Stoffe schuldlos ist! Auch die Operndirektoren müssen einmal nachdenken, wo ihre Produktionen auf der Nikolo-Schreckensskala stehen und ob sie weiterhin die inzest- und mordgeladenen Wagner-Opern nebst anderen Perversitäten ("Tanz für mich, Salome") dulden wollen. Selbst der Intendant des Mozart-Jahres, ansonsten ein trefflicher Mann, käme mir nicht ungeschoren davon: Was hat er getan, um unsere Kinder vor den lasziven Da-Ponte-Libretti zu schützen? Zeugt es von Verantwortung, das Mozart-Jahr jugendfrei zu geben? Die Nikolo-Frage, ach, lastet schwer auf uns. Keine Institution kann sich vor ihr drücken. Nicht das Kunsthistorische Museum mit seinen Kinderführungen (Tintoretto, Susanna im Bade!, Rubens, Venusfest!), nicht der ORF. Dem würde ich gesetzlich sofort alle Fußballübertragungen (EM 2008! Kopfstöße!) und die Ausstrahlung der Zeit im Bild untersagen. In ihr sieht man nämlich manchmal ungeschminkt, wie das reale Leben der Kinder wirklich aussieht _ in jener Welt der Erwachsenen, deren einzige Sorge ist, die lieben Kleinen vor dem Nikolo zu bewahren. Kurt Scholz ist Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien und war langjähriger Wr. Stadtschulratspräsident. &&tbmeinung@diepresse.com |
Sex und Gewalt im Glashaus TAZ0000020061208e2c900050 tazplan-Programm 151 Words 09 December 2006 taz - die tageszeitung taz Berlin lokal 30 German (c) 2006 taz, die tageszeitung |
Letzte Chance: Nur noch drei Tage lang ist Thomas Ostermeiers „Elektra”-Inszenierung in der Schaubühne zu sehen. Orientiert hat sich Ostermeier an Eugene O'Neills Inzest- und Gewaltdrama „Trauer muss Elektra tragen”. Dieser notierte sich 1926 in sein Werktagebuch, ihm schwebe ein modernes psychologisches Drama mit einer alten Sagenhandlung der griechischen Tragödie als Hauptthema vor. Schließlich hat O'Neill Aischylos' „Orestie” ins Amerika der Sezessionskriege geholt. In Ostermeiers Inszenierung ist O'Neills Familie Mannon im heutigen Deutschland angekommen und heißt Papenberg. Rau geht es zu im gläsernen Bungalow der Familie: Die Leidenschaften der Papenbergs brechen in Schreikrämpfen und sexuellen Attacken aus. Bruder und Schwester, die Katharina Schüttler spielt, wälzen sich halbnackt auf dem Boden – „scheißverwöhntes Muttersöhnchen” schimpft sie ihn. Dabei will der Bruder doch nur ihrer beider Recht auf Liebe durchsetzen. |
„Trauer muss Elektra tragen”: 9.–11. 12., 19.30 Uhr, Schaubühne, Kurfürstendamm 153 |
11.05 GESPRÄCH DSTAN00020061208e2c900014 Fernsehen/Radio 459 Words 09 December 2006 Der Standard 1_BL 37 German (c) 2006, Der Standard. http://www.derstandard.at/ |
11.05 GESPRÄCH Pressestunde Zu Gast ist der Vorsitzende des Staatsschulden-Ausschusses, Bernhard Felderer. Fragen stellen Georg Wailand (Krone) und ORF-Journalist Robert Stoppacher. Bis 12.00, ORF 2 |
14.55 FILM King Kong (USA 1976. John Guillermin) King Kong ging in den Dreißigerjahren als berühmtester Gorilla der Kinowelt in die Filmgeschichte ein, fast fünfzig Jahre später realisierte Actionprofi John Guillermin eine Neuauflage mit Jeff Bridges und Jessica Lange in den Hauptrollen, die - für sich selbst stehend - mindestens ebenso spannend und spaßig ist. Bis 17.20, Kabel eins 20.15 FILM Bei Anruf Mord (Dial M for Murder, USA 1954. Alfred Hitchcock) "Ich würde gern einen ganzen Film in einer Telefonzelle drehen." In dem auf einem Broadway-Stück basierenden Krimi "Dial M for Murder" ist Alfred Hitchcock diesem Wunsch bereits recht nahe gekommen. Bis 22.30, Tele 5 20.15 FILM El Perdido (USA 1961. Robert Aldrich) Ein Verfolgter, er muss seine Blutschuld büßen. Ein Verfolger, er muss den Verfolgten widerwillig töten. Was für ein Film! Eher unbekannt im Werk Robert Aldrichs, ebenso wenig zu den "großen Western" gehörig, aber: welche Farben, wie herrlich Dorothy Malones glutgelbes Kleid, Rock Hudsons steinerne Mimik, Kirk Douglas' hysterisches Gebaren! Welch untragbarer, die Grenzen der Erzählung sprengender Psycho-Symbolismus samt Inzest und Wahnsinn! Ein Film ohne die Standardsituationen des Genres, eigen, verrückt, rotstichig schon vom Staunen über seine eigene Unverfrorenheit. Bis 22.35, Das Vierte 22.35 DISKUSSION Offen gesagt: Einkaufen am Sonntag Peter Pelinka lädt zur Diskussion mit Wolfgang Katzian (GPA), Michael Chalupka (Diakonie Ös-terreich), Friedrich Macher ("Allianz für den freien Sonntag"), Janet Kath (Unternehmerin), Sophie Karmasin (Motivforscherin) und Ernst Fischer (Kaufmann). Bis 23.40, ORF 2 22.00 FILM Der schmale Grat (The Thin Red Line, USA 1998. Terrence Malick) "Film ist Krieg", berichtete die Süddeutsche Zeitung, als dieser Film in die Kinos kam: "Malick drehte Szenen mit Bill Pullman und Lukas Haas und schnitt sie am Ende raus; ließ Billy Bob Thornton eine Off-Erzählung sprechen und entschied sich dann für acht andere Erzählstimmen; schrieb eine Rolle für Gary Oldman und sagte ihm dann, er brauche ihn doch nicht; ließ Elias Koteas sich auf die Rolle eines jüdischen Offiziers vorbereiten und ließ ihn dann einen Griechen spielen." Bis 1.05, Vox 22.30 FILM Maria Walewska (USA 1938, Clarence Brown) Die Liebesgeschichte zwischen dem Franzosenkaiser Napoleon (Charles Boyer) und der schönen Polengräfin Maria Walewska (Greta Garbo), überaus aufwendig verfilmt und "sehr amerikanisch empfunden" (sehr deutsche Abendzeitung). Bis 0.20, Arte 0.15 FILM Die Nadel (Eye of the Needle. GB 1981. Richard Marquand) Spionagethriller vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, in dem Donald Sutherland einen Deutschen verkörpert, der vorgibt, ein Engländer zu sein. Bis 2.15, Kabel eins |
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Kritisch und nicht «fraulich»; Deutliche Worte BERNRZ0020061208e2c80005g stadt solothurn Ursula Grütter 377 Words 08 December 2006 Berner Zeitung so 025 German (c) 2006 Berner Zeitung. BZ, die grösste schweizerische Tageszeitung in der Region Bern, Freiburg und Solothurn. Alle Rechte vorbehalten. |
Donne - Fünf Frauen luden zur CD-Taufe in die Kulturgarage ein. Die Band präsentierte eine musikalische Frauenwelt mit gesellschaftskritischen Tönen. «Feuer im Herz» heisst die CD, feurig sind auch die Stimmen der Sängerinnen. «Nein, einer einzigen Stilrichtung lässt sich unsere Musik nicht zuordnen» sagt Simone Leippert, Sängerin von «donne». Die Band mache einfach «Frauenmusik» jedoch nicht nur für Frauen. Der Name der Band ist Programm: Ihr erstes Konzert gaben «donne» anlässlich des nationalen Frauenstreiktages von 1991, damals noch als Trio. In den Liedern zeichnen sie eine Welt aus Frauensicht, weiblich, rebellisch, lustvoll und nachdenklich. |
Die Welt von «donne» ist nicht immer schön, etwa im Lied «Lieber Vati», das von Inzest handelt, oder wenn Flüchtlinge in «Solothurn West» stranden. Doch es gibt auch die lustvolle, farbige Seite – schöne Orte – in einem Tango verpackt präsentiert. Und das Stück «Sex, Drogs and Schoggola» ist auch musikalisch ein Leckerbissen. Süchtig könne man davon werden, klärt Margot Stüdeli die Zuhörerinnen und Zuhörer auf, gleichzusetzen mit der SMS- oder der Harmoniesucht. «Ohne Musik gäbe es die Welt gar nicht», finden die fünf Band-Mitglieder. Aus diesem Grund hätten sie schleunigst diese CD produziert. «Donne» ist seit 15 Jahren in verschiedenen Zusammensetzungen aufgetreten. Im Rahmen der ersten CD-Produktion waren sie noch zu viert, heute bestehen sie aus fünf Mitgliedern: Simone Leippert, Monika Rindisbacher, Margot Stüdeli, Suzanne Castelberg und Doris Schaeren. «Donne» ist keine Jungstar-Band, die Frauen können mit einem prallen Rucksack voller Lebenserfahrungen aufwarten, «das Leben das die Lieder schreibt» nennen sie es. Da wird auch mal Klartext gesprochen: zum Bosnienkrieg, zu der Rolle der Frau heute, auch zu Liebe und Sexualität. Die Musik von «Donne» findet offensichtlich Anklang, am Sonntag war die Kulturgarage bis auf den letzten Platz gefüllt, viele der Besucherinnen und Besucher mussten sich mit Plätzen am Boden begnügen. Was ist von der Band als Nächstes zu erwarten? «Wir werden uns jetzt wieder vermehrt auf Konzert- Auftritte konzentrieren können» sagt Leippert. Das Einspielen der Songs sei eine intensive Zeit gewesen. Informationen zur Band sind unter http://www.donne.ch zu finden, weitere Auskünfte sind bei schaeren@duc.ch erhältlich. «Nein, einer einzigen Stilrichtung lässt sich unsere Musik nicht zuordnen.» Sängerin Simone Leippert |
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Weisheit der goldenen Regel; Eine Erörterung der Frage: Was ist eine gute Religion? NEUZZ00020061207e2c700052 1084 Words 07 December 2006 Neue Zürcher Zeitung 4 German Besuchen Sie die Website der führenden Schweizer Internationalen Tageszeitung unter http://www.nzz.ch |
Von Karen Armstrong |
Religion wird heute oft primär als Ursache für Hass und Konflikte wahrgenommen. Unzählige Taxichauffeure haben mir, kaum hatten sie meinen Beruf erfahren, kategorisch versichert, dass die Religion der Grund aller grossen Kriege in der Menschheitsgeschichte gewesen sei. Im gegenwärtig herrschenden gesellschaftlichen Klima ist das verständlich. Terroristen berufen sich zur Rechtfertigung ihrer Greueltaten auf die heiligen Schriften, und die Art Religion, welche Schlagzeilen macht, ist üblicherweise schrill und streitsüchtig. Viele Menschen glauben, dass allein ihr Glaube richtig sei, und haben nichts als Verachtung für diejenigen übrig, die für diese letztlich unausdrückbaren Dinge andere Wörter und Namen gebrauchen. In fast jeder grossen Weltreligion hat sich im Lauf des 20.Jahrhunderts jene militante Form der Frömmigkeit herausgebildet, die man oft als «Fundamentalismus» bezeichnet; darin drückt sich die Irritation über die Marginalisierung des Glaubens in der säkularen Gesellschaft aus - und der grimmige Entschluss, Gott und der Religion wieder einen Platz im Zentrum der Weltbühne zu verschaffen. Ein gemeinsamer Nenner Diese lärmige, gewaltbereite Religiosität würden die Buddhisten als «unsachgemäss» bezeichnen. Sie widerspricht gänzlich dem ursprünglichen Geist der Religionen, die sich in der Zeitspanne zwischen 900 und 200 v.Chr. entwickelten - also in jener für die spirituelle Entwicklung der Menschheit entscheidenden Periode, die Karl Jaspers die «Achsenzeit» nennt. In vier unterschiedlichen Weltgegenden bildeten sich damals viele der spirituellen Traditionen heraus, von denen die Menschheit bis heute zehrt: der Konfuzianismus und der Taoismus in China; Hinduismus, Jainismus und Buddhismus in Indien; der Monotheismus in Israel und der philosophische Rationalismus in Griechenland. Dies war das Zeitalter Konfuzius' und Lao Tses, Buddhas, der Weisen aus den Upanischaden, der hebräischen Propheten, Sokrates' und der griechischen Tragödiendichter. Über ihre Einsichten sind wir nie hinausgegangen: In Zeiten der Krise haben sich die Menschen immer wieder den Visionen der Achsenzeit zugewandt, sie aber nie transzendiert. So können das rabbinische Judentum, das Christentum und der Islam allesamt als spätere Ausprägungen des ursprünglichen, in der Achsenzeit entstandenen Monotheismus betrachtet werden. Und obwohl jene Visionen sich mehrheitlich völlig isoliert voneinander entwickelten, sind sie zu bemerkenswert ähnlichen Schlüssen gelangt; das lässt darauf schliessen, dass sie etwas Grundlegendes in der menschlichen Wesensart entdeckt hatten. Dementsprechend befassten sich die Weisen jener Epoche auch nicht mit Dogmen oder Metaphysik; solche Ideen waren ihrer Auffassung nach dem spirituellen Leben eher schädlich. Buddha weigerte sich stets, die Natur des Nirwana zu erörtern; Konfuzius vermied es, über das Tao zu sprechen; in den Upanischaden heisst es, dass man sich dem Brahman am besten im Geist der Stille und der Unwissenheit annähert. Die Propheten Israels liessen sich kaum je über das Wesen Gottes aus; Jesus hat sich nie zu Dogmen wie Trinitätslehre oder Sühneopfer geäussert; und der Koran weist theologischen Dogmatismus als zannah zurück - als eitle Gedankenspielerei mit Dingen, die weder bewiesen noch für ungültig erklärt werden können, die aber die Menschen streitsüchtig, borniert und sektiererisch machen. Die Weisen wollten das Heilige keineswegs ignorieren - es war ja das Zentrum ihres Lebens. Aber weil sie es als etwas wahrhaft Transzendentes betrachteten, war sein Ort auch jenseits von Sprache und menschlicher Vorstellung; es in irgendeiner Form diskutieren zu wollen, war deshalb lediglich eine Ablenkung, die nirgendwohin führte. Praxis statt Abstraktion Religion hiess letztlich nicht, an dies oder jenes zu glauben, sondern sich auf eine Weise zu verhalten, die den Menschen radikal transformierte und ihn damit in die Gegenwart des Höchsten hob. Entscheidend war dabei die sogenannte goldene Regel, welche - soweit wir wissen - Konfuzius (551-479 v.Chr.) als Erster formuliert hat: «Tue anderen nicht, was du nicht möchtest, dass sie dir tun.» Dieser Gedanke beruht auf dem Geist des shu, der empathischen Annäherung; er macht es zur Pflicht, im Herzen nachzuforschen, was einem selbst Schmerz bereiten würde, und dann unter allen Umständen zu vermeiden, anderen Menschen solches Leid anzutun. Die goldene Regel hat Konfuzius als den Grundgedanken all seiner Lehren bezeichnet; wer ihr «jeden Tag und jede Stunde» nachlebte, würde das Tao erfahren - freilich ohne dadurch auch die Fähigkeit zu erlangen, es zu definieren. Befreiung vom Egoismus Alle Weisen der Achsenzeit haben diese goldene Regel in der einen oder anderen Form in ihre Lehre aufgenommen. Wenn man sie, gemäss Konfuzius' Rat, kontinuierlich praktiziert, dann ist man unweigerlich gezwungen, vom Thron im Zentrum des eigenen Universums herunterzusteigen und ihn dem Anderen zu überlassen. Damit erreicht man, was die Griechen ekstasis nannten - eine Befreiung vom selbstsüchtigen Egoismus, der uns die Erleuchtung verwehrt. Doch es reicht nicht, dieses Mitgefühl nur gegenüber denjenigen zu praktizieren, die ins eigene Weltbild passen; vielmehr bedarf es, wie der chinesische Weise Mozi (480-390 v.Chr.) sagte, des jian ai - der «Sorge für jedermann». In diesem Sinn gebietet auch das jüdische Gesetz, den Fremden zu ehren: «Wenn ein Fremder mit euch in eurem Lande lebt, dann behelligt ihn nicht; ihr sollt ihn behandeln wie euresgleichen und ihn lieben wie euch selbst, denn wart ihr nicht selbst fremd in Ägypten?» Das Wort «lieben» ist hier im Sinne eines rechtstechnischen Ausdrucks gebraucht; es impliziert keinen Affekt des Herzens, sondern pragmatischen Beistand, Unterstützung und Loyalität. Die griechischen Tragödiendichter lehrten ihre Zuschauer, um Menschen wie Ödipus zu weinen, der - wenn auch unwissentlich - die Schuld von Vatermord und Inzest auf sich geladen hatte; oder um Herakles, der, von den Göttern mit blindem Wahn geschlagen, seine Frau und seine Kinder tötete. Unpopuläre Tugend Mitgefühl ist keine populäre Tugend: Oft ist es den Frommen wichtiger, im Recht zu sein. Aber gerade Mitgefühl wäre das Glaubensbekenntnis der Stunde in unserer polarisierten Welt. Wenn wir nicht lernen, der goldenen Regel nachzuleben und andere Nationen - oder den Fremden in unserer eigenen Gesellschaft - so zu behandeln, wie wir selbst behandelt werden möchten, dann wird in der Welt, die wir unseren Enkeln hinterlassen, das Leben wahrscheinlich nicht mehr lebenswert sein. Für die Weisen der Achsenzeit stellte die goldene Regel die Essenz der Religion dar. «Der Rest ist Kommentar», erklärte der jüdische Schriftgelehrte Rabbi Hillel, ein Zeitgenosse Christi. Das Bekenntnis zu dieser Regel setzt keinerlei Glauben ans Übernatürliche voraus. Aber hielten wir jedes Mal inne, wenn uns gehässige Worte über einen unangenehmen Kollegen, eine Immigrantengemeinschaft oder eine gegnerische Nation auf der Zunge liegen, und überlegten zunächst, wie wir selbst diese Worte empfinden würden - dann könnten wir unseren öden Solipsismus transzendieren und in eine intensivere, göttlich inspirierte Menschlichkeit eintreten. Die britische Religionswissenschafterin Karen Armstrong lehrte u.a. am Leo Baeck College for the Study of Judaism und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. In deutscher Übersetzung ist in diesem Herbst (bei Siedler) erschienen: «Die Achsenzeit. Vom Ursprung der Weltreligionen». - Aus dem Englischen von as. |
Die dunklen Geheimnisse von Bountiful; In einer kanadischen Polygamisten-Sekte soll es Missbrauch und Mädchenhandel geben – die Behörden schauen weg SDDZ000020061207e2c70001y Die Seite Drei Von Bernadette Calonego 1169 Words 07 December 2006 Süddeutsche Zeitung 3 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Vancouver, im Dezember – Die einsame Landstraße windet sich durch hügeliges Gelände und steigt dann gegen die Berge an, auf die Grenzlinie zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten zu. Kein Auto, das diese Anhöhe zur abgeschotteten, weit verstreuten Siedlung Bountiful hochfährt, entgeht den wachsamen Blicken der fundamentalistischen Mormonen, von denen hier mehr als tausend leben. Spielende Kinder stieben wie auf Befehl davon. Männer in langärmligen Hemden – ihre Arme müssen immer bedeckt sein – weisen Besucher mit dem Hinweis auf „Privatbesitz” zurück. Manchmal erhaschen Fotografen trotzdem Bilder von an Bächen sitzenden Frauen in hochgeschlossenen langen Kleidern, ihre Kleinkinder auf dem Schoß. Und Augenzeugen erzählen, dass man überall zwischen den heruntergekommenen Gebäuden an Zäune aus Stacheldraht stoße. |
Die fundamentalistischen Mormonen, die in Bountiful seit mehr als 50 Jahren unbehelligt die Polygamie praktizieren, obwohl die Vielehe in Kanada gegen das Gesetz verstößt, müssen die Landschaft in dieser Ecke der Westprovinz British Columbia als Geschenk Gottes empfinden: Die Weiden mit den Pferden und die Obstbäume, die Äcker und dahinter die grauen Wände der Skimmerhorn-Berge, als könnten diese alles Unheil von ihrer isolierten Gemeinschaft fernhalten. Dasselbe Unheil womöglich, das über die Mitglieder ihrer „Fundamentalistischen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage” in den Vereinigten Staaten hereingebrochen ist, als deren untergetauchter Führer Warren Jeffs im August nahe Las Vegas verhaftet wurde. Der selbsternannte „Prophet” Jeffs hatte wie Osama bin Laden auf der FBI-Liste der zehn meistgesuchten Männer gestanden. Dem 50-Jährigen wird unter anderem Sex mit Minderjährigen und Beihilfe zur Vergewaltigung vorgeworfen. In seiner Sekte sollen Mädchen, manche erst 13 Jahre alt, gegen ihren Willen mit viel älteren Männern verkuppelt worden sein. Auch im kanadischen Bountiful, das etwa acht Kilometer von der Kleinstadt Creston entfernt liegt, mussten junge Mädchen viel ältere Männer heiraten. Das sagt die heute 50-jährige Deborah Palmer, die einst als Schwangere mit ihren sieben Kindern Bountiful verließ. Über die nahe Grenze seien über viele Jahre minderjährige Mädchen aus den USA, manche erst vierzehn, fünfzehn Jahre alt, zu diesem Zweck nach Bountiful gebracht worden. „Mädchenhandel” nennt sie das. Während die offizielle Mormonen-Kirche die Polygamie 1890 aufgab, halten die fundamentalistischen Mormonen in Bountiful an der Regel fest, dass ein Mann für sein ewiges Seelenheil mindestens drei Frauen heiraten muss. Je mehr Frauen, umso mächtiger ist der Mann in der streng kontrollierten Gemeinschaft. „Sie praktizieren Polygamie schon seit Jahrzehnten, und die kanadische Regierung tut nichts dagegen”, sagt Deborah Palmer. Tatsächlich haben die Regierung in Ottawa und die Behörden in British Columbia den Standpunkt eingenommen, man könne gegen Polygamisten wegen der in der Verfassung garantierten Religionsfreiheit nicht vorgehen. British Columbia sei so zu einem „sicheren Hafen” für amerikanische Polygamisten geworden, schrieb deshalb einmal die Zeitung Vancouver Sun. Frauen, die aus der Gemeinschaft geflohen sind, berichten jedoch noch andere Details aus Bountiful: Sie sprechen von sexuellem Missbrauch von Kindern und Frauen, Inzest, Ausbeutung, Gehirnwäsche und Gewalt. Warren Jeffs hat Hunderte Anhänger in Bountiful. Die Gemeinschaft ist allerdings gespalten, seitdem er nach dem Tod seines Vaters Rulon Jeffs die Macht übernommen hat und Herr über etwa 10 000 Sektenmitglieder in Kanada und den USA geworden ist. Er stieß Männer aus, die ihm im Weg standen, Familienväter wurden von ihren Kindern und Frauen getrennt, und Jeffs teilte die Frauen neuen Männern zu. Er verbot Musik und Fernsehen. In den US-Bundesstaaten Utah und Arizona hatte Jeffs seine eigene Polizei. Und 2002 exkommunizierte er den Kanadier Winston Blackmore, der lange als der künftige „Prophet” gegolten hatte und der nun eine Schar von rund 600 Getreuen in Bountiful kontrolliert. Blackmore soll 22 Frauen und 107 Kinder haben. Deborah Palmer weiß nichts Gutes über ihn zu sagen. Sie kämpft schon seit Jahren gegen die Missstände in Bountiful, die sie am eigenen Leib erlitten hat. Als 15-Jährige heiratete sie den 57-jährigen Ray Blackmore, den damaligen Führer von Bountiful, wurde seine sechste Ehefrau und die Stiefmutter seiner 31 Kinder. Drei Jahre nach der Heirat starb ihr Gatte, und sie wurde als 18-Jährige mit einem anderen Mann verheiratet, der dreimal so alt war wie sie und der seine fünf Frauen misshandelte. Nach einem missglückten Selbstmordversuch wies ihr die Führung von Bountiful einen neuen Ehemann zu, einen 38-Jährigen mit 20 Kindern. Mit ihm bekam Deborah Palmer fünf weitere Kinder zu den zweien, die sie bereits hatte. Eines Tages fand sie heraus, dass ihre 13-jährige Tochter von einem Familienmitglied sexuell missbraucht worden war. Als sie begann, offen darüber zu sprechen, wurde sie bedroht. Als 1988 ihr Haus in Flammen aufging, floh sie. Fast 20 Jahre kämpft sie nun schon gegen die Zustände in Bountiful. Sie hat es geschafft, dass 1992 drei Männer wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt wurden. Sie sammelte auch die Namen von minderjährigen Mädchen, die über die Grenze geschmuggelt und verheiratet worden waren. Und seit neuestem liegt ein Polizeibericht über Bountiful auch dem Justizminister von British Columbia vor. Minister Wally Oppal erklärte zwar, ihn sorge der mögliche Kindsmissbrauch. Aber noch gibt es keine Anzeichen, dass Kanada mit Winston Blackmore gleich verfahren wird wie die USA mit Warren Jeffs. Blackmore selbst will keinesfalls mit Jeffs verglichen werden. Er möchte sich auch nicht Prophet nennen, das wäre eine Beleidigung, sagt er, weil andere dieses Amt so schändlich missbraucht hätten. Am Telefon stellt sich der 51-Jährige als bescheidener Pfarrer und hart arbeitender Farmer dar, der an diesem Tag Zäune reparieren muss, die eine Herde Hirsche eingerissen hat. Die Polygamie, sagt er, sei von der Bibel vorgeschrieben: „All die Leute, die Kontakt mit Gott hatten, Jakob, Abraham, Moses, waren auch Polygamisten.” Er streitet nicht ab, dass in Bountiful früher 15-jährige Mädchen verheiratet wurden, aber heute halte er 18 Jahre für das angemessenere Alter. Missbrauch von Kindern? Darüber sei er auch besorgt, sagt er. Er habe „in dieser Frage stets eng mit den Behörden zusammengearbeitet”. Und Mädchenhandel? Das hält er für eine Beleidigung der Grenzbeamten: „Die schlafen doch nicht bei der Arbeit.” Die kanadische Regierung hat jedoch nun erstmals entschieden, drei Frauen, die illegal aus den USA nach Bountiful kamen, abzuschieben. Eine davon ist Zelpha Chatwin, eine hübsche, brünette Amerikanerin. Heute ist sie 32 Jahre alt, mit 20 Jahren hatte sie Winston Blackmore geheiratet – auf eigenen Wunsch, sagt sie, nach einem Besuch in Bountiful. Sechs Kinder hat sie ihm bereits geboren, und sie wehrt sich gegen die drohende Abschiebung. Zwar räumt sie ein, dass ihr das Leben mit Blackmores anderen Ehefrauen nicht immer leicht falle. Aber die Polygamie verteidigt auch sie. Zelpha Chatwin müsste ihre fünf Söhne und die Tochter in Bountiful zurücklassen, wenn sie tatsächlich Kanada zu verlassen hätte. Audrey Vance, eine Bürgerin aus Creston, glaubt, solche menschlichen Tragödien hätten viel früher verhindert werden müssen. „Die Politiker haben zu lange einfach weggeschaut”, sagt sie. „Die dachten wohl, das Problem gehe einfach weg.” Doch das Problem wird immer größer. |
A40361168 Der „Prophet” im Gerichtssaal: Sekten-Führer Warren Jeffs wurde im August in den USA verhaftet. In Kanada bleiben seine Anhänger unbehelligt.Foto: dpa |
Bibliothek - Inzest in der Heiligen Familie BLICK00020061206e2c6000b8 BlickKultur 190 Words 06 December 2006 Blick A21 German © 2006 Ringier AG, Switzerland. All rights reserved. For further information see http://www.ringier.com |
AUTORIN M. E. Straub (63), deutsche Schriftstellerin. INHALT Die Nazarether Sippe besteht aus mehreren Geschwistern mit Schwiegertöchtern und Schwägerinnen. Sie führen das normale Leben gläubiger Juden. Der Erstgeborene hat zunächst den rätselhaften Namen «der Mamser», was unehelich Geborener heisst. Er ist Marias Sohn und der ihres eigenen Vaters, der die Tochter geschwängert hatte. Hochschwanger wurde Maria an Joseph verschachert, der die reiche Mitgift gut gebrauchen konnte. Erst an Josephs Sterbebett gesteht Maria die Wahrheit. Als Joseph in der Brautnacht merkte, dass seine Zukünftige schwanger ist, redete sich Maria mit einer Befruchtung durch den Heiligen Geist heraus, was der gottesfürchtige Zimmermann akzeptierte. Der Manser heisst nun Jesus, um seine Beschneidung entwickelt sich ein schwerer Konflikt, der gütlich gelöst wird. Nach Josephs Tod verlässt Jesus sein Elternhaus und macht sich auf die Suche nach Jochanaan, Johannes dem Täufer. |
KRITIK So erfrischend es wirkt, die Heilige Familie menschlich-allzumenschlich zu zeichnen, geht der Einfall, den Erlöser als Frucht eines Inzestes darzustellen, zu weit. Da ist mir die Krippenidylle der Bibel lieber, gehört sie doch zu den schönsten Erzählungen der Menschheit. Peter Meier |
Kein Titel STUNAC0020061202e2c20007o Querschnitt 115 Words 02 December 2006 Stuttgarter Nachrichten 46 German © 2006 Stuttgarter Nachrichten. http://www.stuttgarter-nachrichten.de |
Buch der Listen Wussten Sie, dass die Streuobstsorte des Jahres 2006 der Danziger Kantapfel ist? Haben Sie schon einmal am eigenen Leib gespürt, dass man auf Reisen am häufigsten an Durchfall erkrankt? War Ihnen bewusst, dass Torshavn auf den Färöer-Inseln die bevölkerungsärmste Hauptstadt ist? Wissen Sie, welcher der größten Diktatoren Bart trägt und dass Adelphogamie im Volksmund auch Inzest genannt wird? Wenn nein, könnte Ihnen der Schott-Almanach in manch trüber Stunde als erheiternder Spender unnützen Wissens dienen: Auch die wesentlichen Fakten des Jahres - von Abschiebung bis Zweitstimme - werden so umfassend präsentiert, dass das 300-Seiten-Buch als das schlechthin klassische Buch der Listen gilt. wro |
Zwischen Cadillac und Pfändungsbefehl TANZ000020061130e2bu0005b Kultur GES Markus Schneider 770 Words 30 November 2006 Tages Anzeiger 49ges German (c) 2006 Tages Anzeiger Homepage Address: http://www.tages-anzeiger.ch |
Immer wieder schön zu lesen: eine neue Biografie über den genialischen Schauspieler und Selbstvergeuder Klaus Kinski. Manche Menschen sitzen so fest in der öffentlichen Erinnerung, dass man alles über sie zu wissen meint. Der 1991 verstorbene Schauspieler Klaus Kinski ist so einer. Bei ihm fallen die irren Blicke von der Leinwand, das Geschrei und die lüstern geschürzten Lippen mit den Zoten und dem Zetern seiner Auftritte in Funk und Fernsehen zusammen, wo er mit einiger Verve Moderatoren, Journalisten und Publikum beschimpfte. Zudem schrieb er gleich zwei autobiografische Texte, in denen er - obszön und pornografisch, exaltiert und bei grosszügig gehandhabter Faktenlage - sein Leben gleichsam neu erfand. |
In seiner Biografie zum achtzigsten Geburtstag des Schauspielers versucht nun der österreichische Filmhistoriker Christian David, den Künstler vom Selbstdarsteller und den Schauspieler vom Egomanen zu trennen - ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Für die Kindheit etwa ist David auf Kinskis Selbstzeugnisse angewiesen und kann dessen wilde Geschichten zwischen angeblich bitterer Armut in einem bürgerlichen Bezirk Berlins, Jobs als Leichenwäscher, Müllfahrer und Dieb, dem Besuch humanistischer Gymnasien und dem Inzest mit der Mutter nur mit leichter Skepsis nacherzählen. Kinskis cholerisches Temperament zeichnet andererseits sein professionelles Leben, seit er in einem englischen Kriegsgefangenenlager seine ersten schauspielerischen Erfahrungen in Frauenrollen sammelt - und aus der Truppe geworfen wird, weil er auf einen Kollegen losgeht. Der «Irre vom Dienst» Von Beginn an herrscht eine schroffe Diskrepanz zwischen den eigenen hochtrabenden Ansprüchen und seinen Rollen. Schon in den Fünfzigern gilt er als zwar genialisches, manieriert-expressives Talent, aber auch als schwieriges Ensemblemitglied mit Neigung zu Exzessen. Er lebt grundsätzlich über seine Verhältnisse, fühlt sich immer und überall unterschätzt und unterbezahlt und pendelt rastlos von Berlin nach München und Wien, lebt zwischen Cadillac und Pfändungsbefehl. Daran ändert sich auch nicht viel, als er in den Sechzigerjahren nach Rom zieht und tatsächlich zum Eurostar wird, nachdem er zuvor in den deutschen Edgar-Wallace-Verfilmungen als «Irrer vom Dienst» zum Publikumsliebling geworden war und als ungebärdiger Villon-Rezitator zum Jugendidol. Was sich vor allem ändert, sind die Gagen, die es in Italien zu verprassen gilt. Leider gibt David keinerlei Hinweise auf die Kaufkraft der Summen. So ahnt man nur den Luxus, in dem Kinski schwelgt, wenn man von seinen Villen und Bediensteten liest, den Partys und den Luxuswagen, die er routiniert zu Schaden fährt. Diese Zeit bis zum wie üblich selbst herbeigerüpelten Absturz in die filmische Drittklassigkeit um 1970 sind die ergiebigsten Kapitel der Biografie. Denn in Erinnerung geblieben ist Kinski nicht für seine Arbeit in einer sensationellen Zahl mitunter glanzvollster Spaghettiwestern von Leone oder Corbucci oder dem schrillen Horrortrash, denen er sein Talent immer so reuig wie leidenschaftlich zur Verfügung gestellt hat. Auch nicht für die wenigen ambitionierteren Projekte wie «Nachtblende» mit Romy Schneider oder seine einzige, durchgefallene Regiearbeit «Paganini», die ihn sein letztes Jahrzehnt über beschäftigte. Sein Ruhm gründet vielmehr auf seinen Siebziger-Einsätzen im Extremfilmgenre Werner Herzogs. Die innige und explosive Bindung zu Herzog ist in dessen zartfühlender Hommage «Mein liebster Feind» gut dokumentiert, weshalb sie auch eine der wichtigsten Quellen für Davids Behandlung dieser Zeit ist. Rockstar total David nähert sich seinem Protagonisten mit einer gewissen sympathisierenden Faszination und versucht dennoch - das Buch entstand auf der Basis einer Doktorarbeit - einen objektivierenden Blick aufrechtzuerhalten. Dieser Spagat gelingt nicht immer überzeugend. So zum Beispiel, wenn er Kinskis durchaus unsympathischen Gebrauch und enormen Verschleiss von Frauen recht beschönigend mit dessen hilfloser Sehnsucht nach Familie und der Liebe zur Tochter Nastassja ins Verhältnis setzt. Gelegentlich verrutschen die Begrifflichkeiten ein wenig. Beim Versuch, Kinskis eigenen Hass auf seine Genrearbeit in Billigproduktionen ernst zu nehmen, bemüht er wenig hilfreiche Kategorien wie Mainstream- und Kommerzfilm, verheddert sich zwischen Kult und Trash. Dafür arbeitet er anhand zahlreicher Interviews heraus, dass Kinski ein besessener und gründlicher Schauspieler war, dessen Wutausbrüche sich vor allem gegen schlampige Teammitglieder richteten. Bezeichnenderweise fällt kein einziges Mal der Begriff Popkultur. Dabei wurde Kinski schon früh und treffsicher mit einem klassischen Rock-’n’-Roll-Star verglichen. Dessen Tragik bestand weniger darin, stets verkannt und unterschätzt geblieben zu sein. Sondern sich selbst immer wichtiger genommen zu haben als irgendeine Realität und sich hoch verletzlich, rücksichtslos und schamlos von beiden Seiten her zu verbrennen. So muss man vielleicht, bei all den vergeigten Chancen, den verfeuerten Gefühlen und Geldern, gar nicht von einem gescheiterten Künstlerleben sprechen. Sondern Kinski eben für diese unerhörte, überdimensionale Verschwendung lieben, die sein Biograf so liebevoll und detailliert schildert. Sich selbst als derart nachhaltiges Popevent zu inszenieren - das ist doch eine durchaus gültige und gelungene Lebensleistung. Christian David: Kinski. Die Biographie. Aufbau-Verlag, Berlin 2006. 447 S., 44.50 Fr. BILD ULLSTEIN |
NEU AUF DVD TAGSS00020061130e2bu0002d KINO 340 Words 30 November 2006 Der Tagesspiegel 029 19387 German Copyright 2006. Verlag Der Tagesspiegel GmbH. All rights reserved. For future information see http://www.tagesspiegel.de |
GENRE Die letzte Rache Regie: Rainer Kirberg. monitorpop, 19.90 €. Auch das war mal Fernsehen. 1982 ließ das "Kleine Fernsehspiel" des ZDF zwei Handvoll Studenten von der Kunstakademie Düsseldorf freie Hand und strahlte das Ergebnis sogar aus: "Die letzte Rache" - ein futuristisch-antikes Drama mit Inzest, Intrige, Apokalypse. Dargeboten im Stil des deutschen Stummfilm-Expressionismus, in der Bildsprache eines Comic, zusammengesetzt nach russischer Montageschule. Shakespeareartige Monologe wechseln mit Song-Einlagen von "Der Plan" (den Wegbereitern der Neuen Deutschen Welle). Noch was? Ein mad scientist, ein Noir Kommissar, ein Gefangenenchor. |
Erzählt wird die Geschichte vom Weltkenner (Erwin Leder). Der Herrscher (Gerhard Kittler) zweifelt an dessen Wissen und fordert ihn zum Spiel heraus: Er finde ihm einen Erben! In Frage kommen der Schöne, der Starke und der Kluge. Doch kaum gefunden, sind sie schon tot. Es bleibt, laut Orakel, nur der Gerissene. Das kann nur ich sein, glaubt der Weltkenner. Doch als er am Denkmal des Scheiterns zum Volk sprechen will, muss er erkennen: in Wahrheit geht es um eine ganz andere Intrige. Regisseur Rainer Kirberg, heute als Künstler und als Autor für "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten" tätig, und das Künstlerkollektiv "Anarchistische Gummizelle" lassen die Illusionsebenen fließend ineinander übergehen: raffinierte "Glas Shots", kubistisch auseinanderdriftende Miniaturbauten und simpelste Ausstattertricks. Das Ergebnis aber ist keineswegs Trash, sondern eine erstaunlich konzentrierte Traumwelt - ein postapokalyptisches Figurendrama. Als "Die letzte Rache" 1982 erstmals ausgestrahlt wurde, empörte sich die Kritik über die "Plünderung der Filmgeschichte": Mit dem deutschen Autorenfilm der 70er hatte dieses exzentrische Machwerk nichts mehr gemein. In Frankreich dagegen fühlte man sich an die visuelle Kraft von Fritz Langs "Metropolis" und David Lynchs "Eraserhead" erinnert. Heute denkt man an "Sin City"; verblüffend, was damals alles ohne digitale Hilfsmittel ging. Das Berliner Spezialitäten-Label monitorpop hat den Film jetzt aufgefrischt auf DVD herausgebracht - mit erhellender Kommentar-Tonspur (Kirberg und Kameramann Hans-Peter Böffgen): über die Wirkung von LSD auf den Kulissenbau, das Vortäuschen einer Menschenmenge mit Tipp-Ex auf Klarsichtfolie und das Glück einer unverhofften Kondensfahne. Sebastian Handke |
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Referendum über Abtreibung in Portugal am 11. Februar APDEW00020061129e2bt002jt 149 Words 29 November 2006 20:58 GMT AP German Worldstream German Copyright 2006. The Associated Press. All Rights Reserved. |
Lissabon (AP) - Die Portugiesen sollen am 11. Februar nächsten Jahres in einer Volksabstimmung über die Legalisierung von Abtreibung entscheiden. Den Termin nannte am Mittwoch der portugiesische Präsident Anibal Cavaco Silva. Das Parlament hatte vorigen Monat das Referendum beschlossen. Das portugiesische Abtreibungsrecht ist eines der striktesten in Europa. Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch nur in den ersten zwölf Wochen und nur nach einer Vergewaltigung, Inzest oder bei einem gesundheitlichen Risiko für die Mutter erlaubt. Sollte in dem Referendum eine Mehrheit der Bevölkerung für eine Gesetzesänderung stimmen, wäre ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zehnten Woche straffrei. Bisher lassen viele Frauen aus Portugal eine Abtreibung in Kliniken im benachbarten Spanien vornehmen. Eine ähnliche Volksabstimmung war 1998 wegen zu geringer Beteiligung für ungültig erklärt worden. Damals hatte eine knappe Mehrheit für »Nein« gestimmt. |
Für eine Gültigkeit müssen mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben. |
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International: Mannheims Filmfestival DWELT00020061129e2bt0003b FEUILLETON Wolfgang Hamdorf 463 Words 29 November 2006 Die Welt DWBE-HP 28 279 German Copyright 2006 Axel Springer AG . Zusatzhinweis: "Dieser Artikel darf ohne die vorherige Zustimmung des Verlages nicht weiter-verbreitet werden. Dies ist eine Einschränkung der Rechte, die Ihnen generell hinsichtlich der Factiva-Dienste eingeräumt wurden." Notice: "This article may not be redistributed without the prior consent of the Publisher. This is a restriction on the rights granted under the terms of your subscription for Factiva Services." |
Ein alter Mann schaut misstrauisch und listig in die Kamera. Seine Frau ist gestorben, seine Tochter will ihn domestizieren, er sucht nach einem Neubeginn. Familie war das beherrschende Thema des 55. Mannheimer Filmfestivals. Die Produktion "Vidange Perdu" (Frühling im Winter) des belgischen Regisseurs Geoffrey Enthoven lebt besonders von der Leistung seines Hauptdarstellers Nand Buyl und erhielt den großen Preis der Jury. Die Doppelbödigkeit der Familie, die feinen Risse in der Fassade bis hin zum Zusammenbruch zeichnet auch den dänischen Film "Die Kunst zu weinen" aus. Regisseur Peter Schonau erzählt hier eine Inzest-Geschichte aus der Sicht eines elfjährigen Jungen. Immer wenn der Vater weint, schickt er seine wenig ältere Schwester zu ihm, um ihn zu "trösten". Eine brillante schwarze Komödie, die den Publikumspreis erhielt. |
Auch ein norwegischer Film setzte sich dem Thema Kindesmissbrauch auseinander. "Söhne" von Erik Richter Strand, ein komplexes Spiel von Schuld, Erniedrigung und der Selbstjustiz eines Bademeisters, war für den für innovative filmische Erzählweisen eingerichteten Rainer-Werner-Fassbinder-Preis allerdings ein Fehlgriff. Trotzdem scheint es, dass die jungen Filmemacher zu einer klassischeren Bildgestaltung zurückgekehrt sind. Die schwungvolle Low-Budget-Kamera blieb die Ausnahme. In Deutschland gibt es fast 100 Filmfestivals, und Mannheim-Heidelberg ist davon das zweitälteste. Ein Jahr nach der Berlinale gegründet, liegt sein besonderes Profil in internationalen Nachwuchsfilmen. Im Gegensatz zu den Hofer Filmtagen spielt der deutsche Film in Mannheim eine Nebenrolle, auch wenn dieses Jahr mit Michael Schorrs skurriler Komödie "Schröders wunderbare Welt" zum ersten Mal wieder ein Deutscher Film zur Eröffnung lief. Dieses Jahr zeichnete sich das Programm durch eine erhöhte handwerkliche Professionalität aus, die Rückkehr zur langsamen, fast klassischen Erzählweise und einer ruhigeren Bildsprache. Oder in einer Neudefinition alter Genres - wie "Lucid", der komplex und virtuos konstruierte Psychothriller des 39jährigen Kanadiers Sean Garrity. Die Geschichte eines Psychotherapeuten und seiner Patienten führt den Zuschauer zunächst auf eine falsche Spur, und erst am Ende laufen die Handlungsstränge und scheinbaren Ungereimtheiten der Handlung zu einem überraschend transzendenten Ende zusammen. Ein Thriller, der auch die Doppelbödigkeit der Realität verdeutlicht: Ganz anders macht das der schwedische Regisseur Magnus Hedberg in seinem Low-Budget- Film "Sista Dagen" (Letzter Tag), der das Zusammentreffen zweier Brüder und ihrer Frauen mit einer Mafiageschichte verkoppelt. Auch hier wieder die Idylle als trügerische Oberfläche, hinter der psychische Abgründe verborgen sind. Fast alle Wettbewerbsfilme handeln von der Familie und ihren vielfältigen Degenerationsformen - Scheidungen, Inzest, Partnerschaftskrisen. Das Politische, die Suche nach gesellschaftlichen Konfliktstoffen blieben dabei weitgehend ausgeklammert. Mit dem "Master of Cinema Award" wurde dieses Jahr der russische Filmemacher Aleksandr Sokurow ausgezeichnet. Ob der "alte Elefant Kino" noch einmal auf die Beine kommen werde, wisse er nicht, so Sokurov. Die kreative Kraft des Autorenfilms würde für neue Überraschungen sorgen. Sicher liegt hierin auch die besondere Stärke des Filmfestivals in Mannheim-Heidelberg. |
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Die französische Frau MARKAL0020061127e2bp000yg STARKEFR 709 Words 25 November 2006 Märkische Allgemeine DMA German Copyright 2006 Märkische Allgemeine – Brandenburgs beste Seiten. All rights reserved. For further information see http://www.MaerkischeAllgemeine.de |
Lara lernt jetzt Französisch. Sie ziert sich ein bisschen bei den nasalen Lauten, muss lachen, wenn sie das Gesicht verziehen soll, als hätte sie Schnupfen – nur um „maman“ zu sagen, „jardin“ oder „l’argent“. Sie scheut das Theatralische, wie es sogar in einem einfachen „warum“ – pourquoi – ruht: Mit messerscharfem „k“ gesprochen, mit hochgezogenen Brauen illustriert und gerade von Damen stets betont, als gebe man ein Drama. Eine Freundin hat geunkt, Französisch sei eine Karikatur seiner selbst. Nein, so weit würde ich nicht gehen. |
Meine Erfahrungen mit Frankreich sind begrenzt. In Paris hat mir ein Jugendlicher den Hitlergruß erboten, als er hörte, ich sei Deutscher. Am Hafen von Marseille folgte mir ein Dealer geschlagene 15 Minuten, bis er endlich einsah, dass ich keine Ware wollte. In einem Urlaubsnest am Mittelmeer hatten sie gespritzte Äpfel im Supermarkt, für die es an der Kasse eine Hand voll Einwegtüten gab, dass sich selbst ein Mensch, der im Urlaub auf Ökologie pfeift, geschämt hat. Kurz: Mein Verhältnis zu Frankreich ist nicht besonders. Dort ist es nicht besser als hier, doch eben auch nicht schlechter. Frankreich wäre ein Land unter vielen, vielleicht sogar ein besonders merkwürdiges, wenn es nicht die französische Frau gäbe. Die Französin ist ein eigenes Kapitel, das von Klischees lebt. Jedes einzelne dieser Klischees – kapriziös, verführerisch, launisch, schwierig, geistreich, wunderschön – ist wahr, ich spreche aus Erfahrung. Der deutsche Mann ist der Französin nicht immer gewachsen. Besser, er begnügt sich mit ihr in französischen Filmen, die den Ruf der Französin verlässlich untermauern. Es geht meist um Scheidung, Tod oder Inzest; oder um eine übergroße, komplizierte Liebe, die zu Scheidung, Tod oder Inzest führt. Das lässt sich auf der Leinwand leichter ertragen als im Leben. Nein, so weit ist es in meinen Beziehungen zu Französinnen nie gekommen. Eine traf ich an der Universität. Sie zog sich stets um Klassen besser an als ihre deutschen Mitstudenten: ein bisschen 50er Jahre, ein wenig Femme fatale, eine Spur Unschuld vom Lande – alles in glücklich ausgewogenem Verhältnis. Sie sagte selten ein Wort, doch beherrschte ein Lächeln, das ich ganz in meinem Sinne deutete. Was ich im Sinne hatte, stand außer Frage. Ich sagte ihr einmal, ich würde gerade den französischen Grundwortschatz von A bis Z durcharbeiten. Sie lachte: „Genau so blöd macht es der Idiot in Jean-Paul Sartres ,Ekel’ auch.“ Sie sagte es in weichen deutschen Worten. Es war eine Ohrfeige, doch es fühlte sich an wie ein Kuss. Ich kannte eine andere Französin. Zwei Stunden lang. Sie hatte einen Namen, der schlichten Männern wie mir nach einer besonders schönen Blume klingt: Virginié. Auch sie trug einen Schick aus den 50er Jahren, Femme fatale und Unschuld vom Lande. Wo liegt darin der Zauber? Die Französinnen mit ihrer Masche und ich mit meinem Begehren wurden mir langsam unheimlich. Auch sie sprach die deutschen Worte mit einer Wonne, als wären sie nicht für Dichter und Denker geschaffen, sondern für Menschen, die etwas von der Liebe verstehen. Wir trafen uns auf einer Party, sie rauchte französische Zigaretten, erzählte viel von sich, zog mich ins Vertrauen, scherzte, war guter Laune, kokettierte ein bisschen und zog sich dann abrupt in die Küche zurück. Ohne ein Wort, ohne eine Geste. Nach 20 Minuten ging ich hinterher, wollte unseren kleinen Flirt warm halten. Sie saß da, die Haare vorm Gesicht, Wein (natürlich roten) in der Hand, versunken, schaute wie blind durch die Gegend, nahm mich kaum mehr wahr und tat mich ab wie einen Laufburschen. Ich bin dann gegangen. Meine letzte Französin: Sie war auf einer Pressereise in einer Stadt dabei, die keinen interessierte. Die Französin interessierte um so mehr, zumindest die männlichen Kollegen. Sie trug – ja, Sie wissen schon ... Ihre deutschen Worte klangen – genau ... Die Reise ging vorüber, ihre Galane hatte sie sich mit Mühe vom Hals gehalten. Wir trafen uns wenige Wochen später zum Kaffee, mit einer Französin ist Kaffeetrinken ein besonders angenehmer Zeitvertreib, glaubte ich. Sie erzählte mir von einem Kollegen, der ihr nach der Reise unentwegt nachgestellt hatte, sie anrief, samstagmorgens um acht mit Blumen vor ihrer Tür stand. „Was denken deutsche Männer bloß“, fragte sie, „nur weil man mal mit ihnen Kaffee trinkt.“ Ich sagte Lara, sie müsse eine Spur Verachtung ins „pourquoi“ legen, sonst klinge es nicht französisch. |
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„Ich lerne vieles zu schätzen“ RHEPO00020061124e2bo000ei L VON WALTER PLÜMPE 456 Words 24 November 2006 Rheinische Post Rheinische Post Xanten German © Copyright 2006. Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH. All rights reserved. For further information see http://www.rp-online.de |
XANTEN Gut zwei Monate ist es her, dass Rabea Maas als Friedensdienstleistende (Die RP berichteten nach Argentinien aufgebrochen ist. In einem ausführlichen Brief informiert sie ihre Freunde und Unterstützer über ihre Situation in Florencio Varela, 25 Kilometer südlich von Buenos Aires, Argentinien. Dort lebt sie zusammen mit „Companera“ Jana aus Essen in einer Wohnung. Sie arbeitet im Projekt „casa abierta“ (offenes Haus) in einem von vier „Barrios“ (Armenvierteln) der Stadt für Jugendliche im Alter von zwölf bis 18 Jahren. Auf dem Programm dieses „Jugendheims“ stehen vor allem Workshops wie Artesania (Schmuck und Masken basteln), Murga (Tanz mit Wurzeln im brasilianischen Karneval) und immer wieder Kommunikation. „Ich habe das Gefühl, gebraucht zu werden, wenn auch nur als Brücke oder als Ansprechpartnerin für die Jugendlichen.“ |
Die Vormittage stehen zur freien Verfügung. Doch Rabea Maas immer etwas zu tun: Treffen mit anderen Kollegen, Erkundigungen und Lesen, bald auch Englisch-Nachhilfe auf Spanisch. Bisher konnte sie beobachten, dass in Argentinien Ruhe und Gelassenheit eine größere Rolle spielen als Stress und Hektik. „Wenn der Bus nicht kommt, kommt der Bus nicht; dann kommt man eben eine halbe Stunde zu spät zur Arbeit.“ Ein großes Thema in den Armen-Barrios ist die häusliche Gewalt. Ziemlich geschockt war Rabea Maas, als sie von Vergewaltigungen, Inzest, Schlägen hörte. „Es ist unvorstellbar, dass sich so etwas hinter den Fassaden der Häuser und Hütten im Barrio abspielt, durch das in täglich laufe ... Für mich ist es mittlerweile - erschreckender Weise - fast schon normal, wenn ein Junge oder Mädchen im Zentrum erzählt, wieder vom Vater oder der Mutter verprügelt worden zu sein.“ Mit den Spitznamen „Alemana“ (Deutsche) oder „Rubia“ (Blondine) wurde Rabea Maas schnell vertraut. Ihr gefällt dieser Einsatz. Entspannung findet sie beim Musizieren, da viele ihrer Kollegen Gitarre oder Flöte spielen oder singen. „Dadurch lerne ich auch ein bisschen den Liederschatz der argentinischen Folkloremusik kennen, was für mich genau das Richtige ist.“ Im Gegenzug dafür gibt sie mit Jana oft kleine „Konzerte“ bis in die Nacht hinein: zweistimmige Klassiker wie „Leaving on a jetplane“ oder Songs von den Beatles. Nach acht Wochen Argentinien weiß Rabea Maas vieles mehr zu schätzen: den endlich funktionierenden Kühlschrank, das geliehene Fahrrad, die herzliche und ernst gemeinte Begrüßung durch einen ihr völlig Fremden, die automatische WC-Spülung. „Das alles sind kleine Dinge, von denen ich mir vorher nie hätte vorstellen können, dass sie mich erfreuen, weil sie immer selbstverständlich für mich waren. Gegenden ohne fließendes Wasser, dafür mit, stinkenden Müllbergen am Wegesrand, waren eine andere Welt. Dies hier ist aber keine andere Welt. Ich fühle mich wohl, komme gut zurecht, finde Anschluss und freue mich, noch mehr erleben und entdecken zu können.“ Rabea Maas. RP-Foto: Plümpe |
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Die Sicht des Täters NURNBN0020061123e2bn0001k Kultur 473 Words 23 November 2006 Nürnberger Nachrichten German Quelle: Nürnberger Nachrichten, 2006. All rights reserved. For further information see http://www.nordbayern.de |
Jonathan Littells preisgekrönter Nazi-Roman Der US-Autor Jonathan Littell versetzt Frankreich mit dem Roman über einen homosexuellen SS-Schergen in Begeisterung. Im nächsten Jahr wird das Buch auch auf Deutsch erscheinen. |
Carsten Sommerfeldt, Sprecher des Berlin Verlags, hat ausgesprochen gute Laune. Zur letzten Buchmesse hatte der Verlag für eine gewaltige Summe - Schätzungen reichen bis zu einer halben Million Euro - die Rechte am bei Gallimard in Frankreich erschienenen Roman «Les Bienveillantes» von Jonathan Littell, 39, erworben. Nun hat der Autor, dessen Buch sich innerhalb weniger Wochen fast 200 000 Mal verkaufte, den Prix Goncourt zugesprochen bekommen, den höchsten französischen und einen der bedeutendsten Literaturpreise der Welt. «Das wertet das ganze Unternehmen noch einmal mächtig auf», freut sich Sommerfeldt. Ein US-amerikanischer Autor schreibt auf Französisch die Memoiren eines deutschen SS-Schergen, und das Buch avanciert zur Literatursensation. Es gilt als «Meisterwerk» (Le Nouvel Observateur) und wird bereits mit Tolstois «Krieg und Frieden» verglichen. Pathetische Lebensbeichte Littell hat eine bunte Vergangenheit. Seine Vorfahren sind litauische Juden, er wurde in New York geboren, sein Vater ist der Spionageschriftsteller Robert Littell. Als Sohn einer Französin wuchs Jonathan Littell in Frankreich auf, ist mit einer Belgierin verheiratet und schreibt auf Französisch. Nachdem zwei Versuche, die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten, gescheitert sind, ist er enttäuscht mit Frau und zwei Kindern nach Barcelona gezogen. Dennoch publizierte er seinen Roman bei einem Pariser Verlag, aus Liebe zur französischen Literatur, zu Stendhal und Flaubert, sagt er. Was ist das für ein Buch? Ein gewichtiges, 912 Seiten dick. «Gallimard hat die Seiten extrem dicht bedruckt», erklärt Sommerfeldt. «Das können wir deutschen Lesern nicht zumuten, wir werden wohl einen Buchumfang von 1300 Seiten haben. Die Übersetzung ist in vollem Gange, der Roman soll im Herbst 2007 erscheinen.» Der Protagonist Maximilian Aue ist Doktor der Rechtswissenschaften, Liebhaber der französischen Literatur und begeisterter Nazi. Seine Lebensbeichte beginnt pathetisch: «Brüder der Menschheit, lasst mich erzählen, wie es wirklich war.» Aue hat Greuel an Juden verübt, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Er bereut nichts, er hat nicht aus Perversion, sondern aus Ideologie morden lassen. Nach dem Krieg taucht er in Frankreich unter, heiratet, wird Direktor einer Fabrik, begeht Inzest mit seiner Zwillingsschwester, tötet auch noch seine eigene Mutter und den Stiefvater. Schließlich wird er homosexuell und leidet an einer schwer kontrollierbaren Durchfallerkrankung, die ihn endlich zur verbalen Erleichterung zwingt. Es ist die Faszination des Bösen, die diese fiktive Suada eines SS-Schergen, eingefügt in einen offenkundig gut aufbereiteten dokumentarischen Zusammenhang, faszinierend macht. Zum ersten Mal wird in solcher Ausführlichkeit nicht aus der Perspektive der Opfer, sondern eines der Täter - zudem eines unbelehrbaren - über den Holocaust berichtet. «Ein letztes Tabu, das Littell gebrochen hat», sagt Sommerfeldt. «So etwas ist noch nie geschrieben worden.» ROLAND MISCHKE |
http://www.nn-online.de/artikel.asp?art=576201&kat=48 |
Papa Hamlet; Stücke von Gerhild Steinbuch und Anders Duus in Mainz SDDZ000020061122e2bm0003j Feuilleton 569 Words 22 November 2006 Süddeutsche Zeitung 14 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Man könnte meinen, sie hätten sich abgesprochen. Da ist Georges Delnon, der als Intendant von Mainz nach Basel wechselte. Und da ist Matthias Fontheim, der von Graz kam und Delnon in Mainz ablöste. In beiden Städten muss man allerdings auf eigene Akzente der Regie führenden Intendanten weiterhin warten. Fontheim steigt als Regisseur erst im Dezember in den Mainzer Ring. Und in der Klassik gab es zum Auftakt einen „Clavigo” und einen „Sommernachtstraum”, was nicht unbedingt von Klimmzügen in den Dramaturgenstuben zeugt. Spannender wurde es erst, als Ende September Gerhild Steinbuchs überaus gelungenes Debütstück uraufgeführt wurde. |
Die 23-jährige Grazerin legt mit „Kopftot” eine sprachlich schwebende Ophelia-Variante vor. Traum und Realität vermischen sich, da Steinbuchs Ophelia sich anscheinend liebend gerne einer inzestuös- klaustrophobischen Situation mit ihrem Vater hingibt. Sie ist ihrem Erzeuger zugetan, als sei er ihr Hamlet. In der Zweisamkeit mit dem Vater pflegt sie allerdings auch ein kleines Traumreich und legt Wert auf dialogischen Kontakt mit einem Bruder, der nie zur Welt kam, und der verstorbenen Mutter. „Kopftot” verlangt eine zarte Regiehand, während man sich im Fall von Anders Duus „Nachtwache” auf gröbere Theaterkost gefasst machen durfte. Der 31-jährige schwedische Literatur- und Sprachwissenschaftler zählt zu den nordischen Hoffnungen und verschränkt Konfliktzonen des zeitgenössischen Problemparks derart enthemmt, dass man den Überblick verlieren kann. Da ist ein Bruderpaar, das vorerst nichts voneinander weiß: Der autistische Lennart, der im betreuten Wohnprojekt „Waldschnepfe” die Pflegekräfte auf Trab hält, während Ulf sich mit dem Gedanken an den bislang tot geschwiegenen Bruder anfreunden muss. Ulf hat allerdings auch Probleme mit seinem pubertierenden Sohn und verliert sich in Phantasien über dessen Onanierfrequenz, während seine Frau Siri in ihrer Nachtschicht mit dem Kollegen Zoran dominante Spielchen treibt. Und dann wäre da noch die behütete Schauspielschülerin Pia, die im Pflegeheim Kontakt zur Welt sucht, während ihr Kollege Roger sich einer rechtradikal angehauchten Bürgerwehr anschließt. Dass Duus sein Stück stopft wie eine Weihnachtsgans, könnte damit zu tun haben, dass der junge Schwede zu viel in den frühen Stücken seines Landmannes Lars Norén gelesen hat. Constanze Kreusch jedenfalls, die die deutsche Erstaufführung auf die Bühne brachte, hat ihre liebe Not mit der „Nachtwache” und handelt sich auch deshalb Probleme ein, weil sie Texte gelegentlich simultan sprechen lässt. Wer da gerade was mit wem verhandelt, verschwimmt im herbstlichen Nebel, ganz davon abgesehen, dass Duus’ Typenkabinett in Mainz gelegentlich nur lautstark agiert. Ein größerer Kontrast als zur Uraufführung von „Kopftot” ist kaum vorstellbar. Das hat zum einen mit dem Stück zu tun, aber auch mit Julie Pfleiderers kongenialer Regie und Julia Kreusch, einer echten Entdeckung, die die Ophelia jenseits aller Opfer-Larmoyanz spielt, als ein Mädchen, das in seiner Not eine erwachsene Partnerin des Vaters sein will, aber gerade in ihren Phantasien kraftvoll und lebenstauglich wirkt. Thomas Marx legt den Vater als sanften Dragoner an, dem irgendwann die Grenze zwischen Vaterliebe und körperlichem Begehren verrutschte. Inzwischen ist der Inzest ja zum beliebten Bühnenthema geworden. Stück und Inszenierung bewegen sich jedoch souverän jenseits der Klischees. Julie Pfleiderer konnte in Mainz zwischen mehreren Stücken wählen und griff nach eigenem Bekunden sofort nach „Kopftot”. Der Griff hat sich gelohnt – auch für die Niederösterreicherin Gerhild Steinbuch, die gerade mal zwanzig war, als sie das Stück schrieb. Lohnend ist das Ganze auch für das neu formierte Mainzer Staatstheater, da man dort mit der Uraufführung einen ersten Akzent setzen konnte. JÜRGEN BERGER |
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Heilung ist möglich für Opfer von sexueller Gewalt RHEPO00020061120e2bk001ja Aus der Nachbarschaft 75 Words 20 November 2006 Rheinische Post Rheinische Post Wesel German © Copyright 2006. Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH. All rights reserved. For further information see http://www.rp-online.de |
VOERDE (RP) Im Rahmen der Ausstellung „Der Weg“ im Rathaus Voerde findet am Dienstag, 21. November, um 19 Uhr die Veranstaltung „Heilung ist möglich“ statt. Petra Fittkau, Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Traumatherapie, wird einen Vortrag über Heilungschancen von Opfern von sexueller Gewalt und Inzest halten. Info Anmeldung im Referat für Frauenarbeit und Erwachsenenbildung, % 02064/414522. Gebühr 5 Euro. |
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Heilung ist möglich für Opfer von sexueller Gewalt RHEPO00020061120e2bk001g6 L 74 Words 20 November 2006 Rheinische Post Rheinische Post Dinslaken German © Copyright 2006. Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH. All rights reserved. For further information see http://www.rp-online.de |
VOERDE (RP) Im Rahmen der Ausstellung „Der Weg“ im Rathaus Voerde findet am Dienstag, 21. November, um 19 Uhr die Veranstaltung „Heilung ist möglich“ statt. Petra Fittkau, Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Traumatherapie, wird einen Vortrag über Heilungschancen von Opfern von sexueller Gewalt und Inzest halten. Anmeldung im Referat für Frauenarbeit und Erwachsenenbildung, % 02064/414522, die Gebühr beträgt fünf Euro. |
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Plattform junger Autorenfilmer ALLZET0020061118e2bi000c1 Kultur 491 Words 18 November 2006 Allgemeine Zeitung Mainz 0 German (C) 2006 Verlagsgruppe Rhein Main GmbH & Co. KG |
"Glück und Abenteuer" Motto des 55. Filmfestivals Mannheim-Heidelberg Von |
Tanja Binder MANNHEIM/HEIDELBERG Mit reichen Rentnern müsste man doch Geld verdienen können. Denkt sich Frank Schröder. Er will ein tropisches Urlaubsparadies für gut betuchte Alte bauen und zwar ausgerechnet an der polnisch-tschechischen Grenze Deutschlands. Ob aus seiner Idee ein rentables Investment-Projekt wird, erfährt man in "Schröders wunderbare Welt" von Michael Schorr ("Schultze gets the Blues", 2005). Die Weltpremiere dieser lakonisch erzählten Komödie der Irrungen voller trostlos-schöner Landschaftsbilder eröffnete am Freitag offiziell das 55. Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg, das in diesem Jahr unter dem Motto "Glück und Abenteuer" steht. Erwartet werden rund 60000 Zuschauer, die bis zum 25. November in den beiden Neckar-Städten 14 Kurz- und 42 Spielfilme aus 24 Ländern anschauen können. "Filmkunst sollte ein Lebensmittel sein und nicht ein Etikett für Besserverdienende", findet Festivaldirektor Michael Kötz und freut sich darüber, dass seine Großveranstaltung bei den Zuschauern genauso beliebt ist wie bei den Film-Profis. Vor allem die "Mannheim Meetings" haben sich längst als wichtiger Branchentreff etabliert. Über 1000 Gespräche zwischen Koproduzenten, Verleihern und Filmrechtehändlern wurden arrangiert. Besonders stolz ist Michael Kötz aber auf den diesjährigen Ehrengast, den russischen Filmemacher Aleksandr Sokurov. "Ich halte ihn für einen tollen Kinokünstler, der leider nur wenig bekannt ist in Deutschland", sagt Kötz. "Seine Filme sind ganz nah dran am Träumen und Wünschen." In seinem bekanntesten Film, "Die russische Arche" von 2002, führt er den Zuschauer mit einer einzigen, ungeschnittenen Kamerafahrt durch die St. Petersburger Eremitage durch 300 Jahre russische Geschichte. Die Geschichte des Filmfestivals reicht immerhin zurück bis ins Jahr 1952: Begonnen hat das zweitälteste Filmfestival Deutschlands damals in Mannheim als Kultur- und Dokumentarfilmwoche. Erst seit 1994 ist auf Betreiben des Festivalleiters Heidelberg als Veranstaltungsort mit dabei. Dass das Filmfest international einen guten Ruf als Plattform für junge Autorenfilmer genießt, liegt sicher auch daran, dass hier Karrieren von bedeutenden Filmregisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Francois Truffaut oder auch Jim Jarmusch einen entscheidenden Schub erhalten haben. Aber noch sind Namen wie Derek Sieg, Lionel Baier und Peter Schonau Fog unbekannt. Sie sind drei von 20 Regisseuren, die am Internationalen Wettbewerb teilnehmen. Ihre ganz unterschiedlichen Filme haben alle eine sehr individuelle, eigenwillige Machart. Erzählt werden klassische Geschichten über das Erwachsenwerden ("Zeiten und Winde") und über einen vermeintlichen Ehebruch ("Dicker als Wasser"). Einige Regisseure wagen sich an Schwerverdauliches wie Inzest ("Bruder und Schwester") und Kindesmissbrauch ("Die Kunst zu weinen"). Andere versuchen sich in leichtfüßigen Komödien ("Wie die Diebe"). Im Anschluss der Vorführung stehen viele der Regisseure Rede und Antwort, 44 Filmemacher haben sich angekündigt. Die Gewinner werden bei der Closing Night-Gala am 25. November bekannt gegeben. Bis dahin dürfen auch die Zuschauer ihren Lieblingsfilm wählen und mittels der gezeigten Newcomer-Filme rund um die Welt reisen, fremde Länder entdecken und neue Geschichten hören, nicht nur von gut betuchten Alten an der polnisch-tschechischen Grenze. Bis 25.11., Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg, http://www.filmfestival-ma-hd.com |
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Gilliam schickt Alice in ein Albtraumland WISTAG0020061118e2bi0005w Kultur 308 Words 18 November 2006 Wiesbadener Tagblatt 0 German C) 2006 Verlagsgruppe Rhein Main GmbH & Co. KG |
Kultregisseur dreht mit "Tideland" einen Flop Von |
Markus Bennemann WIESBADEN "Tideland", der neueste Film des Kultregisseurs Terry Gilliam, ist einer der Filme, bei denen man sich unweigerlich fragt, ob man sein eigenes Kind darin hätte mitspielen lassen. Die Hauptdarstellerin, die junge Amerikanerin Jodelle Ferland, hat zwar offenbar einige Erfahrung mit morbiden Stoffen, hat schon in dem Horrorfilm "Silent Hill" und einer Stephen-King-Verfilmung fürs Fernsehen mitgespielt. Aber Drogensucht, Geisteskrankheit, Leichenschändung, Inzest und Pädophilie - sind das wirklich Themen, denen man eine Zehnjährige aussetzen will? Um eben diesen Themen zu entfliehen, flüchtet sich die kleine Jezebel-Rose in eine Fantasiewelt. Nachdem ihre heroinabhängigen Eltern sterben, findet sie sich allein in einem zerfallenen Farmhaus in der texanischen Prärie wieder, ernährt sich von Erdnussbutter und redet mit abgetrennten Puppenköpfen und Eichhörnchen. Als seien ihre Eltern nicht schon Prüfung genug gewesen, stößt sie in der unmittelbaren Nachbarschaft auf die hexenhafte Dell und ihren lobotomisierten Bruder Dickens, versucht sich aber auch aus diesem bizarren Duo tapfer eine Familie zu basteln, was darin gipfelt, dass Dell die Leiche ihres Vaters auspumpt und mumifiziert, für sich selbst so zum neuen Liebhaber und für die Kinder zum Pater familias post mortem macht. Wie sich herausstellt, war der gescheiterte Rockstar das aber auch zu Lebzeiten schon. Und dass es zwischen seinen minderjährigen Nachkommen zum tatsächlichen Vollzug der Geschwisterliebe kommt, ist das Einzige, wovor der Film schließlich doch noch hauchdünn zurückschreckt. Gilliam selbst nennt "Tideland" ausdrücklich einen Kniefall vor der Macht der kindlichen Fantasie, die auch noch den widrigsten Umständen eine abwegige Art von Zauber abzugewinnen vermag. Doch den Bildern, die er auf Grundlage des gleichnamigen Romans des amerikanischen Jungautors Mitch Cullin heraufbeschwört, haftet nichts kindlich Zauberhaftes an, sondern nur eine unangenehm beharrlich wirkende Lust am Morbiden und Abstoßenden. Morgen, 22.15 Uhr, Caligari; 21.11., 17.30 Uhr, Alpha. |
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Plattform junger Autorenfilmer WISTAG0020061118e2bi0004q Kultur 491 Words 18 November 2006 Wiesbadener Tagblatt 0 German C) 2006 Verlagsgruppe Rhein Main GmbH & Co. KG |
"Glück und Abenteuer" Motto des 55. Filmfestivals Mannheim-Heidelberg Von |
Tanja Binder MANNHEIM/HEIDELBERG Mit reichen Rentnern müsste man doch Geld verdienen können. Denkt sich Frank Schröder. Er will ein tropisches Urlaubsparadies für gut betuchte Alte bauen und zwar ausgerechnet an der polnisch-tschechischen Grenze Deutschlands. Ob aus seiner Idee ein rentables Investment-Projekt wird, erfährt man in "Schröders wunderbare Welt" von Michael Schorr ("Schultze gets the Blues", 2005). Die Weltpremiere dieser lakonisch erzählten Komödie der Irrungen voller trostlos-schöner Landschaftsbilder eröffnete am Freitag offiziell das 55. Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg, das in diesem Jahr unter dem Motto "Glück und Abenteuer" steht. Erwartet werden rund 60000 Zuschauer, die bis zum 25. November in den beiden Neckar-Städten 14 Kurz- und 42 Spielfilme aus 24 Ländern anschauen können. "Filmkunst sollte ein Lebensmittel sein und nicht ein Etikett für Besserverdienende", findet Festivaldirektor Michael Kötz und freut sich darüber, dass seine Großveranstaltung bei den Zuschauern genauso beliebt ist wie bei den Film-Profis. Vor allem die "Mannheim Meetings" haben sich längst als wichtiger Branchentreff etabliert. Über 1000 Gespräche zwischen Koproduzenten, Verleihern und Filmrechtehändlern wurden arrangiert. Besonders stolz ist Michael Kötz aber auf den diesjährigen Ehrengast, den russischen Filmemacher Aleksandr Sokurov. "Ich halte ihn für einen tollen Kinokünstler, der leider nur wenig bekannt ist in Deutschland", sagt Kötz. "Seine Filme sind ganz nah dran am Träumen und Wünschen." In seinem bekanntesten Film, "Die russische Arche" von 2002, führt er den Zuschauer mit einer einzigen, ungeschnittenen Kamerafahrt durch die St. Petersburger Eremitage durch 300 Jahre russische Geschichte. Die Geschichte des Filmfestivals reicht immerhin zurück bis ins Jahr 1952: Begonnen hat das zweitälteste Filmfestival Deutschlands damals in Mannheim als Kultur- und Dokumentarfilmwoche. Erst seit 1994 ist auf Betreiben des Festivalleiters Heidelberg als Veranstaltungsort mit dabei. Dass das Filmfest international einen guten Ruf als Plattform für junge Autorenfilmer genießt, liegt sicher auch daran, dass hier Karrieren von bedeutenden Filmregisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Francois Truffaut oder auch Jim Jarmusch einen entscheidenden Schub erhalten haben. Aber noch sind Namen wie Derek Sieg, Lionel Baier und Peter Schonau Fog unbekannt. Sie sind drei von 20 Regisseuren, die am Internationalen Wettbewerb teilnehmen. Ihre ganz unterschiedlichen Filme haben alle eine sehr individuelle, eigenwillige Machart. Erzählt werden klassische Geschichten über das Erwachsenwerden ("Zeiten und Winde") und über einen vermeintlichen Ehebruch ("Dicker als Wasser"). Einige Regisseure wagen sich an Schwerverdauliches wie Inzest ("Bruder und Schwester") und Kindesmissbrauch ("Die Kunst zu weinen"). Andere versuchen sich in leichtfüßigen Komödien ("Wie die Diebe"). Im Anschluss der Vorführung stehen viele der Regisseure Rede und Antwort, 44 Filmemacher haben sich angekündigt. Die Gewinner werden bei der Closing Night-Gala am 25. November bekannt gegeben. Bis dahin dürfen auch die Zuschauer ihren Lieblingsfilm wählen und mittels der gezeigten Newcomer-Filme rund um die Welt reisen, fremde Länder entdecken und neue Geschichten hören, nicht nur von gut betuchten Alten an der polnisch-tschechischen Grenze. Bis 25.11., Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg, http://www.filmfestival-ma-hd.com |
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Alice im Albtraumland WISKU00020061118e2bi0002w Feuilleton 309 Words 18 November 2006 Wiesbadener Kurier 0 German (C) 2006 Wiesbadener Kurier GmbH & Co. Verlag und Druckerei KG |
Kultregisseur Terry Gilliam hat mit "Tideland" einen neuen Flop gedreht Von |
Markus Bennemann WIESBADEN "Tideland", der neueste Film des Kultregisseurs Terry Gilliam, ist einer der Filme, bei denen man sich unweigerlich fragt, ob man sein eigenes Kind darin hätte mitspielen lassen. Die Hauptdarstellerin, die junge Amerikanerin Jodelle Ferland, hat zwar offenbar einige Erfahrung mit morbiden Stoffen, hat schon in dem Horrorfilm "Silent Hill" und einer Stephen-King-Verfilmung fürs Fernsehen mitgespielt. Aber Drogensucht, Geisteskrankheit, Leichenschändung, Inzest und Pädophilie - sind das wirklich Themen, denen man eine Zehnjährige aussetzen will? Um eben diesen Themen zu entfliehen, flüchtet sich die kleine Jezebel-Rose in eine Fantasiewelt. Nachdem ihre heroinabhängigen Eltern sterben, findet sie sich allein in einem zerfallenen Farmhaus in der texanischen Prärie wieder, ernährt sich von Erdnussbutter und redet mit abgetrennten Puppenköpfen und Eichhörnchen. Als seien ihre Eltern nicht schon Prüfung genug gewesen, stößt sie in der unmittelbaren Nachbarschaft auf die hexenhafte Dell und ihren lobotomisierten Bruder Dickens, versucht sich aber auch aus diesem bizarren Duo tapfer eine Familie zu basteln, was darin gipfelt, dass Dell die Leiche ihres Vaters auspumpt und mumifiziert, für sich selbst so zum neuen Liebhaber und für die Kinder zum Pater familias post mortem macht. Wie sich herausstellt, war der gescheiterte Rockstar das aber auch zu Lebzeiten schon. Und dass es zwischen seinen minderjährigen Nachkommen zum tatsächlichen Vollzug der Geschwisterliebe kommt, ist das Einzige, wovor der Film schließlich doch noch hauchdünn zurückschreckt. Gilliam selbst nennt "Tideland" ausdrücklich einen Kniefall vor der Macht der kindlichen Fantasie, die auch noch den widrigsten Umständen eine abwegige Art von Zauber abzugewinnen vermag. Doch den Bildern, die er auf Grundlage des gleichnamigen Romans des amerikanischen Jungautors Mitch Cullin heraufbeschwört, haftet nichts kindlich Zauberhaftes an, sondern nur eine unangenehm beharrlich wirkende Lust am Morbiden und Abstoßenden. Morgen, 22.15 Uhr, Caligari; 21.11., 17.30 Uhr, Alpha. |
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Dörverdener gibt Vergewaltigung zu 41-jähriger Vater hat eigene Tochter missbraucht WESKU00020061117e2bh0009e LOKAL Andreas Becker 526 Words 17 November 2006 Weser Kurier German © Bremer Tageszeitungen AG. All rights reserved. For further information see http://www.weser-kurier.de |
VERDEN. Scham oder gar Reue sind dem Angeklagten nicht anzumerken. Für einen Vater, der seine minderjährige Tochter vier Jahre lang sexuell missbraucht haben soll, zeigt sich der Mann auf der Anklagebank bemerkenswert unbeteiligt. Als würde er von seinen Hobbys berichten, beantwortet er ohne erkennbare Gemütsregung die Fragen des Vorsitzenden Richters Joachim Grebe. Seit gestern muss sich der 41-jährige Dörverdener vor der 3. Strafkammer des Verdener Landgerichts für seine Taten verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, seine leibliche Tochter bei zahlreichen Gelegenheiten sexuell missbraucht, genötigt und vergewaltigt zu haben. Als exemplarische Taten hat die Anklage 18 Fälle von erzwungenem Geschlechtsverkehr und Berührungen im Intimbereich aufgelistet, die der Beschuldigte teilweise bereitwillig, teilweise aber erst nach hartnäckiger Befragung einräumt. |
Fast drei Stunden dauerte gestern die Anhörung des Dörverdeners. Zu Beginn hatte Richter Grebe dem 41-Jährigen ins Gewissen geredet, dem Opfer durch eine detaillierte Aussage zu den Taten eine Befragung vor Gericht und damit eine zweite Traumatisierung zu ersparen. Bereits nach einer ersten Festnahme Ende Mai 2005 hatte der Beschuldigte gegenüber der Polizei einen Teil seiner Taten zugegeben. Damals hatte er ausgesagt, dass die Handlungen in beiderseitigem Einvernehmen erfolgt seien und dass seine Tochter ihn teilweise dazu provoziert habe. Diese Strategie verfolgte er anfangs auch gestern vor Gericht. Er sei zur Tatzeit stets alkoholisiert gewesen. Zudem beharrte er zunächst darauf, dass es keinen intimen Verkehr vor ihrem 14. Geburtstag gegeben habe. Er habe gedacht, dass sie dann reif genug dafür sei. Grebe: „Haben Sie wirklich gedacht, dass Sie mit Ihrer 14-jährigen Tochter Verkehr haben dürfen?“. Angeklagter: „Ja.“ Grebe: „Haben Sie kein schlechtes Gewissen?“Angeklagter: „Nein, ich dachte, sie will das.“ Grebe: „Sie haben offenbar kein Bewusstsein für Inzest.“ Angeklagter: „Sie hat ja nichts dazu gesagt.“ Erst auf hartnäckiges Nachfassen des Vorsitzenden gab der Dörverdener zu, dass der erste Geschlechtsverkehr bereits stattgefunden habe, als seine Tochter gerade 13 Jahre alt gewesen sei. Der Missbrauch hatte nach übereinstimmenden Aussagen von Opfer und Täter schon früher begonnen – im Oktober 2001, als das Mädchen elf Jahre alt war. Die Übergriffe seien die Folge eines Versteckspiels gewesen, erklärte der Angeklagte. Damals habe sich seine Tochter an ihn geschmiegt. Beim ersten Mal habe er sie nur am Bauch gestreichelt und gedacht, seine Tochter sei dadurch zum Orgasmus gekommen. „Ich dachte, ihr gefällt das. Also habe ich weiter gemacht“, gab er an. Anfangs spielte sich der Missbrauch tagsüber im Bad und in der Küche ab, wenn der Schichtarbeiter mit seiner Tochter alleine zu Hause war. Als es dann ab 2003 zu regelmäßigem Geschlechtsverkehr gekommen sei, habe er sich nachts aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ins Bett seiner Tochter geschlichen. Nähere Angaben über die Umstände, die zum ersten intimen Verkehr mit seiner Tochter geführt hatten, konnte oder wollte der gebürtige Düsseldorfer nicht machen. „Das war kein besonderes Ereignis für mich“, sagte er aus. Dass er etwas Verbotenes getan habe, sei ihm nicht in den Sinn gekommen. „Sie haben irgendwie gar kein Unrechtsbewusstsein“, so Grebe. Im weiteren Verlauf des Prozesses wurde gestern das Opfer unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu seinen Lebensverhältnissen befragt. Der Prozess wird heute weitergeführt. |
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Dörverdener gibt Vergewaltigung zu 41-jähriger Vater hat eigene Tochter missbraucht WESKU00020061117e2bh00012 LOKAL Andreas Becker 526 Words 17 November 2006 Weser Kurier German © Bremer Tageszeitungen AG. All rights reserved. For further information see http://www.weser-kurier.de |
VERDEN. Scham oder gar Reue sind dem Angeklagten nicht anzumerken. Für einen Vater, der seine minderjährige Tochter vier Jahre lang sexuell missbraucht haben soll, zeigt sich der Mann auf der Anklagebank bemerkenswert unbeteiligt. Als würde er von seinen Hobbys berichten, beantwortet er ohne erkennbare Gemütsregung die Fragen des Vorsitzenden Richters Joachim Grebe. Seit gestern muss sich der 41-jährige Dörverdener vor der 3. Strafkammer des Verdener Landgerichts für seine Taten verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, seine leibliche Tochter bei zahlreichen Gelegenheiten sexuell missbraucht, genötigt und vergewaltigt zu haben. Als exemplarische Taten hat die Anklage 18 Fälle von erzwungenem Geschlechtsverkehr und Berührungen im Intimbereich aufgelistet, die der Beschuldigte teilweise bereitwillig, teilweise aber erst nach hartnäckiger Befragung einräumt. |
Fast drei Stunden dauerte gestern die Anhörung des Dörverdeners. Zu Beginn hatte Richter Grebe dem 41-Jährigen ins Gewissen geredet, dem Opfer durch eine detaillierte Aussage zu den Taten eine Befragung vor Gericht und damit eine zweite Traumatisierung zu ersparen. Bereits nach einer ersten Festnahme Ende Mai 2005 hatte der Beschuldigte gegenüber der Polizei einen Teil seiner Taten zugegeben. Damals hatte er ausgesagt, dass die Handlungen in beiderseitigem Einvernehmen erfolgt seien und dass seine Tochter ihn teilweise dazu provoziert habe. Diese Strategie verfolgte er anfangs auch gestern vor Gericht. Er sei zur Tatzeit stets alkoholisiert gewesen. Zudem beharrte er zunächst darauf, dass es keinen intimen Verkehr vor ihrem 14. Geburtstag gegeben habe. Er habe gedacht, dass sie dann reif genug dafür sei. Grebe: „Haben Sie wirklich gedacht, dass Sie mit Ihrer 14-jährigen Tochter Verkehr haben dürfen?“. Angeklagter: „Ja.“ Grebe: „Haben Sie kein schlechtes Gewissen?“Angeklagter: „Nein, ich dachte, sie will das.“ Grebe: „Sie haben offenbar kein Bewusstsein für Inzest.“ Angeklagter: „Sie hat ja nichts dazu gesagt.“ Erst auf hartnäckiges Nachfassen des Vorsitzenden gab der Dörverdener zu, dass der erste Geschlechtsverkehr bereits stattgefunden habe, als seine Tochter gerade 13 Jahre alt gewesen sei. Der Missbrauch hatte nach übereinstimmenden Aussagen von Opfer und Täter schon früher begonnen – im Oktober 2001, als das Mädchen elf Jahre alt war. Die Übergriffe seien die Folge eines Versteckspiels gewesen, erklärte der Angeklagte. Damals habe sich seine Tochter an ihn geschmiegt. Beim ersten Mal habe er sie nur am Bauch gestreichelt und gedacht, seine Tochter sei dadurch zum Orgasmus gekommen. „Ich dachte, ihr gefällt das. Also habe ich weiter gemacht“, gab er an. Anfangs spielte sich der Missbrauch tagsüber im Bad und in der Küche ab, wenn der Schichtarbeiter mit seiner Tochter alleine zu Hause war. Als es dann ab 2003 zu regelmäßigem Geschlechtsverkehr gekommen sei, habe er sich nachts aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ins Bett seiner Tochter geschlichen. Nähere Angaben über die Umstände, die zum ersten intimen Verkehr mit seiner Tochter geführt hatten, konnte oder wollte der gebürtige Düsseldorfer nicht machen. „Das war kein besonderes Ereignis für mich“, sagte er aus. Dass er etwas Verbotenes getan habe, sei ihm nicht in den Sinn gekommen. „Sie haben irgendwie gar kein Unrechtsbewusstsein“, so Grebe. Im weiteren Verlauf des Prozesses wurde gestern das Opfer unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu seinen Lebensverhältnissen befragt. Der Prozess wird heute weitergeführt. |
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Salzburg-Stadt SLZNT00020061116e2bh0001s kino 403 Words 17 November 2006 Salzburger Nachrichten 14 German (c) 2006. SN. All rights reserved. |
salzburg-stadt Theater Landestheater, Schwarzstr. 22, 8715 12-0, 19.30, „Macbeth“, Abo D, freier Verkauf.Schauspielhaus Salzburg, Petersbrunnhof, Erzabt-Klotz-Str. 22, 8085-85, 19.30, „Roberto Zucco“.Kapitelsaal Salzburg, Kapitelplatz, 19.30, Theater Ecce, „Hundeherz“, Karten: 0664/57 40 703. |
Kleingmainersaal, Morzger Str. 27, 19.30, Die Kleingmainer, „Und das am Hochzeitsmorgen“, Kartenhotline: 0664/5622189.ARGEkultur Gelände Salzburg, Josef-Preis-Allee 16, 848784, 21.00, Kabarett, „Titanic-Lesung der jungen Redakteure VS. Maschek“. Konzerte Festungskonzert, Fürstenzimmer, 825858, 19.30, Festival Ensemble Salzburg, Werke von Mozart.Schlosskonzert, Schloss Mirabell, Marmorsaal, 848586, 20.00, Salzburger Pianisten, B. Zakotnik, Werke von Mozart.Schloss Arenberg, Arenbergstr. 10, 19.00, CD-Präsentation, Ensemble Salzburg, „Mozart“, B. Krabatsch (Flöte), R. Schuchter (Violine), E. Braslavsky (Klavier), J. Finley (Violcello). Musikum, Schwarzstr. 49, 19.30, Klavierabend, Lehrer: G. Dachs.Stadtpfarrkirche Itzling, 19.30, Präsentation, Salzburger Eisenbahner-Weihnacht CD/DVD, Mitw.: Großes Blasorchester und Bläsergruppe des Vereins, Haunsberger Kinderchor, durch das Programm führt Romy Seidl vom ORF.Jazzit, Elisabethstr. 11, 20.30, Parov Stelar & Band, Karten: ticket@jazzit.at.Rockhouse, Schallmooser Hauptstr. 46, 884914, 19.00, Eisregen (D), Pungent Stench (A), Inzest (A), Alphawolf (A), Enemy Inside (A).Jazzclub Life Salzburg, Urbankeller, Schallmooser Hauptstr. 50, 20.30, Duo Xymbal & Maria Weliz Delgado, Tango, Samba, Ragtime.Treffpunkt, Chiemseegasse 2, 20.30, Swing, Adi Jüstel Trio.Atlantis, Ignaz-Harrer-Str. 56, 1. Stock, ab 21.00, Karaoke Context. Literatur Literaturhaus, Strubergasse 23, 422411, 20.00, erostepost Nr. 34, Lesungen u. Zeitschriftenpräsentation.Buchhandlung Höllrigl, S.-Haffner-Gasse 10, 16.00 bis 17.00, Eckart Witzigmann präsentiert und signiert sein neues Familien-Kochbuch. Bildung Kabinett des Salzburger Künstlerhauses, Hellbrunner Str. 3, 20.00, Podiumsdiskussion der ARTgenossen zur Theorie und Praxis der Kunst- und Kulturvermittlung, „Vermittlungszone Zwischenwelt oder Halten wir was wir (uns) versprechen?“, Moderation: Dr. Grimmer, Eintritt frei. vernissage Galerie Ruzicska, Faistauergasse 12, 18.00 bis 20.00, Giovanni Castell, Miquel Mont. AtelierGalerie M. Ferner, Makartpl. 4, 19.00, Künstler ist anwesend. flohmarkt Barmherzige Schwestern, Haus St. Maria, Eingang vom Salzachkai, Nähe der ÖBB-Infobox, 10.00 bis 17.00. EVA Sbg.-Lehen, Fasaneriestr. 5, 13.00 bis 17.00. Flachgau Bürmoos, Gemeindesaal, 19.30, Kabarett, Fritz Egger, „brutal human“, Karten an der Abendkasse.Eugendorf, Landhotel Santner, 20.00, Volksmusikabend, „Mozart auf dem Dorfe“, Mitw.: T. Spurny, S. Pichler, M. Vereno, V. Derschmidt, Streichquartett Maria Dengg u. a., Eintritt 7 Euro. |
snlokal |
SNZ41-767217117.11.2006 | 41-7672171 |
Grolls Groll - und der Wunsch des Paten; Erwin Riess schickt seinen Rollstuhl fahrenden Antihelden nach Palermo und ist selbst auf Lesereise DSTAN00020061114e2bf00027 Kultur 638 Words 15 November 2006 Der Standard 1_BL 36 German (c) 2006, Der Standard. http://www.derstandard.at/ |
Wien - "Nie wieder wollte ich mit behinderten Menschen zu tun haben, nicht privat, und schon gar nicht im Auftrag Giordanos", bekennt der Erzähler in Erwin Riess' neuem Roman. "Ich hasse die ewiggleichen Geschichten von beleidigten, verkrüppelten, diskriminierten und sterbenden Menschen, die in einer Endlosschleife ablaufen und nicht ein Fünkchen Geist versprühen." Da trifft es sich gut, dass der gründliche Misanthrop Groll heißt. Groll darf solche Sachen sagen, weil er selber im Rollstuhl sitzt. Und weil sein Autor offenbar den Ehrgeiz hat, keine erbaulichen Kalendergeschichten über die Verwerflichkeit menschlicher Vorurteile zu verfassen, sondern Texte, die sehr wohl einige "Fünkchen Geist versprühen". |
Vor sieben Jahren war der mieselsüchtige Held, der natürlich aus Wien kommt, schon im Roman-Einsatz: In Giordanos Auftrag hatte er einem auf Behinderte spezialisierten Pornoring in Ungarn auf die Schliche zu kommen - und scheiterte heroisch. Sein (auch journalistischer) Auftraggeber, der ebenfalls geh-unfähige Mr. Giordano, der Grolls Erzählung wenig freundlich kommentiert, gibt in New York den einschlägigen Manhattan Wheeling Courier heraus und hat enge Verbindungen nach Palermo. Der letzte Wunsch des Don Pasquale beschert Groll nun eine abenteuerliche Fahrt durch Sizilien und das Umland von Triest: Der todkranke Mafioso begehrt seine autistische Enkelin noch einmal zu sehen, die von ihren kaltherzigen Eltern in einem Heim im Norden verwahrt wird. Groll erkennt bald, dass die Bitten eines Don Pasquale nicht zu jenen gehören, die man abschlagen kann. Und weil er, obzwar er politisch links steht, das Herz auf dem rechten Fleck hat, freundet er sich mit dem Mädchen an, rettet einen antifaschistischen Museumswärter vor dem Verbluten und beweist beträchtliche Leidensfähigkeit im Dienste des Don. Sollten übrigens Sensible Bedenken hegen, ob denn ein Rollstuhlfahrer politisch irgendwo stehen kann - Groll hätte damit kein Problem. Er selbst pflegt sich "die Beine zu vertreten" und hasst es, "wenn mitleidsvolle Zeitgenossen an der Sprache herumzupfen wie an einem räudigen Balg", hat er doch die Erfahrung gemacht: "Sprachliche Heuchelei verträgt sich gut mit praktischer Borniertheit." Bei bausündhaften Barrieren, bei unnötigen Treppen und Engstellen versteht er nämlich überhaupt keinen Spaß, streckenweise liest sich der Roman wie ein italienischer Klosettführer für Behinderte. Was für die literarische Qualität keine Rolle spielt, das Movens des Erzählens aber verständlich macht: Erwin Riess war, selbst seit 1983 querschnittgelähmt, lange Jahre Aktivist der Behindertenbewegung, auch als Referent im Wirtschaftsministerium. Er ist Mitglied der alternativen Ethikkommission und einer der letzten bekennenden KPÖ-Autoren. Literarisch profilierte er sich mit zahlreichen Groll-Geschichten in Zeitschriften, vor allem aber als überaus produktiver Dramatiker - zuletzt entrichtete er mit Der Don-Giovanni-Komplex (Musik: Olga Neuwirth) seinen Tribut zum Mozartjahr. Mit dem grantigen Hedonisten Groll hat er ein Alter Ego mit echtem Eigenleben gefunden, eine Figur, die alle Klischees vom sinnentleert behinderten Leben Lügen straft: als Weintrinker und Liebhaber der Binnenschifffahrt, als Frauenheld und eigensinniger Ermittler und, auch das, als Loser. Die Realität, die Riess mit einigem Witz ausstellt, ist ebenso prall wie seine Hauptfigur, da gibt es Mafiakiller und vertierte Wurstesser, jede Menge Inzest, streikende Arbeiter und ihre ehestreikenden Frauen, Fischrestaurants und ein KZ-Museum, Wiener Neonazis und Triestiner "Kulturschwätzer", Tolstois Krieg und Frieden und eine böse Typologie der österreichischen Sozialdemokratie. Der letzte Wunsch des Don Pasquale ist ein Buch ohne "Moral", aber mit einer Botschaft. Etwas lernen soll der Leser schon, und sei es über den Kampf des Rollstuhlfahrers gegen die gemeine Hoteldusche. Erwin Riess: Der letzte Wunsch des Don Pasquale oder Giordanos Bitte. Otto Müller, Salzburg/Wien 2006, 392 S. Am 17. 11., 15.15 Uhr, liest Erwin Riess im Rahmen der Österreichischen Buchwoche im Literaturcafé im Rathaus, Lichtenfelsg. 2, 1010 Wien Nach "Giordanos Auftrag" nun "Giordanos Bitte" - Erwin Riess' grantelnder Hedonist Groll erneut im Einsatz. Foto: Alexander Golser |
Grolls Groll
– und der Wunsch des Paten Erwin(189455) |
Menschliches Gesicht Tragikomisch Das Inzest-Kind STGTAG0020061113e2bd00019 Buch 400 Words 13 November 2006 St. Galler Tagblatt 21 German Copyright (c) 2006 St Galler Tagblatt. Besuchen Sie die Website http://www.tagblattmedien.ch/ |
Tadeusz Rózewicz ist einer der drei bedeutenden polnischen Lyriker neben Zbigniew Herbert und Wislawa Symborska. Das schlägt sich auch in der Sprache seiner Erzählungen nieder; sie ist rhythmisiert und präzise und von Roswitha Matwin-Buschmann brillant übersetzt. «In der schönsten Stadt der Welt» überrascht der 85-Jährige mit pechschwarzen Erzählungen. Es verschlägt einem oft den Atem, denn die Stadt mag wohl die schönste sein, die Bedingungen, unter denen die Menschen leben, sind von Tod und Zerstörung (im Zweiten Weltkrieg) geprägt. Rózewicz versucht darin wiederherzustellen, was ihm für sein Leben am wichtigsten schien: «Die Ethik». (ea) |
Mit ihrem Erstling «Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch» ist Marina Lewycka auf der Überholspur. Geschildert wird die Ehe eines 84-jährigen Exilanten in London mit einer 36-jährigen Ukrainerin – die auf Geld und Einbürgerung aus ist, sagen die Töchter. Und so kommt es: Sie bereichert sich schamlos, während er eine Abhandlung über die Geschichte des Traktors in der Ukraine, die Auswirkungen des landwirtschaftlichen Geräts auf die Menschen und den Einfluss von Stalinismus und Nationalsozialismus verfasst. Die Vergangenheit bringt Verdrängtes hoch und damit Erklärungsansätze für das Verhalten des Alten. Das Buch ist eine fröhliche Burleske, kippt aber nach und nach in die Geschichte einer Familie und eines Landes, denen es an Tragik nicht mangelt. (dpa) «Das Geschenk» in Maria Elisabeth Straubs Roman ist das Jesuskind. Der ungenannte Erzeuger soll – so behauptet der Roman – Marias Vater sein; die Vision vom Heiligen Geist sei vorgeschoben, damit Joseph die Schwangere trotzdem heiratet; die Ehelosigkeit Jesu beweise die Theorie, denn als Inzest-Kind dürfe er nach jüdischem Recht nicht heiraten. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Maria, die Straub als Feministin beschreibt. Der Roman ist stellenweise albern. Aber als Provokation ist er nicht gedacht, sondern als Suche nach einer Erklärung der biblischen Geschichte. (sda) Fast unhörbar kommt vom scheiterberg her ein stimmlein: Musst scheitern. Jos Nünlist Jos Nünlist ist ein Dichter, der die Ohren offen hat, wenn er an der Scheiterbeige vorbeigeht. Seine Gedichte erzählen von dem, was einem zustossen kann im Hiersein als Mensch, als Lyriker – und sie tun es mit einer Aufmerksamkeit für die Sprache, die einen manchmal schmunzeln lässt, doch damit keine Tragik in reine Ästhetik umgiesst: «Türchen auf, /türchen zu. /Im nu /stirbst /auch /du». Der neue Band «Tränenstein Sonnenstern» ist als schöner Bodoni-Druck mit Gedichten und Holzschnitten erschienen. (eba) |
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Das Ende vom Rauschen; Journalisten in der Midlifecrisis: Tim Parks’ Roman „Stille” SDDZ000020061113e2bd0002m Literatur MEIKE FESSMANN 953 Words 13 November 2006 Süddeutsche Zeitung 14 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Ein schnelles Leben, immer auf der Jagd nach der nächsten Sensation, Körper und Geist scannen jedes Erlebnis in Hinsicht auf seine mediale Verwertbarkeit und die Schärfung des eigenen Profils: der Fernsehjournalist Harold Cleaver hat es eines Tages satt, sein Leben als Medienprofi. Er steigt in London Gatwick ins nächste Flugzeug nach Mailand. Er will sich verkriechen, irgendwo in den Südtiroler Bergen, wo sein Handy keinen Empfang hat. Niemand soll ihn mehr erreichen, die Frau nicht, mit der er seit dreißig Jahren ohne Trauschein zusammenlebt und die ihm vier Kinder geboren hat, aber ebenso wenig all die anderen Frauen, mit denen er ins Bett gegangen ist, sein Sender schon gar nicht, und die Nachrichten aus aller Welt können ihm ohnehin gestohlen bleiben. Das riecht nach Midlifecrisis. Und tatsächlich lenkt Tim Parks den ganzen Roman durchs Bewusstsein seines fünfundfünfzigjährigen Helden. |
Das aber macht er so geschickt, dass der im Original „Cleaver”, in der deutschen Übersetzung von Ulrike Becker treffend „Stille” betitelte Roman weit mehr ist als nur das Porträt eines Mannes in der Krise. In lockerer Diktion, die bei aller Trockenheit Emotionen aufsaugt wie ein Löschpapier, erzählt er von den Stimmen im Kopf eines jeden Menschen, der im weitesten Sinne mit Medien zu tun hat. Und sind nicht die meisten längst Medien-Junkies, den Finger an der Fernbedienung, immer auf dem Weg ins Netz, am heimischen PC, im Internetcafé, das Handy am Ohr oder in den Händen? Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist, zumindest wenn er in der westlichen Hemisphäre lebt, ein Kakophoniker. In seinem Kopf lärmt und tost es. Kein Wunder, dass er sich nach Stille sehnt. Der 1954 in Manchester geborene, seit langem in Verona lebende Tim Parks, dessen Romane Witz und Tiefsinn geschmeidig vereinen, gibt seinem Helden einen handfesten Grund, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Eben erst hat er den amerikanischen Präsidenten interviewt und vor laufender Kamera demontiert, da erscheint die als Roman getarnte Autobiographie seines ältesten Sohnes. Auf dem Gipfel seines Ruhms steht er nun plötzlich da wie nackt. Jeder wird sehen können, dass Harold Cleaver nicht nur ein harter journalistischer Brocken ist, der bei Bedarf den charmanten Plauderer gibt, sondern auch der von seiner Lebensgefährtin „Harry” genannte Familienvater. Für einen guten Witz, eine schmissige Pointe gibt er preis, was niemals preisgegeben werden dürfte: das Liebesbedürfnis und die Schwächen der ihm nächsten Menschen, deren innere Kompassnadeln auf ihn gerichtet sind. Natürlich nimmt er das Machwerk seines Sohnes nicht mit ins selbst gewählte Eremitendasein. Doch „Im Schatten des Allmächtigen” hat sich längst in sein Gedächtnis eingebrannt. Ganze Passagen kann er auswendig. Wut und Schmerz bilden ein gutes Schmieröl für den mnemotechnischen Aufzeichnungsapparat. Wie sehr sie das Bild allerdings verfälschen, ist nicht zu sagen. Und daraus schlägt Tim Parks gehörig Kapital. Denn was immer Harold Cleaver vom Buch des Sohnes wiedergibt, und das ist eine Menge, hat den Filter eines zutiefst verletzten Bewusstseins passiert. Was der Sohn wirklich geschrieben hat, ist von dem, was sein Vater erinnert, nicht zu unterscheiden. Und so wird das Gericht, das der eine über den anderen hält, automatisch auch zum Selbstgericht. Während sich der Medienprofi in Harold noch in gewohnter Empörungsmanier aufbläht, kommt langsam auch ein anderer zum Vorschein: ein Mann, dem das Leben eine Wunde geschlagen hat, deren Verletzung tiefer reicht als es eine öffentliche Demontage jemals bewirken könnte. Angela, die Zwillingsschwester des ältesten Sohnes, ist vor Jahren bei einem Verkehrsunfall umgekommen. Sie war schön, lässig, musikalisch und mit einem Gottvertrauen dem Leben gegenüber gesegnet, das sie für jeden anziehend erscheinen ließ. Auch für den Vater, der sich eingestehen muss, dass der Tod keines anderen ihn jemals so hätte treffen können wie der seiner achtzehnjährigen Tochter. Doch lange war er dem Schmerz ausgewichen. Nur seine Geliebten wurden immer jünger. Erst in der ablenkungsfreien Zone der Südtiroler Berge wird ihm klar, dass er nach dem Tod der Tochter weniger auf Sex aus gewesen ist als auf die Lebensgeschichten der jungen Frauen. Wie ein Vampir hat er sie ausgesaugt, hat sich ihre Hoffnungen und Enttäuschungen erzählen lassen, bis er selbst zu einer wurde. Die Erzählkunst von Tim Parks zeigt sich auch darin, dass er niemals ins Moralisieren gerät. Alles ist in Handlung aufgelöst. So wird der Protagonist nicht zum Objekt eines besserwisserischen Autors, sondern zu einer Figur, die von Selbsterkenntnis geradezu heimgesucht wird. Kaum ist es Harold endlich gelungen, das mediale Getöse abzustellen, schon beschäftigt er sich mit den wenigen Personen, die ihn in seiner Enklave umgeben. Ein paar Menschen genügen, die Vermieterin und ihre Familie, damit er sein eigenes Familiendrama stellvertretend nachvollzieht. Dass die Sprachbarriere – er spricht so gut wie kein Deutsch – Nachfragen erschwert, fördert die Imagination. Auch wenn der Leser immer wieder fürchten muss, dass der Roman irgendwann doch in die Saga vom ewigen Inzest abgleitet, hält der Autor gerade noch genügend Abstand zum Klischee. Die österreichische Versuchung, in jeder Familie dunkle Geheimnisse am Werk zu sehen, wird durch eine Spur Italianität gut in Schach gehalten. Und so wird aus dem Medienprofi Harold Cleaver, der, mal wütend, mal humorvoll, mal gottergeben, immer aber mit großer Energie über sich und die Welt nachdenkt, am Ende selbst eine Art Medium: durchlässig für Erfahrungen, die er früher glaubte, abwehren zu müssen. Das schöne Wortspiel, das im englischen Original seinen Namen so sinnfällig macht, lässt sich leider nicht ins Deutsche übertragen. „Cleaver hatte es schon immer faszinierend gefunden, dass sein Name Hackbeil bedeutete, etwas, womit man Dinge, Fleisch zumeist, in zwei Teile hauen konnte, während das Verb to cleave zugleich bedeuten konnte, jemandem treu zu sein, ein Teil von ihm oder ihr zu werden.” TIM PARKS: Stille. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Verlag Antje Kunstmann, München 2006. 359 Seiten, 22 Euro. |
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Tagesspiegel SLZNT00020061112e2bd0003r wetter 378 Words 13 November 2006 Salzburger Nachrichten 18 German (c) 2006. SN. All rights reserved. |
1855: Kaiser Franz Joseph I. verkündet den Abschluss des Konkordats mit dem Heiligen Stuhl. Es räumt der katholischen Kirche größere Rechte, insbesondere die Zuständigkeit für die Ehegerichtsbarkeit, ein. 1918: Mit den Worten „Jetzt macht euch euren Dreck alleene“ dankt König Friedrich August III. von Sachsen, der 1904 den Thron bestiegen hatte, ab und verlässt Dresden. |
1921: Auf der Grundlage der Protokolle von Venedig nimmt das österreichische Bundesheer das Burgenland – das aus Teilen der westungarischen Komitate Wieselburg, Ödenburg, Preßburg und Eisenburg gebildet worden war – in Besitz. Die natürliche Landeshauptstadt Ödenburg (Sopron) fällt durch Volksabstimmung an Ungarn. 1936: Ödön von Horvaths Theaterstück „Glaube Liebe Hoffnung“ wird in Wien uraufgeführt. 1956: Der Oberste Gerichtshof der USA erklärt die Rassensegregation in öffentlichen Verkehrsmitteln für verfassungswidrig. 1981: Der Schauspieler Karlheinz Böhm gründet die Hilfsorganisation Menschen für Menschen. 2001: Die Verbände der afghanischen Nordallianz rücken in die Hauptstadt Kabul ein. Zuvor waren die Taliban-Truppen in Richtung Kandahar und Dschalalabad geflohen. – US-Präsident George W. Bush kündigt bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Washington den Abbau von rund zwei Drittel der Atomwaffen an. Tags darauf verspricht Putin die analoge Reduktion der russischen Arsenale. Geburtstage: Wilhelm de Groff, deutscher Bildhauer (1676–1742); Gustav Hegi, schwz. Botaniker (1876–1932); Mary Wigman, dt. Tänzerin (1886–1973); Heinz von Foerster, amer. Biologe u. Kybernetiker öst. Herk. (1911–2002);. Todestage: Konrad Ernst Ackermann, dt. Schauspieler (1712–1771); Gerhard Marcks, dt. Bildhauer (1889–1981); Max Hansen, dän. Filmschauspieler (1897–1961); Paul Emile Leger, kanad. Kardinal (1904– 1991); Rudolf Schock, dt. Tenor (1915– 1986). Namenstage: Stanislaus, Eugen, Briktius, Diego, Floridus, Edelgard, Himer, Sieghard, Eduard, Antonius, Wilhelm, Eduard. Dacia Maraini schreibt, „um unaussprechlichen Dingen einen Namen zu geben“, wie sie selbst sagt. Sie ist die erste Schriftstellerin Italiens, die sich speziell mit Themen wie Vergewaltigung, Inzest oder Prostitution aus feministischer Sicht auseinander setzt und in ihren Werken die Rolle der Frau in unterschiedlichen Lebensbereichen aufgreift. Große Beachtung auch im deutschsprachigen Raum fanden im Frühjahr 2000 Marainis Erzählungen über missbrauchte Frauen und Kinder mit dem Titel„Kinder der Dunkelheit“ (it. „Buio“), die ein Jahr zuvor mit dem renommierten Literaturpreis „Premio Strege“ ausgezeichnet worden waren. Am 13. November 1936, vor 70 Jahren, kam Dacia Maraini in Florenz zur Welt./archiv |
snstamm |
SNZ41-751801713.11.2006 | 41-7518017 |
Selbstverhöre und Mitwisser im Stift DSTAN00020061112e2bd0002h Kultur 822 Words 13 November 2006 Der Standard 1_BL 17 German (c) 2006, Der Standard. http://www.derstandard.at/ |
St. Florian - "Es darf nur einen Mitwisser geben, mich", heißt es in Werner Koflers Konkurrenz. In diesem mit Versatzstücken des Krimis spielenden Roman führte der Kärntner Autor 1984 die literarische Beschäftigung mit dem Thema Verbrechen in lichte Höhen. Allerdings vergaß sein Protagonist in seinem Furor: Schon der Text ist ein gefährlicher Mitwisser, vom Leser ganz zu schweigen. Ähnliches trug sich vergangenes Wochenende beim Wettlesen um den Literaturpreis Floriana im Augustiner-Chorherrenstift St. Florian zu. Der Rahmen des schmucken Gartensaals, in dem neun Autorinnen und Autoren aus Österreich, Deutschland und der Schweiz um Preise lasen, erwies sich als trügerische Idylle: Im Herzen der meisten vorgestellten Texte lauerte Finsternis. |
Auch oder gerade weil es hier, wie bei Kofler, allenfalls vordergründig um Morde und andere Straftaten ging. Das vom rührigen Organisationsteam Klaus und Charlotte Liedl ausgegebene Motto "Literatur und Verbrechen" nützten viele Teilnehmer, um einen tiefen Blick ins Innere ihrer Figuren zu werfen. Verbrechen finden schließlich immer zuerst im Kopf statt. Manche tun es nur dort. So gestaltete sich der von einer raren Sprachmacht zeugende Siegertext des Oberösterreichers Richard Obermayr als Selbstverhör eines Pistolenschützen, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gar kein Verbrechen begangen hat. Auch wenn der in der Tradition der Moderne zu verankernde Text bewusst nie ganz klar wurde, ließ sich irgendwann erahnen: Hier erfindet jemand ein großes Ereignis, um dadurch sein ereignisloses Dasein vor sich selbst zu legitimieren. Der in Literaturzirkeln seit Jahren als ganz Großer von morgen beraunte Obermayr ließ diesen groben Handlungsverlauf in seinem virtuos gearbeiteten Text freilich nur zwischendurch aufblitzen. "Es gab keinerlei Reihenfolge, kein Nacheinander von Ereignissen", heißt es darin einmal. Man konnte in dieser Hinsicht ein stilles, wenngleich nicht minder abgründiges Äquivalent zu den Filmen David Lynchs erkennen. Oder auch eine melancholische Textmaschine, die sich nicht entscheiden will oder kann, ob sie um sich selbst kreisen oder Sinn generieren soll. Im Zentrum des noch unpublizierten Textes steht das Problem der Erinnerung. Immer wieder blitzen grandiose Bilder auf, etwa wenn die der Figur verloren gegangene Vergangenheit eines Tages in Gestalt eines Hundes wieder auftaucht. Dadurch wird ein Selbstverhör angeregt, das wenig zutage bringt und nur umso verstörender ausfällt. Vielleicht darf der Leser darin auch eine Parallele zum eigenen, folgenlos dahinfließenden Leben erkennen, mit dem man sich lieber nicht eingehend beschäftigt. Obermayrs Beitrag überragte mit seinem Sprach- und Reflexionsniveau die Konkurrenz. Aber auch das restliche Teilnehmerfeld, in dem sich auch der Bachmann-Preis-Träger 2005, Thomas Lang, Michael Stavaric oder Lydia Mischkulnig befanden, präsentierte teils qualitativ Hochwertiges. Adam, Eva und Lilith Die aus Kärnten stammende Mischkulnig etwa verwirrte auf anregende Weise mit einem Text aus der Sicht einer psychotischen Frau, die - von ihrem Mann verlassen - zur Stalkerin wird. Zusätzlich aufgeladen wurde der Text durch seine Bezüge zur Geschichte von Adam, Eva und Lilith. Obwohl sich Jürg Amann, der als Sieger der letzten Floriana 2004 in der Jury saß, zunächst Sorgen um die Autorin machte, ergab das den dritten Platz. Die mitzufavorisierenden Stavaric und Lang gingen hingegen leer aus. Der Ausschnitt aus dem Roman Stillborn, den Ersterer las, war Teilen der nebst Amann aus Peter Huemer, Erika Pluhar, Ingeborg Sperl und Anton Thuswaldner zusammengesetzten Jury zu trostlos und düster. Langs Text wiederum wurde weniger auf seine literarische Qualität abgeklopft als auf die Frage, wie stark er sich aus den Wirtschaftsverbrechen von Franz Josef Strauß' Sohn Max speist (ziemlich). Rollenprosa Nicht immer agierte die Kritik dabei auf Augenhöhe mit dem Vorgetragenen. Insofern musste die Vergabe des ersten Preises an Obermayr fast überraschen, gehörte sein Text doch zu den wenigen, die einige Einwände hervorriefen. Einem so präzise mit den Mitteln der Sprache umgehenden Autor ein Konjunktivproblem anzudichten, ging eindeutig unter die Gürtellinie. Am Ende wurde Jürg Amanns Einschätzung, es mit einem großen, im Rahmen eines Literaturwettbewerbs kaum abzuhandelnden Text zu tun zu haben, dann aber doch für den Angeklagten verwendet. Weniger glücklich war die Entscheidung, Gabriele Kögls Monolog einer alten Bäuerin auf Platz zwei zu setzen. Zwar handelte es sich um einigermaßen sauber gearbeitete Sprachlose-einfache-Frau-Rollenprosa, die inhaltlich (Inzest, jahrelange Vergewaltigungen durch den Vater und den Dorfpfarrer) jedoch klar aus dem Ruder lief. Subtiler gestaltete sich der mit einem Förderpreis bedachte Beitrag der Schweizerin Andrea Gerster, in dem eine Frau an einer seltsamen Form von Tinnitus laboriert: Sie hört das Geräusch, das entsteht, wenn ein Mensch aus einiger Höhe auf Asphalt aufschlägt. Gersters Geschichte kam leicht und hübsch daher, am Ende jedoch entblößte ihre Sprache die um Verschleierung bemühte Erzählerin. Der Literaturpreis Floriana wurde zum siebten Mal vergeben. Erstmals fand der Wettbewerb im Stift St. Florian statt und war prompt besser besucht als je zuvor. Der familiären Atmosphäre tat das keinen Abbruch. So könnte sich die Biennale an Oberösterreichs Peripherie langsam zu einem Fixtermin im Literaturkalender mausern. Das barocke Augustiner-Chorherren-Stift St. Florian - hier die Stiftsbibliothek - gab in diesem Jahr den Rahmen ab für die siebte Folge der ambitionierten "Floriana". F.: OÖ Tourismus |
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Diese Augen! Claudia Llosas Debütfilm "Madeinusa" TAGSS00020061112e2bc00035 KULTUR 364 Words 12 November 2006 Der Tagesspiegel 028 19369 German Copyright 2006. Verlag Der Tagesspiegel GmbH. All rights reserved. For future information see http://www.tagesspiegel.de |
Madeinusa. Ein schöner Name. So mythisch, märchenhaft, ursprünglich und geheimnisvoll. Madeinusa, das Mädchen aus den Anden, trägt ihn gerne; erst recht, als sie den fremden jungen Mann küsst, der sich ins Dorf verirrte, und dabei entdeckt: Er trägt ihren Namen schon auf seinem Hemd! Da steht es: Made in USA. Madeinusa hat einen Vater, der sie bald entjungfern wird, und eine kleine Schwester, die ihr Böses wünscht. Die Mutter ist vor Jahren nach Lima geflohen und Made inusa will ihr folgen. Doch die Vorbereitungen für das Fest des Jahres, die "tiempo santo", sind bereits in vollem Gange. Nichts für Gringos, sagt Cayo, Bürgermeister und Vater Madeinusas, und sperrt den Ahnungslosen erst mal weg. Die "Heilige Zeit", das sind die drei Tage voller Orgien, Alkoholmissbrauch, Frauentausch und Inzest. Denn es ist doch so: Von seiner Sterbestunde am Karfreitag bis zu seiner Auferstehung am Ostersonntag hat Jesus die Augen geschlossen. Also kann er auch nichts sehen. |
Claudia Llosa, Nichte des peruanischen Schriftstellers Mario Vargas Llosa, ist vor der großartigen Kulisse der Andenlandschaft ein erstaunlicher und ungewöhnlicher Debütfilm gelungen: eine farbenprächtige, ironische Fabel über die Bruchstellen zwischen Moderne und Archaik, Neigung und Pflicht, heidnischen Bräuchen und christlichem Glauben - vor allem aber: zwischen Indios und Mestizen. Die Mestizen - Südamerikaner mit europäischen und indigenen Elternteilen - fühlen sich manchmal in ihrem Land fremd und fehl am Platze. Das Schöne an "Madeinusa" ist, dass er diese Kluft weder korrekt noch sentimental zur Darstellung bringt, sondern unkonventionell, witzig und böse. Magaly Solier, die Titelheldin, wurde von Claudia Llosa entdeckt, als sie gerade vor einer Kirche Essen verkaufte. Ihr unangestrengtes Spiel und ihre ausdrucksstarken Augen verleihen dem Film fast dokumentarische Glaubhaftigkeit - und verführen den Zuschauer. Claudia Llosa lockt uns anfangs geschickt auf eine falsche Fährte: Das vermeintliche Ethno-Märchen verwandelt sich bald in die überraschende Geschichte einer jungen Frau, die zu ihrer Selbstbefreiung nicht nur zu lauteren Mitteln greift - bis zum herrlichen Schluss, der all jenen Zuschauern eine lange Nase macht, die dachten, Madeinusa sei nichts als ein naives Dorfmädchen. Was wäre das auch für eine "tiempo santo", ohne ein unschuldiges Opfer? Sebastian Handke In Berlin im Blow Up und Central |
200611122894147 |
Lieber mit Fehlern leben - Hollywood-Schauspieler Clive Owen über den Vorteil des Wandels BERLRZ0020061111e2bb000ds Vermischtes Mariam Schaghaghi 876 Words 11 November 2006 Berliner Zeitung 44 German (c) 2006 Berliner Zeitung |
Mit der Titelrolle im Historienepos "King Arthur" gelang Clive Owen endgültig der Durchbruch im Mainstream-Kino. Seitdem kann man den britischen Schauspieler getrost mit dem Attribut des Hollywood-Superstars bezeichnen - zumal er lange als neuer Bond-Darsteller gehandelt wurde. |
Jetzt spielt der 42 Jahre alte Owen in Alfonso Cuaróns Science-Fiction-Thriller "Children of Men" mit: als Antiheld, der die Menschheit vor dem Aussterben bewahren soll, indem er die letzte schwangere Frau der Erde beschützen muss. Clive Owen, Sie schultern quasi im Alleingang einen großen Hollywood-Film. Wie groß war der Druck, der auf Ihnen lastete? Ich habe keinen Druck verspürt, weil die Figur des Protagonisten zu ungewöhnlich ist, um die Hauptrolle auf seinen Schultern zu tragen. Er ist ein völlig apathischer, hoffnungsloser, zerbrechlicher Kerl. Kein Held, sondern einer, der beim Retten der Welt Flip-Flops trägt. Wenn man eine starke, entscheidungsfreudige Figur verkörpert, dann kann man den Zuschauer wesentlich leichter durch einen Film führen. Mit dieser Rolle es anders - aber genau das schwebte dem Regisseur Alfonso Cuarón vor. Wie akkurat konnten Sie seine Vision umsetzen? Cuarón hat etwas sehr Cleveres zustande gebracht. Zuerst dachte man, er hätte einen konventionellen Science-Fiction-Film im Sinn, einen großen Ausstattungsfilm mit futuristischen Autos usw. Aber er hat genau das Gegenteil davon geschaffen: einen Film mit möglichst wenig Technologie, einen Low-Tech-Film sozusagen, der alle Ängste und Sorgen anspricht, die wir heute haben. Er macht das, indem er die Folgen der heutigen Probleme in der Zukunft illustriert. Das ist ein wesentlich intelligenterer Ansatz, als die Ängste von heute in einem Gegenwartsfilm zu thematisieren. Es ist bemerkenswert, wie oft Sie zwischen den Genres wechseln. Sie jonglieren mit Beziehungsdramen, Science-Fiction, Comicverfilmungen und sogar Klamauk wie in "Der Rosarote Panther". Das war völlig spontan: Steve Martin schickte mir das Drehbuch, ich las es, habe gelacht und zugesagt. Ab nach Paris für einen Tag. Klar mach' ich so was! Nach Karriere-Strategie klingt das nicht. Machen Sie immer das, worauf Sie Lust haben? Ja, das ist das, was ich immer wollte. Es gefällt mir, mich nicht festzulegen. Meine Ausbildung hat am Theater stattgefunden, wo man ständig andere Charaktere spielt, das möchte ich beibehalten. Ich habe die Karriere einiger Schauspieler verfolgt, die sich auf eine Kunstfigur festlegen. Das interessiert mich nicht. Ich möchte offen bleiben und eher mit Fehlern leben als mit einer konstruierten, übermenschlichen Stärke. Mit 26 spielten Sie in der erfolgreichen TV-Serie "Chancer" mit. Sie waren berühmt, verdienten gut und gaben alles auf, um ans Theater zurückzugehen. Warum? Ich wollte nicht in dieser Serien-Massenware untergehen. Ich wollte mehr als das. Was denn? Damals, direkt nach "Chancer", wurde ich für einen Film angefragt, einen kleinen Film mit dem Titel "Close My Eyes", in dem es um eine inzestuöse Beziehung zwischen Bruder und Schwester ging. Und plötzlich war Clive Owen aus der Prime-Time-Serie ein Kerl, der sich in seine Schwester verliebt. Ich erinnere mich an eine Schlagzeile in der Boulevard-Presse, die lautete: "Owen in einer Inzest-Tragödie". Da habe ich gespürt, wie wichtig es für mich ist, nicht nur eine Sache zu verfolgen. Der Film wurde dann mit dem renommierten Bafta-Award ausgezeichnet. Sind Sie heute mit Ihrer Karriere zufrieden? Das bin ich. Wirklich. Ich habe zehn Jahre lang Theater und kleine Filme gemacht, einer der wichtigsten war "Croupier", er hat für mich Türen in Amerika geöffnet. Auch "Hautnah" war so ein Wendepunkt. Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeiten, die sich mir auftun. Mit Leuten wie Alfonso Cuarón zu arbeiten - besser kann es doch gar nicht werden. Wenn es so weiterläuft, dann bin ich ein Glückskind. Macht Sie dieser berufliche Erfolg auch als Privatmensch glücklich? Ja. Ich nehme meine Arbeit ziemlich ernst. Ich ziehe einen Film nicht einfach durch, sondern sehe darin eine Verpflichtung, die ich ernst nehme. Insofern bin ich für den Erfolg sehr dankbar, aber hüpfe nicht übermütig durch die Straßen. Man kann immer noch besser sein. Orson Welles hat mal gesagt, dass ein Schauspieler ein Zauberer und guter Lügner sein muss. Ich glaube eher, dass das Gegenteil der Fall ist: Es ist die Gelegenheit, manchmal die Wahrheit zu sagen. Wie oft gehen Sie selbst ins Kino? Ich sehe auf jeden Fall jeden Kinderfilm, der anläuft. Ich liebe es, mit meinen beiden Töchtern ins Kino zu gehen. Leider können sie meine Filme nicht sehen. Und sie sind jetzt in einem Alter, wo sie deswegen richtig sauer auf mich sind und fragen, wann ich einen Film mache, den sie sich auch ansehen können. Oder warum ich nicht mal einen Kinderfilm drehen kann, nur für sie. Sie sind einer der wenigen Hollywood-Stars, die von der Boulevardpresse nicht behelligt werden. Wie machen Sie das? Wagen Sie ja nicht, das zu ändern. Ich bin doch nur ein normaler, ganz gewöhnlicher, sterbenslangweiliger Familienvater. Interview: Mariam Schaghaghi ------------------------------ Charakter-Mime Clive Owen, geboren am 3. Oktobe 1964 im britischen Coventry, ist viel mehr Charaktermime als Mann des Glamours: In Mike Nichols' Ensembledrama "Hautnah" etwa spielte er den betrogenen Ehemann von Julia Roberts und wurde für diese Rolle für den Oscar nominiert. Zu den jüngeren Filmen, in denen er mitspielte, gehören "Die Bourne Identität", "King Arthur" und "Inside Man". ------------------------------ Foto: Als Typ gefragt: Clive Owen. |
Rattengift bringt Glück TAZ0000020061110e2bb00056 Kultur CLAUDIA LENSSEN 608 Words 11 November 2006 taz - die tageszeitung taz Berlin lokal 29 German (c) 2006 taz, die tageszeitung |
Die Distanzierungen der Ethnografie vermeiden: In ihrem Debüt „Madeinusa – Das Mädchen aus den Anden” erzählt die peruanische Filmemacherin Claudia Llosa ein Drama um Inzest und Sündhaftigkeit in der Osterzeit So wie man das Wort spricht, ist Madeinusa ein Mädchenname. Jedenfalls nimmt es die Tochter des Bürgermeisters (Magali Solier) im abgeschiedenen peruanischen Andendorf Macuayanama als Zeichen, dass ihr Name auf dem Hemd eines Fremden steht, der ausgerechnet während der „Heiligen Woche” vor Ostern in ihrem Ort hängen bleibt. Sie will nicht glauben, dass „Made in USA” für etwas Anderes steht. |
Salvador (Carlos Juan de la Torre), ein verwitterter Mineningenieur auf Durchreise, kommt wegen der Frühjahrshochwasser nicht weiter und wird vom Bürgermeister eher festgesetzt denn als Gast begrüßt. Das Dorf will keine „Gringos” als Zeugen des entfesselten Treibens in dieser karnevalesken Zeit. Zum Schluss der Woche soll ein Auto den Mann abholen – die Uhr bis zum Festende läuft, ein Alter auf dem Dorfplatz blättert nach dem Gang des Sonnenlichts jede Minute ein Pappschild mit den Ziffern um. Was Claudia Llosas Spielfilmdebüt auszeichnet, ist nicht nur die Unerbittlichkeit einer Emanzipationsgeschichte, sondern auch der genaue Blick, den sie für die Bedeutung von Dingen und Gesten hat und mit dem sie vom Zusammenstoß eines archaischen Dorfkosmos mit der Moderne erzählt. Salvador, der hungrige Fremde, zieht wie ein frustrierter Voyeur durch den Ort und gleicht sich den einheimischen Männern beim Trinken an. Er entjungfert Madeinusa, die ihren inzestuösen Vater zuvor mit dem Hinweis auf die Sünde in Schach gehalten hatte, sich als Jungfrau Maria jedoch dem Fremden anbietet, weil Gottes Tod die Sünde außer Kraft setze. Sex ist hier ein Regelsystem, dessen fließende Grenzen hin zur tödlichen Hybris schwer zu durchschauen sind. Die erste Begegnung zeigt das Mädchen im Kostüm der Jungfrau Maria, die den vom Kreuz in der Kirche abgehängten Jesus während des Passionsspiels beweinen muss. Die Kür für diese Rolle ist ein dörflicher Schönheitswettbewerb. Dass Madeinusa ihn gewonnen hat, trägt ihr den Hass ihrer Schwester Chale (Yiliana Chong) ein. Madeinusa – der Name muss eine Verheißung gewesen sein. Die Mutter der Mädchen hat ein Stück davon wahr gemacht, ist ausgebrochen und in die Hauptstadt Lima gegangen. Der Tochter sind nur ihre Ohrringe geblieben, kleine Fetische, die sie vor der Schwester versteckt und die der gekränkte Patriarch zerstören wird. Nach dem Ende des Festes hätte er sein vermeintliches Anrecht auf die Sexualität seiner Tochter durchgesetzt, jetzt ist ihm der Fremde zuvorgekommen. Wie in einer antiken Tragödie setzt die Konstellation die mörderische Dynamik frei, der Umgang mit den mythisch besetzten Dingen wirkt wie Zunder. Dass Madeinusa alles daransetzt, um der abwesenden Mutter nach Lima zu folgen, ist schon in der Eingangssequenz klar, wenn man das Mädchen bei der Arbeit ein Lied singen hört, das ihren Wunsch ausdrückt. Sie hantiert auf sachkundige Art mit Rattengift – wenn man es üppig austeilt, soll es Glück bringen. Zart und melancholisch gesungene Lieder, pure Poesie, stellen die Handlung des Films in vielen intensiven Momenten still, kündigen zugleich wie im erzählten Märchen den Gang der Fabel an. Die 1976 geborene peruanische Filmemacherin Claudia Llosa lässt die Kamera (Raoul Pérez Ureta) in Großaufnahmen nah an die Figuren heran, als wolle sie partout die Distanz ethnografischer Filme vermeiden. Der Film ist weit mehr als die Fluchtgeschichte seiner Heldin, er lebt auch vom Rhythmus der Arbeitsgänge und Handreichungen des Mädchens, von der Einbettung der absurden dörflichen Festrituale in die Handlung und nicht zuletzt vom Wechsel der intimen Szenen. Dann hebt sich die angedeutete Verschlossenheit des Mädchens vor den großen Panoramen der Andenlandschaft ab. CLAUDIA LENSSEN |
„Madeinusa –
Das Mädchen aus den Anden”. Regie: Claudia Llosa. Mit Magaly Solier,
Carlos de la Torre u. a. Peru/Spanien 2005, 103
Min. |
Bauchladen auf Kundensuche FRARUN0020061110e2bb0002q VON VOLKER MAZASSEK 779 Words 11 November 2006 Frankfurter Rundschau 19 German (c) Copyright Frankfurter Rundschau 2006 www.fr-aktuell.de |
Das "Zweite Internationale Filmfestival Frankfurt" bietet zwar ein Füllhorn an Filmen, leidet aber unter einem Mangel an Profil Samstagabend, 20 Uhr. Der Saal ist voll, das Licht geht aus. Es beginnt der Film Odgrobadogroba, eine slowenisch-kroatische Produktion über einen Beerdigungsredner und die dem Tod geweihte Gesellschaft um ihn herum. Es ist ein aufwühlender und trauriger Film, aber danach wird es lustig. In der Lounge spielt die slowenische Band "Putrauke", deren Spezialität es ist, Disco-Klassiker wie I will survive in das Humtata einer Blaskapelle zu verwandeln. Es wird Slibowitz gereicht. Der Regisseur von Odgrobadogroba, seine Begleiter und vor allem seine Begleiterinnen werden immer ausgelassener. Irgendwann wogt alles hin und her. Das Festival tanzt. So soll es sein. |
Ein schönes Bild, ein trügerisches Bild. Denn nur ein einziges Mal in elf Tagen schwang sich das Zweite Internationale Filmfestival Frankfurt, das am Sonntag zu Ende geht, zu einem solchen Höhenflug auf. Und das auch nur dank kräftiger Hilfe eines Stadtmagazins, das 200 Karten für die Vorstellung verlost hatte. Ansonsten muss man sagen: Die Frankfurter haben das mit großem Anspruch und Aufwand gestartete Festival links liegen gelassen. Es deutete sich schon am Eröffnungsabend an, dass die großen Erwartungen des Veranstalters sich wohl nicht erfüllen würden. Mit dem Eröffnungsfilm The Wind that Shakes the Barley von Ken Loach, dem Gewinner der Goldenen Palme in Cannes, hatte man deutlich gemacht, in welcher Liga man zu spielen gedenkt, und mit Liam Cunningham einen der Hauptdarsteller eingeflogen. Doch der größte Saal des Festivalkinos Metropolis war gerade mal zur Hälfte gefüllt. Nur zwei Dutzend Zuschauer Das Vorstandsmitglied des Hauptsponsors, einer großen Wirtschaftsprüfungsfirma, schaute da schon etwas betrübt. Und es wurde nicht besser. Selbst bei "Weltpremieren" in der Hauptschiene um 20 Uhr verloren sich manchmal nur zwei Dutzend Zuschauer in der Vorstellung, was peinlich werden konnte, wenn der Regisseur oder Schauspieler anwesend waren. Wer ein volles Haus wolle, hieß es am Rande des Festivals, müsse sein Publikum schon mitbringen. Dabei war das Programm ein wahres Füllhorn. 120 Filme haben die Kuratoren Sascha Linse und Jennifer Jones zusammengestellt, aktuelle Produktionen aus aller Welt, zwei Retrospektiven (Nelly Kaplan, Lech Kowalski), Lieblingsfilme von Dennis Hopper. Es gab viel zu entdecken. Filme wie der schlau konstruierte Odgrobadogroba kann man nur auf Festivals (wie schon im April beim Wiesbadener GoEast) sehen. Sie haben kaum eine Chance, ins Kino zu kommen. Dabei hätte es diese Produktion über eine von Gewalt zerrissene Gesellschaft nach dem Balkan-Krieg verdient. Auch andere internationale Produktionen waren anregend. Etwa Quelques jours en septembre von Santiago Amigorena, der mit Starbesetzung (Juliette Binoche, John Turturro, Nick Nolte) den 11. September 2001 einer psychoanalytischen Deutung unterzieht. Darin wird der Terroranschlag als inneramerikanischer Konflikt vorgestellt - samt Vatermord und Inzest ("Sex is good, but incest is best"). Weniger kontrovers, aber mit ähnlich erfrischendem Ansatz präsentierte sich Brian Cooks Colour me Kubrick. Mit der Figur eines Trickbetrügers (John Malkovich) zeichnet Cook, lange Regieassistent Kubricks, ein mit Insiderwissen gespicktes Porträt des genialen Regisseurs. Eine gute Figur machte der deutsche Film, der bis auf Lauf der Dinge, ein verunglücktes Werk über Ibizas Party-Gesellschaft, ansprechende Qualität bot. Formal herausragend war Brinkmanns Zorn, weil es eher ungewöhnlich für einen Film ist, wenn das Ausgangsmaterial nicht Bilder, sondern Töne sind. Lebenswelt eines Pop-Poeten Harald Bergmann rekonstruierte anhand von Tonbandaufnahmen Rolf Dieter Brinkmanns die Lebenswelt des legendären Pop-Poeten - mit dem Originalton und Schauspielern, die die Lippen dazu bewegen. Eine schöne Charakterstudie (mit einigen Mängeln der Konstruktion) gelang Birgit Möller mit Valerie, der den Absturz eines Models in die Obdachlosigkeit verfolgt. Stark vertreten waren auch amerikanische Independents und das asiatische Kino. Aber vielleicht ist diese Vielfalt - es wurden Produktionen aus 30 Ländern gezeigt - ein Problem des Frankfurter Festivals. Etablierte Festivals positionieren sich im zunehmend unübersichtlicher werdenden Markt über ihre Programmierung, das heißt, sie spezialisieren sich inhaltlich oder über ein Image. Mit einem Bauchladen, der alles bietet, gewinnt man kaum Profil. Das zweite Problem besteht darin, dass das Festival nicht allein auf weiter Flur ist. Parallel läuft das Türkische Filmfestival. Nächste Woche beginnt das Verzaubert-Festival des Gay-Kinos, ebenso das Exground Filmfest in Wiesbaden. Auch das Fantasy-Filmfest kommt regelmäßig nach Frankfurt und findet sein Publikum. Und die thematischen Reihen im Deutschen Filmmuseum sollte man ebenfalls nicht vergessen - auch wenn Schirmherr Wim Wenders in einem Interview von Frankfurt als "Kino-Diaspora" redete. Zwar hat der Sponsor angekündigt, auch "ein drittes und viertes Festival zu unterstützen". Doch die Veranstalter um den umtriebigen Festivalleiter Sascha Linse müssen sich etwas einfallen lassen, um Aufmerksamkeit zu wecken. Es reicht nicht, das Schild "Heiße Würstchen" vor die Tür zu hängen, wenn es in der Nachbarschaft nur so wimmelt vor Imbissbuden. |
Uraufführung des Tanzprojekts "In mir drin - en moi"; Entsetzte Voyeure eines angekündigten Inzests; Julie Laporte und Choreografin Anna Konjetzky inszenieren im Gautinger Bosco eine beklemmend intime Peep-Show SDDZ000020061113e2b90010u Landkreis 544 Words 09 November 2006 Süddeutsche Zeitung R2 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Gauting - Es war eine verschworene Gemeinschaft, die sich am Dienstagabend imBosco zur Vorstellung von "In mir drin - en moi" einfand, demTanztheater mit Julie Laporte, choreografiert und inszeniert von Anna Konjetzky.Nur zwanzig Zuschauer waren zugelassen, und das allein gab dem Abend den Reizdes Besonderen. Den Eingang zum Saal versperrte eine Baustellenabsperrung, zudemwar die Tür geschlossen. Erst kurz nach acht traten die Regisseurin und derTechniker Tilman Agueras zu den Zuschauern hinaus, gaben ein paar Hinweise zumGebrauch der auf den Stühlen bereitliegenden Kopfhörer undführten dann die Schar der Zwanzig hinein. Der Saal war dunkel, auf derBühne stand ein Geviert aus zwanzig hölzernen Kabinen. Jeder Zuschauerwurde zu einer Kabine geführt, in der sich ein Haken für dieGarderobe, ein Stuhl und der Kopfhörer befanden. Gegenüber derTür ein Fenster, noch spiegelte dieses, vom Licht in der Kabine beleuchtet,das Gesicht des Zuschauers. |
Doch dann erlosch das Kabinenlicht, das Fenster gabden Blick frei auf einen Innenraum zwischen den Kabinen. Und die Situationentwickelte sich zur Peep-Show. Im Karrée des Innenraumes stand Julie Laporte, ganz in Schwarz gekleidet.Sie versuchte ein paar Schritte mit geschlossenen Augen, nestelte nervös amAusschnitt ihres schwarzen Hemdes - ein Tier, eingesperrt im Käfig.Zahm? Wild? Sie beginnt, diesen offensichtlich ihr nicht wirklichgehörenden Körper durch den eng abgesteckten Raum zu bewegen, ihn mitsich zu schleifen, ihn loszulassen. Dazu spricht sie, als spräche es ausihr, einen nahezu gleichförmigen Monolog, die Zuschauer in ihren Kabinenverfolgen den Sprachstrom über die Kopfhörer, im französischenOriginal oder in deutscher Übersetzung. Von "Rasierklingen in denMauern" ist die Rede, ein Bild, das Julie Laporte körperlich umsetzt,wenn sie vor den Wänden, vor dem Boden zurückzuckt. EtwasUngeheuerliches, das erkennt jeder Voyeur in seiner Kabine, ist geschehen.Langsam, wie beim Schälen einer Zwiebel, entblättert sich dieGeschichte, legt Julie Laporte sie frei, so wie sie ihre Haut freilegt, ohnesich dabei äußerlich zu entkleiden. Es ist ein Seelenstrip, und schonbald beginnen die in ihren Kabinen anonym hinter den Fenstern bleibendenZuschauer sich zu fürchten vor dem, was sich unaufhaltsam offenbart: eineinzestuöse Vater-Tochter-Beziehung, eine dadurch für die Tochterunmöglich gewordene eigene Sexualität und Individualität. Derschmale, sich durch den Raum windende Frauenkörper erzählt dieseGeschichte, erzählt vom Vater, der in diesem Körper war. Es ist derVater, der diesen Körper bewegt, weil er darin war, darin ist. "Ichbin tot, aber nicht tot", spricht die Stimme in diesem Körper, derselber ein Grab geworden ist. Der sich die Schuhe des Vaters aus einer Holzkisteim Raum nimmt, in der zuvor der Kopf des Körpers einen Schoß gesuchthat. Der in den Schuhen des Vaters eigene Schritte zu gehen vergeblich versucht.Und die Stimme in diesem toten, bewegten Körper spricht von der Markierung,die er zu tragen hat. "Es gibt nur eine Sache, die zählt, dieMarkierung. Und er hat mich markiert." "In mir drin - en moi" ist inspiriert von dem Roman"Inzest" der Autorin Christine Angot. Regisseurin Anna Konjetzky, vonder auch die Raumidee stammt, lässt die Akteurin Julie Laporte dabei bis andie Schmerzgrenze gehen, an die eigene und an die der Zuschauer. Dieaufgezwungene Voyeurs-Perspektive ist als Erfahrung sehr unmittelbar, aber nichtzwingend notwendig. Womöglich wäre das Ausgesetztsein der Tochter, derVerletzten, auf der großen leeren Bühne ebenso einsichtiggewesen.SABINE ZAPLIN |
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Homo-Ehe als Reizthema SDDZ000020061113e2b9000sm Politik 210 Words 09 November 2006 Süddeutsche Zeitung 7 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Washington/New York – Bei Volksabstimmungen parallel zur Kongresswahlhaben die amerikanischen Konservativen teilweise bittere Niederlagen erlitten.So wurde zum Beispiel in Arizona – und damit zum ersten Mal in einemBundesstaat – ein Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen abgelehnt.Allerdings sprach sich in gleich acht Bundesstaaten des Südens undMittleren Westens die Mehrheit der Wähler dafür aus, die„Homo-Ehe” sowie eingetragene Lebenspartnerschaften zu verbieten. ImBundesstaat Colorado deutete sich zudem ein Aus für die rechtlicheAnerkennung häuslicher Lebensgemeinschaften von gleichgeschlechtlichenPaaren an. |
Insgesamt standen in 37 Bundesstaaten 205 „ballot initiatives”, alsoEinzelabstimmungen, zur Wahl. Christlich-konservative Politiker hatten Themenwie die Stammzellforschung, die Homo-Ehe und die Abtreibung zur Abstimmungbeantragt, weil sie sich davon eine größere Mobilisierung ihrerWählerschaft versprochen hatten. Besondere Aufmerksamkeit erregte eineAbstimmung in South Dakota über eine verschärfte Regelung desSchwangerschaftsabbruchs. Obgleich das Parlament des Staates das bundesweitstrengste Anti-Abtreibungsgesetz bereits verabschiedet hatte, lehnte eineMehrheit der Wähler dieses ab. Das Gesetz hätte einen Abbruch selbstim Fall von Vergewaltigung oder Inzest verboten und nur zugelassen, wenn dadurchdas Leben der Frau gerettet worden wäre. Konservative Strategen hattengehofft, das Gesetz würde dazu führen, dass der Oberste Gerichtshofdas liberale Grundsatzurteil zur Abtreibung „Roe gegen Wade” aus demJahr 1973 revidieren müsste. In Missouri sprachen die Bürger sich knapp für eine Freigabe derethisch umstrittenen embryonalen Stammzellforschung aus. KNA/AP |
A40268570 |
Homo-Ehe als Reizthema; Amerikaner entscheiden bei vielen Referenden SDDZ000020061113e2b9000n0 Politik 362 Words 09 November 2006 Süddeutsche Zeitung 7 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Washington/New York – Bei Volksabstimmungen parallel zur Kongresswahl haben dieamerikanischen Konservativen teilweise bittere Niederlagen erlitten. So wurdezum Beispiel in Arizona ein Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen knappabgelehnt. Noch nie zuvor hatten US-Wähler gegen ein solches Verbotvotiert. Doch zeigten die Abstimmungsergebnisse auch, dass konservative Werte inden USA keineswegs passé sind: In acht Bundesstaaten des Südens undMittleren Westens sprach sich die Mehrheit der Wähler dafür aus, die„Homo-Ehe” sowie eingetragene Lebenspartnerschaften zu verbieten. ImBundesstaat Colorado deutet sich zudem ein Aus für die rechtlicheAnerkennung häuslicher Lebensgemeinschaften von gleichgeschlechtlichenPaaren an. |
Insgesamt standen in 37 Bundesstaaten 205 „ballot initiatives”, alsoEinzelabstimmungen, zur Wahl. Christlich-konservative Politiker hatten Themenwie die Stammzellforschung, die Homo-Ehe und die Abtreibung zur Abstimmungbeantragt, weil sie sich davon eine größere Mobilisierung ihrerWählerschaft versprochen hatten. Die Meinungsumfragen hatten in denvergangenen Monaten gezeigt, dass die konservativ Wählenden von ihrerPartei und der Regierung enttäuscht waren. Meinungsforscher hatten davorgewarnt, dass ein großer Prozentsatz von ihnen möglicherweise nichtzur Wahl gehen würde. Kaum eine Einzelabstimmung erregte aber so große Aufmerksamkeit wie dieFrage nach einer Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, die imnördlichen Bundesstaat South Dakota auf dem Wahlzettel stand. Obgleich dasParlament des Staates die Initiative, die landesweit das strengsteAnti-Abtreibungsgesetz darstellte, verabschiedet hatte, lehnte eine Mehrheit derWähler die neuen Regelungen ab. In South Dakota stimmten 56 Prozent der Wähler dagegen, Abtreibungen selbstbei sexuellem Missbrauch oder Inzest zu verbieten. Als einzige Ausnahmehätte das Gesetz einen Schwangerschaftsabbruch zugelassen, wenn dadurch dasLeben der Frau gerettet würde. Konservative Strategen hatten gehofft, dasGesetz würde dazu führen, dass der Oberste Gerichtshof der USA dasliberale Grundsatzurteil zur Abtreibung „Roe gegen Wade” aus dem Jahr1973 revidieren müsste. Ganz knapp sprachen sich die Bürger inMissouri für eine Freigabe der ethisch umstrittenen embryonalenStammzellforschung aus. 51 Prozent stimmten hier für die Initiative derdemokratischen Senats-Wahlsiegerin Claire McCaskill. Im südwestlichen Bundesstaat Arizona wurden vier Maßnahmenangenommen, die sich gegen die illegale Einwanderung wenden. Eine davon schreibtfest, dass Englisch die einzige offizielle Sprache des Staates an der Grenze zuMexiko sein soll – ein klares Signal an die spanischen Migranten. InMichigan schließlich stimmten die Wähler dafür, einAnti-Diskriminierungsgesetz abzuschaffen. Dieses sollte gewährleisten, dassbei der Besetzung von öffentlichen Ämtern die Rasse oder dasGeschlecht keine Rolle spielt. KNA/AP |
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Homo-Ehe als Reizthema; Amerikaner stimmten auch bei vielen Referenden ab SDDZ000020061113e2b9000mz Politik 375 Words 09 November 2006 Süddeutsche Zeitung 7 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Washington/New York – Bei Volksabstimmungen parallel zur Kongresswahl haben dieamerikanischen Konservativen teilweise bittere Niederlagen erlitten. So wurdezum Beispiel in Arizona ein Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen knappabgelehnt. Noch nie zuvor hatten US-Wähler gegen ein solches Verbotvotiert. Doch zeigten die Abstimmungsergebnisse auch, dass konservative Werte inden USA keineswegs passé sind: In acht Bundesstaaten des Südens undMittleren Westens sprach sich die Mehrheit der Wähler dafür aus, die„Homo-Ehe” sowie eingetragene Lebenspartnerschaften zu verbieten. ImBundesstaat Colorado deutet sich zudem ein Aus für die rechtlicheAnerkennung häuslicher Lebensgemeinschaften für gleichgeschlechtlichePaare an. |
Insgesamt standen in 37 Bundesstaaten 205 „ballot initiatives”, alsoEinzelabstimmungen, zur Wahl. Christlich-konservative Politiker hatten Themenwie die Stammzellforschung, die Homo-Ehe und die Abtreibung zur Abstimmungbeantragt, weil sie sich davon eine größere Mobilisierung ihrerWählerschaft versprochen hatten. Die Meinungsumfragen hatten in denvergangenen Monaten gezeigt, dass die konservativ Wählenden von ihrerPartei und der Regierung enttäuscht waren. Meinungsforscher hatten davorgewarnt, dass ein großer Prozentsatz von ihnen möglicherweise nichtzur Wahl gehen würde. Kaum eine Einzelabstimmung erregte aber so große Aufmerksamkeit wie dieFrage nach einer Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, die imnördlichen Bundesstaat South Dakota auf dem Wahlzettel stand. Obgleich dasParlament des Staates die Initiative, die US-weit das strengsteAnti-Abtreibungsgesetz darstellte, verabschiedet hatte, lehnte eine Mehrheit derWähler die neuen Regelungen ab. Im Bundesstaat South Dakota stimmten 56Prozent der Wähler gegen ein Abtreibungsverbot, dasSchwangerschaftsabbrüche fast komplett untersagt hätte. Selbst beisexuellem Missbrauch oder Inzest wäre die Abtreibung illegal geworden. Alseinzige Ausnahme hätte das vorgesehene Gesetz einen Schwangerschaftsabbruchzugelassen, wenn dadurch das Leben der Frau gerettet würde. KonservativeStrategen hatten gehofft, das Gesetz würde dazu führen, dass derOberste Gerichtshof der USA das liberale Grundsatzurteil zur Abtreibung„Roe gegen Wade” aus dem Jahr 1973 revidieren müsste. Ganz knapp sprachen sich die Bürger in Missouri für eine Freigabe derethisch umstrittenen embryonalen Stammzellforschung aus. 51 Prozent stimmtenhier für die Initiative der demokratischen Senats-Wahlsiegerin ClaireMcCaskill. Im südwestlichen Bundesstaat Arizona wurden zudem vier Maßnahmenangenommen, die sich gegen die illegale Einwanderung wenden. Eine davon schreibtfest, dass Englisch die einzige offizielle Sprache des Staates an der Grenze zuMexiko sein soll – ein klares Signal an die spanischen Migranten. InMichigan schließlich stimmten die Wähler für eine Abschaffungeines Anti-Diskriminierungsgesetzes, das bei der Besetzung öffentlicherÄmter eine Gleichbehandlung von Rasse und Geschlecht eingefordert hatte. KNA/AP |
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Homo-Ehe als Reizthema; Amerikaner stimmten auch bei vielen Referenden ab SDDZ000020061113e2b9000h4 Politik 413 Words 09 November 2006 Süddeutsche Zeitung 7 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Washington/New York – Bei Volksabstimmungen parallel zur Kongresswahl haben die amerikanischen Konservativen teilweise bittere Niederlagen erlitten. So wurde zum Beispiel in Arizona ein Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen knapp abgelehnt. Noch nie zuvor hatten US-Wähler gegen ein solches Verbot votiert. Doch zeigten die Abstimmungsergebnisse auch, dass konservative Werte in den USA keineswegs passé sind: In acht Bundesstaaten des Südens und Mittleren Westens sprach sich die Mehrheit der Wähler dafür aus, die „Homo-Ehe” sowie eingetragene Lebenspartnerschaften zu verbieten. Im Bundesstaat Colorado deutet sich zudem ein Aus für die rechtliche Anerkennung häuslicher Lebensgemeinschaften für gleichgeschlechtliche Paare an. |
Insgesamt standen in 37 Bundesstaaten 205 „ballot initiatives”, also Einzelabstimmungen, zur Wahl. Christlich-konservative Politiker hatten Themen wie die Stammzellforschung, die Homo-Ehe und die Abtreibung zur Abstimmung beantragt, weil sie sich davon eine größere Mobilisierung ihrer Wählerschaft versprochen hatten. Die Meinungsumfragen hatten in den vergangenen Monaten gezeigt, dass die konservativ Wählenden von ihrer Partei und der Regierung enttäuscht waren. Meinungsforscher hatten davor gewarnt, dass ein großer Prozentsatz von ihnen möglicherweise nicht zur Wahl gehen würde. Kaum eine Einzelabstimmung erregte aber so große Aufmerksamkeit wie die Frage nach einer Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, die im nördlichen Bundesstaat South Dakota auf dem Wahlzettel stand. Obgleich das Parlament des Staates die Initiative, die US-weit das strengste Anti-Abtreibungsgesetz darstellte, verabschiedet hatte, lehnte eine Mehrheit der Wähler die neuen Regelungen ab. Im Bundesstaat South Dakota stimmten 56 Prozent der Wähler gegen ein Abtreibungsverbot, das Schwangerschaftsabbrüche fast komplett untersagt hätte. Selbst bei sexuellem Missbrauch oder Inzest wäre die Abtreibung illegal geworden. Als einzige Ausnahme hätte das vorgesehene Gesetz einen Schwangerschaftsabbruch zugelassen, wenn dadurch das Leben der Frau gerettet würde. Konservative Strategen hatten gehofft, das Gesetz würde dazu führen, dass der Oberste Gerichtshof der USA das liberale Grundsatzurteil zur Abtreibung „Roe gegen Wade” aus dem Jahr 1973 revidieren müsste. Ganz knapp sprachen sich die Bürger in Missouri für eine Freigabe der ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellforschung aus. 51 Prozent stimmten hier für die Initiative der demokratischen Senats-Wahlsiegerin Claire McCaskill. Im südwestlichen Bundesstaat Arizona wurden zudem vier Maßnahmen angenommen, die sich gegen die illegale Einwanderung wenden. Eine davon schreibt fest, dass Englisch die einzige offizielle Sprache des Staates an der Grenze zu Mexiko sein soll – ein klares Signal an die spanischen Migranten. In Michigan schließlich stimmten die Wähler für eine Abschaffung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes, das bei der Besetzung öffentlicher Ämter eine Gleichbehandlung von Rasse und Geschlecht eingefordert hatte. KNA/AP |
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Homo-Ehe als Reizthema; Amerikaner entscheiden bei vielen Referenden SDDZ000020061110e2b9000c6 Politik 393 Words 09 November 2006 Süddeutsche Zeitung 7 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Washington/New York – Bei Volksabstimmungen parallel zur Kongresswahl haben die amerikanischen Konservativen teilweise bittere Niederlagen erlitten. So wurde zum Beispiel in Arizona ein Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen knapp abgelehnt. Noch nie zuvor hatten US-Wähler gegen ein solches Verbot votiert. Doch zeigten die Abstimmungsergebnisse auch, dass konservative Werte inden USA keineswegs passé sind: In acht Bundesstaaten des Südens und Mittleren Westens sprach sich die Mehrheit der Wähler dafür aus, die „Homo-Ehe” sowie eingetragene Lebenspartnerschaften zu verbieten. ImBundesstaat Colorado deutet sich zudem ein Aus für die rechtliche Anerkennung häuslicher Lebensgemeinschaften von gleichgeschlechtlichen Paaren an. |
Insgesamt standen in 37 Bundesstaaten 205 „ballot initiatives”, also Einzelabstimmungen, zur Wahl. Christlich-konservative Politiker hatten Themen wie die Stammzellforschung, die Homo-Ehe und die Abtreibung zur Abstimmung beantragt, weil sie sich davon eine größere Mobilisierung ihrer Wählerschaft versprochen hatten. Die Meinungsumfragen hatten in den vergangenen Monaten gezeigt, dass die konservativ Wählenden von ihrer Partei und der Regierung enttäuscht waren. Meinungsforscher hatten davor gewarnt, dass ein großer Prozentsatz von ihnen möglicherweise nicht zur Wahl gehen würde. Kaum eine Einzelabstimmung erregte aber so große Aufmerksamkeit wie dieFrage nach einer Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, die im nördlichen Bundesstaat South Dakota auf dem Wahlzettel stand. Obgleich das Parlament des Staates die Initiative, die landesweit das strengste Anti-Abtreibungsgesetz darstellte, verabschiedet hatte, lehnte eine Mehrheit derWähler die neuen Regelungen ab. In South Dakota stimmten 56 Prozent der Wähler dagegen, Abtreibungen selbst bei sexuellem Missbrauch oder Inzest zu verbieten. Als einzige Ausnahme hätte das Gesetz einen Schwangerschaftsabbruch zugelassen, wenn dadurch dasLeben der Frau gerettet würde. Konservative Strategen hatten gehofft, das Gesetz würde dazu führen, dass der Oberste Gerichtshof der USA das liberale Grundsatzurteil zur Abtreibung „Roe gegen Wade” aus dem Jahr 1973 revidieren müsste. Ganz knapp sprachen sich die Bürger in Missouri für eine Freigabe der ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellforschung aus. 51 Prozent stimmten hier für die Initiative der demokratischen Senats-Wahlsiegerin Claire McCaskill. Im südwestlichen Bundesstaat Arizona wurden vier Maßnahmen angenommen, die sich gegen die illegale Einwanderung wenden. Eine davon schreibtfest, dass Englisch die einzige offizielle Sprache des Staates an der Grenze zu Mexiko sein soll – ein klares Signal an die spanischen Migranten. In Michigan schließlich stimmten die Wähler dafür, ein Anti-Diskriminierungsgesetz abzuschaffen. Dieses sollte gewährleisten, dassbei der Besetzung von öffentlichen Ämtern die Rasse oder das Geschlecht keine Rolle spielt. KNA/AP |
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Homo-Ehe als Reizthema; Amerikaner stimmten auch bei vielen Referenden ab SDDZ000020061110e2b90000o Politik 407 Words 09 November 2006 Süddeutsche Zeitung 7 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Washington/New York – Bei Volksabstimmungen parallel zur Kongresswahl haben die amerikanischen Konservativen teilweise bittere Niederlagen erlitten. So wurde zum Beispiel in Arizona ein Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen knapp abgelehnt. Noch nie zuvor hatten US-Wähler gegen ein solches Verbot votiert. Doch zeigten die Abstimmungsergebnisse auch, dass konservative Werte inden USA keineswegs passé sind: In acht Bundesstaaten des Südens und Mittleren Westens sprach sich die Mehrheit der Wähler dafür aus, die „Homo-Ehe” sowie eingetragene Lebenspartnerschaften zu verbieten. ImBundesstaat Colorado deutet sich zudem ein Aus für die rechtliche Anerkennung häuslicher Lebensgemeinschaften für gleichgeschlechtliche Paare an. |
Insgesamt standen in 37 Bundesstaaten 205 „ballot initiatives”, also Einzelabstimmungen, zur Wahl. Christlich-konservative Politiker hatten Themen wie die Stammzellforschung, die Homo-Ehe und die Abtreibung zur Abstimmung beantragt, weil sie sich davon eine größere Mobilisierung ihrer Wählerschaft versprochen hatten. Die Meinungsumfragen hatten in den vergangenen Monaten gezeigt, dass die konservativ Wählenden von ihrer Partei und der Regierung enttäuscht waren. Meinungsforscher hatten davor gewarnt, dass ein großer Prozentsatz von ihnen möglicherweise nicht zur Wahl gehen würde. Kaum eine Einzelabstimmung erregte aber so große Aufmerksamkeit wie dieFrage nach einer Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, die im nördlichen Bundesstaat South Dakota auf dem Wahlzettel stand. Obgleich das Parlament des Staates die Initiative, die US-weit das strengste Anti-Abtreibungsgesetz darstellte, verabschiedet hatte, lehnte eine Mehrheit derWähler die neuen Regelungen ab. Im Bundesstaat South Dakota stimmten 56 Prozent der Wähler gegen ein Abtreibungsverbot, das Schwangerschaftsabbrüche fast komplett untersagt hätte. Selbst bei sexuellem Missbrauch oder Inzest wäre die Abtreibung illegal geworden. Als einzige Ausnahme hätte das vorgesehene Gesetz einen Schwangerschaftsabbruchzugelassen, wenn dadurch das Leben der Frau gerettet würde. Konservative Strategen hatten gehofft, das Gesetz würde dazu führen, dass der Oberste Gerichtshof der USA das liberale Grundsatzurteil zur Abtreibung „Roe gegen Wade” aus dem Jahr 1973 revidieren müsste. Ganz knapp sprachen sich die Bürger in Missouri für eine Freigabe der ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellforschung aus. 51 Prozent stimmten hier für die Initiative der demokratischen Senats-Wahlsiegerin Claire McCaskill. Im südwestlichen Bundesstaat Arizona wurden zudem vier Maßnahmen angenommen, die sich gegen die illegale Einwanderung wenden. Eine davon schreibtfest, dass Englisch die einzige offizielle Sprache des Staates an der Grenze zu Mexiko sein soll – ein klares Signal an die spanischen Migranten. In Michigan schließlich stimmten die Wähler für eine Abschaffung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes, das bei der Besetzung öffentlicher Ämter eine Gleichbehandlung von Rasse und Geschlecht eingefordert hatte. KNA/AP |
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Absagen an strenges Abtreibungsverbot und Homo-Ehe AFPDE00020061109e2b9001yu WES 325 Words 09 November 2006 13:57 GMT Agence France Presse German Copyright Agence France-Presse, 2006 All reproduction and presentation rights reserved. |
New York, 9. November (AFP) - Zeitgleich zu den Kongress- und Gouverneurswahlen in den USA fanden in 37 der 50 Bundesstaaten Referenden zu gesellschaftlichen Streitthemen statt, die von Abtreibung über die Homo-Ehe bis hin zur Legalisierung von Marihuana reichen. Mehr als 200 Initiativen standen zur Abstimmung. AFP dokumentiert die wichtigsten Resultate: |
ABTREIBUNG: Im US-Bundesstaat South Dakota lehnten die Wähler mit einer Mehrheit von 55 Prozent ein Gesetzesvorhaben ab, mit dem ein fast umfassendes Abtreibungsverbot durchgesetzt werden sollte. Laut dem Gesetz sollten Schwangerschaftsabbrüche nur noch bei einer Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt sein, nicht aber bei Vergewaltigung, Inzest oder Missbildungen, durch die der Fötus nicht mehr lebensfähig wäre. Die Entscheidung bedeutet eine Schlappe für die Konservativen in dem Präriestaat, die mit dem Gesetz die liberale Abtreibungspraxis auf Bundesebene attackieren wollten. HOMO-EHE: Die Eheschließung zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern bleibt in den sieben Bundesstaaten Colorado, Idaho, South Carolina, Tennessee, South Dakota, Virginia und Wisconsin verboten. In Arizona dauerte die Stimmenauszählung noch an. Homosexuellen-Verbände rechneten damit, dass auch die Bürger Arizonas einen Gesetzesvorschlag ablehnen würden, mit dem das Verbot der Homo-Ehe in der Verfassung verankert werden sollte. Seit 2004 haben 13 US-Bundesstaaten die Ehe zwischen Schwulen und Lesben verboten, zuletzt der Bundesstaat Alabama. STAMMZELLFORSCHUNG: Die Bürger von Missouri stimmten für die Zulassung der Forschung an embryonalen Stammzellen. Missouri ist damit nach Kalifornien der zweite Bundesstaat, der die bei der religiösen Rechten umstrittene Forschung erlaubt. LEGALISIERUNG VON MARIHUANA: Die Referenden über die Legalisierung der Droge Marihuana scheiterten in den Bundesstaaten Colorado, Nevada und South Dakota. In Nevada votierten aber immerhin 44 Prozent der Wähler für die Freigabe. TODESSTRAFE: In Wisconsin sprachen sich nach Hochrechnungen von US-Medien rund 55 Prozent der Wähler für eine Wiedereinführung der Todesstrafe für Kapitalverbrechen aus. Der Gesetzesvorlage zufolge muss für ein Todesurteil die Schuld eines Angeklagten durch DNA-Tests belegt sein. Das Referendum hat allerdings keine rechtlich verbindliche Wirkung. wes/ju |
Zahlreiche Sachentscheide STGTAG0020061109e2b90003x Hintergrund 310 Words 09 November 2006 St. Galler Tagblatt 2 German Copyright (c) 2006 St Galler Tagblatt. Besuchen Sie die Website http://www.tagblattmedien.ch/ |
Die Bürger der USA haben am Dienstag nicht nur über den Kongress entschieden. In 37 der 50 Bundesstaaten wurden zusätzlich über 200 Gesetzesreferenden zur Abstimmung gebracht. In acht Staaten wurde über die Ehe unter Homosexuellen befunden; in sechs Staaten stimmten Wählerinnen und Wähler über Mindestlöhne ab. Mit diesen beiden Themen versuchten Republikaner und Demokraten je ihre Wählerbasis zu mobilisieren. Beide Parteien konnten Erfolge erzielen. Sieben weitere Staaten dagegen |
Sieben von acht Staaten votierten für ein Verbot der Homo-Ehen, darunter Virginia, Wisconsin und Colorado. Arizona lehnte ein solches Verbot ab – als erster US-Bundesstaat, in dem darüber abgestimmt wurde. Seit 2004 haben damit bereits 20 US-Bundesstaaten die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern verboten. Im Bundesstaat South Dakota lehnte die Wählerschaft ein nahezu umfassendes Verbot von Abtreibungen ab. 55 Prozent der Wählerinnen und Wähler votierten gegen ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, welches Abtreibung nur noch bei einer Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt hätte, nicht aber bei Vergewaltigung oder Inzest. In Kalifornien befürworteten die Bürgerinnen und Bürger drastische Strafen für Sexualverbrecher. Über 70 Prozent stimmten für einen Gesetzesplan, der deutlich längere Haftstrafen für Vergewaltiger und Kinderschänder vorsieht. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis sollen die Täter bis an ihr Lebensende ein GPS-Gerät tragen, sodass ihr Aufenthaltsort jederzeit bekannt ist. Zudem müssen sie von Schulen, Parkanlagen und Spielplätzen mindestens 700 Meter Abstand halten. Damit wären viele Städte als Wohnort für entlassene Sexualtäter tabu. Höhere Mindestlöhne In allen sechs Staaten, in denen eine Erhöhung der Mindestlöhne zur Abstimmungen vorgelegt wurde, stimmten Bürgerinnen und Bürger zu. In Arizona, einem Staat mit vielen mexikanischen Einwanderern, wurde Englisch zur offiziellen Staatssprache erklärt. Michigan beschränkte die Minderheitenförderung an den Staatsuniversitäten. Es gab aber auch kuriose Vorstösse: Im Bundesstaat Colorado beispielsweise scheiterte ein Vorstoss, der jedem Erwachsenen den Besitz und Konsum von etwa 30 Gramm Marihuana erlaubt hätte. (sda) |
0000182548 |
Lebenslange Fußfessel für Triebtäter BERMP00020061109e2b900015 POLITIK Torsten Krauel 201 Words 09 November 2006 Berliner Morgenpost BM-HP1 4 307 German Copyright 2006 Axel Springer AG . Zusatzhinweis: "Dieser Artikel darf ohne die vorherige Zustimmung des Verlages nicht weiter-verbreitet werden. Dies ist eine Einschränkung der Rechte, die Ihnen generell hinsichtlich der Factiva-Dienste eingeräumt wurden." Notice: "This article may not be redistributed without the prior consent of the Publisher. This is a restriction on the rights granted under the terms of your subscription for Factiva Services." |
Washington - Auch bei Volksabstimmungen in 37 Staaten haben die Konservativen bittere Niederlagen erlitten. In South Dakota lehnten die Bürger die Verschärfung des Abtreibungsrechts ab. Viele Abgeordnete hatten darauf gesetzt, damit einen rechtlichen Prozess in Gang zu bringen, der zur Aufhebung der 1973 vom Obersten Gericht zugelassenen Abtreibung führt. Das Gesetz sah vor, Abtreibungen auch bei Vergewaltigung und Inzest zu verbieten. Colorado, Idaho, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Virginia und Wisconsin stimmten für ein Verbot von Homo-Ehen. Arizona lehnte ein solches Verbot ab - als erster US-Staat, in dem darüber abgestimmt wurde. In Ohio und Arizona setzten sich Antiraucheraktivisten in Abstimmungen gegen den Tabakkonzern R.J. Reynolds durch. Das Unternehmen hatte Maßnahmen unterstützt, die auf eine Ausnahme von strikten Rauchverboten in Gaststätten zielten. |
Die Wähler in Kalifornien stimmten für "Jessica's Law", das nach einem in Florida ermordeten Mädchen benannt wurde, und sprachen sich damit für eine Strafverschärfung für Sexualverbrecher aus. Der von Gouverneur Schwarzenegger unterstützte Gesetzesplan sieht deutlich längere Haftstrafen für Vergewaltiger und Kinderschänder vor. Nach ihrer Entlassung aus der Haft sollen die Täter bis an ihr Lebensende eine elektronische Fußfessel (GPS-Gerät) tragen, damit ihr Aufenthaltsort jederzeit bestimmt werden kann. krl |
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Referenden über Triebtäter, Homo-Ehe und Tabaksteuer DWELT00020061109e2b90000e INNENPOLITIK AP dpa rtr 377 Words 09 November 2006 Die Welt DWBE-HP 2 262 German Copyright 2006 Axel Springer AG . Zusatzhinweis: "Dieser Artikel darf ohne die vorherige Zustimmung des Verlages nicht weiter-verbreitet werden. Dies ist eine Einschränkung der Rechte, die Ihnen generell hinsichtlich der Factiva-Dienste eingeräumt wurden." Notice: "This article may not be redistributed without the prior consent of the Publisher. This is a restriction on the rights granted under the terms of your subscription for Factiva Services." |
Auch bei Volksabstimmungen parallel zur Kongresswahl haben die amerikanischen Konservativen bittere Niederlagen erlitten. Insgesamt konnten die Wähler in 37 Staaten über 205 Vorlagen entscheiden. Das sind Vorlagen, die zu einem Staatsgesetz werden oder bestehende Regeln verändern sollen. Sie werden oft auch aus wahltaktischen Gründen zeitgleich mit allgemeinen Wahlen angesetzt. |
Besonders empfindlich war die Schlappe für die Konservativen beim Abtreibungsrecht in South Dakota. Viele Abgeordnete hatten darauf gesetzt, damit einen rechtlichen Prozess in Gang zu bringen, der zur Aufhebung der 1973 vom Obersten Gericht zugelassenen Abtreibung führt. Doch die Bürger von South Dakota lehnten die Verschärfung des Abtreibungsrechts ab. Das Gesetz sah vor, Abtreibungen auch bei Vergewaltigung und Inzest zu verbieten. Ärzten sollte der Eingriff nur erlaubt werden, wenn das Leben der Mutter ernsthaft in Gefahr ist. Die Republikaner hofften mit "Ballot Boxes" über das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen auf eine Mobilisierung ihrer konservativen Wählerschaft. Tatsächlich stimmten sieben von acht Staaten für ein Verbot von Homo-Ehen: Colorado, Idaho, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Virginia und Wisconsin. Bisher wurden Verbotsvorlagen in 20 der 50 US-Staaten angenommen. Allerdings fielen die acht Entscheidungen knapper aus als sonst. Arizona lehnte ein Verbot der Homo-Ehe sogar ab - als erster US-Staat, in dem darüber abgestimmt wurde. Die Demokraten setzten bei der Wählermobilisierung durch Referenden in sechs Staaten auf die Erhöhung des Mindestlohns. In allen Staaten - Arizona, Colorado, Missouri, Montana, Ohio und Nevada - stimmten die Wähler zu. In Ohio und Arizona setzten sich Antiraucheraktivisten in Abstimmungen gegen den Tabakkonzern R.J. Reynolds durch. Das Unternehmen hatte Maßnahmen unterstützt, die auf eine Ausnahme von strikten Rauchverboten in Gaststätten zielten. Die Wähler beließen es beim umfassenden Rauchverbot. In Missouri stimmten die Wähler knapp einer Initiative für Stammzellenforschung zu. Die Wähler in Kalifornien stimmten für das Referendum "Jessica's Law", das nach einem in Florida ermordeten Mädchen benannt wurde, und sprachen sich damit für eine Strafverschärfung für Sexualverbrecher aus. Der von Gouverneur Arnold Schwarzenegger unterstützte Gesetzesplan sieht deutlich längere Haftstrafen für Vergewaltiger und Kinderschänder vor. Nach ihrer Entlassung aus der Haft sollen die Täter bis an ihr Lebensende ein GPS-Gerät tragen, damit ihr Aufenthaltsort jederzeit bestimmt werden kann. Zudem müssen sie von Schulen, Parks und Spielplätzen mindestens 700 Meter Abstand halten. DW |
49500882 |
Acht Staaten votieren gegen die Homo-Ehe STUGTR0020061109e2b90000z Politik 259 Words 09 November 2006 Stuttgarter Zeitung 4 German (c) 2006, Stuttgarter Zeitung Ansprechpartner: 0049-711-7205-782 |
Ungeachtet der republikanischen Niederlage bei den Wahlen des US-Kongresses zeigt das Ergebnis zahlreicher Einzelreferenden, dass konservative Werte in den USA keineswegs passé sind. So mussten die Befürworter der "Homo-Ehe" eine deutliche Niederlage einstecken. In acht US-Bundesstaaten des Südens und Mittleren Westens votierten die Wähler mehrheitlich für ein Verbot der "Homo-Ehe" sowie eingetragener Lebenspartnerschaften. |
Insgesamt standen in 37 US-Bundesstaaten zusammen 205 Einzelabstimmungen an. Christlich-konservative Politiker hatten Themen wie die Stammzellforschung, Ehe und Abtreibung zur Abstimmung beantragt, weil sie sich davon eine größere Mobilisierung ihrer Wählerschaft versprochen hatten. Die meiste Aufmerksamkeit erregte dabei die Frage des Abtreibungsgesetzes in South Dakota. Das Parlament des nördlichen Bundesstaates hatte das US-weit strengste Anti-Abtreibungsgesetz verabschiedet. Nun stimmten die Wähler gegen die neuen Regelungen, wonach Abtreibungen auch nach einer Vergewaltigung, Inzest oder bei einer Gefährdung der Schwangeren unter Strafe gestanden hätten. Konservative Strategen hatten gehofft, dieses Gesetz könnte dazu führen, dass der Oberste Gerichtshof der USA das liberale Grundsatzurteil zur Abtreibung "Roe gegen Wade" von 1973 revidieren müsste. Ganz knapp sprachen sich die Bürger in Missouri für eine Freigabe der ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellforschung aus. Während Wissenschaftler damit große Erwartungen verbinden, lehnen Präsident Bush und die Kirchen die Freigabe ab, da für die Forschung Embryonen zerstört werden. Im südwestlichen US-Bundesstaat Arizona wurden von den Wählern zudem vier Maßnahmen angenommen, die sich gegen die illegale Einwanderung wenden. Eine davon bestimmt Englisch zur einzigen offiziellen Sprache des Staates an der Grenze zu Mexiko - ein klares Signal an die spanischsprachigen Migranten. KNA |
Wechsel DBUND00020061109e2b900009 Thema Karin Reber Ammann 1283 Words 09 November 2006 Der Bund 3 German (c) 2006 Der Bund Verlag AG |
letzten Amtsjahre Präsident Bushs prägen Rumsfeld tritt zurück |
Neuer Mann im Verteidigungsministerium soll der frühere CIA-Direktor Robert Gates werden Der überraschende Rücktritt von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ermöglicht dem Weissen Haus, in Irak einen Kurswechsel einzuleiten, ohne das Gesicht zu verlieren. Entscheidend werden laut Experten die Vorschläge der Baker-Kommission sein und weniger der Druck der Demokraten, die kein klares Konzept vorweisen können. «Nach diesen Wahlresultaten ist es klar, dass sich die Irak-Politik des Weissen Hauses ändern muss.» Dies sagten gestern nicht die siegreichen Demokraten, die ihren Wahlkampf schwergewichtig auf der Forderung nach einem Kurswechsel in Irak aufgebaut hatten, sondern die republikanische Senatorin Olympia Snowe. Die Irak-Politik müsse sich unbedingt verändern, und diese Botschaft hätte die Regierung Bush schon viel früher hören sollen, sagte sie. Dass das Weisse Haus den Ruf gehört hat und schnell reagieren kann, zeigte der überraschende Rücktritt von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Der Architekt des unbeliebten Irak-Kriegs, dem Präsident Bush noch letzte Woche seine uneingeschränkte Unterstützung zugesagt hatte. Rumsfeld reichte kurz vor einer Medienkonferenz des Präsidenten seinen Rücktritt ein. Der Präsident erklärte gestern Nachmittag, der ehemalige CIA-Direktors Robert Gates werde zum neuen Verteidigungsminister ernannt. Damit ergebe sich die Möglichkeit und die Chance, den schwierigen Konflikt mit frischen Augen anzusehen. Gates muss vom Senat bestätigt werden. Kein sofortiger Truppenabzug Beobachter gehen davon aus, dass die Erkenntnisse der überparteilichen Kommission unter Ex-Aussenminister James Baker einen starken Einfluss auf die künftige Irak-Politik haben werden. Das liegt einerseits daran, dass Baker ein enger Freund der Familie Bush ist und das Vertrauen des Präsidenten geniesst. Andererseits sind sich die Demokraten nicht einig, welches die beste Lösung für Irak sei. Sie beschränkten sich deshalb im Wahlkampf auf die einfache Formel «Kurswechsel». Sie überliessen es dem Vietnamveteran und alteingesessenen Kongressabgeordneten John Murtha, einen sofortigen Abzug aus Irak zu verlangen. Doch mit solch radikalen Forderungen stiess er weder bei den Republikanern noch bei der Mehrheit der Demokraten auf offene Ohren. Die demokratische Führung hat versprochen, sie werde die Finanzierung für den Krieg nicht kürzen, will aber verstärkt das Vorgehen des Weissen Hauses überwachen und Untersuchungsausschüsse zum Vorgehen der Regierung vor Kriegsbeginn einsetzen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Baker auf verstärkte diplomatische Bemühungen drängen wird, die alle Nachbarländer Iraks, auch Iran und Syrien, einschliessen werden. Baker, der im Nahen Osten seit langem einen guten Ruf geniesst, traf sich bereits mit einigen der regionalen Führer. Zudem dürfte er verlangen, dass die irakische Regierung verstärkt Farbe bekennt und notwendige Entscheide trifft – eine Forderung, hinter die sich beide Parteien stellen können. Fragen zur Truppenstärke in Irak Der heikelste Beschluss wird sein, ob die Zahl der US-Soldaten in Irak reduziert oder allenfalls kurzfristig sogar erhöht werden soll, um Bagdad zu sichern. Ein Grossteil der Bevölkerung drängt auf eine Rückkehr der Soldaten, und viele Experten gehen deshalb davon aus, dass die Truppenstärke im nächsten Jahr schrittweise auf etwa die Hälfte reduziert wird. Ein Argument für diese Truppenreduktion ist, dass die USA kaum darum herumkommen werden, über Jahre hinweg Soldaten in Irak zu stationieren, um einen gewissen Erfolg sicherzustellen. Karin Reber Ammanndie Korruption und die diversen Skandale im Kongress schwer wogen. Vier von zehn Befragten erklärten nach der Stimmabgabe, dies sei ein zentrales Thema für sie gewesen; sie wählten mehrheitlich demokratisch. Vier von zehn Befragten bezeichneten Irak als wichtigstes Thema und wählten ebenfalls mehrheitlich für die Opposition, die im Wahlkampf einen Kurswechsel in der Aussenpolitik versprochen hatte. Erstaunlicherweise wirkten sich die Wirtschaftslage und die wieder stark gesunkenen Benzinpreise nicht zugunsten der Republikaner aus. Diese hatten immer wieder versucht, die Wirtschaft und die tiefe Arbeitslosenrate zum Wahlkampfthema zu machen. Doch die stagnierenden Löhne und der Zusammenbruch der Häuserpreise hat die Bevölkerung eher pessimistisch gestimmt. Die Mehrheit geht davon aus, dass die Demokraten der Mittelklasse besser helfen könnten. Laute Botschaft an Bush Mit den Wahlen wurde die republikanische Revolution im Kongress, die vor zwölf Jahren begonnen hatte, abrupt beendet. Der Zusammenbruch der Einparteienherrschaft in Washington wird sich stark auf die letzten zwei Amtsjahre von Präsident Bush auswirken, der vor zwei Jahren selbstbewusst erklärt hatte, er habe ein solides politisches Mandat erhalten und werde es ausnützen. Die Bevölkerung will offensichtlich einen Kurswechsel sehen – in Irak, aber auch in der nationalen Politik, die sich in den vergangenen Jahren zunehmend polarisierte. Die Wahlen entpuppten sich auch als Lehre für die Republikaner, wie gefährlich es ist, sich völlig auf die konservative Rechte zu konzentrieren und die Mitte zu vernachlässigen – eine Lehre, die Auswirkungen auf die Präsidentenwahlen 2008 haben dürfte und allfälligen gemässigten Präsidentschaftskandidaten wie dem aufmüpfigen Senator John McCain oder New Yorks ehemaligem Stadtpräsidenten Rudy Giuliani zugute kommen könnte. Versöhnliche Töne Ob es den Demokraten gelingen wird, parteiübergreifend zu politisieren, wird sich zeigen. Nancy Pelosi betonte gestern einmal mehr, sie wolle mit dem Weissen Haus zusammenarbeiten, und auch Präsident Bush zeigte sich versöhnlich und lud die neue Präsidentin des Repräsentantenhauses zum Mittagessen ins Weisse Haus ein. Auch parteiintern könnte es gefährlich sein, zu stark eine linke Politik zu verfolgen. Denn in den Kongress werden viele gemässigte Demokraten einziehen, deren Ansichten oft denjenigen der Republikaner näher liegen als denen ihrer eigenen Parteiführung. Der demokratische Senatsfüher Harry Reid hob deshalb ebenfalls hervor: «Wir müssen aus der Mitte regieren.» Klarer Siegeszug Wieder Mehrheit demokratischer Gouverneure Auch die Gouverneurswahlen in den US-Bundesstaaten gehen an die Opposition: Demokratische Kandidaten gewannen in den sechs ehemals republikanisch regierten Staaten Arkansas, Colorado, Maryland, Massachusetts, New York und Ohio. Sie regieren nun in mindestens 28 von 50 Staaten und stellen erstmals seit zwölf Jahren die Mehrheit der Gouverneure. Im bevölkerungsreichsten US-Staat Kalifornien behauptete sich allerdings der Republikaner Arnold Schwarzenegger gegen den Trend und wurde als Gouverneur wiedergewählt. Der ehemalige Hollywoodstar gehört zu den Republikanern, die sich am deutlichsten von Präsident George W. Bush distanzierten. In dem für die Präsidentenwahlen ebenfalls wichtigen Florida siegte der Republikaner Charlie Crist mit 52 Prozent der Stimmen. Crist folgt in dem Amt auf Jeb Bush, den Bruder von Präsident George W. Bush. Zweiter schwarzer Gouverneur Deval Patrick wurde in Massachusetts erst als zweiter Schwarzer in der US-Geschichte zum Gouverneur gewählt. In seinem Staat und in Ohio hat seit 20 Jahren kein Demokrat mehr gewonnen. Mindestens neun Frauen wurden ins Gouverneursamt gewählt – damit wurde der Rekord eingestellt. Die Rennen um zwei Gouverneursposten waren gestern noch offen. In den Staaten Rhode Island und Minnesota führten die republikanischen Amtsinhaber mit jeweils nur wenigen tausend Stimmen Vorsprung auf ihre demokratischen Herausforderer. Insgesamt wurden 36 der 50 Gouverneure am Dienstag neu gewählt. (ap/sda) Wenig Zustimmung zu Homosexuellen-Ehe sachvorlagen Die Bürger der USA haben am Dienstag nicht nur über den Kongress entschieden. In 37 der 50 Bundesstaaten standen mehr als 200 Sachvorlagen zur Abstimmung. Die Homosexuellen-Ehe bleibt in weiteren sieben US-Bundesstaaten verboten. In Volksabstimmungen sprachen sich die Bürger von Colorado, Idaho, South Carolina, Tennessee, South Dakota, Virginia und Wisconsin gegen die Erlaubnis für Schwule und Lesben aus, den Bund fürs Leben zu schliessen. In Arizona wurde eine entsprechende Vorlage gutgeheissen. Seit 2004 haben bereits 13 US-Bundesstaaten die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern verboten. Im Bundesstaat South Dakota lehnten die Wähler ein nahezu vollständiges Verbot von Abtreibungen ab. Rund 55 Prozent der Wähler stimmten gegen ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, welches Abtreibung nur noch bei einer Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt, nicht aber bei Vergewaltigung oder Inzest. In Kalifornien befürworteten die Wähler drastische Strafen für Sexualverbrecher. Hochrechnungen zufolge stimmten über 70 Prozent für den Gesetzesplan, der deutlich längere Haftstrafen für Vergewaltiger und Kinderschänder vorsieht. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis sollen die Täter bis an ihr Lebensende ein GPS-Gerät tragen, so dass ihr Aufenthaltsort jederzeit bekannt ist. Zudem müssen sie von Schulen, Parkanlagen und Spielplätzen mindestens 700 Meter Abstand halten. Damit wären viele Städte als Wohnort für entlassene Sexualstraftäter tabu. (sda) |
Sieben Bundesstaaten gegen Homo-Ehe BUNDT00020061109e2b900024 Telex 160 Words 09 November 2006 Bündner Tagblatt German © 2006 Bündner Tagblatt - All rights reserved. For further information see www.suedostschweiz.ch |
Die Bürger der USA haben am Dienstag nicht nur über den Kongress entschieden. In 37 der 50 Bundesstaaten standen zusätzlich mehr als 200 Sachvorlagen zur Abstimmung. Zahlreiche Ergebnisse liegen bereits vor. Die Homo-Ehe bleibt in weiteren sieben US-Bundesstaaten verboten. In Volksabstimmungen sprachen sich die Bürger von Colorado, Idaho, South Carolina, Tennessee, South Dakota, Virginia und Wisconsin gegen die Erlaubnis für Schwule und Lesben, einen Bund fürs Leben zu schliessen. In Arizona, wo ebenfalls über den Gesetzesvorschlag abgestimmt wurde, liegt wegen des knappen Ausgangs des Votums noch kein Ergebnis vor. Seit 2004 haben 13 US-Bundesstaaten die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern verboten, zuletzt Alabama. |
Im Bundesstaat South Dakota lehnten die Wähler ein nahezu umfassendes Verbot von Abtreibungen ab. Nach Medienberichten votierten 55 Prozent der Wähler gegen ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, welches Abtreibung nur noch bei einer Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt, nicht aber bei Vergewaltigung oder Inzest. (sda) |
Der Standpunkt: Menschenseelen zerstört SLZNT00020061108e2b90003c gericht Andreas widmayer 165 Words 09 November 2006 Salzburger Nachrichten 11 German (c) 2006. SN. All rights reserved. |
Seelenzerstörer. Auch wenn diese Bezeichnung reißerisch klingt: Auf einen Sextäter, der in einem Zeitraum von mehr als dreißig Jahren drei seiner Töchter und fünf seiner Enkelinnen immer und immer wieder missbraucht hat, trifft sie zu. Der kranke Mann hat die Seelen (und auch Körper) von acht Menschen nachhaltig geschädigt. Obwohl es im Prozess nicht explizit zur Sprache kam: Man darf davon ausgehen, dass die Opfer nie vergessen können, was ihnen angetan wurde. So absurd es klingt: Der Mann war im Prozess auch noch vom (alten) Gesetz begünstigt. Die Taten geschahen vor 1998 und damit vor einer Gesetzesverschärfung bei Sexualdelikten. Das heißt zum einen, dass der Inzest mit den Töchtern bereits verjährt ist. Zum anderen musste das Gericht im Fall der Übergriffe auf die Enkelinnen noch von einem Strafrahmen bis zu maximal fünf Jahren Haft (jetzt zehn Jahre) ausgehen. Das macht die sehr milde anmutenden vier Jahre Gefängnis allerdings nur juristisch nachvollziehbar. |
snstamm |
SNZ41-758958309.11.2006 | 41-7589583 |
Homoehe ist durchgefallen TAZ0000020061108e2b90003b Themen des Tages 325 Words 09 November 2006 taz - die tageszeitung taz 3 German (c) 2006 taz, die tageszeitung |
Die Homoehe bleibt in weiteren sieben US-Bundesstaaten verboten. Die Bürger von Colorado, Idaho, South Carolina, Tennessee, South Dakota, Virginia und Wisconsin stimmten gegen die Erlaubnis für Schwule und Lesben, einen Bund fürs Leben zu schließen. Seit 2004 haben 13 US-Bundesstaaten die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern verboten, zuletzt der Bundesstaat Alabama. AFP *** |
Im US-Bundesstaat South Dakota lehnten die Wähler ein nahezu umfassendes Verbot von Abtreibungen ab. 55 Prozent votierten gegen ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, das Abtreibung nur noch bei Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt, nicht aber bei Vergewaltigung oder Inzest. AFP *** Die Wahlbeteiligung bei der Kongresswahl in den USA ist mit etwa 40 Prozent unverändert niedrig geblieben. Allerdings konnten die Demokraten erstmals seit 1992 ihre Wähler besser mobilisieren als die Republikaner, wie der Direktor des Zentrums für Wählerschaftsstudien an der American University, Curtis Gans, gestern mitteilte. AP *** Sexualverbrechern in Kalifornien drohen künftig drastische Strafen. Mehr als 70 Prozent der WählerInnen stimmten dafür, dass die Täter nach der Entlassung aus dem Gefängnis bis ans Lebensende ein GPS-Gerät zur Bestimmung des Aufenthaltsorts tragen müssen. Zudem müssen sie von Schulen, Parkanlagen und Spielplätzen mindestens 700 Meter Abstand halten. Damit wären viele kalifornische Städte als möglicher Wohnort für entlassene Sexualtäter tabu. DPA *** Die US-Hauptstadt Washington ist nicht im Kongress vertreten. Die Washingtoner haben kein Stimmrecht bei der Wahl des nationalen Parlaments. Das liegt an der juristischen Sonderstellung der Hauptstadt: Ihr Territorium gehört nicht zu einem der 50 Bundesstaaten, sondern untersteht als Bundesdistrikt direkt der Kontrolle des Kongresses. Die Verfassung sieht vor, dass nur Bundesstaaten Vertreter ins Parlament entsenden dürfen. AFP *** In Kalifornien ist eine Initiative zur Besteuerung der Ölförderung durchgefallen. Eine Mehrheit der Wähler lehnte die sogenannte Proposition 87 ab. Die Hollywood-Stars Julia Roberts und Brad Pitt sowie Expräsident Bill Clinton und sein früherer Vize Al Gore hatten zu den prominenten Befürwortern der Steuer gehört, mit der die Initiatoren die Entwicklung alternativer Energien finanzieren wollten. RTR |
Palästinas Frauen - rechtlos RHEPO00020061108e2b80004a Politik VON GIL YARON 431 Words 08 November 2006 Rheinische Post GES German © Copyright 2006. Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH. All rights reserved. For further information see http://www.rp-online.de |
telaviv Im vergangenen Jahr tötete eine Mutter in Ramallah ihre 16-jährige Tochter, weil sie von ihren Brüdern vergewaltigt worden war. Im Palästinenser-Parlament sind 13 Prozent der Abgeordneten weiblich, so viele wie in sonst keinem arabischen Land. Das sind die beiden Pole, zwischen denen sich der Bericht der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW) zur Lage der Frauen in den Palästinenser-Gebieten bewegt. |
Unter dem Strich ist die Bilanz düster: l Ein Mann kann sich von seiner Frau durch ein bloßes, gesprochenes Wort scheiden, eine Frau muss dahingegen zwei Zeugen aufbringen, die aussagen, dass der Mann ihr geschadet hat. l Nach der Pubertät geht das Sorgerecht für die Kinder automatisch auf den Mann über. l Vergewaltige Frauen werden zur „Bewahrung der Familienehre“ meist dazu gezwungen, die Täter zu heiraten, die dann laut Gesetz straffrei ausgehen. l Ein Ehemann, der seine Frau wegen Ehebruchs ermordet, geht meist straffrei aus. „Ehrenmörder“ und Vergewaltiger haben laut Artikel 16 des Strafgesetzbuches sowieso nur gegen „die öffentliche Moral“, nicht gegen das Opfer, verstoßen. l In Fällen von Inzest können nur männliche Verwandte Anzeige erstatten. Der 100 Seiten lange Bericht der Menschenrechtler ist eine lange Anklageschrift gegen die palästinensische Autonomiebehörde (PA) und die traditionelle arabische Gesellschaft, die „nicht genug unternehmen, um die Gewalt gegen Frauen zu verhindern“. Obwohl die Mädchen in der Schule zunehmend besser abschneiden als die Jungen, sind nur 14 Prozent der Frauen erwerbstätig, (Männer: 68 Prozent). Nur ein Prozent der Frauen besitzen ihr eigenes Auto. So gibt es für unverheiratete oder gar geschiedene Frauen nur wenige Optionen, ihr Überleben allein zu sichern. Oftmals werden sie wie Güter gehandelt. In ländlichen Gegenden wählen in 64 Prozent der Fälle die Eltern den Ehemann aus, in den Städten immerhin noch 44 Prozent. Einmal verheiratet, haben Frauen nur noch wenige Rechte. Etwa zwei Drittel aller verheirateten Frauen berichteten HRW von verbaler Gewalt seitens ihrer Ehemänner, 23 Prozent von physischer und zehn Prozent von sexueller Gewalt. In Gaza berichtete die Hälfte der Befragten, ihr Ehemann wende bei sexuellen Aktivitäten Gewalt an. Die überwiegende Mehrheit der Palästinenser glaubt, dass Außenstehende - auch die Polizei - sich nicht in gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Mann und Frau einmischen sollten. Wer sich beschwert bringe über seine Familie Schande. Eine Frau, die sich darüberhinwegsetzt, muss um ihr Leben fürchten. Nachdem die islamistische Hamas, die Frauen lieber in der traditionellen Rolle der gefügigen Hausmutter sieht, bei den Parlamentswahlen im Januar die Macht übernommen hat, ist nun noch fraglicher geworden, wann und ob es den Frauen Palästinas gelingt, ihre Benachteiligung zu überwinden. LEITARTIKEL SEITE A 2 |
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US-Demokraten fordern nach Wahlsieg einen Kurswechsel im Irak AFPDE00020061108e2b8001jq KL 531 Words 08 November 2006 15:11 GMT Agence France Presse German Copyright Agence France-Presse, 2006 All reproduction and presentation rights reserved. |
Washington, 8. November (AFP) - Nach zwölf Jahren haben die Demokraten in den USA erstmals wieder die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobert. Bei der US-Kongresswahl am Dienstag erlitten die Republikaner von Präsident George W. Bush herbe Verluste und verloren zahlreiche Sitze im Unterhaus an die Opposition. Führende Demokraten forderten nach dem Wahlsieg umgehend einen Kurswechsel in der Irak-Politik. Der republikanische Senator John McCain sprach nach der Wahlniederlage von einem "Weckruf" für seine Partei. Im Repräsentantenhaus errangen die Demokraten mehr als 20 Sitze auf Kosten der Republikaner; im Senat bahnte sich ein äußert knappes Rennen um die Mehrheit an. Bush wollte sich im Laufe des Mittwoch zu der Wahlniederlage äußern. |
"Die amerikanische Bevölkerung hat gesprochen, und sie hat einen Wechsel verlangt", sagte der demokratische Senator Harry Reid. "Sie will, sie verdient und sie bekommt einen neuen Kurs - zu Hause und im Irak." Die demokratische Fraktionschefin Nancy Pelosi, die als designierte Vorsitzende des Repräsentantenhauses wichtigste Gegenspielerin von US-Präsident George W. Bush wird, rief zur Änderung der Irak-Politik auf. "Wir können diesen katastrophalen Weg nicht fortsetzen. Deshalb sagen wir: 'Herr Präsident, wir brauchen eine neue Richtung im Irak.'" Pelosi appellierte dafür, "zusammenzuarbeiten, um eine Lösung für den Krieg zu finden". Reid forderte, Bush müsse jetzt zuhören. "Wir müssen den Kurs im Irak ändern." Bushs Sprecher Tony Snow erklärte, die Regierung stelle sich darauf ein, "mit den Demokraten bei den wichtigsten anstehenden Themen zusammenzuarbeiten". Bush selbst wollte sich um 13.00 Uhr Ortszeit (19.00 Uhr MEZ) zu der Wahlniederlage äußern. Die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus kann den Handlungsspielraum des Präsidenten deutlich einschränken und Versäumnisse der Regierung etwa in Untersuchungsausschüssen beleuchten lassen. Die Demokraten kündigten bereits an, den Irak-Einsatz untersuchen zu wollen. Der republikanische Senator McCain aus Arizona gab zu, dass die Unzufriedenheit der Wähler mit der Irak-Politik ein Grund für die Niederlage seiner Partei sei. Die Schlappe sei ein "Weckruf" für seine Partei, sagte er dem Fernsehsender CNN. Im Repräsentantenhaus konnten die Demokraten Hochrechnungen zufolge mit mindestens 227 der 435 Sitze rechnen. Dies wäre ein Zugewinn von 24 Sitzen auf Kosten der Republikaner. Die Kräfteverhältnisse im Senat, wo 33 von 100 Sitzen zur Wahl standen, waren noch unklar. Die Republikaner verloren zwar ihre Sitze in Pennsylvania, Rhode Island, Ohio und Missouri. Ob die Demokraten den für eine Mehrheit benötigten Zugewinn von sechs Sitzen schaffen würden, hing am Mittwoch zunächst noch von den Bundesstaaten Virginia und Montana ab. Bei den Gouverneurswahlen gelang es den Demokraten, sechs ehemals republikanische Bastionen zu erobern und die Mehrheit der Bundesstaaten für sich zu gewinnen. Die Demokraten regieren damit künftig in 28 Bundesstaaten und halten erstmals seit zwölf Jahren wieder die Mehrheit der Gouverneursposten. Der ehemalige Hollywood-Star Arnold Schwarzenegger besiegte entgegen dem Trend in Kalifornien überlegen seinen demokratischen Herausforderer Phil Angelides. Parallel zu den Wahlen fanden in mehreren Bundesstaaten Referenden statt. In South Dakota stimmten 55 Prozent der Wähler gegen ein Gesetz, welches Abtreibung nur noch bei einer Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt, nicht aber bei Vergewaltigung oder Inzest. Die Bürger von Colorado, Idaho, South Carolina, Tennessee, South Dakota, Virginia und Wisconsin votierten für die Aufrechterhaltung des Verbots der Homo-Ehe. kl/ju |
US-Bürger erteilen Bushs Republikanern bei Kongresswahlen Denkzettel AFPDE00020061108e2b8001hs WES 568 Words 08 November 2006 12:06 GMT Agence France Presse German Copyright Agence France-Presse, 2006 All reproduction and presentation rights reserved. |
Washington, 8. November (AFP) - Die Republikaner von US-Präsident George W. Bush haben bei den Kongresswahlen eine empfindliche Niederlage erlitten. Erstmals seit zwölf Jahren konnten die Demokraten bei den Wahlen am Dienstag die Mehrheit im Repräsentantenhaus erringen. Im Senat bahnte sich ein äußerst knappes Rennen an. Bei den Gouverneurswahlen gelang es den Demokraten, sechs ehemals republikanische Bastionen zu erobern und die Mehrheit der Bundesstaaten für sich zu gewinnen. Führende Demokraten forderten nach dem Erfolg ihrer Partei eine Wende in der Irak-Politik. |
Im Repräsentantenhaus konnten die Demokraten Hochrechnungen zufolge mit mindestens 227 der 435 Sitze rechnen. Dies wäre ein Zugewinn von 24 Sitzen auf Kosten der Republikaner. Die Kräfteverhältnisse im Senat, wo 33 von 100 Sitzen zur Wahl standen, waren noch unklar. Die Republikaner verloren zwar ihre Sitze in Pennsylvania, Rhode Island, Ohio und Missouri. Ob die Demokraten den für eine Mehrheit benötigten Zugewinn von sechs Sitzen schaffen würden, hing von den Bundesstaaten Virginia und Montana ab. In Virginia hatte der Demokrat Jim Webb nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen einen Vorsprung von rund 8000 Stimmen vor seinem Konkurrenten George Allen. In Montana führte der Demokrat Jon Tester etwa 2500 Stimmen vor dem Republikaner Conrad Burns. Die Auszählung der noch fehlenden zehn Prozent der Stimmen verzögerte sich wegen Problemen mit den Wahlmaschinen. Auch bei den Gouverneurswahlen in 36 der 50 Bundesstaaten siegten die Demokraten Hochrechnungen von TV-Sendern zufolge in den sechs ehemaligen republikanischen Bastionen Arkansas, Colorado, Maryland, Massachusetts, New York und Ohio. Die Demokraten regieren damit künftig in 28 Bundesstaaten und halten erstmals seit zwölf Jahren wieder die Mehrheit der Gouverneursposten. Der ehemalige Hollywood-Star Arnold Schwarzenegger besiegte entgegen dem Trend in Kalifornien überlegen seinen demokratischen Herausforderer Phil Angelides. Bush muss nun in den beiden letzten Jahren seiner zweiten Amtszeit mit starkem Gegenwind rechnen. Die demokratische Fraktionsführerin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, forderte einen Richtungswechsel in der Irak-Politik. Das Festhalten Bushs am bisherigen Kurs habe weder die USA noch die Region sicherer gemacht. "Wir können an diesem katastrophalen Weg nicht festhalten." Ihre Partei sei zur Zusammenarbeit bereit. Pelosi wird wahrscheinlich als erste Frau zur Chefin des Unterhauses gewählt werden. Der republikanische Senator John McCain aus Arizona räumte ein, die Unzufriedenheit der Wähler mit der Irak-Politik sei einer der Gründe für die Niederlage seiner Partei. Die Schlappe sei ein "Weckruf für seine Partei", sagte McCain im TV-Sender CNN. Umfragen zufolge drückten die Wähler mit ihrer Entscheidung auch ihre Unzufriedenheit mit der Amtsführung des Präsidenten aus. Auch mehrere Korruptions- und Sexskandale wirkten sich demnach auf das Ergebnis aus. Bushs Sprecher Tony Snow bekundete den Willen der Regierung zur Kooperation mit der künftigen Mehrheit. "Wir stellen uns darauf ein, mit den Demokraten bei den wichtigsten anstehenden Themen zusammenzuarbeiten." Bush selbst wollte sich um 13.00 Uhr Ortszeit (19.00 Uhr MEZ) äußern. Die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus kann den Handlungsspielraum des Präsidenten deutlich einschränken und zum Beispiel Versäumnisse der Regierung in Untersuchungsausschüssen beleuchten lassen. Die Demokraten kündigten bereits an, den Irak-Einsatz zu untersuchen. Parallel zu den Wahlen fanden in mehreren Bundesstaaten Volksabstimmungen statt. In South Dakota stimmten 55 Prozent der Wähler gegen ein Gesetz, welches Abtreibung nur noch bei einer Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt, nicht aber bei Vergewaltigung oder Inzest. Die Bürger von Colorado, Idaho, South Carolina, Tennessee, South Dakota, Virginia und Wisconsin votierten für die Aufrechterhaltung des Verbots der Homo-Ehe. wes/lon |
US-Bürger stimmen in sieben Bundesstaaten gegen Homo-Ehe AFPDE00020061108e2b8001hd SMO 182 Words 08 November 2006 11:07 GMT Agence France Presse German Copyright Agence France-Presse, 2006 All reproduction and presentation rights reserved. |
Washington, 8. November (AFP) - Die Homo-Ehe bleibt in weiteren sieben US-Bundesstaaten verboten. In einer Volksabstimmungen sprachen sich die Bürger von Colorado, Idaho, South Carolina, Tennessee, South Dakota, Virginia und Wisconsin am Wahltag am Dienstag gegen die Erlaubnis für Schwule und Lesben, einen Bund fürs Leben zu schließen. In Arizona, wo ebenfalls über den Gesetzesvorschlag abgestimmt wurde, lag wegen des knappen Ausgangs des Votums zunächst noch kein Ergebnis vor. Seit 2004 haben 13 US-Bundesstaaten die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern verboten, zuletzt der Bundesstaat Alabama. |
Im US-Bundesstaat South Dakota lehnten die Wähler dagegen ein nahezu umfassendes Verbot von Abtreibungen ab. Wie der TV-Sender MSNBC am frühen Mittwochmorgen berichtete, votierten 55 Prozent der Wähler gegen ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, welches Abtreibung nur noch bei einer Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt, nicht aber bei Vergewaltigung oder Inzest. Mit dem Gesetz hatten konservative Politiker in dem Präriestaat das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA aus dem Jahr 1973 attackieren wollen, mit dem Abtreibungen grundsätzlich für rechtmäßig befunden wurden. smo/mey |
Rückschlag für Abtreibungsgegner in US-Bundesstaat South Dakota FDG0000020061108e2b8000jj 166 Words 08 November 2006 10:29 GMT Reuters - Nachrichten auf Deutsch German (c) 2006 Reuters Limited |
Sioux Falls, 08. Nov (Reuters) - Die Wähler im US-Bundesstaat South Dakota haben ein verschärftes Verbot von Abtreibungen zu Fall gebracht. Nach Fernsehprognosen vom Dienstag lagen die Gegner des Gesetzes nach Auszählung von zwei Dritteln aller Stimmen mit 55 Prozent in Führung. Das Gesetz sah vor, Abtreibungen auch bei Vergewaltigung und Inzest zu verbieten. Ärzten sollte der Eingriff nur erlaubt werden, wenn das Leben der Mutter ernsthaft in Gefahr ist. In diesem Fall wäre der Arzt aber auch verpflichtet gewesen, den Fötus zu retten. Das Gesetz hätte schon im Juli in Kraft treten sollen. Nach Protesten zahlreicher Bürger wurde dann aber ein Referendum angesetzt. Sarah Stoesz, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzt, bezeichnete das Ergebnis der Abstimmung als eine "Rebellion gegen soziale, rechtsgerichtete Politik, die dieses Land beherrscht hat". Befürworter des Gesetzes wollten den Ausgang des Referendums zunächst nicht kommentieren. |
rtz/jma |
USA/WAHLEN/SPLITTER/ABTREIBUNG|LANGDE|GERT|GEA|SWI|OE|GEM|DNP |
Wähler in South Dakota stimmen gegen strenges Abtreibungsgesetz = AFPDE00020061108e2b80015u WES 141 Words 08 November 2006 07:46 GMT Agence France Presse German Copyright Agence France-Presse, 2006 All reproduction and presentation rights reserved. |
Washington, 8. November (AFP) - Die Wähler im US-Bundesstaat South Dakota haben in einem mit Spannung erwarteten Referendum gegen ein fast umfassendes Verbot von Abtreibungen votiert. Wie der TV-Sender MSNBC am frühen Mittwochmorgen berichtete, lehnten 55 Prozent der Wähler ein kürzlich verabschiedetes Gesetz ab, welches Abtreibung nur noch bei einer Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt, nicht aber bei Vergewaltigung oder Inzest. Mit dem Gesetz hatten konservative Politiker in dem Präriestaat das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA aus dem Jahr 1973 attackieren wollen, mit dem Abtreibungen grundsätzlich für rechtmäßig befunden wurden. |
Am Mittwoch wird sich der US-Supreme Court erneut mit dem Thema Abtreibung befassen. Abtreibungsgegner hoffen, dass das Gericht Einwände gegen ein Gesetz von 2003 zurückweist, mit dem Abtreibungen nach dem dritten Schwangerschaftsmonat verboten werden sollen. wes/smo |
Die Hand auf der Hosentasche der jungen Dame; Immer jünger, immer professioneller: Der 14. Open Mike, der Nachwuchswettbewerb der Literaturwerkstatt Berlin, hat drei Siegerinnen gekürt SDDZ000020061107e2b7000ko Literatur IJOMA MANGOLD 766 Words 07 November 2006 Süddeutsche Zeitung 14 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Das Wort „Fräuleinwunder” darf man ja nicht mehr in den Mund nehmen. In Zeitungsartikeln wird es zu Recht vom verantwortlichen Redakteur unter genervtem Augenverdrehen herausredigiert. Deshalb ist hier von etwas anderem die Rede: vom Mannequin-Wunder. Das könnte der neue Trend im Literaturbetrieb werden. Die zunehmende Professionalisierung der jungen Literaturdebütanten ist schon öfters festgestellt worden. Die Schreibschulen, die reichlich über-s Land gestreut sind, nehmen den Nachwuchs an die Hand und coachen ihn, handwerkliche Riesenpatzer werden immer seltener, um so früher haben die jungen Autoren heute einen Agenten zur Seite. Das Betriebsmäßige nimmt zu, und der verzweiflungsvolle Selbstausdruck außer Rand und Band damit ab. |
Beim diesjährigen Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin ging das professionelle Selbstmarketing noch einen Schritt weiter. Bei der Siegerehrung verwandelte sich die Bühne fast in einen Catwalk. Da wurde regelrecht auf Glamour gespielt – ausgerechnet in jener museumsreif-hässlichen Siebziger-Jahre-Ost-Lokalität am Prenzlauer Berg, die den sozial deklassierenden Namen „Wabe” führt. So effektbewusst und schrittsicher, so souverän im Umgang mit den Kameras hat man junge Autoren noch nie gesehen. Die Attitüde des Schüchtern-Verhuschten, das Nicht-Wissen-wohin-mit-dem-Körper des Geistesmenschen gehört der Vergangenheit an: Hier wurde, während man die Blumen entgegennahm, mit aufgerissenen Augen und nicht irritiertem Blick in die Kameras geschaut. „Ist die rechts die Zange?” keuchte ein Fotograf im Pulk seiner Kollegen, bevor er in die Knie ging, den Hintern rausstreckte und sein Objektiv auf jene junge Frau richtete, die in ihren hohen Stiefeln die rechte Hüfte den Kameras entgegenstreckte, die Hand auf die Hosentasche presste und ein absolut unverrückbares Dauerlächeln im Gesicht trug. Das Preisgeld von 4500 Euro haben sich diesmal drei Preisträgerinnen geteilt. Natürlich sollte man sie nicht alle in einen Topf werfen. Im Zusammenspiel hatten sie etwas von drei Grazien unter Rivalitätsdruck, aber der eigentliche Drall ins Mannequinhafte ging wohl von Julia Zange aus und entwickelte erst von ihr aus seine gruppendynamische Wirkung. Die Texte der drei Prämierten allerdings hätten nicht unterschiedlicher sein können. Luise Boege, die jüngste Teilnehmerin des Wettbewerbs (Jahrgang 1985) und fraglos die begabteste, kommt vom Leipziger Literaturinstitut. Mit dieser Adresse hat man in der Vergangenheit einen bestimmten Prosastil assoziiert, der keine Nebensätze kennt, eine melancholische Lakonie anstrebt, sich sehr atmosphärisch gibt und gerne in einem lebensweltlichen WG-Milieu spielt, wo sich alle mit Vornamen anreden (meistens: Maike, Paul und Lena) und endlos viel rauchen. Auch beim 14. Open Mike kamen von den 18 Teilnehmern wieder sechs aus Leipzig – aber Leipziger Schule im beschriebenen Sinne waren deren Texte allesamt nicht. Paradigmenwechsel an Deutschlands erfolgreichstem Literaturinstitut? Luise Boege hat einen Text geschrieben, bei dem man nicht umhinkommt, zu seiner Schnell-Charakterisierung den Namen Franz Kafkas fallen zu lassen. „Der Optophonet” heißt ihre Geschichte, und dieser Optophonet erinnert in manchem tatsächlich an Kafkas Odradek – beides Figuren, über deren genauen Seinsstatus zwischen Lebewesen aus Fleisch und Blut, Maschine, genetisch aus dem Ruder gelaufenem Haustier und metaphysischem Konstrukt man nur rätseln kann. Indem Luise Böge mit beeindruckender Sprachsouveränität und einer unheimlichen Komik von jenem Zwitterwesen erzählt, entsteht eine hintergründig-raffinierte Geschichte über Empathie, das Sterben und das Menschsein, die aber nie zum Parabelhaften erstarrt. Katharina Schwanbeck, Jahrgang 1979, kommt ebenfalls vom Leipziger Institut. „Jargo” ist eine Inzest-Geschichte zwischen zwei Geschwistern, während die Eltern im Urlaub sind. Der Plot ist überaus solide ausgeführt, auch die sprachliche Feinarbeit lässt nicht zu wünschen übrig, erotisch ist die Geschichte und spannend – aber originell oder auch lebendig aus unheimlich-eigener Kraft ist sie nicht. Da wurde mit viel technischem Können auf Sicherheit gespielt mit einem respektablem Ergebnis. Schließlich die Königin des Catwalk: Julia Zange. Ihr Text entfaltete beim Zuhören einen erheblichen Reiz. Das muss aber auch an dem delikaten Kontrast zwischen Stoff und Autorin gelegen haben, denn beim Nachlesen fällt die sprachliche Gespürlosigkeit ziemlich störend ins Auge. „Küsst euch auf die Münder, Kinder!” heißt die Erzählung, und sie ist eine veritable Kleinstadt-Apokalypse, bei der dem Bürger der Hut vom spitzen Kopf fliegt. Julia Zange erfüllt den Phänotyp blond-attraktive, abgeklärte Tochter aus besten Verhältnissen, aber voller Überdruss geradezu bilderbuchmäßig. Und so kam es vielleicht zu einem meta-ästhetischen Kurzschluss zwischen Text und Verfasserin: Die Abgebrühtheit, mit welcher Julia Zange die Gewalt dieser Welt zwischen Land Rover, Einkaufs-Mall und Pony-Reiten wie je nur ein wütender Demaskierer auf deutschen Theaterbühnen in ihrem Text ausbrechen ließ, bekam einen Hauch von intransingenter Rebellion. |
A40258761 Julia Zange, Katharina Schwanbeck und Luise Boege: Die drei Gewinnerinnen des diesjährigen Open Mike in Berlin.Foto: gezett |
Nicht viel los im Hier und Jetzt - Was schreibt die Jugend so? Über Hasenrammeln und Mädchenalbträume beim 14. Open Mike BERLRZ0020061107e2b700068 Feuilleton Sabine Vogel 758 Words 07 November 2006 Berliner Zeitung 27 German (c) 2006 Berliner Zeitung |
Gibt's denn gar keine kriminellen Energien mehr bei der Jugend? Niemand wollte Maxim Biller bestechen! |
Der Schriftsteller, einer von drei Juroren beim Literatur-Nachwuchswettbewerb Open Mike, ist ein wenig enttäuscht. Und gelangweilt auch. Während die 18 Autoren unter 35 am Samstag und Sonntag Nachmittag ihre Prosatexte oder Gedichte vortragen, nickt er schon mal ein, gähnt unverhohlen oder zupft sich demonstrativ beiläufig die Fusseln vom Pulli. Respekt ist bekanntlich nicht Billers Stärke, Bessermachen auch nicht, aber wo er Recht hat, hat er Recht: Brav, bieder, strebsam, risikofrei, farblos, ordentlich gemacht zumindest sind all die Texte, die es durch den Filter der sechs Verlagslektoren geschafft haben. Die Hälfte der Autoren studiert an den akademischen Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim. Sprachliche Experimentierlust wird dort offenbar nicht gefördert und auch bei den Themen herrscht beschauliche Mittelschichtsödnis vor. Keine Brüche, keine Konflikte, keine Migranten, kaum Ausland, keine DDR, kein Internet-Sex, kaum Vergangenheit, und - ganz nebenbei - auch keine Zukunft. Es sei denn als ordentlicher Mittelschichtsschriftsteller. Die hohe Dichte an Literaturagenten in der voll besetzten Wabe im Prenzlauer Berg zeigte, dass sich der Open Mike, so genannt nach dem amerikanischen Vorbild der "open mikrophones" mittlerweile als Talentschuppen für den deutschen Literaturnachwuchs etabliert hat. Kathrin Röggla, Karen Duve, Julia Franck, Terezia Mora, Zsuzsa Bank, Kirsten Fuchs, Rabea Edel oder - um auch ein paar Jungs zu nennen - Nico Bleutge und Tilmann Rammstedt haben hier Debütvorstellungen gegeben und den Preis für Jungautoren und bald darauf einen Vertrag für die erste Buchpublikation gewonnen. Es ist nicht so, dass nichts erzählt würde bei den Bewerbern um den 14. Open Mike. Da fliegt gleich ein ganzes Einkaufszentrum in die Luft in Julia Zanges bös unschuldig aus Kindermund berichteter Geschichte "Küsst Euch auf die Münder, Kinder!". Junge oder Mädchen, das ist die Frage bei der zerbrechlichen Transenfigur von Svea Lena Kutschkes erotisch unterkühlt bibbernder Erzählung "B.". In der etwas theatralisch stilisierten Pubertätsgeschichte "Jargo" von Katharina Schwanbeck geht es lilienweiß und kimonoblutrot um Inzest. Bei der Grazerin Andrea Stift findet ein Exekutor kurz vor der Pensionierung drei Leichen. In der kunstvoll kafkasken Fantasie der allerjüngsten Debütantin Luise Boege nistet sich ein "Optophonet" auf dem Sofa ein. Die Ethnologin in der Kurzgeschichte der Ethnologin Barbara Pevelings fährt von Lyon nach Marseille, um jüdische Festrituale zu studieren, wird dabei zur Beobachterin von Zuschauern eines Fußballspiels und trifft irgendwie auch noch einen echten Schwarzen mit teurem PKW. Und in Leif Randts lautmalerischer Fitnessstudiostudie rawummsen die Muskeln mit den Fruchtbonbons im Takt. Hingebungsvoll betrachtet ein Behindertenpfleger bei Martin Lechner die Hasen am Heckerdamm und lässt sie mit dem Display seiner Arbeitsfläche kopulieren. Und in der lustigen "Hasenfarm" von Robin Thiemeyer rammelt nach getaner Schlachterei die Farmersgattin höchstselbst im Bunnykostüm mit dem Erntehelfer. Es passiert also schon ganz schön was, aber das Erleben selbst scheint in den zeitlupengenauen Detailbeschreibungen wie vor einer roten Ampel stecken zu bleiben. Wassertröpfchen und Härchen zittern auf Kniekehlenkörpern, Kekskrümel zittern in Mundwinkeln. Senfgelb, butter- und tintenfarben sind die Himmel, Yuccapalmen vertrocknen auf Bürofenstersimsen, Spinnen und Fliegen putzen sich. "Das Alltagsrauschen wird dramatisiert", lobte der Lektor den spröde impressionistischen Text von York Freitag. Der 1972 geborene Musiker, Übersetzer, Dozent, Journalist, Pressesprecher, Eventorganisator usw. ist allerdings auch ein vergleichsweise alter Hase gegen die Mitkonkurrenten. Während sich in Freitags beiläufigen "Grüßen" ein entsprechend abgründiger Schreckenshohlraum eröffnet, wirken manche der gekonnt abgeklärten Detailbeobachtung wie die Aktzeichnungen und Atelierstillleben von begabten Kunstmalereistudenten. Die blankgefeilten Beschreibungen staubflusenfeinster Reglosigkeiten und kieswegknirschender Bedeutungslosigkeiten sind Studien über die Zukunftsleere. "Wach auf, steh auf, geh bummeln", heißt es in Andreas Stichmanns Hartz IV-Geschichte über drei "Alleinstehende Herren". Einer davon geht in einen Vogelladen, Macke oder Meise? "Und du nimmst erst mal nur den Käfig, das ist ja auch schon nichts." ------------------------------ Open Mike 2006 Die Jury aus den Schriftstellern Maxim Biller, Christoph Geiser und Barbara Köhler konnte sich nicht für einen Favoriten entscheiden und vergab drei gleichberechtigte Preise in Höhe von insgesamt 4 500 Euro. Die Lektoren Charlotte Brombach (Suhrkamp), Gunnar Cynybulk (Gustav Kiepenheuer), Stephanie von Harrach (Amman), Tom Kraushaar (Tropen), Daniela Seel (Kookbooks), Thomas Tebbe (Piper) wählten aus 672 Einsendungen 18 Autoren zur Teilnahme beim 14. Open Mike aus. Die Gewinnerinnen sind die 1985 in Würzburg geborene Luise Boege (Literaturinstitut Leipzig) für den Text "Der Optophonet", die 1983 in München geborene Julia Zange (UdK Berlin) für den Text "Küsst euch auf die Münder, Kinder!" und die 1979 in Rostock geborene Katharina Schwanbeck (Literaturinstitut Leipzig) für "Jargo". ------------------------------ Foto: Mädchenpower: Julia Zange, Katharina Schwanbeck und Luise Boege (v. l.). |
Hart am Draußen gedreht TAZ0000020061106e2b70003b Kultur INES KAPPERT 814 Words 07 November 2006 taz - die tageszeitung taz 16 German (c) 2006 taz, die tageszeitung |
Beim Berliner „Open Mike”, dem wichtigsten deutschsprachigen Literaturwettbewerb für den Nachwuchs, hat Julia Zange mit einem rasanten Text über gewalttätige Mütter gewonnen VON INES KAPPERT |
„Meine Ohren machen dicht, der Knall ist gewaltig, ich kann die Lautstärke nur noch über die Erschütterung ahnen. Kinder, Glas, Blumen, zerspringen. Draußen fallen die Kampfhunde von den Wellblechdächern in die Obstgärten.” Die Bombe explodiert in einem Einkaufszentrum, irgendwo in Deutschland. „Draußen sitzt Mama und diskutiert mit einer Dame über das Kräfteverhältnis der Weltmächte. Nicht der Iran ist das Problem, Madame. Ich sehe, dass Mama sich auf ihren Wildlederschuh gepinkelt hat.” Die Kurzgeschichte der diesjährigen Gewinnerin des Open-Mike-Literaturwettbewerbs stammt von Julia Zange, heißt „Küsst euch auf die Münder, Kinder!”, und sie ist toll! Mühelos pendelt die 1983 geborene Erzählerin zwischen kaltem Realismus und fantastischer Übertreibung. Dabei gilt ihr Interesse der Gewalt, vor allem der alltäglichen Barbarei zwischen Eltern und Kindern, die Letztere vor nichts zu schützen wissen. Vor Bombenlegern nicht und vor ihren beißwütigen Spielkameraden noch weniger. Die Worte, die Zange für das tagtäglich neu aufgelegte Inferno findet, sind knapp bemessen. Sie sind nüchtern und ihrer Gemeinheit ungeachtet fast beiläufig. Doch die Bilder, die sie formen, bleiben bei der Lesung in der Literaturwerkstatt in Berlin-Pankow im Gedächtnis hängen: „Die Großmutter sagt nur, Max, Finger aus dem Mund. Max steckt sie bei dem anderen, größeren Jungen rein. Max, hör auf. Sie rüttelt ihn und schlägt ihm gegen das Genick, ohne zu beachten, dass er sich in einem anderen Kind festgebissen hat.” Auch die zweite Gewinnerin – insgesamt werden bei dem wichtigsten deutschen Nachwuchsliteraturwettbewerb drei erste Preise vergeben – nimmt sich innerfamiliärer Beziehungen an. Die siebenundzwanzigjährige Katharina Schwanbeck erzählt von der Liebe, vom ersten Mal, das nicht wehtat, von der Vespa des Bruders und vom Bruder selbst, denn er ist der Liebhaber. Die Jury, die sich in diesem Jahr aus Maxim Biller, Barbara Köhler und Christoph Geiser zusammensetzt, zieht zu Recht den Vergleich zu „Zementgarten”, der berühmten Inzestgeschichte von Ian McEwan. Schwanbecks Geschichte, „Jargo” betitelt, ist sorgsam gebaut, der Ton stimmt, und vom heiklen Thema scheinbar unbeeindruckt ist sie wohltemperiert. Der Jury gefiel neben der Entspanntheit zudem die Erotik – „Dreh dich um, sagt er und fährt mit seinem einen Arm unter meinen Körper, umschlingt ihn, hält ihn fest, mit dem anderen Arm streichelt er meine Haut, er schiebt meine Beine ein wenig auseinander und dringt in mich ein.” Na ja. Viel gefälliger lässt sich Sex wohl nicht beschreiben, vorausgesetzt, man möchte nicht vulgär werden. Aber wie es sich gehört, formulierten die Juroren, allen voran Maxim Biller, nicht nur Lob, sondern übten auch Kritik an den aus rund 600 Einsendungen ausgesuchten Texten. So monierte Biller, dass kaum Konflikte verhandelt würden, dass Interesse an gesellschaftlichem Kämpfen nicht zu entdecken sei, dass man über den Modus der gesitteten Beschreibung so gut wie nie hinauskäme. Und das, wo Deutschland, wie Biller sagt, „brennt”. Das selbstgenügsame Verharren im wohlerzogenen Mittelschichtsuniversum und den vorauseilenden Gehorsam merkte auch die Lyrikerin Barbara Köhler kritisch an. Die für die Lyrik zuständige Verlegerin von Kookbooks, Daniela Seel, ihrerseits forderte vom Nachwuchs mehr Grundlagenarbeit am Material ein. Denn Fragen wie die, was Sprache ist und was Schriftstellerei bedeutet, sind beantwortet, noch bevor sie überhaupt gestellt wurden. Doch die hier mehrfach kritisierte Artigkeit des literarischen Nachwuchses ist natürlich kein Zufall, sondern resultiert vorrangig aus einem Fehler im System. Über ein Drittel der TeilnehmerInnen studieren in den Schreibakademien in Leipzig und Hildesheim, durchlaufen also die Kaderschmieden, deren genuine Aufgabe es ist, „junge Talente” betriebskompatibel zu machen. Und sie sollen nun normbrechende Texte schreiben? Da müsste die Wettbewerbsausschreibung schon andere Orte erreichen, wenn wildere Texte gewünscht werden. Und so richtig die Kritik der Juroren an der mehrheitlich unpolitischen bis naiven Haltung der Nachwüchsler ist, so erstaunt doch, dass die beiden einzigen Texte, die sich mit Hilfe von Humor herausdrehten aus der Welt des Einfamilienhauses, keine Berücksichtigung fanden. Der Geschichte von Andreas Stichmann „Alleinstehende Herren” etwa hätte ich eine Auszeichnung sehr gewünscht. Weil sie darauf verzichtet, sich bei großen literarischen Themen wie Inzest oder Tod die Dramatik zu leihen; und weil die Selbstironie der Erzählerfigur verhindert, dass diese sich so ungeheuer wichtig nimmt – und stattdessen en passant von der Sackgassenwelt der Billiglohnjobs berichtet. Auch Carsten Schneider zeichnet mit seiner grotesken Story vom Neid auf die Voltigierkünste der Nachbarin Fluchtlinien in die Ödnis wohltemperierter Familiengeschichten: „Im Sommergarten” hätte einen Preis verdient. Dass stattdessen Luise Boege mit „Der Optophonet” ausgezeichnet wurde, kann ich nur mit Kopfschütteln quittieren. „Insgesamt aber war es kein schlechtes Jahr.” So fasst Thomas Tebbe vom Piper Verlag das Wochenende zusammen. „Und in jedem Fall”, so sagt er später über einem Glas Wein, „ist der Open Mike spannender als der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt.” Umso wichtiger also, dass in diesem Jahr mit der Crespo-Stiftung ein neuer Sponsor gefunden wurde und der Fortbestand der Veranstaltung gesichert ist. Biller konnte in den Texten keine gesellschaftlichen Kämpfe entdecken |
Ziemlich viel Stallwärme FRARUN0020061106e2b70002o VON FLORIAN KESSLER 694 Words 07 November 2006 Frankfurter Rundschau 16 German (c) Copyright Frankfurter Rundschau 2006 www.fr-aktuell.de |
3 Damen gewinnen "Open Mike" Offiziell waren sie zu achtzehnt, in Wahrheit viel mehr: Das Kulturzentrum "Wabe" im Prenzlauer Berg quoll geradezu über vor angehenden Schriftstellern. Der Open-Mike-Literaturwettbewerb gilt längst als fester Termin des Literaturbetriebs. Rot markiert und freigehalten wird er aber nicht nur in den Kalendern der professionellen Betriebsangehörigen. Sondern auch auf den to-do-Listen einer Art von Vorschule zu ihnen. Die Masse des Publikums besteht nämlich Jahr für Jahr aus einer recht Berlinerischen Spezies von bislang unveröffentlichten Autoren und Freunden dieser bislang unveröffentlichten Autoren, die meist ebenfalls unveröffentlichte Autoren sind. |
Zum diesjährigen Wettbewerb waren die Finalisten von sechs Lektoren angesehener Verlage aus fast 700 Einsendungen nominiert worden. Mit einem fünfzehnminütigen Text durften sie sich einer Schriftsteller-Jury stellen, die nicht nur Geldpreise, sondern vor allem den Zugang zum "echten" Literaturbetrieb zu vergeben hatte. Nahezu jeder bisherige Preisträger des Wettbewerbs hat nämlich im Anschluss an den "Open Mike" einen Verlag gefunden. Diese Aussicht und das ungebrochene Interesse der Berliner Schreibschickeria erzeugte das gesamte Wochenende über eine konzentrierte, hingebungsvolle Wettbewerbsatmosphäre. Sie sorgte aber auch für eine gewisse Stallwärme. Maxim Biller, der in diesem Jahr gemeinsam mit Barbara Köhler und Christoph Geiser die sich schreibästhetisch stimmig ergänzende Jury stellte, fasste das in einem klugen und emphatischen Resümee der Jury zusammen: Man sei ja ganz schön unter sich gewesen an diesen beiden Tagen hier in Berlin. Literatur sei aber doch eigentlich für alle da. Biller bilanzierte bei allem Respekt vor den vorgetragenen Texten eine grassierende Weltlosigkeit der an die Tore des Literaturbetriebs klopfenden Szene. Kein einziger Autor habe auch nur versucht, vom "heutigen Deutschland" zu erzählen. Nicht nur die Jury vermisste die Bereitschaft zum thematisch zupackenden Griff. Das Spektrum der verhandelten Texte wurde allgemein als gelungen, aber geschmäcklerisch empfunden, kein Erzähler und kein Lyriker konnte sich als ernsthafter Favorit vom Feld der anderen absetzen. So konnte die Entscheidung der Jury kaum verwundern, das Preisgeld in Höhe von insgesamt 4500 Euro gleichmäßig aufzuteilen und gleich drei Erzählansätze mit gleichwertigen Preisen auszuzeichnen. Zugleich blieb der ein wenig schale Nachgeschmack einer doch arg gleichschaltenden Preispolitik zurück: Durch eine stärkere Gewichtung der Preise hätte die Jury deutlicher herausarbeiten können, dass die jungen Erzähler an den Rändern des Spektrums durchaus innovativ und mutig neue Inhalte zu bearbeiten versuchen und dass das thematische und formale Vakuum vor allem in der middle of the road der kunstvoll recycleten short story auf den Spuren des Neuen Erzählens liegt. Mit der Erzählung "Jargo" der Leipzigerin Katharina Schwanbeck wurde jedoch genau eine solche Konsensgeschichte ausgezeichnet. Abwechselnd angedeutete und absolvierte Erotik, systematische Verweise auf nouvelle vague-Filme und forciert naive Mädchenperspektive ergaben ein fast schon serientaugliches Inzest-Melodram; atmosphärisch, aber eben auch nicht viel mehr. Deutlich weiter zielten da die beiden anderen ausgezeichneten Autorinnen: Die wie Schwanbeck am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studierende Louise Boege führte die Zuhörer in einem surreal schimmernden Traum-Text in eine Auseinandersetzung mit lyrischen Prinzipien, die die Ich-Erzählerin in Gestalt eines mysteriösen Besuchers namens "Optophonet" agitierten. Die pointenlose Mitschrift der erst einundzwanzigjährigen Autorin legte beredt davon Zeugnis ab, wie wenig so genannte Wirklichkeit und "heutiges Deutschland" nötig sein muss, um dennoch tief und couragiert auf Sondage gehen zu können. Die in Berlin studierende Julia Zange gewann mit einer Textfläche, in der schon Worte wie Tiefe oder Courage wie Fremdkörper gewirkt hätten. Zanges bemerkenswerte Erzählung "Küsst euch auf die Münder, Kinder!" scheint auf den ersten Blick nur krudes Kleinmädchengestammel aus der Warenwelt zu versammeln: In einer "strukturschwachen Gegend" wird ein Einkaufszentrum eingeweiht, plötzlich, man weiß nicht, weshalb, explodiert etwas, ein Attentat vielleicht, das Einkaufszentrum wird evakuiert, vielleicht ist alles nur ein Gag innerhalb des Festprogramms der Eröffnung. Als würde Huysmans bei H&M einkaufen gehen, wird das alles ohne jede Auflösung kühl und poppig heruntergekiekst. Leider ohne Preis ging der dreiundzwanzigjährige Leif Randt aus dem Rennen, der in einer ähnlich kalt durchglobalisierten Bonbonwelt den Alltag eines Bodybuildingassistenten als rein synthetische Fitness-Ideologie nachprotokollierte. Vielleicht waren Randt und Zange mit ihren Konsum-Erzählungen ohne Fabel und ohne Konflikt schon einen Schritt weiter als die Mehrzahl der Zuhörer, vielleicht erzählten sie mehr über "das heutige Deutschland", als man sich gewünscht hätte. |
Die Faszination des Bösen; Prix Goncourt; Jonathan Littell war der Kronfavorit... DSTAN00020061106e2b70001s Kultur 1444 Words 07 November 2006 Der Standard 1_BL 25 German (c) 2006, Der Standard. http://www.derstandard.at/ |
Die Faszination des Bösen; Prix Goncourt; Jonathan Littell war der Kronfavorit für den Prix Goncourt, Frankreichs wichtigste literarische Auszeichnung, nachdem die Pariser Kritiker den 39-jährigen, in Paris aufgewachsenen Amerikaner seit Wochen mit Lorbeeren eingedeckt hatten. Sein Roman Les Bienveillantes (Die Wohlwollenden) ging im französischsprachigen Raum bereits 250.000-mal über den Ladentisch. Ursprünglich hatte der Verlag Gallimard für den schwer verdaulichen Wälzer eigentlich nur 12.000 Exemplare eingeplant. Der Berlin Verlag ersteigerte die Rechte für die deutsche, 2007 vorliegende Übersetzung nach einem fulminanten Bieterwettbewerb für 450.000 Euro. ; Für die englische Ausgabe - die der zweisprachige Littel derzeit selbst übersetzt - wurde der Roman für über eine Million Dollar verkauft. |
Kein Zweifel: Jonathan Littell, der Sohn des polnisch-jüdischen US-Emigranten und Thriller-autors Robert Littell, schafft das Ereignis des internationalen Buchherbstes.; In Les Bienveillantes - der Titel bezieht sich auf die rächenden Eumeniden der griechischen Mythologie - erzählt der fiktive SS-Offizier Max Aue seine Lebensstationen, seine Verbrechen und Gebrechen. Bei Juden-Pogromen in der Ukraine, bei der Schlacht um Stalingrad, aber auch in Berlin bei NS-Galaabenden oder im Führerbunker: Überall ist Aue dabei, überall lernt er das Handwerk der Nazis, manchmal selbst zurückgestoßen vom Grauen, aber nie den Anflug von Reue zeigend. ; "Ich bin schuldig, Sie sind es nicht", wendet sich der Familienvater und Unternehmer der Nachkriegszeit an den Leser. "Aber Sie sollten sich trotzdem sagen können, dass Sie auch gemacht hätten, was ich machte." Wohl mit Hannah Arendts These von der Banalität des Bösen vor Augen, versucht Littell seinen SS-Schergen als durchschnittlichen, wenngleich hochgebildeten Menschen seiner Zeit zu zeigen, der sich in die Hierarchie einfügt, deren Ideologie teilt und kalt Befehle ausführt.; Inzest, Muttermord ; Damit kontrastiert Aues eruptives Innenleben, gemischt aus Homosexualität und Schwesterinzest, Fäkal-fantasien und Verdauungsproblemen, bis hin zur Ermordung seiner Mutter und seines Stiefvaters. Gerade alltäglich ist diese holzschnittartige Pathologie aber mitnichten. Auch einzelne Formulierungen klingen ungeschickt, so etwa, wenn Aue erzählt, dass ihm sein Schädel manchmal "wie ein Krematoriumsofen" brumme.; Ansonsten beeindruckt das gewaltige Debütwerk durch eine ungeheure Faktentreue und -vielfalt. Littell, bisher vor allem in Hilfsorganisationen in Bosnien oder Tschetschenien tätig, schildert Massenhinrichtungen ebenso genau wie die SS- und Wehrmachts-Grade. Auch den Erzählfluss bezeichneten Le Monde und Nouvel Observateur bei Erscheinen des Buches im September als "magistral"; sie scheuten sich nicht, sogar den Vergleich mit Tolstois Krieg und Frieden zu ziehen. ; Erst als das 900-Seiten-Oeuvre die Bestsellerlisten hochkletterte, wurde vereinzelt Kritik laut. Der Autor Erik Orsenna macht eine funktionale Schwäche aus, da man in einem solchen Epos nicht darum herum komme, sich mit dem "Helden" zu identifizieren. Der Regisseur Claude Lanzmann (Shoah) bemängelte, dass Aue eine Kopfgeburt Littells sei und völlig konturenlos bleibe. Littell scheitere bei der "schrecklichen Disziplin", sich in diesen Nazi zu versetzen, obwohl - oder gerade weil! - man Aues Ausführungen über Leben und Tod zu folgen möge.; Der Pariser Psychoanalytiker Daniel Sibony hält eher den Littell-Lesern den Spiegel vor: Die Lektüre des Grauens bereite offenbar ein "ästhetisches Vergnügen", wie wenn man sich an einer juckenden Stelle kratze - "es schmerzt und tut gleichzeitig gut". Bloß schreite der normale Leser nicht zur Tat wie die Nazis, die alles andere als banal gewesen seien, meint Sibony, der deshalb auch das Konzept von der generellen Banalität des Bösen ablehnt.; Verbreitet scheint hingegen die Faszination des Bösen zu sein, wenn man auf die weltweite Nachfrage nach dem imaginären SS-Portrait abstellt. Die Verlagswerber begrüßen, dass sich heute ein breites Publikum - wie schon beim Hitler-Film Der Untergang - auch den personellen Facetten des Nazi-Horrors zu nähern wage. ; Das Problem ist, dass es sich um reine Fiktion und Konsumprodukte handelt. Sechzig Jahre danach - oder wenn man will: fünfzig Jahre nach Primo Levi - ist offenbar die Zeit gekommen, sich dem Thema aus der Nazi-Perspektive zu nähern. Nach dem Motto: SS sells.; Paris - Seit 1903 jährlich verliehen für den besten Roman, ist der Prix Goncourt Frankreichs wichtigste literarische Auszeichnung. Zwar erhielten den stark auflagensteigernden Preis selten Autoren, deren Name sich der Nachwelt einprägte, wurde der Nouveau Roman zur Gänze übersehen - dem Ansehen des Preises schadet das nicht. Verliehen wird er von der Académie Goncourt, zehn auf Lebenszeit bestellten Autoren, die einmal monatlich im vornehmen Restaurant Drouant tafeln. Mit stets dem gleichen Silberbesteck, das nach dem Tod eines Mitglieds an dessen Nachfolger vererbt wird. (cia) Jonathan Littell war der Kronfavorit für den Prix Goncourt, Frankreichs wichtigste literarische Auszeichnung, nachdem die Pariser Kritiker den 39-jährigen, in Paris aufgewachsenen Amerikaner seit Wochen mit Lorbeeren eingedeckt hatten. Sein Roman Les Bienveillantes (Die Wohlwollenden) ging im französischsprachigen Raum bereits 250.000-mal über den Ladentisch. Ursprünglich hatte der Verlag Gallimard für den schwer verdaulichen Wälzer eigentlich nur 12.000 Exemplare eingeplant. Der Berlin Verlag ersteigerte die Rechte für die deutsche, 2007 vorliegende Übersetzung nach einem fulminanten Bieterwettbewerb für 450.000 Euro. Für die englische Ausgabe - die der zweisprachige Littel derzeit selbst übersetzt - wurde der Roman für über eine Million Dollar verkauft. Kein Zweifel: Jonathan Littell, der Sohn des polnisch-jüdischen US-Emigranten und Thriller-autors Robert Littell, schafft das Ereignis des internationalen Buchherbstes. In Les Bienveillantes - der Titel bezieht sich auf die rächenden Eumeniden der griechischen Mythologie - erzählt der fiktive SS-Offizier Max Aue seine Lebensstationen, seine Verbrechen und Gebrechen. Bei Juden-Pogromen in der Ukraine, bei der Schlacht um Stalingrad, aber auch in Berlin bei NS-Galaabenden oder im Führerbunker: Überall ist Aue dabei, überall lernt er das Handwerk der Nazis, manchmal selbst zurückgestoßen vom Grauen, aber nie den Anflug von Reue zeigend. "Ich bin schuldig, Sie sind es nicht", wendet sich der Familienvater und Unternehmer der Nachkriegszeit an den Leser. "Aber Sie sollten sich trotzdem sagen können, dass Sie auch gemacht hätten, was ich machte." Wohl mit Hannah Arendts These von der Banalität des Bösen vor Augen, versucht Littell seinen SS-Schergen als durchschnittlichen, wenngleich hochgebildeten Menschen seiner Zeit zu zeigen, der sich in die Hierarchie einfügt, deren Ideologie teilt und kalt Befehle ausführt. Inzest, Muttermord Damit kontrastiert Aues eruptives Innenleben, gemischt aus Homosexualität und Schwesterinzest, Fäkal-fantasien und Verdauungsproblemen, bis hin zur Ermordung seiner Mutter und seines Stiefvaters. Gerade alltäglich ist diese holzschnittartige Pathologie aber mitnichten. Auch einzelne Formulierungen klingen ungeschickt, so etwa, wenn Aue erzählt, dass ihm sein Schädel manchmal "wie ein Krematoriumsofen" brumme. Ansonsten beeindruckt das gewaltige Debütwerk durch eine ungeheure Faktentreue und -vielfalt. Littell, bisher vor allem in Hilfsorganisationen in Bosnien oder Tschetschenien tätig, schildert Massenhinrichtungen ebenso genau wie die SS- und Wehrmachts-Grade. Auch den Erzählfluss bezeichneten Le Monde und Nouvel Observateur bei Erscheinen des Buches im September als "magistral"; sie scheuten sich nicht, sogar den Vergleich mit Tolstois Krieg und Frieden zu ziehen. Erst als das 900-Seiten-Oeuvre die Bestsellerlisten hochkletterte, wurde vereinzelt Kritik laut. Der Autor Erik Orsenna macht eine funktionale Schwäche aus, da man in einem solchen Epos nicht darum herum komme, sich mit dem "Helden" zu identifizieren. Der Regisseur Claude Lanzmann (Shoah) bemängelte, dass Aue eine Kopfgeburt Littells sei und völlig konturenlos bleibe. Littell scheitere bei der "schrecklichen Disziplin", sich in diesen Nazi zu versetzen, obwohl - oder gerade weil! - man Aues Ausführungen über Leben und Tod zu folgen möge. Der Pariser Psychoanalytiker Daniel Sibony hält eher den Littell-Lesern den Spiegel vor: Die Lektüre des Grauens bereite offenbar ein "ästhetisches Vergnügen", wie wenn man sich an einer juckenden Stelle kratze - "es schmerzt und tut gleichzeitig gut". Bloß schreite der normale Leser nicht zur Tat wie die Nazis, die alles andere als banal gewesen seien, meint Sibony, der deshalb auch das Konzept von der generellen Banalität des Bösen ablehnt. Verbreitet scheint hingegen die Faszination des Bösen zu sein, wenn man auf die weltweite Nachfrage nach dem imaginären SS-Portrait abstellt. Die Verlagswerber begrüßen, dass sich heute ein breites Publikum - wie schon beim Hitler-Film Der Untergang - auch den personellen Facetten des Nazi-Horrors zu nähern wage. Das Problem ist, dass es sich um reine Fiktion und Konsumprodukte handelt. Sechzig Jahre danach - oder wenn man will: fünfzig Jahre nach Primo Levi - ist offenbar die Zeit gekommen, sich dem Thema aus der Nazi-Perspektive zu nähern. Nach dem Motto: SS sells. Paris - Seit 1903 jährlich verliehen für den besten Roman, ist der Prix Goncourt Frankreichs wichtigste literarische Auszeichnung. Zwar erhielten den stark auflagensteigernden Preis selten Autoren, deren Name sich der Nachwelt einprägte, wurde der Nouveau Roman zur Gänze übersehen - dem Ansehen des Preises schadet das nicht. Verliehen wird er von der Académie Goncourt, zehn auf Lebenszeit bestellten Autoren, die einmal monatlich im vornehmen Restaurant Drouant tafeln. Mit stets dem gleichen Silberbesteck, das nach dem Tod eines Mitglieds an dessen Nachfolger vererbt wird. (cia) Gewann den Prix Goncourt 2006: Jonathan Littell. Foto: AP |
Die
Faszination des Bösen(176649) |
Tanzprojekt feiert im Bosco Uraufführung SDDZ000020061106e2b6000kv Landkreis anl 92 Words 06 November 2006 Süddeutsche Zeitung R5 German Copyright 2006 Süddeutsche Zeitung |
Gauting - Im Gautinger Bosco ist mit dem Tanzprojekt "In mir drin - en moi" am morgigen Dienstag, 7. November, um 20 Uhr sowie am 8. November um 18 und 20 Uhr eine Uraufführung zu erleben: Das Projekt von Anna Konjetzky und Julie Laporte ist inspiriert von Christine Angots Roman "Inzest". Der Bühnenraum besteht aus kleinen Holzkabinen für maximal 20 Zuschauer und soll gleich einer Peep-Show den Voyeurismus des Publikums provozieren. Der Eintritt kostet 15 Euro, Karten gibt es im Bosco-Veranstaltungsbüro: Tel. 089/45238580. |
A40255600 |
Vom Umgang mit Tabus und Traditionen SUDOS00020061106e2b60000h Kultur_Region Von Barbara Wülser 583 Words 06 November 2006 Die Südostschweiz German © 2006 DIE SUEDOSTSCHWEIZ - All rights reserved. For further information see www.suedostschweiz.ch |
Filme aus aller Welt sind am Wochenende in Thusis über die Leinwand geflimmert. Der Einblick, den die Weltfilmtage in fremde Kulturen gewähren, schärft den Blick auf die eigene Kultur. Thusis. - Mit 2800 bis 3000 Zuschauern waren die 16. Thusner Weltfilmtage, die gestern zu Ende gegangen sind, etwas besser besucht als letztes Jahr. Nach den Worten von OK-Mitglied Ueli Soom stösst das fünftägige Festival im Kino Thusis an seine Grenzen. Allerdings sei die Verteilung besser als früher. Für die ausverkauften Vorstellungen am Freitagabend sowie am Samstagnachmittag und -abend müssten jedoch Lösungen gefunden werden, da immer einige Leute keinen Einlass in den maximal 180 Personen fassenden Saal fänden. |
Programm mit Gästen angereichert Als Novum fand dieses Jahr ein Vortrag in Zusammenarbeit mit dem Bündner Verein für Mediation über Konfliktbewältigung in Burkina Faso statt. Das Referat stiess laut Soom auf ein positives Echo. Als Besonderheit erwähnte Soom die vielen Gäste, die dieses Jahr den Weg nach Thusis fanden. Höhepunkte waren die Filmgespräche mit den Regisseurinnen und Regisseuren. Wie Soom weiter ausführte, soll das Festival nächstes Jahr in einem ähnlichen Rahmen stattfinden, und zwar vom 31. Oktober bis zum 4. November. Erheiterung und Belehrung Film als Bonbon oder Medizin? «Moolaadé» und «Madeinusa», die am Samstag gezeigt wurden, lieferten den Beweis, dass er beides sein kann. Obwohl unterschiedlichen Kulturen entsprungen, entführten die Filme aus Afrika und Lateinamerika das Publikum mit Bildern einer überwältigenden Landschaft und exotisch anmutender Menschen in eine fremde, faszinierende Welt, in welcher der dörfliche Alltag durch Traditionen bestimmt wird. Gleichzeitig räumten der Senegalese Ousmane Sembènes und die junge Peruanerin Claudia Llosa gründlich auf mit romantisch verklärten Vorstellungen eines besseren Lebens jenseits der Konsumgesellschaft. Tabuthemen wie Inzest oder Verstümmelung gibt es in jeder Gesellschaft, und der Umgang damit gleicht sich. Die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen bot an den Weltfilmtagen Gelegenheit, die eigene Kultur zu erkennen und zu hinterfragen. Auch Llosa setzte sich erst in der Fremde - während des Studiums in Barcelona - mit ihrer Kultur auseinander, wie sie im Anschluss an die Vorführung von «Madeinusa» im Gespräch mit Brigitte Siegrist sagte. Dass die 30-Jährige Traditionen frei erfindet und diese in ein peruanisches Andendorf «einpflanzt», beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit des Films nicht. Die Parallelen zum wirklichen Leben sind unübersehbar. Die sittenlose heilige Zeit zwischen Karfreitag und Ostersonntag, während der Gott tot ist und nichts sieht, hebt den Kontrast zum engen Korsett der Religion, in welchem die Dorfbewohner das Jahr über leben, umso stärker hervor. Raub, Mord, Ungehorsam und Inzest sind in dieser Zeit Gang und Gäbe. Der Fremde, der in dieses Gelage platzt, bringt dem Mädchen Madeinusa, das unter der Enge des Dorflebens und dem tyrannischen Vater leidet, nur scheinbar Rettung. Sie kann sich nur selber retten. Dass sie sich ihre Freiheit mit dem Verrat am Liebhaber und dem Mord am Vater erkauft, hat für Llosa keine universelle Gültigkeit. Unangemessen schön Auch für die Mädchen und Frauen in «Moolaadé» gibt es keine Rettung von aussen. «Beschneidung ist zum Glück Frauensache», sagen die männlichen Dorfbewohner, und schauen unbeteiligt weg, wenn ihre Töchter am Unterleib verstümmelt werden, am Eingriff sterben oder sich ihre Lieblingsfrau beim Geschlechtsverkehr vor Schmerz den Finger wund beisst. Sie bleibt so lange Frauensache, bis die Tradition und die Autorität der Männer in Frage gestellt wird. Regisseur Sembènes schafft es, ein bleischweres Thema auf unterhaltsame Art zu präsentieren und mit schmerzhaft schönen Bildern zu unterlegen. Parallelen zwischen Kulturen und zum Leben: Die Regisseurin Claudia Llosa (rechts) und Brigitte Siegrist sprechen über «Madeinusa». |
Demonstration für liberaleres Abtreibungsrecht in Polen AFPDE00020061104e2b400335 USU 135 Words 04 November 2006 14:23 GMT Agence France Presse German Copyright Agence France-Presse, 2006 All reproduction and presentation rights reserved. |
Warschau, 4. November (AFP) - Rund 300 Menschen haben am Samstag in Warschau für ein liberaleres Abtreibungsrecht in Polen demonstriert. Die Teilnehmer, die einem Aufruf von Frauenorganisationen und der politischen Linken gefolgt waren, kamen auf einem zentralen Platz der polnischen Hauptstadt zusammen. Von dort marschierten sie in Richtung Parlamentssitz. "Dies ist der Kampf für das Recht der Frauen zu entscheiden" und "Wir verlangen eine legale Abtreibung", hieß es auf Spruchbändern der Demonstrierenden. |
Polen hat eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Schwangerschaftsabbrüche sind nur bei Vergewaltigungen, Inzest, Gefährdung des Lebens der Mutter und einer schweren Missbildung des Fötus erlaubt. Die Kundgebung ist eine Reaktion auf eine parlamentarische Initiative der ultrakatholischen Rechten, die nicht nur eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts verhindern, sondern auch ein völliges Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen einführen will. usu/ju |
Brandeinsatz mit 300 Jahren Verspätung ERLNGN0020061104e2b400014 Kultur 327 Words 04 November 2006 Erlanger Nachrichten German Quelle: Erlanger Nachrichten, 2006. All rights reserved. For further information see http://www.nordbayern.de |
Texte und Musik rund um das Phänomen Feuer: Eine szenische Lesung im Stadtmuseum Vor 300 Jahren brannte Erlangen. Flammen zerstörten innerhalb weniger Stunden fast die gesamte Altstadt, ein Inferno, das mindestens den Mitteln der modernen Brandbekämpfung bedurft hätte, um gelöscht zu werden. So stürmen nun, 300 Jahre zu spät gewissermaßen, fünf Feuerwehrmänner in das Stadtmuseum. Durch das Hoftor dröhnt die Sirene, und das Blaulicht flackert wild in den Innenraum. Zum Dienst gemeldet haben sich Mitglieder des Erlanger Theaters. Ihr Einsatz lautet, in einer Lesung im Rahmenprogramm der aktuellen Altstadt-Schau zu beleuchten, was normalerweise sowieso lichterloh brennt: Das Phänomen des Feuers. |
«Von Sodom nach Gomorrha» heißt die auch mit Gesang inszenierte Lesung. Ein zündendes Potpourri mit Texten von Freud bis Brecht, vom Struwwelpeter bis zu Goethes Römischen Elegien. Zusammenhanglos, vielleicht der grotesken Wirkung wegen, werden die verschiedensten, einmal rein assoziativen und andererseits feinliterarisch herausgearbeiteten Aspekte des Feuers nebeneinander gestellt, das einmal Liebesflamme, dann wieder nur todbringend ist. Während der Auszug aus «Im Namen der Rose» noch die blanke Zerstörungs- und Vernichtungskraft der züngelnden Flammen detailgetreu schildert, beleuchtet etwa Strindbergs «Der Pelikan» andersartige Wahrnehmungen des Feuers. Flammen als fast heilvolle, natürliche und reinigende Säuberungskraft. Erfreulich erfrischend und schwungvoll dargestellt wird eine Szene aus «Biedermann und die Brandstifter» von Max Frisch, in der als Showeffekt eine große Stichflamme eingesetzt wird. Ein paar Textfragmente bleiben jedoch fast deplatziert im Raum stehen. Was sollen etwa die Inzest-Erzählung Lots und seiner zwei Töchter oder die sehr skurrile Freudsche Phallussymboldeutung im Zusammenhang mit der Themanvorgabe aussagen? Die gezielte Ironie und Komik, wie die eines abstrus-makaberen Liedchens von Ludwig Hirsch über Kinder, das mit ihnen verbundene, wirklich etwas sinnentleert-morbide Gefahrenpotenziale ausmalt, sind dann wohl als Seelsorge der «Feuerwehr» zu verstehen, die nicht nur den literarischen Durst stillen, sondern auch unterhalten wollen, was ihnen letztendlich beides gelungen ist. LISA KOCH |
http://www.erlanger-nachrichten.de/artikel.asp?art=568018&kat=56 |
Abtreibungsverbot, legale Joints und eine Wählerlotterie AFPDE00020061103e2b30018h KL 412 Words 03 November 2006 05:54 GMT Agence France Presse German Copyright Agence France-Presse, 2006 All reproduction and presentation rights reserved. |
New York, 3. November (AFP) - Die Wähler in den USA stimmen am kommenden Dienstag nicht nur über die Zusammensetzung des Kongresses ab. In 37 der 50 Bundesstaaten werden sie in Referenden zusätzlich zu Themen befragt, die von Abtreibung über die Homo-Ehe bis hin zur Legalisierung von Marihuana reichen. Insgesamt stehen mehr als 200 Initiativen zur Abstimmung. Mit den Plebisziten über die umstrittenen Themen wollen die Organisatoren mehr Wähler in die Wahllokale locken. Außerdem sorgen die Referenden dafür, dass die Kandidaten für die Kongresswahl Klartext über die heiklen Fragen reden müssen. |
Mit Spannung wird etwa das Referendum im Präriestaat South Dakota verfolgt. Dort soll in einer Volksabstimmung ein kürzlich verabschiedetes Gesetz aufgehoben werden, welches Abtreibung nur noch bei einer Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt, nicht aber bei Vergewaltigung oder Inzest. In acht Staaten wird darüber abgestimmt, ob in der Landesverfassung ein Verbot der Homo-Ehe aufgenommen wird. In Colorado und Nevada dürfen die Wähler entscheiden, ob Marihuana erlaubt werden soll. In sechs Staaten geht es um die Anhebung des Mindestlohns, und in Kalifornien um die Besteuerung von Ölunternehmen. In Arizona geht es gar um den Traum vom großen Glück: Zur Abstimmung steht die Einrichtung einer Lotterie, die einem beliebigen, nach dem Zufallsprinzip ausgesuchten Wähler den Gewinn von einer Million Dollar verheißt. Die Initiatoren versprechen sich dadurch eine Erhöhung der Wahlbeteiligung. Die örtlichen Volksabstimmungen beeinflussen auch die Kongresswahl. "Wahlmaßnahmen am Rande können das Kräftegleichgewicht im US-Senat, im US-Repräsentantenhaus und in den Volksvertretungen der Bundesstaaten beeinflussen", sagt Daniel Smith von der Universität Floria. "Sie bestimmen, über welches Thema gesprochen wird." Die neben der Kongresswahl laufenden Abstimmungen seien vor allem in Jahren wirkungsvoll, in denen nur ein Teil des Kongresses gewählt wird und kein neuer Präsident, weil sich damit mehr Wähler zur Abstimmung bewegen ließen. Bei der letzten Zwischenwahl vor vier Jahren lag die Beteiligung unter 40 Prozent. Bei den Wahlinitiativen in den Bundesstaaten kommen die Demokraten vermutlich besser weg als die Republikaner, vor allem wenn es um die Mindestlöhne geht, sagt Kristina Wilfore von der US-Denkfabrik "Ballot Initiative Strategy Center". Örtliche Wahlinitiativen könnten entscheidend dafür sein, wie die Wähler für den Senat und das Repräsentantenhaus stimmen. "Dieses Jahr sind die Wahlinitiativen mehr denn je ein wesentlicher Teil der Wahlstrategie der Linken, um Macht zurückzugewinnen." Dem Institut zufolge wurden bei der letzten Wahl in den Bundesstaaten fast 400 Millionen Dollar (315 Millionen Euro) für den Wahlkampf für die örtlichen Initiativen ausgegeben. kl/pw |
Die Stille ist das Drama TAZ0000020061101e2b200040 Kultur BIRGIT GLOMBITZA 1351 Words 02 November 2006 taz - die tageszeitung taz 15 German (c) 2006 taz, die tageszeitung |
Operationen am offenen Herzen des frühen Kinos: Zunächst in Hamburg und Berlin, dann auch in anderen deutschen und Schweizer Städten ist eine umfangreiche Retrospektive des kanadischen Filmemachers Guy Maddin zu sehen VON BIRGIT GLOMBITZA |
Alles beginnt mit einem programmatischen Psst! „Vorsicht, liebe Kinder! Stille! Kinder, seid fein ruhig und flüstert!”, raunt eine Texttafel am Anfang von „Careful”. Es ist der Film, mit dem sich der Filmkünstler Guy Maddin, dem Kinos in Hamburg, Berlin und anderen deutschen wie auch Schweizer Städten jetzt eine Retrospektive widmen, 1992 einen festen Platz im Olymp der Kinoavantgardisten reserviert haben dürfte. In „Careful”, seinem komplexesten Werk, errichtet der Kanadier seine eigene künstliche Welt auf dem wüst-romantischen Bilderkanon der deutschen Bergfilme der 20er- und 30er-Jahre. Ein Film, bei dem sich Fabulierlust, unbändige Vorstellungskraft, aber auch parodistischer Witz gegenseitig befeuern, während zugleich eine bildschöne melancholische Verlorenheit den Protagonisten Blei auf die Schultern legt. Die Geschichte spielt in Tolzbad, irgendwo in den Schweizer Alpen. Ein verwunschenes Örtchen voller geduckter Gestalten, die nichts so sehr fürchten wie Lärm und Aufruhr. Sie gehen leise, stürzen leise, lieben und streiten sich ohne jeden Mucks. Denn jedes laute Wort kann in dieser Bergwelt, über die sich die Schneedecken wie penibel verlegtes Dämmmaterial spannen, eine Lawine auslösen, die Tolzbad und alle umliegende Dörfer in den Abgrund risse. Mutter Zielinde lebt mit ihren beiden Söhnen Johan und Grigorss in diesem potenziellen Katastrophengebiet. Die jungen Männer besuchen die örtliche Butlerschule und erlernen dort ruhiges, taktvolles Benehmen. Ausgerechnet beim in dieser Gegend schon gemeingefährlichem Alphornblasen erwacht Johans Begehren, das sich zunächst an die Dorfschönheit Klara bindet. Doch je gedrosselter das Tolzbader Leben verläuft, umso stärker rumort und rebelliert es unter dem Lärmschutz, bis alle verbotenen Leidenschaften zum Vorschein kommen und sich der Sohn so wahnsinnig wie verliebt über die eigene Mutter beugt. „Careful” ist so etwas wie ein Schlüsselwerk in der Kunst des Guy Maddin. Denn in ihm verspinnt sich die große Liebe des Filmemachers zum Stummfilm zu einer selbstreflexiven Fabel. Für den Kanadier ist die Stille des frühen Films selbst das Drama. Sie ist seine ewige Protagonistin. Mit ihrem Pathos, ihren weitausholenden Posen, ihren bisweilen scherenschnittartig zugespitzten Kontrasten in Schwarz und Weiß, ihren vorsprachlichen Ängsten vor dem Ende der Welt. Am liebsten dreht Maddin mit altmodischen Iris-Linsen, die Licht und Schärfe an den Rändern rasch absaufen lassen. Er arbeitet mit zerklüfteten Zwischentiteln, mit expressionistischen Kulissen, exzentrischen Close-ups und den ganz großen Gesten, in der Liebe wie im Schmerz. In sparsam gestreuten Dialogen bevorzugt er eine stilisierte, wunderlich zeitlose Sprechweise, die durch die atmofreie Nachsynchronisation zusätzlich verfremdet wirkt. Träume, Erinnerungen oder Wahn färbt er gelegentlich ocker ein. Und manchmal ist das Blut rot und das Geld grün. Mit ihren Kratzern und abgerissenen Rollenenden sehen seine Arbeiten so angegriffen aus, als seien sie zu oft durch den Projektor gelaufen. Doch die raue Textur des Materials und seine spröde Schönheit sind keine nostalgische Spielerei. Sie sind vielmehr fein auf die Narben und die Überhitzung all der derangierten Protagonisten abgestimmt und stoßen unsere Wahrnehmung nebenbei auf die Handwerklichkeit ihrer Schöpfung und die Arbeitsspuren der Filmapparate. „Ich habe den Eindruck, dass der Stummfilm als künstlerische Form noch im Wachsen begriffen war, als ökonomische Gründe, eben die Nachfrage nach Tonfilmen, ihm ein vorzeitiges Ende bereiteten. Der Stummfilm hätte sich noch weiterentwickeln können, und ich fand es interessant, an genau diesem Punkt anzusetzen”, hat der Filmemacher einmal erklärt. Sein großes künstlerisches Projekt ist also strenggenommen ein Kino, das es nicht gibt und nie gegeben hat. Ein Kino, das sich selbst erfindet, feiert und historisiert. Wie nach einer langen irrlichternden Zeitreise platzt es nun als fiktiver historischer Fund in eine Gegenwart, die sich an diese kinematografische Vergangenheit des Guy Maddin nicht erinnern kann. Vielleicht liegt es daran, dass man sich bei seiner ersten Begegnung mit dem Maddin'schen Universum wie eine eben aufgewachte Komapatientin fühlt, die Bilder und Geschichten zu sehen bekommt, die sie von irgendwo her zu kennen glaubt, um dann doch festzustellen, das sie so etwas noch nie zuvor gesehen hat. Maddins Geschichten sind wie Fieberträume. Delirierende Melodramen, die auf den ersten Blick so schwülstig sind und doch mit der nächsten Windung so zart und rührend, so grotesk und bizarr werden können, dass man meint, ihr Schöpfer müsse die REM-Phasen von Stroheim, Buñuel und Lynch mit denen von Hans Christian Andersen oder anderen kreuzunglücklichen Märchenerzählern vernetzt haben. Dazu kommt dieser wunderbarer Mix aus ironischen Brechungen und heiligem Ernst, die Maddins Werk weit über den Status bloßer Kultigkeit erheben. Guy Maddin, der seinen Namen dem B-Movie-Star Guy Madison verdankt, hat – so die Legende – seine Berufung zum Filmkünstler erfahren, als er als Fünfjähriger auf einem Pony trabte, das von Bing Crosby am Halfter geführt wurde. Im Anschluss soll er am Küchentisch selig seine ersten Super-8-Filme zusammengefrickelt haben. Geboren wurde er 1956 in Winnipeg, das selbst für kanadische Verhältnisse als weit ab vom Schuss gilt. In dieser Stadt mit dem niedlichen Namen wird es im Winter minus 40 Grad kalt. Maddin lebt und arbeitet noch heute dort. Gemeinsam mit der „Winnipeg Film Group” produzierte er 1985 sein offizielles Debüt, den Kurzfilm „The Dead Father”, eine depressive Fabel von einem jungen Burschen, der von seinem verstorbenen Vater noch postum schikaniert wird. Seinen ersten abendfüllenden Film „Tales from the Gimli-Hospital” (1988) realisierte er mit nur 22.000 Dollar. Im Krankenhaus von Gimli, der größten isländischen Siedlung außerhalb Islands, treffen sich zwei an der Blattern-Epidemie erkrankte Fischer, die feststellen, dass sie einmal die gleiche Frau liebten. Nur begehrte der eine sie lebend und der andere ihre Leiche. Maddins Zusammenarbeit mit Isabella Rossellini bei einer bezaubernden surrealistischen Hommage an ihren Vater, „My Dad Is 100 Years Old” (2005), in der die Tochter selbst mit verstellter Stimme in die Rolle von Fellini, Hitchcock, Chaplin und in die ihrer Mutter Ingrid Bergman schlüpfte, spülte den Namen des Regisseurs dann in die internationalen Feuilletons. In „The Saddest Music in the World” (2003), der ab dem 7. Dezember in den deutschen Kinos gezeigt wird, sehen wir Isabella Rossellini wieder – als schwermütige, beinlose Bier-Baronin. In einem internationalen Song Contest lässt sie die Nationen miteinander um das zermürbendste Lied der Welt in Wettstreit treten. Eine aberwitzige, politisch durchaus delikate Angelegenheit, bei der die Teilnehmer sich auch für die kulturellen Minderwertigkeitskomplexe ihrer Heimat von einem enthemmten Publikum ausbuhen lassen müssen. Gesäumt wird das Spektakel dazu von bodenlos traurigen Schicksalen mit vielen dunklen Geheimnissen, die so verborgen liegen, dass selbst ihre Träger sie kaum rekonstruieren können. Maddins Filme erzählen von idiosynkratischen Grausamkeiten und hoffnungslos vertrackten Lebenswegen in einer gebrechlichen Welt, in der – wie im Meisterstück „Careful” – ein Räuspern reichen kann, um alles zum Einsturz zu bringen. Oder in der – wie in „The Heart of the World” (2000) – sich erst eine tapfere Forscherin des überhitzten Erdkerns annehmen muss, um unseren Planeten zu retten. Maddins Helden leiden an Gedächtnisverlust, Halluzinationen, Epidemien, Liebestollheit und Gefühlslosigkeit. Sie wollen um jeden Preis lieben, wissen aber beim besten Willen nicht mehr wen („Archangel”). Sie staksen auf gläsernen Beinen („The Saddest Music in the World”), mit unappetitlichen Narben („Tales from the Gimli-Hospital”) oder anämisch („Dracula – Pages from a Virgin's Diariy”, 2002 ) über die Bühne verschachtelter Melodramen voller Kriege, Inzest, Nekrophilie und Brudermord. Bei allem Spieltrieb ist es Maddin ernst mit seinen Operationen am offenen Herzen des frühen Kinos. Und die Komplexität seiner Bildebenen, mit denen er die Bauten des expressionistischen Films und seine theatrale Körperlichkeit beispielsweise in „Dracula” mit den Ausdrucksmitteln des zeitgenössischen klassischen Balletts und aktuellen globalen Hysterien von Überfremdung und Terror verknüpft, macht schnell klar, dass es dem Filmkünstler nicht um kulturpessimistische Träumereien von einer besseren Kino-Zukunft aus dem Geist ihrer stummen Anfänge geht. Schließlich unterwandert er den Glamour vergangener Kinozeiten mit Krankheit und Wahn, die Tragödien mit der despektierlichen Leichtigkeit des Musicals, und er stellt genüsslich verbotene Leidenschaften vor melodramatischem Dekor aus, statt Tabus als maximal sublimierte Effekte in die Kulisse eingehen zu lassen. Ein eigensinniger Kinoethnologe und -erfinder, dessen Kunst und Künstlichkeit die Traumata der Welt im Bild neu organisiert. |
Das
vollständige Programm und die Termine sind unter
www.fdk-berlin.de/de/arsenal/programm.html zu
finden |
Die Henkerseele FRARUN0020061101e2b20002j VON MARTINA MEISTER 943 Words 02 November 2006 Frankfurter Rundschau 15 German (c) Copyright Frankfurter Rundschau 2006 www.fr-aktuell.de |
Zum Hype um Jonathan Littells Roman "Les Bienveillantes" Kein anderes Buch, das in diesem Bücherherbst so viel Aufmerksamkeit erfahren hätte. In wenigen Wochen hat es sich in Frankreich 170 000 Mal verkauft, und das, obwohl der Prix Goncourt, der die Auflage noch einmal explodieren lassen könnte, noch nicht einmal vergeben ist. Die französischen Literaturkritiker sezierten es wie ein Wunder. Sie zählten die Seiten, 912 an der Zahl, legten es auf die Wage, notierten ein Geburtsgewicht von einem Kilo und 150 Gramm. Sie schrieben über die Qualität des Papiers, extra dickes hatte der Verlag geordert, damit das Werk besser in der Hand liegt. |
Werk? Ein "Meisterwerk", kündete das Nachrichtenmagazin Le Nouvel Observateur auf seiner Titelseite an. Es handelt sich um die intimen Memoiren eines SS-Massenmörders. Les Bienveillantes ist der Titel dieses Romans, Jonathan Littell der Autor. Schon das ist ein Kuriosum: Ein 39 Jahre alter Amerikaner, Sohn des Spionageschriftstellers Robert Littell, der in Frankreich aufgewachsen ist, in Spanien lebt, mit einer Belgierin verheiratet ist und auf Französisch schreibt - über den Holocaust. Gegenseitig überbot man sich mit Superlativen angesichts dieses Debüts, sprach von "Götterdämmerung" und verglich das Buch mit der Orestie des Aischylos. Nachdem nun der Berlin Verlag im erwarteten Wettbieten auf der Buchmesse die Übersetzungsrechte für vermutlich 400 000, manche behaupten für 500 000 Euro gekauft hat, muss die Frage erlaubt sein, ob es sich tatsächlich um ein solches Meisterwerk handelt, ob wir es folglich mit einem literarischen Ereignis zu tun haben, wie es nur zwei, drei Mal im Jahrhundert vorkommt? Das Tabu der Täter-Perspektive Littell, so viel ist sicher, hat sich an ein Tabu gewagt. Er thematisiert den Massenmord an den Juden, aber nicht aus der Perspektive der Opfer, sondern aus der eines Täters. Er schlüpft in die Haut des Henkers, wobei man gleich sagen muss: Dieser lässt lieber töten, als dass er es selbst tun würde und achtet peinlichst auf den tadellosen Zustand seiner Uniform. Maximilian Aue ist der Name dieses Mannes, Doktor der Rechtswissenschaften ist er, ein überzeugter Nazi und ein eifriger Leser vor allem der französischen Literatur. Die Vermutung, Littell habe mit seinem Roman die abstrakte These von der Banalität des Bösen illustrieren wollen, ist deshalb schnell widerlegt. Das Gegenteil ist der Fall. Es handelt sich hier nicht um die Memoiren irgendeines beliebigen Mitläufers. Aue ist ein Bildungsbürger. Mehr noch: Er ist psychologisch gesprochen überkomplex. Littell, der jahrelang für dieses Buch recherchiert, Archive durchforstet, mit Überlebenden gesprochen hat, beginnt vielversprechend. Er hat einen Ton und er schlägt ihn hoch an: "Brüder der Menschheit, lasst mich erzählen, wie es wirklich war". Um nichts Geringeres geht es: um die Wahrheit des Grauens. Aber Aue, der sich nach dem Krieg nach Frankreich zurückzieht, Fabrikdirektor wird, heiratet, spürt keinen Funken von Reue. Es geht ihm lediglich darum, sich und sein Gewissen zu erleichtern. Was er zu erzählen hat, ist nicht sehr appetitlich, weshalb der Leser Anspruch auf die Hoffnung hat, dass ihn eine ebenso gewaltige Sprache durch die knapp 1000 Seiten des Romans tragen wird, ein Stil, der so stark ist, dass er die Unmenschlichkeit des Beschriebenen überhöht und deshalb überhaupt nur erträglich macht. Das aber ist nicht der Fall. Littell hält seinen Ton nicht durch. Über weite Strecken bellen sich SS-Männer Befehle zu, der Autor lässt sie die Terminologie der Nazis natürlich auf Deutsch benutzen, scheitert aber immer wieder an grammatikalischen Endungen, was die ganze Konstruktion, ein deutscher Nazi mit einer französischen Mutter, zumindest für den deutschsprachigen Leser des französischen Originals, unglaubwürdig macht. Der glaubwürdige Zinnsoldat Was hat die Franzosen so an Littells Roman begeistert? Zweifellos der Mut, sich in die Haut eines Nazis zu begeben. Nur einmal hat es das bislang gegeben. Robert Merle hatte 1952 im französischen Original seinen viel gerühmten Roman Der Mord ist mein Beruf herausgebracht, der auf Aufzeichnungen des Auschwitzkommandanten Rudolf Höß beruhte. Außerdem hat Littell einen doppelten Glaubwürdigkeitsbonus: Er kommt aus einer jüdischen Familie und er hat in Sarajewo, in Ruanda, in Afghanistan, wo er für eine Hilfsorganisation tätig war, die Toten mit eigenen Augen gesehen. Ganz wenige Kritiker in Frankreich haben gewagt, den Wein des Erfolges ein wenig mit Wasser zu verlängern. Libération urteilte, hier spiele einer mit Zinnsoldaten, wenn auch auf intelligente Weise. Andere rügten, dass dieses Buch über sein Ziel hinausschösse, dass die Bezüge zur Mythologie künstlich, die Psychologie des Erzählers übertrieben sei. Und in der Tat ist das das Mindeste, was man behaupten kann: Denn Aue bringt nicht nur Juden um, am Ende wird er wie Orest die eigene Mutter und den Stiefvater töten. Zuvor begeht er Inzest, schläft mit seiner Zwillingsschwester, von der er sehr schnell getrennt wird, rettet sich in die Homosexualität, was vielleicht auch erklärt, warum ihm seine Taten auf den Magen und mehr noch auf den Darm schlagen. Aue leidet unter sagenhaftem Durchfall, der seine Entsprechung im unverhofften Wortfluss desjenigen finden, der sich nicht erinnern kann und will. Das aber ist der Hauptwiderspruch dieses Buches. Aue behauptet: "Ich wusste nicht einmal mehr, was das war, eine Erinnerung", um sie dann 900 Seiten lang vor dem Leser auszubreiten. Es ist kein Geringerer als Claude Claude Lanzmann, der dies kritisiert hat. Der Regisseur von Shoah weiß aus eigener Erfahrung, dass Henker eben nicht sprechen. Sie verdrängen. Sie wollen auch nicht erinnert werden. Lanzmann hatte sich deshalb nur für Fakten interessiert, nicht für die Psychologie der Henker. Dadurch hat er sie in ihrem leeren Kern erwischt. Littell füllt ihn hingegen auf. So sehr, dass Aue am Ende leer wirkt. Er ist eine Kopfgeburt, ja, ein Zinnsoldat, der tötet. "Les Bienveillantes" von Jonathan Littell ist im Verlag Gallimard erschienen, die Übersetzung ins Deutsche wird im nächsten Jahr im Berlin Verlag herauskommen. |
Unterstützung für den Terrorkrieg FRARUN0020061031e2b10002j VON KATJA LÜTHGE 760 Words 01 November 2006 Frankfurter Rundschau 15 German (c) Copyright Frankfurter Rundschau 2006 www.fr-aktuell.de |
Internationale Erregung um einen unverschämten, lustigen und geschmackfreien Film: Sacha Baron Cohens "Borat" Die Verstimmung der kasachischen Offiziellen angesichts der fiktiven Figur des kasachischen Fernsehreporters Borat Sagdiyev (Sacha Baron Cohen alias Ali G alias Borat) ist nicht zu verstehen. Da nimmt sich ein herzensguter, aufrichtiger Mann vor, diesem bisher eher jenseits der Aufmerksamkeit rangierenden Land in der westlichen Welt zu Popularität zu verhelfen, und die politische Kaste des autokratisch regierten Staats reagiert verschnupft. Als ein "Schwein von einem Mann" musste sich Borat Sagdiyev im Guardian vom Botschafter der Republik Kasachstan in Großbritannien beschimpfen lassen. Anlass der unfreundlichen Äußerung sind im Fernsehen gemachte Behauptungen Borat Sagdiyevs, die Kasachen würden vergorenen Pferde-Urin trinken, ihre Frauen in Käfigen halten und ihre Außenhandelsbilanz durch den Export von Schamhaar erreichen. |
Wie es sonst um Kasachstan bestellt ist, kann man nun in dem lustigsten und gruseligsten Film seit langem bestaunen. Borat - Kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen schafft es auf die komischste Weise, innerhalb von zehn Minuten alle Vorurteile, die je über den unzivilisierten Osten unterwegs waren, mittels eines Dorfes und seiner Bewohner zu bebildern. Da schreitet der stets quietschvergnügte Borat durch sein antisemitisches, sexistisches, homophobes, rassistisches und total verlumptes Heimatdorf, dessen Gemeinschaft durch Inzest, Gewalt und Sodomie zusammengehalten wird. Mit diesem soliden Weltbild ausgestattet, bricht der Fernsehreporter Borat dann im Auftrag des kasachischen Informationsministeriums in die USA auf, um Land, Leute und Brauchtum kennen zu lernen. Zielscheibensuche Wie blöde ist dagegen die Image-Kampagne des offiziellen Kasachstan, die die Fortschrittlichkeit des Landes preisen soll. Zur Filmpremiere lancierte man etwa in der New York Times eine vierseitige farbige Werbebeilage, auf der auffällig oft kasachische Politiker zu sehen sind, die ihre Internationalität und Modernität preisen. Und auch das Zentrum für Antiziganismusforschung tut sich vermutlich keinen Gefallen mit dem ohnedies aussichtslosen Versuch, den Start des Films in Deutschland gerichtlich verbieten zu lassen. Es ist kaum anzunehmen, dass Zuschauer sich von dem Film zum Völkermord animieren lassen. Übrigens spielen die kasachischen Heimatszenen tatsächlich in einem rumänischen Dorf, in dem angeblich vor allem Sinti und Roma leben. Hätten sie nur alle genau hingeschaut. Denn abgesehen von der verbürgten Lauterkeit des britischen Komikers Sacha Baron Cohen, braucht es eigentlich nicht viel, um die eigentliche Zielscheibe des Films zu erkennen: den durchschnittlichen US-amerikanischen Spießer. Und wer weiß schon, wie er selbst reagiert, wenn er auf der Straße plötzlich von einem übelriechenden Fremden in einem schlecht sitzenden Anzug angesprungen und geküsst wird? Als kasachischer Reporter auf Reise durch die USA nähert sich der radebrechende Borat seinen Interview-Opfern eher zurückhaltend. In der Rolle des rückständigen Toren gibt er seinem Gegenüber das Gefühl zivilisatorischer Überlegenheit - und entlockt ihm die unglaublichsten Aussagen. So zuckt der Waffenhändler nicht mit der Wimper, als Borat nach einer Pistole fragt, mit der man Juden erschießen kann (er bekommt die Waffe nicht, weil er keinen US-Wohnsitz nachweisen kann). Der Autohändler wägt ernsthaft den Schaden ab, den das Auto erleiden könnte, wenn man damit in eine Gruppe Zigeuner fährt. Satire mit körperlichem Einsatz Für seinen aufklärerischen Auftrag jedenfalls nimmt der 35-jährige Sacha Baron Cohen einiges in Kauf - beispielsweise die Gefahr, gelyncht zu werden. So gewinnt Borat als Gastredner bei einem Rodeo mit grammatikalisch uneindeutigen Statements ("Ich unterstütze euren Terrorkrieg") zwar zunächst die Sympathien des Publikums, und der Beifall ist auch noch recht ordentlich, als er George W. Bush auffordert, nicht zu ruhen, bis er das Blut von irakischen Männern, Frauen und Kindern getrunken hat. Erst aber als er die Nationalhymne textlich strapaziert, kippt die Stimmung ins Bedrohliche. Bewundernswert ist der körperliche Einsatz auch in einer quälend langen Szene, in der er sich mit seinem schätzungsweise 150 Kilo schweren Begleiter Azamat den bislang geschmackfreiesten Nacktringkampf der Filmgeschichte liefert. Borat ist der hellste Stern des von Cohen und seinem Co-Autoren Dan Mazer neu erschaffenen Komiker-Himmels, aber auch als intellektuell eher schwachbrüstiger Vorstadt-Rapper Ali G zeigte Cohen in seiner Fernsehshow schon absurde Interviews mit realen Funktionsträgern. Herrlich ist es zum Beispiel mit anzusehen, wie der schlicht gestrickte Jugendliche einen ehemaligen CIA-Chef mit der Forderung, Selbstmordattentäter sehr viel härter zu bestrafen, zum Beispiel mit dem Tode, langsam zur Verzweiflung bringt. Anders als seine tumben, aber mitteilsamen Figuren, ist Cohen selbst zugeknöpft. Der Cambridge-Absolvent gibt keine Interviews und tritt bei öffentlichen Veranstaltungen stets in einer seiner Rollen auf. Als Borat Sagdiyev hat er sich ausdrücklich von dem Juden Sacha Baron Cohen distanziert und unterstützt die kasachische Regierung bei ihren Beschwerden. Borat, Regie: Larry Charles, GB/USA 2006, 82 Minuten. |
Menschenrechtsgericht rüft Strafe wegen Kritik an Bischof AFPDE00020061031e2av001so JH 173 Words 31 October 2006 13:52 GMT Agence France Presse German Copyright Agence France-Presse, 2006 All reproduction and presentation rights reserved. |
Straßburg, 31. Oktober (AFP) - Die Slowakei hat mit einem Strafverfahren gegen einen Journalisten wegen dessen Kritik an einem Bischof gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstoßen. Dies stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Dienstag fest. Zugleich wiesen die Straßburger Richter die Regierung in Bratislawa an, dem 59 Jahre alten Kläger 6000 Euro Entschädigung zu zahlen. |
Der Journalist hatte 1997 in einem Artikel für ein Magazin die Forderung des damaligen Erzbischofs von Bratislawa, Ján Sokol, kritisiert, die Ausstrahlung des Filmes "Larry Flynt" zu untersagen. Außerdem forderte er die slowakischen Katholiken zum Kirchenaustritt auf. Mit dem Artikel veröffentlichte das Magazin auch Fotos aus dem Film, in dem es unter anderem um den Inzest zwischen einem kirchlichen Würdenträger und seiner Mutter geht. Der Autor wurde strafrechtlich verfolgt und wegen Beleidigung des Erzbischofs und der Anhänger der katholischen Kirche zu einem Monat Haft verurteilt. Dies rügte der Gerichtshof für Menschenrechte als unangemessen. +++ Der Gerichtshof im Internet: http://www.echr.coe.int +++ jh/jpf |
Regisseurin Julie Pfleiderer - "Wir machen das so, wie ich will" SPGLO00020061031e2au0001w SchulSPIEGEL / Abi - und dann? Schule: Abi - und dann? - Berufe in Echt Mara Braun 796 Words 30 October 2006 Spiegel Online (Deutsch) 0 German © 2006 SPIEGEL net GmbH. All rights reserved. |
(News) <veroeffentlichung-zeit>15:59:55</veroeffentlichung-zeit> Regie-Anfängerin Julie Pfleiderer bekam am Mainzer Theater ihre erste Chance und inszenierte das Erstlingswerk einer 23-Jährigen: eine Inzest-Geschichte zwischen Vater und Tochter. Sechs Wochen lang probte das Ensemble nonstop - doch bei der Uraufführung versagten die Nerven. |
"Ich komme frisch vom Studium, und Berufsanfänger haben es in meiner Branche nicht leicht. Doch damit bin ich bei meiner ersten Regiearbeit am Theater in Mainz offensiv umgegangen. Da habe ich auch mal gesagt: 'Ich weiß jetzt gerade nicht weiter'. Ich glaube, ich komme mit Offenheit eher ans Ziel. Man arbeitet auch zu eng miteinander und muss zu viel Zeit zusammen verbringen, als dass man sich etwas vormachen könnte. Für das Stück "Kopftot. Ein Fluchtversuch" haben wir sechs Wochen lang jeden Tag von halb elf bis drei und von sieben bis halb elf geprobt. Da findet nebenher kaum noch Privatleben statt, für mich als Regisseurin noch weniger als für die Schauspieler. Zwischen den Proben muss ich mich nämlich mit der Autorin absprechen, Pressegespräche führen, mir alle Kostüme und jedes Bühnenbild anschauen - da verlässt man den Theaterkosmos irgendwann nur noch, um schlafen zu gehen. Diese geballte Nähe mit fremden Menschen ist etwas, worauf man sich am Theater immer wieder neu einstellen muss, weil man ja bei jeder Inszenierung mit anderen Schauspielern arbeitet. Einerseits finde ich das spannend, oft fürchte ich aber auch die Konfrontation, die das mit sich bringt. Manchmal stehe ich jemandem gegenüber, der dreimal so alt wie ich ist und 40 Jahre Berufserfahrung hat - und trotzdem muss ich zu ihm sagen: 'Wir machen das jetzt so, wie ich will.' Weil ich mir bei dem Konzept etwas gedacht habe und eine kleine Änderung nur der Anfang von vielen Kompromissen wäre. Um mich durchzusetzen, brauche ich Feingefühl, aber auch starke Nerven. Vielleicht haben es Männer in dem Beruf leichter. Ich glaube, sie können diese emotionalen Komponenten besser ausblenden. Ich hingegen denke oft: 'Gott, die Schauspielerin ist extra hergezogen, um an diesem Theater zu arbeiten, ihr Mann hat noch keinen Job und das Kind Probleme in der neuen Schule - und ich kommandiere sie so rum.' Aber da muss man lernen, hart zu sein, sonst quält man sich nur selbst. Und natürlich leidet die Inszenierung, wenn ich mich als Regisseurin nicht durchsetzen kann. Es bleibt letztlich mein Stück. Die eigene Premiere geschwänzt Am Anfang jeder Inszenierung steht die intensive Beschäftigung mit dem Buch. Für meine Arbeit in Mainz durfte ich zwischen vier Stücken wählen. Ich habe mich sofort für "Kopftot" entschieden, einer Inzestgeschichte zwischen Vater und Tochter. Ich fand die Sprache darin großartig, sehr lyrisch - so etwas empfinde ich in einem Theaterstück als modern. Auch die fragmentartige, nicht lineare Erzählweise hat mich angesprochen. Sie garantiert mir, dass ich frei mit dem Text umgehen kann. Denn ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist die Interpretation eines Werks. Sonst wäre es Quatsch, einen Klassiker immer wieder neu aufzuführen - er sähe dann bei jedem Regisseur gleich aus, das wäre langweilig. "Kopftot" war eine Uraufführung. Ich bin sehr froh, dass sich vorher noch niemand mit dem Stück beschäftigt hatte. So konnte ich etwas schaffen, was für mich und die Zuschauer ganz neu war. Der Text hat viel offen gelassen, die Handlung war sehr vage, das gab mir Freiheit bei der Interpretation. Der moralische Aspekt hat für mich kaum eine Rolle gespielt. Mir ging es mehr um das Seelenleben meiner Figuren. Um das darzustellen, wollte ich unbedingt ein Lied in das Stück einarbeiten, das hat auch direkt gut geklappt. Außerdem war mir ein karges Bühnenbild wichtig, um die Enge darzustellen, in der die Figuren wie in Gefangenschaft zusammen leben. Die Inszenierung hat mich sehr stolz gemacht. Zum ersten Mal habe ich etwas wirklich Eigenes geschaffen. Wenn "Kopftot" jetzt in der zweiten Saison wieder aufgeführt wird, bin ich allerdings nicht mehr dabei. Der Gedanke, das Stück zurückzulassen, war zunächst komisch. Es ist trotzdem ein wichtiger Schritt ist, denn ich kann nichts weiter mehr tun. Jeder Regisseur muss sein Werk am Ende an die Schauspieler und Zuschauer abgeben können. Teil dieses Loslassens ist auch, mit der Resonanz auf die eigene Arbeit klarzukommen. Dazu gehören die Presserezensionen, vor allem aber die unmittelbaren Reaktionen der Zuschauer auf eine Vorführung. Vor der Premiere hatte ich so Bammel, dass die Autorin Gerhild Steinbuch und ich sie einfach geschwänzt haben. Wir saßen stattdessen beim Japaner und haben in Sushi herumgestochert - runter bekamen wir natürlich keinen Bissen. Erst kurz vor Schluss haben wir uns wieder hinter die Bühne geschlichen. Da haben die Leute schon wie wild geklatscht. Das war ein toller Moment." <i>Aufgezeichnet von Mara Braun</i> http://www.spiegel.de/schulspiegel/abi/0,1518,444258,00.html |
PMGSPON-xPMG-spiegel-444258 |
LPR: Polen soll Abtreibungsverbot in Verfassung festschreiben AFPDE00020061026e2aq001le LAU 239 Words 26 October 2006 14:08 GMT Agence France Presse German Copyright Agence France-Presse, 2006 All reproduction and presentation rights reserved. |
Warschau, 26. Oktober (AFP) - Die katholische Liga der polnischen Familien (LPR) will in der Verfassung ein absolutes Abtreibungsverbot verankern, um künftig Lockerungen des ohnehin schon bestehenden gesetzlichen Verbots so schwer wie möglich zu machen. Die an der Regierung beteiligte Partei will damit für den Fall gerüstet sein, dass "die Linke in zwei oder drei Jahren das Gesetz ändern will, um den Mord an ungeborenen Kindern zu erlauben", sagte LPR-Vize Wojciech Wierzejski am Donnerstag in Warschau zum Auftakt der Parlamentsdebatte. Eine Verfassungsänderung müsse dabei aber nicht automatisch bedeuten, dass das geltende Gesetz ebenfalls verschärft werde. |
Die Opposition unterstellt der Regierung allerdings andere Pläne. Der Vorstoß der LPR ziele darauf, in Polen ein komplettes Abtreibungsverbot einzuführen, sagte der Präsident der Sozialdemokraten, Wojciech Olejniczak, vor den Abgeordneten. Polen hat schon bereits jetzt eines der strengsten Gesetze in Europa, das Abtreibungen nur im Falle von Vergewaltigung, Inzest, Gefahr für das Leben der Mutter oder unumkehrbare Schädigungen der Ungeborenen erlaubt. Nach dem 1993 eingeführten Gesetz drohen im Zusammenhang mit verbotenen Abtreibungen zwei Jahre Haft. Die Abgeordneten werden frühestens in zwei Monaten über den Antrag der ultra-konservativen LPR abstimmen. Die LPR kommt mit den Koalitionskollegen der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der rechtspopulistischen Bauernpartei Samoobrona auf zusammen 230 der 460 Parlamentsstimmen. Für eine Verfassungsänderung wären allerdings mindestens 307 Stimmen notwendig. Zudem gibt es auch innerhalb der Regierungskoalition Kritiker des LPR-Vorstoßes. lau/lan |
Polnisches Parlament debattiert Abtreibungsrecht APDEW00020061026e2aq0018s 169 Words 26 October 2006 13:40 GMT AP German Worldstream German Copyright 2006. The Associated Press. All Rights Reserved. |
Rechtsgerichteter Koalitionspartner fordert Verschärfung Warschau (AP) - Das polnische Parlament hat am Donnerstag über eine Verschärfung des Abtreibungsrechts debattiert. In der von der rechtsgerichteten Liga polnischer Familie eingebrachten Vorlage sollen Vergewaltigung und Inzest als Gründe für einen legalen Schwangerschaftsabbruch entfallen. Die Liga ist Koalitionspartner in der Regierung von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski. Zur Änderung des Gesetzes ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Beobachter halten es für unwahrscheinlich, dass sie zustande kommt. |
Sie werten aber bereits die Tatsache, dass über die Vorlage im Parlament debattiert wird, als ein Zeichen für den Rechtsruck des Landes seit dem Amtsantritt der Regierung im Sommer. Auch Staatspräsident Lech Kaczynski, der Zwillingsbruder des Regierungschefs, sprach sich indes für die Beibehaltung des Status quo aus. Gegenwärtig darf eine Schwangerschaft in Polen in den ersten zwölf Wochen im Fall einer Vergewaltigung oder eines Inzests abgebrochen werden, ferner bei schwerer Schädigung des Fötus' sowie bei Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter. Die Abstimmung über eine Gesetzesänderung sei frühestens im Januar zu erwarten, erklärte Parlamentspräsident Marek Jurek. |
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LIEBESDRAMA Das Leben, das ich immer wollte TAGSS00020061025e2aq00020 TICKET 150 Words 26 October 2006 Der Tagesspiegel T07 19352 German Copyright 2006. Verlag Der Tagesspiegel GmbH. All rights reserved. For future information see http://www.tagesspiegel.de |
Filme über Schauspieler dürfte es nicht geben. Sie riechen nach Inzest, Nabelschau und Selbstbeweihräucherung. Dieses Exemplar erzählt von zwei Schauspielern, die für einen Kostümfilm engagiert wurden. Der eine, Stefano, ist ein Star, die andere, Laura, eine unbekannte Aktrice. Sie verlieben sich ineinander (Inzest), bekennen sich zu ihrem emotionalen Krüppel-Dasein (Na belschau) und feiern das Spiel vor der Kamera als Hort wahrer Empfindung (Beweihräucherung). Ein bisschen abgedroschen, aber Regisseur Giuseppe Piccioni hat sehr gute Hauptdarsteller gefunden. Luigi Lo Cascio markiert einen müden Star. Erst wenn die Klappe fällt, findet er Zugang zu seinen verschütteten Gefühlen. Sandra Ceccarellis Laura besitzt den Hunger auf das Leben noch, sie weiß nur nicht, was sie will. Ein höchst theatralischer Film. Ulf Lippitz "Das Leben, das ich immer wollte", I 2004, 125 Min., |
R: Giuseppe Piccioni, D: Luigi Lo Cascio, Sandra Ceccarelli |
200610262843568 |
Elegante Nachtflüge TAZ0000020061025e2aq0003k Kultur REINHARD KRAUSE 692 Words 26 October 2006 taz - die tageszeitung taz 17 German (c) 2006 taz, die tageszeitung |
Vater, Mutter und Quietschstimme sind Vergangenheit: Charlotte Gainsbourg hat das Album „5:55” auf den Markt gebracht VON REINHARD KRAUSE |
Als die französische Schauspielerin Sandrine Kiberlain vor einem Jahr ein Chanson-Album herausbrachte, nannte sie es vorauseilend gleich „Manquait plus que ça”, was man mit „Das fehlte grad noch” übersetzen kann oder noch besser mit „Die fehlte grad noch”. Bei ihrer Kollegin Charlotte Gainsbourg käme kein Mensch auf den Gedanken aufzustöhnen, warum die denn nun auch noch mit dem Singen anfangen muss. Immerhin ist sie die Tochter von Serge Gainsbourg, und der ist Frankreichs Säulenheiliger des Chanson – zumindest seit er tot ist. Als Schauspielerin hat sich Charlotte Gainsbourg seit frühester Jugend einen tadellosen Ruf erspielt. Von „Das freche Mädchen” (1985) bis hin zum jüngst angelaufenen „Science of Sleep” steht ihr Name für hochwertige Unterhaltung mit Tiefgang und für schlaksige Eleganz. Ihr Film „Meine Frau, die Schauspielerin” wurde mit dem Spruch beworben: „Alle lieben sie. Das ist ja das Problem.” An fehlender Zuneigung seitens der Musikwelt lag es tatsächlich nicht, dass Charlotte Gainsbourg erst heute, mit 35, zum Gesang gefunden hat. Das Problem dürfte viel eher gewesen sein, dass sie bereits vor zwanzig Jahren ein Album eingespielt hatte unter Federführung des Herrn Papa. „Charlotte for ever” war dessen Hymne auf die eigene Tochter; vorausgegangen war 1984 ein Skandalduett namens „Lemon Incest”, auf der der alte Provokateur die in seinem Oeuvre so ziemlich letzte noch fehlende Sexvariante, nämlich den Inzest, zumindest angedeutet hatte. Schnee von vorgestern, gewiss, aber Schnee mit Langzeitwirkung. Vater Gainsbourg nämlich hatte, wie die Tochter es aus der Rückschau nennt, bei den Aufnahmen liebevoll all ihre kleinen „Unfälle” beim Singen auf Platte pressen lassen, mit der Folge, dass Charlotte nun quasi wirklich forever mit einer total verquietschten und immer mal wieder entgleitenden Singstimme assoziiert wurde. Ein Juwel für Kinderliebhaber. Kein Wunder, dass die Tochter jahrelang keine Lust verspürte, noch einmal ein Tonstudio von innen zu sehen. Erst nachdem sie sich vor zwei Jahren von Etienne Daho zu einem Duett hat überreden lassen, scheint Charlotte Gainsbourgs Vertrauen in ihre gesanglichen Fähigkeiten wieder gewachsen zu sein. Als Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel von Air ihr ein Albumprojekt antrugen, sagte sie schließlich zu. „5:55” ist insofern tatsächlich ihr Debüt – als reife Sängerin. Obwohl: Anders als die Kolleginnen Kiberlain oder auch Isabelle Huppert, die auf fast altmodische Art jeden Ton aussingen, verlegt sich Charlotte Gainsbourg mehr aufs Andeuten, eine Art Sprechgesang. So vermeidet sie neue „Unfälle”. Die Songs auf „5:55” sind nachtschwarz und schwebend zugleich geraten. Jeder einzelne Titel klingt vielversprechend und hochelegant. Trotzdem stellt sich à la longue das Gefühl ein: Ist das nicht alles ein wenig dünn? Was nicht einmal an Gainsbourgs Stimme liegt, sondern durchaus an den Arrangements von Air. An wen erinnert das bloß? Es muss eine sehr ferne Erinnerung sein. Genau: an Klaatu, diese Phantomband, die Mitte der Siebzigerjahre auftauchte und alles dafür tat, dass die Fachpresse munkelte, es handele sich um ein Geheimprojekt der wiedervereinigten Beatles. War natürlich alles bloß Fake, und bestimmt hätten sich die Beatles auch für solch einen weichen Sound geniert. Übrigens hieß das erste Klaatu-Album „3:47 EST”. Zufall? Womöglich haben Air in ihrer Kindheit zu viel von diesen sphärischen Wabersounds gehört. Wenn sie wenigstens auf die ewig perlende Pianobegleitung verzichtet hätten! Für die Texte zeichnen Jarvis Cocker von Pulp und Neil Hannon von Divine Comedy verantwortlich. Da ist viel von Tagträumereien und nächtlichen Flügen die Rede. Charlotte Gainsbourg hat von Anfang an Wert darauf gelegt, auf Englisch zu singen – und sich alle Schlüpfrigkeiten verbeten. Ihrer Stimme, hat sie selbst erkannt, hört man die textlichen Untertöne auf „5:55” nicht unbedingt an. Tatsächlich fragt man sich nach wiederholtem Hören: Sind da welche? Seltsamerweise wurde Charlotte Gainsbourg in Interviews zu ihrem Album vor allem nach dem Erwartungsdruck gefragt, der sich aus dem berühmten Nachnamen ergab. Dabei wäre der Vergleich mit ihrer Mutter viel erhellender. Jane Birkin hat eindrucksvoll vorgemacht, wie man sich als Schauspielerin zur unverwechselbaren Sängerin entwickelt. Auch mit begrenztem stimmlichem Material und mit beherztem Mut zum Unfall. Nicht leicht, das Kind dieser Verbindung zu sein, auch wenn alle einen lieben. |
Charlotte
Gainsbourg: „5:55” (Warner) |
Vernetzung von Liebe, Gift und Galle Beim Festival der Frauen kommen Gewalt und Amoralität auf die Bühne MARKAL0020061021e2al000nh KRAUSECL 324 Words 21 October 2006 Märkische Allgemeine POS German Copyright 2006 Märkische Allgemeine – Brandenburgs beste Seiten. All rights reserved. For further information see http://www.MaerkischeAllgemeine.de |
LOTHAR KRONE Das „10. Festival der Frauen“ vom 16. bis 22. Oktober tritt mit dem Anspruch einer „kulturellen Vernetzung“ auf. Zum Auftakt bekannte es sich trotzig zur Utopie des Theaters als moralische Anstalt und schloss couragiert den Mut zur Amoralität mit ein. |
Der Donnerstagabend in der Schinkelhalle begann also mit einer Reihe von verbalen Übereinstimmungen, und egal was das Frauenzentrum Potsdam auch immer bezweckte, die Tatsache des wohlbegründeten Einsatzes von zeitgenössischem Theater spricht in mehrfacher Hinsicht für die verantwortlichen Frauen. Dieses ungebrochene Vertrauen in die Kunst und noch dazu in die Kompetenz eines männlichen Autors im so spezifischen Ressort „Frauenschicksale“ wurde prompt belohnt. Etwas Besseres als Ralf- G. Krolkiewicz’ Tragikomödie „sonst is alles wie immer“ lässt sich zum Thema „Lebensentwürfe von Frauen und ihre Konfrontation mit der Realität“ nur schwer im gegenwärtigen Dramenangebot finden. Die gnadenlos ungeschminkte Alltagssprache des Autors zeichnet ein deprimierendes Bild vom Seelenzustand der ostdeutschen Mehrheitsgesellschaft. An Defekten ist in den rasend schnell vergehenden zwei Stunden Familienchaos kein Mangel. Die Feier zum 90. Geburtstag des senilen Vaters ist der Auslöser einer Eruption, die vom Inzest bis zur Fremdenfeindlichkeit beinahe jede Spielart der Gewalt und Amoralität zu Tage fördert. Ein halbes Dutzend hochkarätiger Frauenrollen trugen die knisternde Spannung über den Tod des Jubilars hinaus bis in den Epilog. Das Geheimnis für den Erfolg einer solchen biografischen Geisterbahnfahrt ist der Verzicht auf eine einseitige Opfersicht dieser Frauenschicksale. Frau leidet und ist ausnahmslos trotzdem immer auch Täterin. Liebe und Wärme wechseln in schneller Folge mit Gift und Galle bis in die nächste Katastrophe hinein. Den Frauen war diese offenkundig realistische Betrachtung weiblicher Defizite höchst vertraut, und so gab es die diversen Lacher bereits im Verlauf der Vorstellung. Ein im Vergleich zur Berliner Premiere noch eingespielteres Ensemble des Theaters 89 sorgte mit erstklassigen schauspielerischen Leistungen für den souverän erspielten, ehrlichen Applaus. |
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Abtreibung vors Volk DBUND00020061019e2ak0000c Ausland 164 Words 20 October 2006 Der Bund 3 German (c) 2006 Der Bund Verlag AG |
Kurz portugal Das Parlament hat eine Volksabstimmung über die Legalisierung der Abtreibung beschlossen. Bisher ist Schwangerschaftsabbruch nur nach Vergewaltigung, Inzest oder bei gesundheitlichem Risiko für die Mutter straffrei. Falls die Mehrheit der Wahlberechtigten zustimmt, wird er bis zur zehnten Woche erlaubt. (ap) |
Türkei verurteilt Strassburg Die Türkei muss nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Opfern von Verfolgung oder ihren Hinterbliebenen 115 000 Euro Entschädigung zahlen. Es ging um Fälle aus den Neunzigerjahren: eine Frau, die in einem Kurdendorf vom Militär getötet wurde, einen Jugendlichen, der nach seiner Verhaftung verschwand, und einen Lehrer, der in Haft des Kommunismus beschuldigt und gefoltert wurde. (sda) Kandidat erschossen russland Drei Tage vor einer Stichwahl ums Stadtpräsidium von Dalnegorsk im Fernen Osten ist einer der beiden Kandidaten erschossen worden. Zwei Attentäter eröffneten nach einem Wahlkampfauftritt Dmitri Fotjanows das Feuer auf den Politiker der Kremlpartei Geeintes Russland und entkamen. Aufgebrachte Bürger der 50 000 Einwohner zählenden Stadt protestierten auf den Strassen gegen das Attentat. (sda) |
Referendum über Legalisierung von Abtreibung in Portugal beschlossen APDEW00020061019e2aj001vc 155 Words 19 October 2006 17:08 GMT AP German Worldstream German Copyright 2006. The Associated Press. All Rights Reserved. |
Lissabon (AP) - Das portugiesische Parlament hat am Donnerstag eine Volksabstimmung über die Legalisierung von Abtreibung beschlossen. Die derzeitige Gesetzeslage, die bei einer Abtreibung strafrechtliche Verfolgung vorsehe, sei im 21. Jahrhundert und in Europa »unfair, grausam, rückschrittlich und irrational«, sagte der sozialistische Abgeordnete Alberto Martins. Das portugiesische Abtreibungsrecht ist eines der striktesten in Europa. Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch nur in den ersten zwölf Wochen und nur nach einer Vergewaltigung, Inzest oder bei einem gesundheitlichen Risiko für die Mutter erlaubt. Sollte in einem Referendum eine Mehrheit der Bevölkerung für eine Gesetzesänderung stimmen, wäre ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zehnten Woche straffrei. Bisher lassen viele Frauen aus Portugal eine Abtreibung in Kliniken im benachbarten Spanien vornehmen. |
Eine ähnliche Volksabstimmung war 1998 wegen zu geringer Beteiligung für ungültig erklärt worden. Damals hatte eine knappe Mehrheit für »Nein« gestimmt. Für eine Gültigkeit müssen mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben. |
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Deutschlands letztes Scheusal DWELT00020061017e2ah0001d REPORTAGEN Jochen Förster 1412 Words 17 October 2006 Die Welt DWBE-HP 8 242 German Copyright 2006 Axel Springer AG . Zusatzhinweis: "Dieser Artikel darf ohne die vorherige Zustimmung des Verlages nicht weiter-verbreitet werden. Dies ist eine Einschränkung der Rechte, die Ihnen generell hinsichtlich der Factiva-Dienste eingeräumt wurden." Notice: "This article may not be redistributed without the prior consent of the Publisher. This is a restriction on the rights granted under the terms of your subscription for Factiva Services." |
Kein Schauspieler wird sich je wieder inszenieren können wie Klaus Kinski. Morgen wäre er 80 Jahre alt geworden |
Es gibt keinen größeren Gegensatz als Kinski und Kommunismus, und doch fanden beide zusammen. Genau einmal, an einem Samstagabend im August 1959. Klaus Kinski hatte in Wien gerade Brecht rezitiert und sich so den Unmut der antikommunistischen Stadtvorderen zugezogen, also luden die Kommunisten ihn ein, Brecht noch mal zu rezitieren, diesmal vor 40 000 Menschen bei den "Weltfestspielen der Jugend und Studenten" auf dem Wiener Heldenplatz. Kinski, im dunklen Rollkragenpulli, stand allein auf der riesigen Bühne und trug das Gedicht "An meine Landsleute" vor. Deklamierte, dramatisierte, tobte wie immer, breitete am Schluss die Arme weit aus und rief: "Ich bitt' euch, lasset eure Kinder leben!" Ein paar Sekunden Stille, dann tosender Applaus und tiefe Verbeugung. Klaus Kinski, Held der Arbeiterklasse, Vorbild jugendlicher Internationale, der sich - kein Witz - tags zuvor sogar die wilde Tolle hatte kürzen lassen, weil das den älteren Kommunisten nicht so vorbildlich erschien. Welch groteske Vorstellung! Kinski, der sich als Gossenkind sah, als Paria der Kulturbourgeoisie, und der Ahnungslosen gern vorlog, er sei in den Gassen von Neapel aufgewachsen - dieser Gossen-Klaus ließ sich vor den Karren der KP Österreichs spannen, zur "Feier für den Frieden und die Freundschaft zwischen den Völkern, gegen Atomwaffen, für Abrüstung und friedliche Koexistenz". Natürlich scherte Kinski sich einen Dreck um Kommunismus, Weltfrieden, Politik schlechthin; dafür war er zeitlebens zu sehr mit sich selbst beschäftigt, und deswegen ist die Wiener Randnotiz im Beziehungsdrama zwischen Klaus Kinski und seiner Umwelt so bezeichnend. Es war das große Drama vom Ich und den anderen, von Freiheit und Anpassung, Genie und Mittelmaß, Trieb und Sublimation. Und es war ein Drama der Missverständnisse. Hier Kinski, Berserker, Schauspieltier, Jahrhunderttalent, ungehobelt wie feinsinnig, oft unausstehlich, notorisch geltungssüchtig, fast nie berechenbar. Dort eine Nachkriegsöffentlichkeit, die sich in der mühsam errungenen Normalität einrichtete und das Kuriosum Kinski mal staunend zur Kenntnis nahm, mal hausmeisterlich zur Ordnung rief. Kinski brauchte den Applaus, und sei es den der FDJler. Die allgemeine Verehrung, die er forderte, bekam er nie. Im Gegenteil. Als Klaus Kinski vor gut 15 Jahren 65-jährig in Kalifornien starb, kommentierten deutsche Medien diese Nachricht eher hämisch. "Aus für Klaus", titelte der "Stern", "Der Irre vom Dienst ist tot", die "taz", der "Spiegel" hatte für den "ewig Unreifen" nur eine Randspalte übrig. Angesichts des Umstands, dass mit Kinski der letzte deutsche Weltstar des Kinos gestorben war, ist das kaum zu fassen. Umso mehr, als es davon nur eine Handvoll gab: Marlene Dietrich und Romy Schneider, vielleicht Curd Jürgens, Peter Lorre, Helmut Berger und Klaus Maria Brandauer, aber die sind eh Österreicher. Unter ihnen war Kinski das einzige Enfant terrible, er hasste nichts mehr als Journalisten, die wiederum Kinski als exzentrisches Großmaul vorführten. Wer kann heute noch sagen, welche Seite angefangen hat. Sagen kann man, dass an annähernden Weltstarformaten nunmehr Mario Adorf und Armin Müller-Stahl übrig sind - wenn man die Nachbarn hinzuzählt, noch Schwarzenegger und Bruno Ganz. Und sagen kann man, dass Kinskis überfälliger Nachruhm seit seinem Tod allmählich wächst, etwa im selben Maße, in dem das Showbiz seine Enfant terribles verliert, die es doch so dringend benötigt. An Kinski zu denken, macht immer ein wenig wehmütig: keiner da, der bei "JBK" beispielsweise mit einem "Elender Heuchler" den Laden aufmischt. Kinohoffnungen wie Matthias Schweighöfer und Jessica Schwarz sind eigenwillig, nicht aufsässig. Sie benutzen Medien, statt sie zu hassen. Enfant terribles sind so gut wie ausgestorben. Und wird irgendwo auf der Welt doch mal ein Bonsai-Kinski gesichtet, landet er - armer Pete Doherty! - sofort in der Klatschvitrine. Für die Züchtung von Enfant terribles ist das natürlich ein Problem. Der Nachwuchs kann nicht mehr in Ruhe gedeihen. Als Klaus Günter Karl Nakszynski, geboren am 18. Oktober 1926 im Ostseebad Zoppot, im Berlin der ersten Nachkriegsjahre seine Karriere begann, gab es viele Tote und Trümmer, dafür kaum Schauspieler und Medien. Und es gab Feinde: Krieg und Elend, Adenauer und Riefenstahl, Mitläufer und Nichts-gesehen-Haber. Kinski hatte genug Temperament, um es mit allen aufzunehmen. Mit 16 war der Fallschirmjäger in britische Kriegsgefangenschaft geraten und hatte die Mitgefangenen mit Schauspieleinlagen unterhalten. Mit 18 schlug er die Scheiben des Schlossparktheaters ein. Auftakt zu einer Serie von Ausrastern, die umso mehr zu Skandalen gerieten, als Kinski die ihm zugeteilte Rolle des "Irren vom Dienst" annahm. Dabei war die Wut der frühen Jahre echt. Kinski war beileibe nicht der reine Poseur, als der er bis zu seinem Tod missverstanden wurde. Er meinte es ernst mit seiner Verachtung von Mittelmaß, Seichtheit, vorgeschobenem Interesse. Gewiss, Kinski pöbelte, war ein Prahlhans, ein Sauberkeitsfanatiker, benötigte Ruhm so dringend wie Kokain und Nikotin. Aber er wollte wirklich bewegen, er brodelte, seine Liebe zu Beethoven war nicht gespielt. "Nur ein Übermaß an Empfindlichkeit ließ Kinski Krawall machen", wie es Werner Herzog einmal sagte. Am stärksten zeigt sich die weiche Seite des jungen Kinski auf den frühen Hörspielaufnahmen, den Szenenfotos zu Hans-Werner Henzes Ballettpantomime "Der Idiot" sowie in seinen frühen Gedichten. "Ich bin durchaus sehr zart", dichtet er darin einmal, "und fühle mich doch kräftiger als alle." Die dramatisierende Kraft seiner Rimbaud- und Villon-Rezitationen sowie seine Auftritte in Edgar-Wallace-Verfilmungen machten Kinski in den frühen 60er-Jahren zur nationalen Größe. Als Theaterschauspieler aber scheiterte er. Er litt unter Selbstzweifeln, vor allem aber unter Geldsorgen. Er verbrauchte viel, und wenn er mal viele Scheine hatte, schmiss er damit um sich, manchmal im Wortsinn. Als der "Spiegel" Kinski 1961 sein Titelbild widmete, hatte der notorische Getriebene zwei Selbstmordversuche hinter sich. Pünktlich zum 80. Geburtstag ist Kinskis schillerndes Leben und Wirken nun erstmals auch in detaillierter Buchform nachzulesen. Der Wiener Journalist Christian David trägt in seiner neuen Biografie in beinahe buchhalterischer Akribie Fakten zusammen - von ersten Schauspielversuchen in Berlin über die Frauen seines Lebens bis zur Auswanderung nach Rom-Paris-Kalifornien, vom Debakel der beiden Herzensprojekte, der "Jesus Christus Erlöser"-Tour sowie der einzigen Regiearbeit, "Paganini", bis zu Kinskis Mitwirkung in so subalternen Streifen wie "Das Geheimnis der gelben Mönche" oder auch "Der Sarg der blutigen Stiefel". Man erfährt, dass der 20-jährige Schauspielschüler Kinski 1947 gemeinsam mit Harald Juhnke Shakespeare probierte. Dass er die Rolle des Nazis in Spielbergs erstem "Indiana Jones"-Film ablehnte, weil er das Projekt als wenig Erfolg versprechend ansah. Dass er im karibischen Exuma-Archipel eine Insel besaß. Dass er sich bereits 1990 um die Filmrechte an Patrick Süßkinds "Das Parfum" bemühte. Was Davids Buch bei aller Recherche fast völlig abgeht, ist die Analyse des Phänomens Kinski, seiner Widersprüche. Heikle Punkte wie etwa das Hass-Liebe-Verhältnis zu Tochter Nastassja spart David aus - Kinski deutete in seiner zweiten Autobiografie "Ich brauche Liebe" an, mit ihr Inzest getrieben zu haben, als sie 17 war -, und auch sonst streift der Autor bei aller Recherche Schlüsselfragen nur beiläufig: Warum erhielt Kinski so schlechte Presse anlässlich seiner TV-Auftritte, die miserablen Interviewer aber nicht? Wie kam es, dass Kinski mit starken Regisseuren wie Sergio Leone, David Lean oder Fritz Kortner so gut klarkam und ihm Kollegen von Clint Eastwood bis Bruno Ganz durchweg hohe Professionalität bescheinigten? Wer war was im kreativen Hass-Liebe-Verhältnis von Kinski und Regisseur Werner Herzog, mit dem Kinski die Meisterwerke "Nosferatu" und "Fitzcarraldo" drehte, der nach Kinskis Tod auf keinen grünen Zweig mehr kam und sich in seiner Kinski-Dokumentation "Geliebter Feind" dreist ins rechte Licht rückte? Von Kinskis Träumen, Ängsten und Ticks erfährt man in seinen autobiografischen Lügenmärchen "Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund" und "Ich brauche Liebe" weit mehr als in Davids 450-seitiger Faktensammlung. Eine endgültige Kinski-Biografie steht also immer noch aus, und das Verlangen nach ihr wird steigen, je weniger Enfant terribles nachwachsen. Und je mehr das Bewusstsein dafür steigt, dass Kinskis Außenseitertum seine Ära spiegelt. In den 50er-Jahren musste ein Künstlertier wie er anecken und später emigrieren. In den 60ern drehte er B-Filmchen nur fürs Geld, während "Pop Art" die Grenze von Kunst und Kommerz aufhob, und wurde ein prägendes Gesicht des Italowesterns, der Antithese zur Verlogenheit der 50er-Jahre. In den 70ern machte er Autorenfilme und in den 80ern ging nichts mehr, da war "E.T." angesagt - aber keiner wie er. Nicht zuletzt versicherte sich anhand des getadelten Kinski die selbstherrliche Öffentlichkeit ihrer Normalität. In Kinski spiegelte sich das Bürgertum, manchmal auf witzige Weise. Als Kinski während eines Schiller-Abends 1960 in München einen lachenden Zuschauer mit den Worten "Geh raus, du Schwein" anherrschte, titelte die "Abendzeitung" anderntags voller Verständnis: "Ja, so san's, die Enfant terribles." |
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Schlüpfriges Terrain; Elias Perrig mit Jon Fosses «Besuch» im Theater Basel NEUZZ00020061017e2ah0003q 744 Words 17 October 2006 Neue Zürcher Zeitung 3 German Besuchen Sie die Website der führenden Schweizer Internationalen Tageszeitung unter http://www.nzz.ch |
Dieses Stück hat ein Problem, das vom allerersten bis zum allerletzten Moment in gleissendem Licht auf die Bühne gestellt wird, damit es niemandem entgeht. Zwar treten die Personen - Mutter, Freund der Mutter, Tochter, Sohn - in minimalistisch gestyltem Design auf und tragen geschmackssichere Outfits (Ausstattung Beate Fassnacht). Doch sofort ist klar: Hier sehen wir kein Patchworkfamilienidyll, sondern ein greuliches Psychodram auf sexualneurotischer Basis. Der Basler Schauspieldirektor Elias Perrig knöpft sich für seinen Regie-Einstand am eigenen Haus «Besuch» des norwegischen Dramatikers Jon Fosse vor. Trotz dem stolzen Hinweis auf die «deutschsprachige Erstaufführung» sollte man sich aber fragen, ob das Stück nicht vielleicht bloss Mühe hatte, ein Theater zu finden. So, wie es Perrig inszeniert, gehört es nämlich eher in die Psychologenpraxis oder vor das Sozialamt. Beine und Blicke |
Chantal Le Moign als Übermutter redet, ohne Punkt und Komma und mit dem Impetus bestürzten Engagements, wie es häufig Telenovela-Müttern eigen ist, auf Inga Eickemeier ein, die als Tochter Siv verstockt vor sich hinschaut oder betreten die Augen verdreht. In ihrem pastellfarbenen Négligé sieht sie reizend bis aufreizend aus wie eine Calida-Reklame: Dieses junge Ding, und vor allem auch diese Schauspielerin, trägt im Unterschied zu den anderen Personen immerhin ein Geheimnis mit sich herum. Wenn sie später, zurück vom nächtlichen Spaziergang, vor Mutter und deren Freund schlaksig und schlaff auf den Hocker neben dem Sofa plumpst, kann man es insbesondere dem Mann kaum verübeln, dass sein Blick an den langen Mädchenbeinen hängen bleibt. Hingegen verübelt man der Regie, dass Sivs Wickeljupe weit aufgehen und diese Beine in ihrer ganzen Länge freigeben muss, und ebenfalls, dass der Mann die Annäherungsversuche seiner Partnerin - ihr Fuss streichelt den seinen - nun dezidiert und brüsk abwehrt. Die Körpersprache beweist in dieser Inszenierung vor allem und immer wieder eins: Überdosierung erzeugt komische Wirkung. In Basel herrscht solche Komik unfreiwillig. Denn Perrigs Lesart der Geschichte lässt an skandalistischer Eindeutigkeit und erregter Betroffenheit nichts zu wünschen übrig. Das erstaunt bei einem Autor wie Jon Fosse, der üblicherweise (hier allerdings weniger als sonst) nur Möglichkeiten suggeriert, damit unsere Vorstellung sich darauf ihre verschiedenen Reime mache. Die 19-jährige Siv verkriecht sich in autistischer Apathie. Ihrer Mutter bereitet sie Sorgen; lieber als der Erziehung möchte diese sich dem neuen Lebensabschnitt widmen, will sagen dem neuen Partner. Er aber, arbeitslos, scheint zur Zweierkiste weniger parat als sie und überhaupt ein unentschlossener Mensch. Vom Sohn, der flügge ist, erfährt man, dass er früher eine enge Beziehung hatte zur Schwester. Nun sorgt sich auch er um ihre Passivität. Und da passiert's: Mutters Freund soll sich an dem Mädchen vergriffen haben. So viel zumindest insinuiert Siv. Der Bruder stellt alsbald den - ahnungslosen oder sich ahnungslos gebenden - Missetäter zu Rede. Socken oder Schuhe Unter der Bettdecke des warmen Familiennests, wir wissen es leider, kommt Inzest vor - zwischen Brüderlein und Schwesterlein; zwischen Eltern und Kindern. Beides lässt Jon Fosse anklingen und auch, dass es später gern «vergessen» wird bzw. überdeckt durch fiktive oder vollzogene Wiederholungstaten in anderer personeller Besetzung. Was aber wäre, wenn Liv bloss intrigierte? Perrig lässt sich von Fragen dieser Art nicht einmal streifen. Dabei böten gerade sie das Potenzial zur Öffnung hin auf eine Sphäre der Mehr- und Uneindeutigkeit, wo Fosses Stück mehr ins Schwingen käme als auf Perrigs eindeutigem - und eindeutig schlüpfrigem - populärpsychologischem Bodensatz. Ein langes Tête-à-Tête konfrontiert Vinzent Leittersdorf, der - lächerlich frisiertes Toupet und verklebte Allüren - den Mann hauptsächlich als Ausweicher spielt, mit Raphael Traub, dem Sohn der Mutter und Bruder der Schwester und insofern auch dem zweifachen Rivalen des «Neuen». Die Konstellation der beiden Besucher - sie treffen sich in jener Wohnung, die nicht mehr (Sohn) oder noch nicht (Mann) die ihre ist - schreit geradezu nach homoerotischen Vibrationen. Davor indessen schreckt Perrig zurück. Oder ist Raphael Traub, der breitbeinig im Raum steht, schlicht und einfach nicht fähig, seine augenscheinliche Verklemmtheit zu nuancieren? Als er dann, symbolträchtig genug, ein Küchenmesser aus seiner Plastictasche zückt und frontal auf das Gegenüber richtet, provoziert er lediglich Gelächter - im Saal. Während des ganzen Abends bewegen sich die Figuren schuhlos in ihrem sauberen Schöner-Wohnen-Heim. Zuletzt, als Bruder und Schwester, Hand in Hand und wie im Märchen verlassen von Mutter und Stiefvater, feststellen, sie müssten nun «raus ins Leben», tragen sie festes Schuhwerk. Dass sich die Phantasie des Regisseurs, der so permanent wie konsequent mit dem Zaunpfahl winkt, auf die Socken mache, bleibt ein frommer Wunsch bis zum bitteren Ende. Barbara Villiger Heilig |
DAS SOLLTEN SIE SEHEN Familiendrama II TAZ0000020061016e2ah0003i Flimmern und Rauschen 55 Words 17 October 2006 taz - die tageszeitung taz 18 German (c) 2006 taz, die tageszeitung |
Kriminalsatire, F 2003, Regie: Claude Chabrol; Darsteller: Benoît Magimel, Nathalie Baye 0.50 Uhr, ZDF, „Die Blume des Bösen” |
Inzest, Erpressung und sogar Mord: Regie-Altmeister Chabrol seziert in seinem 53. Film das, ach so heile, Idyll der angesehenen wie machtgeilen Kleinstadtfamilie Charpin-Vasseur. Hervorragendes Darstellerensemble. |
Der Norden lässt aufhorchen WISTAG0020061014e2ae0003v Kultur 577 Words 14 October 2006 Wiesbadener Tagblatt 0 German C) 2006 Verlagsgruppe Rhein Main GmbH & Co. KG |
Paavo Järvi stellt sich mit "Kullervo" von Sibelius als hr-Chefdirigent vor Von |
Volker Milch FRANKFURT Mit ihren ganz persönlichen Noten bleiben sie in Erinnerung, die Chefdirigenten des Frankfurter Radio-Sinfonieorchesters, das sich mittlerweile hr-Sinfonieorchester nennt. Bei Eliahu Inbal (1974-1990) denkt man an seine intensive Beschäftigung mit den Bruckner-Urfassungen, bei Dmitrij Kitajenko (1990-1996) an die russischen Repertoire-Schwerpunkte, bei dem unlängst verabschiedeten Hugh Wolff (1997-2006) an originelle Programm-Konzeptionen und eine Erweiterung des stilistischen Spektrums durch die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis. Nun hat der aus Estland gebürtige Paavo Järvi das Amt des hr-Chefdirigenten angetreten. Järvi, 1962 in Tallinn geborener Sohn des Dirigenten Neeme Järvi, hat (auch im Gespräch mit dieser Zeitung) als einen Schwerpunkt seiner Frankfurter Arbeit Musik aus dem Baltikum angekündigt: "Eine Gegend mit viel guter Musik". Auch wenn er als Gast längst eine feste Größe in Frankfurt ist und sich hier mehrfach für "Nordisches" stark gemacht hat, wächst dem Programm der Antrittskonzerte in der Alten Oper besondere Bedeutung und gesteigerte Aufmerksamkeit zu. Erfreulich, dass Järvi zum Auftakt seiner ersten, "Aufbruch" überschriebenen Saison das Publikum mit einer ausgesprochenen Rarität bekannt gemacht hat, mit einem Jugendwerk von Jean Sibelius, mit der Sinfonischen Dichtung "Kullervo" für Orchester, Soli und Männerchor. Der Komponist, dessen Rezeption nach dem berühmt-berüchtigten Adorno-Verdikt und der Vereinnahmung durch nationalsozialistische Blut-und-Boden-Ideologie im Nachkriegsdeutschland einigermaßen holprig verlief, traf mit der Uraufführung in Helsinki 1892 im zarten Alter von 26 Jahren offenbar den Nerv der Zeit und seiner nach Unabhängigkeit strebenden Heimat. Das Werk begründete seinen Ruf als Nationalkomponist. In den beiden mit Soli und Männerchor besetzten Sätzen der fünfsätzigen Sinfonie greift Sibelius den tragischen Kullervo-Mythos aus dem finnischen Nationalepos "Kalevala" auf: Der junge Held Kullervo verführt unwissentlich seine Schwester und stürzt sich, nachdem ihm der Inzest bewusst wird, ins eigene Schwert. Das klingt durchaus so düster, wie es sich liest. Sibelius, der sich nach der Uraufführung von der Sinfonie distanzierte, schlägt hier doch schon einen ganz eigenen, tragisch-melancholischen Ton an, den man in seinen reiferen Kompositionen wiedererkennen wird. Das Pathos, das von Blech und Pauke immer wieder mächtig angeheizt wird, mag gelegentlich auf die Nerven gehen - an grandiosen Momenten fehlt es "Kullervo" nicht, wenn etwa die Blech-Gewitter plötzlich aufreißen und subtilen Holzbläser-Passagen Platz machen. Im Allegro vivace des zentralen dritten Satzes, "Kullervo und seine Schwester", steigert sich die Szene zu opernhafter Dramatik: In holzschnittartigen, archaisch anmutenden Chor-Passagen skandieren die Männerstimmen den finnischen Text, und in expressiven Soli tragen der Bariton Jorma Hynninen und die Mezzosopranistin Charlotte Hellekant Schicksalhaftes bei - in einer beeindruckenden Identifikation mit den Partien, die erheblichen Anteil am großen Erfolg des Abends hat. Als gut trainierter Klangkörper zeigte sich der Nationale Männerchor Estlands, bestens vertraut mit dem Idiom und unter Paavo Järvis Leitung mit Sibelius-Kantaten bereits zu "Grammie"-Ehren gekommen. Inmitten der Klanggewalt, die mit "Kullervos Tod" in einem Klagegesang endet, agiert der neue Chefdirigent mit ökonomischer, präziser Schlagtechnik so souverän, wie man ihn in Frankfurt bereits kennt. Paavo Järvi ist gewiss kein Mann der Maestro-Posen, aber hinter seiner entspannten, sachlichen Freundlichkeit am Pult bleibt eine mitreißende, auch das hr-Sinfonieorchester ansteckende Begeisterung spürbar. Ein erfreulicher "Aufbruch", dem mit der Uraufführung von Erkki-Sven Tüürs Klavierkonzert am 23./24. November eine weitere Entdeckungsreise in nordische Gefilde folgen wird. Die Aufzeichnung der Live- Übertragung des Konzerts vom 13. Oktober wird am Dienstag, 24. Oktober, 20.05 Uhr in hr2-Kultur gesendet. |
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Der Norden lässt aufhorchen WISKU00020061014e2ae0004l Feuilleton 577 Words 14 October 2006 Wiesbadener Kurier 0 German (C) 2006 Wiesbadener Kurier GmbH & Co. Verlag und Druckerei KG |
Paavo Järvi stellt sich mit "Kullervo" von Sibelius als hr-Chefdirigent vor Von |
Volker Milch FRANKFURT Mit ihren ganz persönlichen Noten bleiben sie in Erinnerung, die Chefdirigenten des Frankfurter Radio-Sinfonieorchesters, das sich mittlerweile hr-Sinfonieorchester nennt. Bei Eliahu Inbal (1974-1990) denkt man an seine intensive Beschäftigung mit den Bruckner-Urfassungen, bei Dmitrij Kitajenko (1990-1996) an die russischen Repertoire-Schwerpunkte, bei dem unlängst verabschiedeten Hugh Wolff (1997-2006) an originelle Programm-Konzeptionen und eine Erweiterung des stilistischen Spektrums durch die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis. Nun hat der aus Estland gebürtige Paavo Järvi das Amt des hr-Chefdirigenten angetreten. Järvi, 1962 in Tallinn geborener Sohn des Dirigenten Neeme Järvi, hat (auch im Gespräch mit dieser Zeitung) als einen Schwerpunkt seiner Frankfurter Arbeit Musik aus dem Baltikum angekündigt: "Eine Gegend mit viel guter Musik". Auch wenn er als Gast längst eine feste Größe in Frankfurt ist und sich hier mehrfach für "Nordisches" stark gemacht hat, wächst dem Programm der Antrittskonzerte in der Alten Oper besondere Bedeutung und gesteigerte Aufmerksamkeit zu. Erfreulich, dass Järvi zum Auftakt seiner ersten, "Aufbruch" überschriebenen Saison das Publikum mit einer ausgesprochenen Rarität bekannt gemacht hat, mit einem Jugendwerk von Jean Sibelius, mit der Sinfonischen Dichtung "Kullervo" für Orchester, Soli und Männerchor. Der Komponist, dessen Rezeption nach dem berühmt-berüchtigten Adorno-Verdikt und der Vereinnahmung durch nationalsozialistische Blut-und-Boden-Ideologie im Nachkriegsdeutschland einigermaßen holprig verlief, traf mit der Uraufführung in Helsinki 1892 im zarten Alter von 26 Jahren offenbar den Nerv der Zeit und seiner nach Unabhängigkeit strebenden Heimat. Das Werk begründete seinen Ruf als Nationalkomponist. In den beiden mit Soli und Männerchor besetzten Sätzen der fünfsätzigen Sinfonie greift Sibelius den tragischen Kullervo-Mythos aus dem finnischen Nationalepos "Kalevala" auf: Der junge Held Kullervo verführt unwissentlich seine Schwester und stürzt sich, nachdem ihm der Inzest bewusst wird, ins eigene Schwert. Das klingt durchaus so düster, wie es sich liest. Sibelius, der sich nach der Uraufführung von der Sinfonie distanzierte, schlägt hier doch schon einen ganz eigenen, tragisch-melancholischen Ton an, den man in seinen reiferen Kompositionen wiedererkennen wird. Das Pathos, das von Blech und Pauke immer wieder mächtig angeheizt wird, mag gelegentlich auf die Nerven gehen - an grandiosen Momenten fehlt es "Kullervo" nicht, wenn etwa die Blech-Gewitter plötzlich aufreißen und subtilen Holzbläser-Passagen Platz machen. Im Allegro vivace des zentralen dritten Satzes, "Kullervo und seine Schwester", steigert sich die Szene zu opernhafter Dramatik: In holzschnittartigen, archaisch anmutenden Chor-Passagen skandieren die Männerstimmen den finnischen Text, und in expressiven Soli tragen der Bariton Jorma Hynninen und die Mezzosopranistin Charlotte Hellekant Schicksalhaftes bei - in einer beeindruckenden Identifikation mit den Partien, die erheblichen Anteil am großen Erfolg des Abends hat. Als gut trainierter Klangkörper zeigte sich der Nationale Männerchor Estlands, bestens vertraut mit dem Idiom und unter Paavo Järvis Leitung mit Sibelius-Kantaten bereits zu "Grammie"-Ehren gekommen. Inmitten der Klanggewalt, die mit "Kullervos Tod" in einem Klagegesang endet, agiert der neue Chefdirigent mit ökonomischer, präziser Schlagtechnik so souverän, wie man ihn in Frankfurt bereits kennt. Paavo Järvi ist gewiss kein Mann der Maestro-Posen, aber hinter seiner entspannten, sachlichen Freundlichkeit am Pult bleibt eine mitreißende, auch das hr-Sinfonieorchester ansteckende Begeisterung spürbar. Ein erfreulicher "Aufbruch", dem mit der Uraufführung von Erkki-Sven Tüürs Klavierkonzert am 23./24. November eine weitere Entdeckungsreise in nordische Gefilde folgen wird. Die Aufzeichnung der Live- Übertragung des Konzerts vom 13. Oktober wird am Dienstag, 24. Oktober, 20.05 Uhr in hr2-Kultur gesendet. |
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Der Wort-Artist hisst die Funk-Flagge TAZ0000020061012e2ad0005a Kultur SÖRRE WIECK 657 Words 13 October 2006 taz - die tageszeitung taz Nord 23 German (c) 2006 taz, die tageszeitung |
Hamburgs selbst ernannter Chef-Styler Jan Delay präsentierte im Osnabrücker Rosenhof sein neues Album „Mercedes Dance”. Dem Genrewechsel vom Reggae zum Funk mochte das Publikum bereitwillig folgen. Und Tausendsassa Delay schmeißt jetzt mit Discokugeln Jan Delay ist ein Chamäleon. Mit seinem Solo-Debüt „Searching For The Jan Soul Rebels” noch als Reggae-Star gefeiert, schaltet er auf seinem zweiten Album „Mercedes Dance” nun auf Funk um. Die Inspiration zu diesem Genrewechsel kam ihm bei der Produktion von „Blast Action Heroes”, dem 2003 veröffentlichten Album seiner Band „Beginner”. Da hatte er jede Menge Jazz-Funk gehört, von „Crusaders” und „Meters”. Denn: „Wer Hip-Hop macht und nur Hip-Hop hört”, so Delay, „betreibt Inzest.” Zudem tingelte er als DJ Flashdance durch die Clubs und kam dabei auf den Groove-Geschmack. Etwas Tanzbares musste her, etwas Glamouröses. |
Und Ta-Dah: „Mercedes Dance” zeichnet sich durch einen hohen Popo-Wackel-Faktor aus – vor allem live. Das bewies der näselnde Wortartist am Mittwoch im Rosenhof in Osnabrück samt seiner Band „Disko No. 1”. Zunächst fiel auf: Auch optisch hat der Mann mit den vielen Pseudonymen (Eizi Eiz, Delay-Lama, Boba Ffett) sich neu erfunden: In weißem Hemd, Hut, schwarzer Hose und Krawatte betrat er die Bühne – alleine mit einem Ghettoblaster. Es gebe da ein Problem. Christian Wulff von der CDU sei doch aus Osnabrück. Und Delays zehnköpfige Band bestehe aus lauter roten Socken mit Willy-Brandt-Tattoos. Die weigerten sich, in so einer schwarzen Stadt aufzuspielen. Sie kamen dann aber doch. Dem charmanten Styler sei Dank. Neben neuen Burnern wie „Feuer”, „Mercedes-Dance Intro” oder „Plastik” zündete auch Delays feurige Gewürzmischung an Clubhits. Seine Interpretationen von „Word up” (Cameo), „Conga” (Gloria Estefan) oder „Seven Nation Army” von den „White Stripes”, waren gut gesetzte Stimmungsspritzen. Beim Flow seiner Sangesperlen schmolz das Publikum wie Eis in der Sonne, machte bei Freezer-Spielchen à la „wenn die Musik ausgeht, müsst ihr innehalten” ebenso mit wie es ganze Textpassagen mitsang. So geschehen bei den Stücken von seinem Reggae-Debüt, die er ebenfalls im Riesenkofferraum seines „Mercedes Dance” verstaut hatte; darunter „Vergiftet”, „B-Seite” und Schnipsel von „Söhne Stammheims”, jenem Song über den RAF-Terrorismus. Auf seinem neuen Album ist der in Delay wohnende Polit-Onkel subversiver ans Werk gegangen. Er kommt durch die Hintertür des Entertainments, bringt schöne Melodien mit, die erst den Körper und dann den Geist bewegen. So singt er in „Kartoffeln”, der Bezeichnung vieler Ausländer für Deutsche: „Der Flavour ist braun und der Groove, der ist Marsch, und wir haben keinen Stock, sondern nen Wald im Arsch.” Hinter „Kirchturmkandidaten” steckt der Amokläufer von Erfurt: „Es geht um die, die an der ganzen Scheiße verzweifeln, sich 'ne Wumme greifen und auf den Kirchturm steigen.” Sein Tipp: „Behandelt and're immer so, dass ihr das Echo vertragt.” Völlig sinnfrei gute Laune zaubern, das geht natürlich auch, etwa bei dem straight nach vorne gehenden Stück „Klar”. Mit dieser Mischung aus lockeren Reimen, funky Grooves und eingebauter Gesellschaftskritik, fährt der selbst ernannte Chef-Styler auf der Überholspur: „Mercedes Dance” schaffte es von null auf Platz eins der deutschen Albumcharts. Neben Jan Delay entdecken übrigens auch andere Hamburger Künstler derzeit den Funk, etwa der ehemalige „EinsZwo”-Rapper Dendemann („Die Pfütze des Eisbergs”) oder „International Pony” („Mit dir sind wir vier”). Warum Funk an der Elbe gerade so en vogue ist, weiß der Himmel. Vielleicht könnte Rio Reiser da mal nachfragen – eines der großen Idole von Jan Delay, der für sein neues Album auch Reisers „Für Dich” gecovert hat. Schnulze bleibt allerdings Schnulze – auch mit der markant nöligen Stimme von Herrn Eißfeldt. Eines von dessen weiteren Vorbildern ist übrigens der Mithamburger Udo Lindenberg. Und den konnte er sogar für den Song „Im Arsch” gewinnen – allerdings nur im Studio. Im Osnabrücker Rosenhof nun imitierte Delay den Part des alten Haudegen gleich mit. Er ist eben ein Tausendsassa. SÖRRE WIECK |
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Konzerte: 17. und 18. 10. (ausverkauft!), D-Club,
Hamburg |
(Feature) Die Ästhetik schlecht sitzender Sakkos - Als kasachischer Reporter Borat sorgt Comedien Sacha Baron Cohen in Köln für Aufsehen --Von ddp-Korrespondent Markus Peters-- (Mit Bild). ADN0000020061011e2ab006va 514 Words 11 October 2006 ddp Basisdienst German (c) 2006 ddp-Wirtschaftsdienst www.ddp.de |
Köln (ddp). Die kasachische Regierung ist zu Recht entrüstet. Natürlich ist es in der früheren Sowjetrepublik unüblich, vergorenen Pferde-Urin zu trinken, auch wenn der vermeintliche kasachische Starreporter Borat Sagdiyev dies immer wieder behauptet. Am Mittwoch machte Borat in Köln Station, um für seinen Film «Eine kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen» zu werben, der am 2. November in Deutschland startet. Und er nutzte die Gelegenheit, um den vermeintlichen Streit mit der kasachischen Regierung richtig zu stellen: «Das ist alles usbekische Propaganda. Wenn diese Gauner weiter diese Lügen verbreiten, werden wir tapfere Kasachen sie mit unseren Katapulten angreifen.» |
Tatsächlich hat die kasachische Regierung wiederholt gegen Borat protestiert, weil dieser ihrer Ansicht nach ein verzerrtes und rückständiges Bild ihres Landes zeichne. Auch in Köln schwärmte Borat von seinem Heimatland als Hort von Prostitution, Kriminalität, Inzest und Geschlechtsverkehr mit landwirtschaftlichen Nutztieren - vorausgesetzt, diese sind volljährig. Ausgestattet mit einem schlecht sitzenden grauen Sakko und imposanten Schnurrbart gab er eine beeindruckende Kostprobe vermeintlicher kasachischer Lebensart. So wurden die anwesenden Journalisten, die sich leichtsinnig in die erste Reihe gesetzt hatten, prompt mit einem authentischen sozialistischen Bruderkuss begrüßt. Borat Sagdiyev ist eine Kunstfigur des britischen Comedien Sacha Baron Cohen. In dem im Stile eines Dokumentarfilms gedrehten «Borat - eine kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen» konfrontiert der 34-Jährige amerikanische Passanten mit den bizarren Ansichten des angeblichen Starjournalisten - eine Mischung aus oft urkomischem, mitunter aber auch arg geschmacklosem Reality-Kino. Bekannt wurde Cohen durch die Figur der Rappers Ali G, der für den Musiksender MTV auf mitunter drastische Weise Rassismus und Sexismus im Alltag, aber auch in der HipHop-Szene veralberte. Nicht zuletzt seine eher unorthodoxe Interviewtechnik machte ihn berühmt. So fragte er Astronaut Edwin «Buzz» Aldrin mit todernstem Gesicht, ob ihn die Leute auf dem Mond eher freundlich oder eher eingeschüchtert empfangen haben. Der studierte Historiker und Spross einer angesehenen jüdischen Familie gilt als erfolgreichster britischer Comedy-Export der vergangenen Jahre. Als Borat macht er da weiter, wo er als Ali G aufgehört hat. So drischt er munter auf gesellschaftliche Randgruppen ein, zu denen er ausdrücklich auch Frauen zählt: «In Amerika dürfen Frauen wählen, Pferde aber nicht. Das macht doch keinen Sinn» gab er sich ratlos. Tief besorgt zeigte er sich auch über den Erfolg von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): «Eine Frau ist Kanzlerin? In Kasachstan sagt man, wenn man einer Frau Macht gibt, dann kann man genauso gut einem Affen ein Gewehr geben». Generell könne er sich zu deutschen Frauen aber nicht äußern: «Ich hatte bislang noch keine Gelegenheit, mir eine zu kaufen.» Allerdings gefalle ihm nicht, dass deutsche Frauen mehr Haare auf dem Kopf als auf der Brust haben: «Das ist bei mir zu Hause anders.» Zum Abschluss der Kölner Pressekonferenz lud er die anwesenden Journalistinnen noch auf sein Hotelzimmer ein: «Keine Sorge Mädels, ich habe genug Geld für euch alle dabei !» ddp/map/han |
(Feature) Die Ästhetik schlecht sitzender Sakkos - Als kasachischer Reporter Borat sorgt Comedien Sacha Baron Cohen in Köln für Aufsehen --Von ddp-Korrespondent Markus Peters--. DDPLD00020061011e2ab0076w 544 Words 11 October 2006 ddp Landesdienste German (c) 2006 ddp-Wirtschaftsdienst www.ddp.de |
Köln (ddp-nrw). Die kasachische Regierung ist zu Recht entrüstet. Natürlich ist es in der früheren Sowjetrepublik unüblich, vergorenen Pferde-Urin zu trinken, auch wenn der vermeintliche kasachische Starreporter Borat Sagdiyev dies immer wieder behauptet. Am Mittwoch machte Borat in Köln Station, um für seinen Film «Eine kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen» zu werben, der am 2. November in Deutschland startet. Und er nutzte die Gelegenheit, um den vermeintlichen Streit mit der kasachischen Regierung richtig zu stellen: «Das ist alles usbekische Propaganda. Wenn diese Gauner weiter diese Lügen verbreiten, werden wir tapfere Kasachen sie mit unseren Katapulten angreifen.» |
Tatsächlich hat die kasachische Regierung wiederholt gegen Borat protestiert, weil dieser ihrer Ansicht nach ein verzerrtes und rückständiges Bild ihres Landes zeichne. Auch in Köln schwärmte Borat von seinem Heimatland als Hort von Prostitution, Kriminalität, Inzest und Geschlechtsverkehr mit landwirtschaftlichen Nutztieren - vorausgesetzt, diese sind volljährig. Ausgestattet mit einem schlechtsitzenden grauen Sakko und imposanten Schnurrbart gab er eine beeindruckende Kostprobe vermeintlicher kasachischer Lebensart. So wurden die anwesenden Journalisten, die sich leichtsinnig in die erste Reihe gesetzt hatten, prompt mit einem authentischen sozialistischen Bruderkuss begrüßt. Borat Sagdiyev ist eine Kunstfigur des britischen Comedien Sacha Baron Cohen. In dem im Stile eines Dokumentarfilms gedrehten «Borat - eine kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen» konfrontiert der 34-Jährige amerikanische Passanten mit den bizarren Ansichten des angeblichen Starjournalisten - eine Mischung aus oft urkomischem, mitunter aber auch arg geschmacklosem Reality-Kino. Bekannt wurde Cohen durch die Figur der Rappers Ali G, der für den Musiksender MTV auf mitunter drastische Weise Rassismus und Sexismus im Alltag, aber auch in der Hip-Shop Szene veralberte. Nicht zuletzt seine eher unorthodoxe Interviewtechnik machte ihn berühmt. So fragte er Astronaut Edwin «Buzz» Aldrin mit todernstem Gesicht, ob ihn die Leute auf dem Mond eher freundlich oder eher eingeschüchtert empfangen haben. Der studierte Historiker und Spross einer angesehenen jüdischen Familie Cohen gilt als erfolgreichster britischer Comedy-Export der vergangenen Jahre. Als Borat macht er da weiter, wo er als Ali G aufgehört hat. So drischt er munter auf gesellschaftliche Randgruppen ein, zu denen er ausdrücklich auch Frauen zählt: «In Amerika dürfen Frauen wählen, Pferde aber nicht. Das macht doch keinen Sinn» gab er sich ratlos. Auch wunderte er sich, dass in den «U S und A» das Töten von Indianern inzwischen untersagt ist: «Das hat mir niemand gesagt. Tut mir wirklich leid, Häuptling 'Großer Fluss'». Tief besorgt zeigte er sich auch über den Erfolg von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): «Eine Frau ist Kanzlerin? In Kasachstan sagt man, wenn man einer Frau Macht gibt, dann kann man genauso gut einem Affen ein Gewehr geben». Generell könne er sich zu deutschen Frauen aber nicht äußern: «Ich hatte bislang noch keine Gelegenheit, mir eine zu kaufen.» Allerdings gefalle ihm nicht, dass deutsche Frauen mehr Haare auf dem Kopf als auf der Brust haben: «Das ist bei mir zu Hause anders.» Zum Abschluss der Kölner Pressekonferenz lud er die anwesenden Journalistinnen noch auf sein Hotelzimmer ein: «Keine Sorge Mädels, ich habe genug Geld für euch alle dabei !» ddp/map/muc |
Rap gegen alles - Hauptsache heftig WISKU00020061005e2a50004y Feuilleton 562 Words 05 October 2006 Wiesbadener Kurier 0 German (C) 2006 Wiesbadener Kurier GmbH & Co. Verlag und Druckerei KG |
"Bushido" macht auf seiner Krawall-Tour in der Hugenottenhalle Station Von |
Peter Müller FRANKFURT "Hey Alter, was geht Neu-Isenburg? Wollt Ihr geile Party machen, oder was?" Also, wenn das nicht so erschreckend real wäre, könnte man noch hoffen, in einem schlechten C-Movie zu sein. Oder in einer geschmacklosen Satire, Marke Hardcore. Beides ist es nicht. Nein, hier gibt gerade das bekennend größenwahnsinnige "Role Model einer anderen, ungewohnt bedrohlichen neuen deutschen Jugendkultur" (New York Times) das letzte Konzert einer siebentägigen Krawall-Tour durch jene Republik, deren Schweinefleisch er hasst und die er abfackeln will. Anis Yussuf Mohammed Ferchichi, ehedem "Electro Ghetto"-HipHopper beim sympathisch klingenden Label "Aggro Berlin" und inzwischen unter dem Kampfnamen "Bushido" zum prolligsten Skandal-Rapper der Szene avanciert, hat gerade unter brachialem Pyrotechnik-Einsatz die Alphajacke abgestreift und seinen Irokesen ins rechte Licht gerückt - um die Fans aufzufordern, "München in den Arsch zu ficken", weil doch Neu-Isenburg die Nr.1-Stadt auf seinem Kriegs-Pfad sein müsse. Es musste wohl nachgelegt werden, das hysterische Gekreische unten war noch zu leise. Die 12- bis 20-Jährigen im aufgeheizten Rund - die Jungs allesamt in Beutelhosen und mit Rasierklingen unter den Armen, die Mädels ins Engste gezwängt, was es auf dem Discounter-Wühltisch zu ergattern gab - recken denn auch artig die Mittelfinger in die Höhe und goutieren diese Botschaften mit einer hitzigen Begeisterung, dass man sich nur an den Kopf fassen kann. Ihr Hero, "Staatsfeind Nr. 1" und der härteste aller Hauptstadt-Gangsta-Rapper, ist "Von der Skyline zum Bordstein zurück", wie sein aktuelles Album verkündet. Und die Zorn-infizierte Gemeinde in der Hugenottenhalle ist, warum wissen die meisten wohl selbst nicht, mit ihm - in seiner Aggro-Welt aus Tattoos, Nutten, Gangbang, Drogen, Schwulenhass, Chauvi-Sex und absurder Selbstverliebtheit. In den grauen Straßenzügen zwischen Neukölln, Schöneberg und Tempelhof hat er diese "Ich scheiß auf alles und jeden"-Attitüde entwickelt und predigt nun auch folgerichtig gegen alles, Hauptsache heftig. Bei Bushido geht es nie um politische Haltung, sondern darum, möglichst radikal jede Fremdkultur niederzumachen, Dealer zu feiern und die Mütter, wahlweise auch Schwestern anderer verbal zu schänden. Oder die Rest-Rap-Szene unter jeder Gürtellinie zu "dissen", wie neudeutsch heißt, was die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in schöner Regel als geeignet befindet, den Teenager-Nachwuchs "sozialethisch zu desorientieren." Während aber die Monika Griefahns und andere Sittenwächter der Berliner Republik Bushido-Texte, die explizit Inzest feiern und schon mal zum "Tunten vergasen" aufrufen wollten, auf den Index setzen, empfindet das seine Klientel eher als Versprechen gegen Langeweile. Und viel vertrauenswürdiger als abgehobenes Gewalt- oder Integrationspalaver. Neue deutsche Jugendkultur eben, gefeatured von "Bravo" und Co., schöngefaselt von "kompetenten" HipHop-Kritikern, die Songs des "50 Cent"-Epigonen auch noch "brillanten Move" oder "atmosphärisch perfekten Sound" andichten. Wer Bushido trotz zunehmenden Brechreizes live erträgt, erlebt einen talentfreien Dichter, Musiker und Entertainer, der sich - ganz anders als die Pariser Banlieue-Rapper - für nichts engagiert. Außer für sich selbst. Aber mehr verlangt auch niemand. Im Aggro-Universum sind andere Kompetenzen gefragt. Etwa die, dass man, ganz Ehrensache, gemeinsam mit zwei "Leibwächtern" jemandem die Knochen aus dem Leib prügelt, weil er die Reifen des Luxus-BMW entlüftet haben soll. Die Veröffentlichung seines letzten Albums "Staatsfeind Nr. 1" legte Bushido dann ganz clever auf den Tag der Gerichtsverhandlung. Ergebnis? Verfahren eingestellt. Und beste PR für die kassenträchtige Legende vom oberbösen Gangsta-Rapper. |
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Rap gegen alles - Hauptsache heftig WISTAG0020061005e2a500022 Kultur 562 Words 05 October 2006 Wiesbadener Tagblatt 0 German C) 2006 Verlagsgruppe Rhein Main GmbH & Co. KG |
"Bushido" macht auf seiner Krawall-Tour in der Hugenottenhalle Station Von |
Peter Müller FRANKFURT "Hey Alter, was geht Neu-Isenburg? Wollt Ihr geile Party machen, oder was?" Also, wenn das nicht so erschreckend real wäre, könnte man noch hoffen, in einem schlechten C-Movie zu sein. Oder in einer geschmacklosen Satire, Marke Hardcore. Beides ist es nicht. Nein, hier gibt gerade das bekennend größenwahnsinnige "Role Model einer anderen, ungewohnt bedrohlichen neuen deutschen Jugendkultur" (New York Times) das letzte Konzert einer siebentägigen Krawall-Tour durch jene Republik, deren Schweinefleisch er hasst und die er abfackeln will. Anis Yussuf Mohammed Ferchichi, ehedem "Electro Ghetto"-HipHopper beim sympathisch klingenden Label "Aggro Berlin" und inzwischen unter dem Kampfnamen "Bushido" zum prolligsten Skandal-Rapper der Szene avanciert, hat gerade unter brachialem Pyrotechnik-Einsatz die Alphajacke abgestreift und seinen Irokesen ins rechte Licht gerückt - um die Fans aufzufordern, "München in den Arsch zu ficken", weil doch Neu-Isenburg die Nr.1-Stadt auf seinem Kriegs-Pfad sein müsse. Es musste wohl nachgelegt werden, das hysterische Gekreische unten war noch zu leise. Die 12- bis 20-Jährigen im aufgeheizten Rund - die Jungs allesamt in Beutelhosen und mit Rasierklingen unter den Armen, die Mädels ins Engste gezwängt, was es auf dem Discounter-Wühltisch zu ergattern gab - recken denn auch artig die Mittelfinger in die Höhe und goutieren diese Botschaften mit einer hitzigen Begeisterung, dass man sich nur an den Kopf fassen kann. Ihr Hero, "Staatsfeind Nr. 1" und der härteste aller Hauptstadt-Gangsta-Rapper, ist "Von der Skyline zum Bordstein zurück", wie sein aktuelles Album verkündet. Und die Zorn-infizierte Gemeinde in der Hugenottenhalle ist, warum wissen die meisten wohl selbst nicht, mit ihm - in seiner Aggro-Welt aus Tattoos, Nutten, Gangbang, Drogen, Schwulenhass, Chauvi-Sex und absurder Selbstverliebtheit. In den grauen Straßenzügen zwischen Neukölln, Schöneberg und Tempelhof hat er diese "Ich scheiß auf alles und jeden"-Attitüde entwickelt und predigt nun auch folgerichtig gegen alles, Hauptsache heftig. Bei Bushido geht es nie um politische Haltung, sondern darum, möglichst radikal jede Fremdkultur niederzumachen, Dealer zu feiern und die Mütter, wahlweise auch Schwestern anderer verbal zu schänden. Oder die Rest-Rap-Szene unter jeder Gürtellinie zu "dissen", wie neudeutsch heißt, was die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in schöner Regel als geeignet befindet, den Teenager-Nachwuchs "sozialethisch zu desorientieren." Während aber die Monika Griefahns und andere Sittenwächter der Berliner Republik Bushido-Texte, die explizit Inzest feiern und schon mal zum "Tunten vergasen" aufrufen wollten, auf den Index setzen, empfindet das seine Klientel eher als Versprechen gegen Langeweile. Und viel vertrauenswürdiger als abgehobenes Gewalt- oder Integrationspalaver. Neue deutsche Jugendkultur eben, gefeatured von "Bravo" und Co., schöngefaselt von "kompetenten" HipHop-Kritikern, die Songs des "50 Cent"-Epigonen auch noch "brillanten Move" oder "atmosphärisch perfekten Sound" andichten. Wer Bushido trotz zunehmenden Brechreizes live erträgt, erlebt einen talentfreien Dichter, Musiker und Entertainer, der sich - ganz anders als die Pariser Banlieue-Rapper - für nichts engagiert. Außer für sich selbst. Aber mehr verlangt auch niemand. Im Aggro-Universum sind andere Kompetenzen gefragt. Etwa die, dass man, ganz Ehrensache, gemeinsam mit zwei "Leibwächtern" jemandem die Knochen aus dem Leib prügelt, weil er die Reifen des Luxus-BMW entlüftet haben soll. Die Veröffentlichung seines letzten Albums "Staatsfeind Nr. 1" legte Bushido dann ganz clever auf den Tag der Gerichtsverhandlung. Ergebnis? Verfahren eingestellt. Und beste PR für die kassenträchtige Legende vom oberbösen Gangsta-Rapper. |
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Von allen Geistern verlassen GNLZGR0020061005e2a5000ak Thomas Krone 412 Words 05 October 2006 General Anzeiger German (c) 2006 General-Anzeiger, Bonn |
LITERATURVERFILMUNG Früher hat man diese Art Filme einfach besser gemacht: Margarethe von Trottas "Ich bin die Andere" mit Katja Riemann Von Thomas Krone |
Diplom-Psychologe, Dramaturg, Schriftsteller - der in diesem Jahr verstorbene Peter Märtesheimer war eine schillernde Autorenpersönlichkeit. Fürs Fernsehen schrieb er "Das Millionenspiel" und "Smog", für Fassbinder adaptierte er "Berlin Alexanderplatz" und schrieb die Drehbücher zu "Die Ehe der Maria Braun" und "Die Sehnsucht der Veronika Voss". 2000 veröffentlichte er den Roman "Ich bin die Andere", verfasste zusammen mit Pea Fröhlich ein Drehbuch, das Margarethe von Trotta nun verfilmt hat. In einem Hotel lernt der junge Ingenieur Fabry (August Diehl) die Prostituierte Alice (Katja Riemann) kennen und verliebt sich rettungslos. Tags drauf begegnet er der Anwältin Caroline und stellt fest, dass es sich um dieselbe Frau vom Vorabend handelt. Als Fabry sich gewaltsam nähert, kann die entsetzte Caroline knapp entkommen. Wenige Tage später aber scheint sie alle Vorfälle vergessen zu haben und lädt Fabry in ihr Elternhaus ein. Dort residiert der an den Rollstuhl gefesselte Weinbaron Winter (Armin Mueller-Stahl), umgeben von seiner Frau (Karin Dor), seiner ehemaligen Geliebten (Barbara Auer) und dem Verwalter (Dieter Laser), der sich die Zunge abbiss, um ein fürchterliches Geheimnis zu schützen. Selbst bei rudimentärer Kenntnis der Filmgeschichte lässt sich unschwer erkennen, was für ein Effekt- und Zitatenhaufen hier zusammengekehrt wurde. Exzess und Pathos feiern wüste Urständ in einem Chaos aus sexueller Hörigkeit und käuflicher Wollust, multipler Persönlichkeitsspaltung, Schuld und Sühne, Ehebruch, Inzest und Selbstverstümmelung, alles eingerührt als schicksalsträchtige Aromastoffe in einer brachial modernisierten Variation über den Venusberg-Mythos. Am Rande grüßen Größen: Hitchcocks "Rebecca", reduziert auf einen Nachnamen; Antonionis Zeitlupenexplosion eines Hauses aus "Zabriskie Point", eingeschrumpft auf einen verfeuerten Jeep; der Rotkäppchenmantel aus "Wenn die Gondeln Trauer tragen", versetzt von Venedig in den Basar von Casablanca. Fassbinder reanimierte das Melodram, indem er seine Vorbilder Douglas Sirk und Vincente Minnelli ungefiltert überhöhte. Märtesheimer wiederum versuchte Fassbinder zu überhöhen, und Margarethe von Trotta arbeitet dem zu mit satten, aber sinnentleerten Farben, Stereotypen und Klischees. Das namhafte Schauspieleraufgebot agiert in seinen grotesken Rollen wie von allen Regiegeistern verlassen und suhlt sich in manierierten Gesten und Blicken. Nur Katja Riemann ringt um Würde und Bodenhaftung in ihrer Dreifachrolle und kann ihre Karriere in der Darstellung der Prostituierten um eine denkwürdig radikale Imagekorrektur bereichern. "Früher hatte man noch Gefühle", heißt es einmal im Film, und vielleicht stimmt das sogar. Die Wahrheit ist simpler. Früher hat man diese Art Filme einfach besser gemacht. Kinopolis, Woki |
WM-Rausch wirkt bei "Hamlet" nach OSTSEZ0020061002e2a20000d Lokal MARKUS KOWALZYCK 572 Words 02 October 2006 Ostsee-Zeitung 21 German © 2006 Ostsee-Zeitung GmbH & Co. KG All rights reserved. For further information see http://www.ostsee-zeitung.de |
Nach solidem, aber keineswegs fulminantem Spiel bei der "Hamlet"-Premiere in Greifswald fühlte sich das dankbare Publikum zu wahren Beifallsstürmen hingerissen. Greifswald - (OZ) Ein wenig überrascht schien auch das Schauspiel-Ensemble des Theaters Vorpommern: Als die Premiere der Tragödie "Hamlet, Prinz von Dänemark" am Sonnabend nach langen drei Stunden zu Ende war, steigerte sich der Applaus über rhythmisches Klatschen zu enthusiastischem Jubel, als sei das Publikum im Greifswalder Theater noch immer im WM-Rausch. Zu sehen aber gab es ein zwar solides, keineswegs jedoch fulminantes Spiel. |
Nun ist William Shakespeares Tragödie ("Sein oder nicht sein - das ist hier die Frage.") schwere Kost und auch die Übersetzung von August Wilhelm Schlegel ein ziemlicher Brocken, sodass nur Fans und Ausgeschlafene echte Freude an klassischen Inszenierungen finden. Dennoch hat sich Schauspieldirektor Matthias Nagatis für eine solche entschieden. Die Aufführung am Theater Vorpommern verzichtet darauf, die Tragödie außer durch einigermaßen moderne Kleidung und die Verwendung von Taschenlampen und Pistolen in unsere Zeit zu übersetzen. Kaum ein Abweichen vom Versmaß, kaum eine Provokation, keine Ekelhaftigkeiten, wie sie Shakespeare-Aufführungen andernorts aus dem Schwulst der alten Sprache befreien. Umso anerkennenswerter ist die Leistung des Schauspiel-Ensembles, die fünf Akte textsicher zu rezitieren. Denn zumindest in den ersten Akten gleicht die Inszenierung einem Hörspiel - man kann getrost die Augen schließen und den einwandfreien Vorträgen der Schauspieler lauschen. Erst nach eineinhalb Stunden reißt das Theater im Theater (der Auftritt der Schauspieltruppe vor dem König) auch die visuelle Aufmerksamkeit des Publikums an sich. Hannes Rittig glänzt hier in der Rolle des Schauspielers und befreit das Stück aus seiner Lähmung. "Schauspieler sind die Spiegel unserer Zeit", so heißt es kurz zuvor aus dem Munde Hamlets, von Andreas Dobberkau mit persönlicher Note dargestellt. Er immerhin erweckt seine Rezitationen hier und da mimisch und vokal, durch Witz und Ironie zum Leben. Der Rest ist Schweigen und unsere Zeit offenbar ereignisarm und einfallslos. Denn man wartet, dass zwischen den vielen Texten etwas passieren möge, aber es passiert wenig. Zu selten Ideen wie die Stimme aus dem Off, Tonstörungen und andere Effekte, die den Zuschauer schaudern oder staunen lassen würden. Shakespeare darf man, kann man, soll man heute triefend, obszön, ekelhaft und widerwärtig spielen, denn es geht in seinen Stücken um Mord, Vergewaltigung, Inzest und andere Barbareien. Was zu seiner Zeit vielleicht genug des Ekels war, braucht in einer Welt, die uns jeden Abend Fernseh-Tote tafelfertig liefert, andere Formen des Ausdrucks. Aber wie dem auch sei, in Greifswald sehen wir eine bodenständige, wohlerzogene Aufführung. Ein nackter Hamlet-Hintern und einige Stoßbewegungen regen nicht einmal Biedermänner mehr auf. Vielleicht trägt auch das minimalistische Bühnenbild (ebenfalls von Matthias Nagatis) dazu bei, dass das Auge des Betrachters unterfordert bleibt. Es scheint aber vor allem, dass weder Regisseur noch Schauspieler sich trauen, das treue Greifswalder Publikum zu provozieren. Ein bisschen Rempeln, dann und wann Geschrei, nun ja. Da vermag selbst das Duell von Hamlet und Laertes (Florian Anderer) an Säbel und Degen nicht mehr den Elefanten auf der Bühne zu geben. Im Gegenteil wirkt es im Versuch der Modernisierung von Kostümierung und Bühnenbild geradezu anachronistisch. Dennoch: Es bleibt eine starke Leistung des Ensembles, Shakespeares "Hamlet" in einer Weise auf die Bühne zu bringen, die das Publikum begeistert. Es war vor allem eine Mannschaftsleistung, und dies mögen wir Deutsche ja. Deshalb darf man auch mal so frenetisch jubeln, dass sich sogar die Mannschaft wundert. MARKUS KOWALZYCK |
The Tiger Lillies RHEPO00020060930e29u00099 LF 43 Words 30 September 2006 Rheinische Post DSSD German © Copyright 2006. Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH. All rights reserved. For further information see http://www.rp-online.de |
Die in London beheimatete Gruppe wurde 1989 gegründet und ist im Kern dreiköpfig. Sie pflegt eine schrägen, komödiantisch-tragischen Stil. Lieder über Inzest, Sodomie und Blasphemie lösten in Großbritannien teils heftigen Streit aus. |
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„Deutsche Einheit? Gibt es gar nicht!” TAZ0000020060929e29u00068 Dossier JAN FEDDERSEN 3170 Words 30 September 2006 taz - die tageszeitung taz Magazin IV-V German (c) 2006 taz, die tageszeitung |
Deutschland ist eine offene Gesellschaft geworden, sagt die Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek. Nun sei es an den Migranten, die Verpflichtung zur Freiheit anzuerkennen INTERVIEW JAN FEDDERSEN |
taz.mag: Frau Kelek, was ist Deutschland für Sie? Necla Kelek: Meine neue Heimat. Sie kamen als Elfjährige mit Ihrer Familie in die Bundesrepublik. Wie sahen Sie damals Ihre neue Heimat – und wie sehen Sie sie heute? Aufgewachsen bin ich ja in einer traditionell türkischen Familie. Ich musste mir dieses Land erarbeiten, und zwar sehr langsam. Hier will ich leben und arbeiten. Möglichkeiten für ein gutes Leben – eine freie Luft zum Atmen, das fand ich gerade bei Konflikten in und mit meiner Familie immer spürbarer. Was zählt für Sie zu einem guten Leben? Wertvoll wird ein Leben, wenn ich das Recht auf freie Meinungsäußerung habe, wenn ich mir meine Lebensform selbst basteln kann. Ich sehe, dass zwei Drittel der Menschen auf der Welt diese Chance auf Freiheit nicht haben – eine, die durch den Staat geschützt wird. Diese Chance zu haben empfinde ich persönlich als unglaubliche Errungenschaft der Zivilisation. Was sind Ihnen die drei kostbarsten Dinge, die es in Deutschland gibt? Erstens dass ich meine Meinung sagen kann und dass ich für meine Auffassungen Menschen finde, die mir zuhören. Diese Lust auf Auseinandersetzung ist in Deutschland zu Hause. Und man findet Gleichgesinnte, die einem nicht nur höflich beipflichten, sondern miteinander diskutieren. Auseinandersetzung – was heißt das für Sie? Dass ich in Diskussionen immer wieder neue Aspekte zu hören bekomme, dass man mir widerspricht und man selbst etwas Gegenteiliges sagen kann. Das ist lebendig und tut gut. Und neben der Meinungsfreiheit … … ist mir meine persönliche Freiheit wichtig. In welcher Form von Liebesbeziehung möchte ich eigentlich leben? Mich nicht schämen zu müssen dafür, dass ich mittlerweile mit drei Männern gelebt habe und Beziehungen in die Brüche gegangen sind. Freiheit heißt für mich herauszufinden – und das ist anstrengend –, was ich will und was gut ist für mich. Weshalb anstrengend? Nicht überwiegend, aber der Preis der Freiheit ist auch, dass man sich nicht auf den Entscheidungen, die andere für einen treffen, ausruhen kann. Wenn die soziale Kontrolle nicht mehr strikt ist, dann fängt es an, dass man selbst Verantwortung für sein Leben und gegenüber der selbst gewählten Familie übernehmen muss. Es wird nicht mit dem Finger auf einen gezeigt, wenn man eine neue Beziehung gewählt hat. Und das Dritte, das sie an Deutschland schätzen? Dass es ein Land ist, wo alles funktioniert. Der Bus kommt, die Züge fahren – ich kann mich hier auf so vieles verlassen. Zuverlässigkeit. Das Wort zählt. Die Leute sagen nicht: Ach, du bist nett, ganz klasse, wollen wir nicht übermorgen da und da Kaffee trinken? Nein, in Deutschland sagt man das nicht so dahin, anders als in den südlichen Ländern Europas. Wie empfinden Sie es dort? Dort werden solche Sätze ganz oft einfach nur so dahergesagt. Wenn man dann klingeln würde und sagte, hallo, ich bin jetzt da, wären die Leute ganz baff. An diese Ehrlichkeit habe ich mich so selbstverständlich gewöhnt. Und die Städte! Alle sind so sauber, man kümmert sich um die Tiere, die Grünanlagen – man fühlt sich verantwortlich für den Raum, in dem man lebt. Anfang der Neunzigerjahre gab es ein Pogrom gegen Ausländer im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen: symbolisch auch gegen Einwanderer, wie Sie eine waren. Wie haben Sie die deutsch-deutsche Atmosphäre damals empfunden? Ich war genau zu jener Zeit in den Osten gegangen, um eine neue Arbeit zu beginnen. Ich fand die Wiedervereinigung großartig – und ich wollte unbedingt dort arbeiten, weil dieser Teil des Landes mir völlig fremd war. Ich kannte nicht mal Städtenamen wie Rostock. Stralsund? Hatte ich nie gehört. Und Sie hatten überhaupt keine Freunde, die aus der DDR kamen? Doch. Ein sehr guter Freund sagte mir plötzlich, er komme eigentlich aus Stralsund und sei dort geboren. Ich meinte, warum hast du mir das nie erzählt? Da meinte er, ach, das hat doch im Westen sowieso nicht interessiert. Außerdem wollte er einfach im Westen ankommen und nicht über die Vergangenheit sprechen. Wie haben Sie die Wendezeit in Vorpommern erlebt? Dort wie anderswo auch gab es immer die gleiche Differenz. Die einen schrieben den Spruch an die Wand, jetzt könne man endlich frei sagen, was man denkt. Aber gleichzeitig musste ich realisieren, dass die meisten vor allem ausländerfeindlich waren. Das hat Sie überrascht? Ja, tatsächlich. Das kannte ich aus Hamburg, überhaupt aus dem Westen nicht. Es gab in Greifswald Stadtteile, die ich, wenn es dunkel wurde, niemals allein betreten wollte. Bis heute würde ich das nicht machen. Das ist so. Ich will das nicht verallgemeinern, aber dass Ostdeutschland vom Rassismus lebt, das darf man dort fast nicht ansprechen. Ist Deutschland rassistischer als andere Länder? Was das angeht, teile ich Deutschland zwischen Ost und West. Im Westen ist auch dank der grünen Bewegung und der antirassistischen Initiativen vieles besser geworden. Im Westen werden Migranten geschützt. Wenn man aber in Rostock oder in Greifswald ankommt, stehen Neonazis dort unbehelligt herum. Und keiner sagt was. Niemand ruft die Polizei, keiner stört sich daran, dass diese Glatzköpfe diese schönen Städte hässlich grölen. Trotzdem reden Sie über Deutschland fast wie über ein Paradies. Ich meine natürlich den Westen, in dem ich groß geworden bin. Haben Sie keine Hoffnung, dass sich im Osten etwas ändert? Natürlich habe ich Hoffnung – ich möchte nur sagen, dass die politische Sensibilität im Osten noch schwach ist, auch wenn sie durch die NPD-Erfolge jetzt stärker wird. Nun spricht man darüber und muss es auch endlich tun – und das ist auch etwas, worauf ich mich eben in Deutschland verlassen kann: dass man über Missstände diskutiert. Nochmals gefragt: Ist Deutschland rassistischer als andere Länder? Nein. Als ich in England war, sagten meine Freunde dort, in ihrem Land gebe es keinen Rassismus, jeder lebe, wie er möchte. Mir kommt das wie ein Flickenteppich von Parallelgesellschaften vor, die sich nicht füreinander interessieren. Das ist nicht das, was ich möchte. Was schwebt Ihnen vor? Einmischung. Aller in alle gesellschaftlichen Angelegenheiten, um es mit Max Frisch zu sagen. Nicht ignorieren, nicht weggucken. Egal ob es um Obdachlose oder Arbeitslosigkeit geht. Das ist für mich Deutschland. Träumen Sie auf Deutsch oder Türkisch? Auf Deutsch. Immer? Ihre Kindersprache war Türkisch. Sobald meine Familie im Traum vorkommt, spreche ich mit denen türkisch. Neulich habe ich von meinem Vater geträumt, da habe ich mit ihm telefoniert, drei Jahre nach seinem Tod. Was haben Sie ihm erzählt? Ich habe ihm gesagt, warum hast du uns das alles angetan? Wenn du jetzt leben würdest, guck mal, wir haben doch alles gut gemacht, warum hast du uns nie anerkannt? Ich habe richtig mit ihm gestritten. Haben Sie von Deutschland einen Traum? Ich bin ja jetzt im migrationspolitischen Thema sehr drin: Ich träume davon, dass die Probleme, die es mit Migration gibt, auch durch die Migranten, nicht mehr verschwiegen werden. Welche Probleme meinen Sie? Ich spreche von Gewalt, Missbrauch, Inzest. Wenn es um traditionelle Deutsche geht, gibt es bei diesen drei Punkten kein Schweigen mehr. Aber … … vielleicht braucht es Zeit. Die alte Bundesrepublik spricht doch über diese Themen auch noch nicht lange. Ich bin ja nicht so blauäugig zu sagen, Deutschland sei schon immer so gewesen, dass man über Gewalt in den Familien spricht. Aber da das jetzt Gott sei Dank so ist, gibt es keinen Grund, Migranten mit diesen Themen nicht zu konfrontieren – würde man das weiter tun, hieße das doch, sie nicht ernst zu nehmen. Inwiefern wäre das so? Nur gegenseitig sich multikulturell zu feiern und sich in Ruhe zu lassen, so wie in England, wäre eine Ausgrenzung der Migranten. Sich auf kulturelle Vielfalt herauszureden, ist keine Bereicherung Deutschlands, sondern Bequemlichkeit den neuen Bürgern und Bürgerinnen gegenüber. Man wirft Ihnen vor, die Dinge zu verallgemeinern. Das tue ich nicht. Ich arbeite mit Beispielen – und versuche, ehrlich zu sein. Türkischstämmige Lehrerinnen werfen mir vor, auf ihre Community ein schlechtes Licht zu werfen. Wenn man mir so etwas sagt, ist das keine Verallgemeinerung? Niemand regt sich drüber auf, wenn dauernd von fünf Millionen Arbeitslosen die Rede ist. Soll man künftig sagen, ach, das sind nicht so viele, die meisten haben doch Arbeit? Ich habe nie gesagt, dass Gewalt in den Familien der Migranten die Regel ist – aber es gibt sie, und zwar nicht nur selten. Manche sagen, das seien traurige Begleiterscheinungen und geradezu Folgen des deutschen Rassismus. Unfug. Mit dieser These wird ein Opferdasein untermauert – und damit lässt sich viel Geld vom Staat verlangen. Diese Selbstverständlichkeit, mit der immer verlangt wird, dass die deutsche Gesellschaft für alle Probleme aufzukommen hat, empört. Warum wird die Frage nicht umgedreht: Was kann ich als Einwanderer für Deutschland tun? Zunächst einmal wollen sie wohl ein besseres Leben als in der Heimat, die sie verließen. Darf denn nicht gefragt werden: Was tue ich diesem Land hier an, wenn das ganze Sozialsystem ausgehebelt wird? Eines, das zu den Reichtümern dieses Landes gehört. Was meinen Sie konkret? Wenn ich beispielsweise meine Kinder mit fremden Menschen aus der Türkei verheirate. Wie soll denn ein Abiturient mit einem kleinen Mädchen, das nicht lesen und schreiben kann, hier eine eigene Familie gründen und weiter kommen in der Gesellschaft? Damit wird doch nur weiter Armut produziert – weil ich meinen Clan zusammenhalten will und muss. Sie werden sich mit diesen Antworten keine neuen Freunde in der multikulturellen Szene machen. Solche Fragen müssen doch gestellt werden! Man nimmt diese Selbstverständlichkeit hin, abzuwarten, bis irgendeiner Geld bringt, staatliches Geld. Wie viel Geld kriegen wir, heißt es insgeheim. Das ist eine Erwartungshaltung, die kontraproduktiv ist – anstatt sich anzustrengen, in Deutschland eine neue Heimat zu begründen, eine deutsche Heimat. Sind Namen wie Necla, Cigdem, Murat oder Gökhan mittlerweile deutsche Namen? Ich glaube ja. Mein Name – wie die anderen auch – ist mittlerweile so üblich, dass niemand damit etwas Türkisches verbindet. Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Deutschland habe jahrzehntelang seine Einwanderer missachtet? Ja, das stimmt, viel haben die Deutschen anfangs nicht gemacht, dass die Einwanderer sich mit diesem Land identifizieren können. Ein Problem, das, so scheint es, endlich auch von konservativer Seite erkannt wird. Richtig, aber es geht nicht um fremde Kulturen, die quasi Artenschutz genießen sollten. Nicht in dem Sinne, dass man Missstände in Kauf nimmt, von wegen: Na, die sollen machen, wie sie es wollen. Weshalb legen Sie sich mit jenen an, die überhaupt für Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sensibel sind – den Multikultis? Nicht im Allgemeinen, dazu wurde es nur gemacht; ich kritisiere die Haltung, dass alle Kulturen gleich gut sind. Und weil ich den Streit mit denen führe, heißt das ja nicht, dass ich die andere Seite freispreche, um Gottes Willen. Sie haben jedenfalls am sogenannten Einbürgerungsfragebogen des Landes Baden-Württemberg mitgearbeitet. Nein, das habe ich nicht! Baden- Württemberg war für mich ein Bundesland, in dem gesagt wurde, man wolle keine Kopftuch tragenden Frauen an staatlichen Schulen. Das fand ich sehr gut. Als mich das Ministerium in Stuttgart anrief und sagte, man wolle jetzt bei der Einbürgerung Fragen stellen … … als eine Art Paschatest … … fand ich die Idee erst einmal ganz gut. Warum dieser Lebensstil-TÜV? So war er nicht zu verstehen. Meine Motivation war, dass ich nicht gut fand, einfach zu sagen: Hier, hol mal deinen Pass ab. Ohne zu überprüfen, ob derjenige, der da Deutscher werden will, wirklich Deutschland als rechtsstaatliches, freies Land akzeptiert – so, wie es ist. Den späteren Fragenkatalog habe ich nicht mitvertreten. Ich hätte andere Fragen gestellt – in einem offenen Interview. Zum Beispiel: Wie kam es zu der Entscheidung, den deutschen Pass zu beantragen? Eine einfache Frage, um die herum man ein Gespräch hätte führen können. Um herauszuhören, wie jemand tickt. Was hätte das bringen können? Kürzlich hörte ich von einem deutschen Beamten, türkisch geprägt, der ist seit fast 20 Jahren Polizist. Vor ein paar Monaten hat er aus seiner Verwandtschaft ein Mädchen aus der Türkei nach Deutschland geholt. Die sitzt jetzt bei ihm zu Hause mit der Schwiegermutter, trägt Kopftuch, geht außer zum Einkaufen nicht an die Öffentlichkeit – und er ist draußen Polizist. Und warum sollte er nicht? Auch ein Polizist kann so leben, wie er das für islamisch hält. Ich glaube, dass dieser Polizist in der deutschen freiheitlichen Gesellschaft in Wirklichkeit nie angekommen ist. Er trennt präzise: Hier ist mein Job, dort meine islamische Privatheit. Solche Abgründe tun sich womöglich überall auf – nicht nur in muslimischen Milieus. Die Diskussion ist ja längst nicht beendet, meine Idee zum Einbürgerungstest war ausschließlich, dass der deutsche Pass nicht nur einfach geschenkt wird. Er verkörpert die Freiheit und den Rechtsstaat – und das Grundgesetz. Das aber ist mit religiösen Vorstellungen der Unterordnung der Frau nicht vereinbar. Spüren Sie seit dem 11. September so etwas wie Islamophobie? Mir ist dieser Begriff sehr fremd. Wer wird in diesem Land an der Ausübung seiner Religion behindert? Jugendliche mit türkisch oder arabisch klingenden Namen haben auf dem Arbeitsmarkt geringere Chancen. Wenn das stimmt, finde ich das natürlich schlimm. Doch ich schätze, viele Betriebe stellen Jugendliche mit türkischen Namen nicht deshalb nicht ein, weil sie Islamisten in ihnen erkennen wollen, sondern weil der Personalchef glaubt, dass er sich auf den Bewerber nicht wirklich verlassen kann. Er fragt sich vielleicht, wie viel muss ich investieren, dass ich was von ihm habe? Die schulische Qualität von vielen Migrantenkindern ist viel schlechter ist als bei deutschen Kindern – und viele Unternehmen machen sich nicht die Mühe, denen zu helfen. Aber nicht, weil man vor dem Islam Angst hat. Das glaube ich einfach nicht. Verstellt die Diskussion um Missstände der Migrationspolitik nicht vielleicht den Blick darauf, dass Deutschland ein sehr erfolgreiches Integrationsland ist? Dass so viele türkischstämmige Menschen hier leben – ohne Kopftuch, ohne Gottesstaatfantasien? Selbstverständlich. Meine Aufmerksamkeit gilt aber den Parallelgesellschaften, die sich gebildet haben – und in denen ein unbeschwertes traditionell-islamisches Leben geführt werden kann. Ich glaube, dass der Einfluss dieser Menschen wächst – und dass sie versuchen, jene, die hier in Deutschland angekommen sind und hier ihr Leben gut führen wollen, zu beeinflussen. Sie ertragen es ja nicht, dass die anderen sich hier so gut zurechtgefunden haben. Aus Neid auf die Arrivierten? Sicher auch, aber vor allem aus ihrem islamischen Glauben. Gläubige halten die Migranten, die um ihre Religion kein Aufhebens machen, für Ungläubige, die sie an die unreine Gesellschaft verlieren. Sie halten es für ihre Pflicht, diese Brüder und Schwestern zurückzugewinnen in die islamische Welt. Gibt es nicht freundlichere Befunde? Berlins Kreuzberg steht doch für das Multikulturelle schlechthin. Noch, ja. Aber ich bekomme gerade von dort Mails und Anrufe von Mädchen und Jungen, die mich fragen: Wissen Sie überhaupt, was hier los ist? Was denn? Dass bestimmte Moscheen auf der Straße Kinder rekrutieren, besonders Jungs. Die werden gefragt: Was treibst du dich auf der Straße herum, warum betest du nicht? Diese Islamisten klingeln an Haustüren und sagen, man sammle für eine neue Moschee, und dann fragen sie, wann man selbst das letzte Mal gespendet hat. Ich will damit sagen, dass die Migranten, die in Deutschland angekommen sind, stetig bedroht werden. Welches sind Ihnen die drei schönsten Orte in Deutschland? Erst einmal die Elbe in Hamburg. Diese Schiffe, die man beim Spazierengehen sieht, das Wasser – das hat mich all die Jahre in Hamburg begleitet. Ich werde fast wehmütig, wenn ich an diesen Fluss denke. Vor einem Jahr sind Sie mit Ihrem Lebensgefährten nach Berlin gezogen. Zählt die Hauptstadt ebenfalls zu Ihren Favoriten? Der Prenzlauer Berg, dieses Viertel ja. Diese Ruhe, diese vielen Cafés, diese Art des Begegnens auf der Straße, ohne Geschrei, ohne Menschenmengen, die sich gegenseitig fast treten müssen, um Platz zu haben und zu laufen. Aber ich würde als dritten Ort doch Berlin insgesamt nennen. Diese Vielfalt. Zu der eben auch Kreuzberg zählt. Ja, aber ich kann dort nicht mehr die türkische Kultur genießen, stattdessen finde ich dort eher diese Männergesellschaft repräsentiert. Das ist dort anders als zum Beispiel in Ottensen … … ein kreuzbergähnliches Viertel in Hamburg … … und dieses Ottensen ist wirklich die Idee von Multikulturalität. Dort fühle ich mich auch mit meinen Landsleuten wieder sehr wohl. Straßen, auf denen nur Männer präsent sind, meide ich. Kreuzberg ist abends für mich eine Bedrohung. Der 3. Oktober ist der Nationalfeiertag Deutschlands. Welche Gefühle verbinden Sie mit diesem Tag? Vor allem überwältigende Erinnerungen. Als die Mauer fiel, war ich mitten drin im Wendetrubel. Ich wohnte damals in einer Wohngemeinschaft, in der ich Freunde hatte, die aus dem Osten kamen. Wir sind uns in die Arme gefallen, als die Grenzen offen waren und gleich mit dem Auto nach Ostberlin gefahren. Viele hatten ja Verwandte in der DDR – was für eine Freude, dass sie sich wiedersehen konnten. Deutschland einig Vaterland – das sei nichts als eine Formel für eine neue Großmacht, hieß damals eine gängige Befürchtung. Das habe ich nie gedacht. Wenn ich im Ausland bin, höre ich immer wieder: Auf Deutschlands Demokratie kann man sich verlassen. Sogar in Israel denkt man so. Auf die Frage, welche Soldaten würdet ihr am liebsten zum Schutz haben, nennen sie Deutschland. Deutsche Soldaten sind angenehmer im Umgang, haben eine andere Ausbildung. Als wer? Als amerikanische Soldaten, bestimmt. Das Bild von Deutschland ist viel besser als das Selbstbild der Deutschen. Sind Sie stolz, eine Deutsche zu sein? Mit dem Wort Stolz kann ich nicht viel anfangen. Ich bin dankbar und froh, hier in diesem Land zu leben. Weil es deutsch ist? Was soll deutsch heißen? Ich verbinde mit Deutschem nichts Einheitliches. Jeder denkt sich zu dem, was dieses Wort bedeuten kann, etwas anderes. Deshalb habe ich auch nie Angst vor Assimilation gehabt. Assimilation bedeutet doch Anpassung an eine Kultur und die eigene Herkunft zu tilgen – Integration hingegen die Anerkennung verschiedener Herkünfte. Die jüdische Diskussion drehte sich Anfang des vorigen Jahrhunderts immer um die Frage, dass man sich, um deutsch zu werden, nicht mehr als jüdisch verstehen solle. Begriffe müssen doch immer im Zeitkontext gesehen werden. Heute heißt doch Assimilation nicht mehr, sich etwas Deutschem unterwerfen zu müssen. Das geht doch gar nicht! Diese Gesellschaft bietet einen Reichtum der Arten von Deutschtum. Ich weiß gar nicht, wie eine Deutsche sich benimmt. Diese Einheit gibt es nicht. Was bedeutet also Assimilation? In diesem Land ankommen zu wollen – und nicht zu fragen, was es für einen tun kann, sondern sich anzustrengen, es zu einem besseren Land zu machen. Und das setzt voraus, die Vielfalt anzuerkennen, dass alles ständig im Fluss ist. Wenn Türken ihre Kinder zurückhalten, weil sie nicht wollen, dass er oder sie wie ein Deutscher, eine Deutsche wird, dann behindern sie sie. Sie sind eben auch ein Teil dieser Vielfalt. Eine Ausrede. Sie wollen ihre Familie zusammenhalten, ihren Clan, ihre kleine Heimat verteidigen – und sie nicht der frischen Luft der Freiheit aussetzen. Ihre Kinder sollen keine selbstständigen Individuen werden. Empfinden Sie den 3. Oktober als eine deutsche Feier der Individualität? Ja. Jeder denkt das anders, aber dieser Tag steht für mich für die Entscheidung zur Freiheit. Für Möglichkeiten, die ich sonst nicht gehabt hätte. Ich kann hier arbeiten, mich an allem beteiligen, kann mich für eine Sache entscheiden – oder auch nicht. Worauf sind Sie stolz? Auf meine Jahre im Osten. Ich war ja fast sieben Jahre in Greifswald. Eine lange Zeit. Ich habe am Aufbau Ost teilgenommen – darauf war und bin ich stolz. |
JAN
FEDDERSEN, 49, ist taz.mag-Redakteur und lebt seit zehn Jahren in
Berlin-Neukölln |
Krankheit der Zeit FRARUN0020060929e29u0002o VON PETER MICHALZIK 849 Words 30 September 2006 Frankfurter Rundschau 17 German (c) Copyright Frankfurter Rundschau 2006 www.fr-aktuell.de |
Stefan Pucher bekennt sich in München zu O'Neills Elektra "Versunken in die Nacht. So wie man manchmal den Kopf senkt, um nachzudenken, so ganz versunken sein in die Nacht. Ringsum schlafen die Menschen", schrieb Franz Kafka um 1920. Der Schauspieler Peter Brombacher spricht diese Sätze in München sehr gedämpft, allenfalls mit einem Anflug von Selbstbewusstsein und Trotz. "Und Du wachst, bist einer der Wächter, findest den nächsten durch Schwenken des brennenden Holzes aus dem Reisighaufen neben Dir. Warum wachst Du? Einer muss wachen, heißt es. Einer muss da sein", sagt er weiter. Einer muss doch da sein, murmelt es durch diese Aufführung hindurch. Einer muss trotz allem da sein, hier, auf dieser Welt, es kann nicht alles nur Alptraum sein. Brombacher ist ein schwarzer Cowboy, Hut, Stiefel, Sonnenbrille, Anzug. Zusammen mit Walter Hess ist er der Chor. Der zumindest wacht. |
Der Regisseur Stefan Pucher legt viele Ebenen über- und nebeneinander, um seine Traumwelt - und das Stück, Trauer muss Elektra tragen von Eugene O'Neill - aufzublättern. Er baut eine Welt aus Videos (von Chris Kondek), die künstliche Filmszenen zeigen, wo berühmte Küsse zu Posen geronnen und die Farben so golden geworden sind, wie Technicolor nie war. Bühnenbildnerin Barbara Ehnes hat ihm eine Halbkugel in Messebauweise hingestellt, wie eine Kapsel, eine Monade der Familie Mannon, deren Schicksal hier erzählt wird. Er entwirft eine Welt mit Bürgerkriegsuniformen wie von Playmobil- und Ballröcken wie von Barbiefiguren (von Annabelle Witt). Er baut eine Welt aus Sprache, die Schauspieler sprechen, als seien die Sätze dieses dauererregten Stücks Sätze aus einer Vorabendserie. Viel falsches Gefühl, aus dem die Tragödie sich hier zusammensetzt. Und natürlich baut Pucher Popsongs ein, von den Schauspielern gesungen und gespielt. "Everything's clear now" heißt es da etwa, wo nichts klar ist, und diese finstere, gefühlsleere, sinnlos Mord um Mord anhäufende Familientragödie immer weiter geht. O'Neills Trilogie ist eine amerikanische Fassung der Orestie, ähnlich blutig, aber bis auf die Knochen psychologisch: In uns liegt die Krankheit der Zeit, sagt sie, der Inzest, die Schuld, die Erbsünde, die ewige Verderbnis. Daraus wollte O'Neill 1930 noch einmal das ganz emotionale Drama errichten. Die Welt eine Familie, die sich zeugt und mordet, liebt und verdirbt, alle träumen von der Idylle und bringen sich um. Pucher ist ein cooler, trauriger, popverliebter Regisseur. Die Aufführung von O'Neills Emotionen-Fresko und Psychoknaller ist aber wie ein Bekenntnis. Vor ein paar Jahren hatte Pucher in Zürich die Orestie in einer großen, schönen, ebenfalls alptraumartigen Aufführung gezeigt, der Stoff hat ihn seitdem nicht losgelassen. O'Neills Fassung wollte er letzte Spielzeit an der Volksbühne in Berlin inszenieren, durfte aber nicht, weil das Stück schon an der Schaubühne lief. Jetzt holt er das an den Münchner Kammerspielen wie eine Liebesschuld nach. Er inszeniert damit das erste Mal im theaterkonservativen und begeisterten München und mit Schauspielern, die zum Großteil noch nie mit ihm gearbeitet haben: Nur Peter Brombacher, der Wächter, war schon bei der Orestie dabei. Der Chor hat eine Schlüsselrolle. Ausführlich referieren Brombacher und sein Partner Hess O'Neills Bühnenanweisungen, in denen immer wieder das gleiche gesagt wird: Alle sehen gleich aus, als Mitglieder einer Familie, einer ist das Abbild des anderen. Wie Frank Castorf, der zu der Zeit, als Pucher die Orestie inszenierte, in Zürich Trauer muss Elektra tragen zeigte, werden auch jetzt bei Pucher die Rollen des Familienoberhaupts und des Liebhabers der Mutter mit dem gleichen Schauspieler besetzt. Die endlose Distanz zu den Rollen kommt Stefan Bissmeier dabei sehr entgegen, er verkörpert die Geschichte, die sich als Gebetsmühle sinnlos immer weiter dreht, perfekt. Zweitens sagen die Szenenanweisungen, dass in dieser Familie alle aussehen, als trügen sie "lebensechte Masken". Das sind keine Menschen, das sind Schimären, Wiedergänger. Pucher unterstreicht das, indem er die Mannons zu Medienzombies macht, Abziehbilder von Bildern, am besten verkörpert von Michaela Steiger, bei der schon das Gesicht so aussieht, als sei es für das deutsche Privatfernsehen erfunden. Hier, wo sich Geschichte, Familie und Medienwelt treffen, hat die Aufführung ihren triftigsten Punkt. Die Geschichte ist ein Albtraum, aus dem ich zu erwachen suche, hat James Joyce gesagt. Genau von hier aus erzählt Pucher das Stück - und da wird sein vielschichtiges Theater normales Erzähltheater. Wie sehr diese Aufführung aber auch ein Bekenntnis ist, wie sehr der Pop-Romantiker Pucher hier zeigt, was er ersehnt, macht Katharina Schubert als Lavinia bzw. Elektra deutlich. Sie bleibt übrig, schuldbefleckt, aber lebend. Sie stellt sich dann so allein, wie sie ist, aber mit E-Gitarre, auf die Bühne, gibt mit dem Fuß den klackenden Takt vor, und singt laut, konfrontativ und punkig "I can't feel my fear no more". Das ist wie eine Befreiung, wie das Erwachen, von dem Joyce träumte. Danach spricht sie, als hätte sie endlich ihr Innerstes, ihr Gefühl und ihr Selbstbewusstsein entdeckt: "Nur die Mannons können sich dafür bestrafen, dass sie geboren wurden", sagt sie bei O'Neill. "Ich bitte niemanden um Vergebung. Ich vergebe mir selbst", sagt sie hier noch. Das ist finster und heroisch. "Einer muss da sein", sagt Kafka. Münchner Kammerspiele: 3., 7., 15., 21. Oktober. http://www.muenchner-kammerspiele.de |
NEUKÖLLNER OPER "Orlando" von Georg Friedrich Händel - die Neufassung der Oper von Wolfgang Böhmer und Rainer Holzapfel - Nah am Inzest BERLRZ0020060929e29t000ap Spielplan VERLAGSBEILAGE, SPIELPLAN 434 Words 29 September 2006 Berliner Zeitung T11 German (c) 2006 Berliner Zeitung |
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts. fabulierte Ludovico Ariost in seinem maßlosen Epos "Orlando furioso" von Rittern, die aus Effektivitätsgründen schon mal zehn Gegner gleichzeitig auf eine Lanze spießen können, von Frauen, die immer schön, immer sexuell willig und immer |
so jung sind, dass die Geschichten sich meist an der Grenze zur Pädophilie bewegen, und von Ungeheuern und Zauberern, die jedem heutigen Fantasyfilm den Rang ablaufen. Händel macht 200 Jahre später in seinem "Orlando" selbigen dann zu einem Vorboten der Empfindsamkeit: Ein Weichling, der von Kämpfen und Krieg nichts mehr wissen will, dessen Vorbilder Helden sind, die in Frauenkleidern herumlaufen, der sich herausnimmt, wie eine Frau zu weinen, der dafür aber auch seine bürgerliche Existenz preiszugeben bereit ist: Händels Orlando will lieber einen Wahnsinn leben als in einer traditionellen und für ihn nicht mehr passenden Geschlechterrolle zu e rsticken. Noch einmal knapp drei Jahrhunderte später erzählt der Regisseur Rainer Holzapfel an der Neuköllner Oper "Orlando" als gegenwärtige Geschichte einer auseinander brechenden Familie. Aus der bei Händel angelegten psychologischen Griffigkeit und Tiefe der Figuren werden konkrete Charaktere innerhalb eines genau definierten sozial-gesellschaftlichen Zusammenhang entwickelt: Der allein erziehende Vater, der den Rest an familiärem Zusammenhalt durch Hausmusik zu gewährleisten versucht; der älteste Sohn, der eigentlich ein Mädchen ist und jetzt endlich auch als solches leben möchte; der durch die pubertären Metamorphosen verunsicherte kleinere Bruder, der von Liebe und Sexualität gar nichts wissen möchte und gerade dadurch zum begehrenswerten und manipulierbaren Objekt wird; die Cousine, die ihre Cousins als Trainingseinheiten für eine spätere Ehe mit dem dann zu er wartenden Idealgatten nutzt; und schließlich die Haushälterin, die sich nimmt, was sie kriegen kann und auch vor Vergewaltigung nicht zurückschreckt. In dieser Produktion prallen die gegensätzlichen Vorstellungen von Liebe, von sexueller Identität und vom Umgang mit Tradition(en) aufeinander und sorgen für ein explosives Gemisch. Wer kann sich durchsetzen? Wer sich befreien? Und: Darf Orlando als Frau leben oder nicht? ------------------------------ Orlando Oper von Georg Friedrich Händel. Neu gefasst von Wolfgang Böhmer und Rainer Holzapfel. Musikalische Leitung: Hans-Peter Kirchberg, Inszenierung: Rainer Holzapfel, Dramaturgie: Bernhard Glocksin, Ausstattung: Lisa Brzonkalla. PREMIERE am 28. September. Schöne Müllerin Neu gefasst von Cordula Däuper und Oliver Müller. Musikalische Leitung/Klavier: Markus Zugehör, Inszenierung: Cordula Däuper; Ausstattung und Video: Jan Müller. Mit Benedikt S. Zeitner und Cathrin Romeis. PREMIERE am 15. Oktober. Neuköllner Oper, Karl-Marx- Straße 131-133, 12043 Berlin. Kartentelefon: (030) 68 89 07 77 E-Mail: tickets@neukoellneroper.de ------------------------------ Foto: "Sag mir: wohin?" - Susanne Langner als Orlando. |
Es geht auch ohne Inzest-Sex - Das New Yorker Punk-Duo Japanther spielte im West Germany Club BERLRZ0020060929e29t0006n Feuilleton Jens Balzer 512 Words 29 September 2006 Berliner Zeitung 30 German (c) 2006 Berliner Zeitung |
Das Musizieren im Duett erfreut sich gegenwärtig wieder wachsender Beliebtheit. Insbesondere amerikanische Rock'n'Roll-Künstler wissen die musikalischen und dramaturgischen Möglichkeiten der kleinen Besetzung zu schätzen, nicht erst, seit die White Stripes ihre pseudo-geschwisterlichen Duette mit dem lockenden Versprechen |
flotten After-Show-Inzestes libidinös aufzubrezeln verstanden. Moderner elektronischer Technik sei Dank, reichen zwei Musiker heute ja nicht mehr nur zum Musiker-Sex hinter dem Vorhang, sondern auch zum vollständig ohrenbetäubenden Rock'n'Roll-Kracherzeugen davor. Bei Auftritten in kleinen Clubs bietet die reduzierte Besetzung zudem viele Vorteile: Wenn man nur zu zweit auf der Bühne steht, kann man mehr Instrumente daraufstellen oder ungestörter herumzucken und -irren oder sich mit komischen Kostümierungen zum Narren machen, wie zuletzt von paradigmatischen Duos wie den Assdroids oder Lightning Bolt eindrucksvoll vorgeführt wurde. Deren Hang zur hysterischen Selbstveralberung teilt auch das New Yorker Duo Japanther, das in der Nacht zum Donnerstag im West Germany zu erleben war - auch wenn Ian Vanek und Matt Reily musikalisch organisierter sind als ihre Nachbarn vom reinen Noise. Ihr mit Bass und Schlagzeug, einem Casio-Keyboard und diversen Tape-Loops instrumentierter und durch zwei Telefonhörer hindurchgesungener Neo-Punkrock erinnert vielmehr an die frühen, noch breakbeatfreien Beastie Boys: ruppiger Raubaukenkrach mit gelegentlichen Huhuchören darüber, der einerseits so wirkt, als würden diese Punkrocker demnächst den Groove entdecken, andererseits aber auch an die gesamte groovelose, von den Beastie Boys zu Kid Rock und Green Day reichende Schule des Männer, M uskeln und Steroide verherrlichenden MTV-Alternative-Rock erinnerte. Oder anders gesagt: die Musik von Japanther kann Schlaubergern ebenso gefallen wie Deppen, 20- ebenso wie 40-Jährigen; auch ist sie für die vielfältigsten Zwecke verwendbar. So haben Vanek und Reily zum Beispiel im vergangenen Frühjahr den Soundtrack zu einer vielbeachteten New Yorker Synchronschwimmaufführung namens "Aquadoom" beigesteuert; an der Berliner Staatsoper musizierten sie im Sommer 2005 in einer von den Künstlern Dan Graham und Tony Oursler entwickelten jugendkultkritischen Konzeptoper namens "Don't Trust Anyone Over Thirty", was beim Staatsopernpublikum allerdings eher auf Ratlosigkeit stieß. So waren denn auch nur wenige Opern-Abonnenten gekommen, um dem zweiten Berliner Auftritt von Japanther im West Germany beizuwohnen. Den Publikumsraum des Clubs am Kottbusser Tor teilte sich vielmehr das scharenweise herbeigelaufene Berliner Trendnasenvolk mit einer Rotte hirnlos herumpogender Gymnasiasten; es war also ein dem musikalischen Mischkonzept der Gruppe absolut angemessenes Auditorium. Da Japanther ihren Auftritt weitgehend nackt absolvierten, konnte man - sofern man nicht damit beschäftigt war, nach den Gymnasiasten zu treten - ausgiebig die Bauernmalereien studieren, mit denen Schlagzeuger Vanek seinen Körper verziert; um nicht den Eindruck zu erwecken, er fröne einem vorkritischen Muskelkult, bricht er seine ansonsten sportive Performance zugleich durch eine über den Hosenbund hängende Plauze und ordentliche Biertitten. Angesichts des körperlichen Hochleistungseinsatzes, mit dem Japanther durch den Abend jagten - der Schlagzeuger stets in Gefahr, mit seinem wacklig am Bühnenrand platzierten Schemel von dannen zu plumpsen -, blieb allerdings völlig rätselhaft, wie Vanek diese schöne Verfettung erwarb. ------------------------------ Foto: Japanther - Matt Reily (l.) und Ian Vanek - am Donnerstagmorgen in Berlin. |
Andere grillen und pflanzen Bäume FRARUN0020060928e29t0002t VON JUDITH VON STERNBURG 434 Words 29 September 2006 Frankfurter Rundschau 16 German (c) Copyright Frankfurter Rundschau 2006 www.fr-aktuell.de |
"Kopftot", Gerhild Steinbuchs Stück über ein seltsames Mädchen namens Ophelia, zurückhaltend inszeniert in Mainz Dieses seltsame Mädchen sehnt sich nach seiner toten Mutter, hat aller Wahrscheinlichkeit nach ein Verhältnis mit seinem Vater, fantasiert sich ein Verhältnis mit dem Bruder, den es nie hatte. Der Bruder, versteht das Publikum, ist abgetrieben worden, nun tritt er mit und ohne Hasenkostüm auf, treibt tollen Schabernack zu Musik wie aus dem Kinderfernsehen, ist später ein wohlerzogener junger Mann im weißen Anzug. Das seltsame Mädchen, zuhause unter Lebenden und Toten, aber außerstande, das Haus zu verlassen, heißt Ophelia. |
Aufgeladen mit allerhand psychologischem Ballast kommt Kopftot von Gerhild Steinbuch daher. Die junge Österreicherin, Jahrgang 1983, hat der neue Intendant des Mainzer Staatstheaters, Matthias Fontheim, quasi aus Graz mitgebracht. Das "Stück über einen Fluchtversuch" ist ihre erste Theaterarbeit, der inzwischen weitere folgten, die aber nun auf der Studiobühne TIC (heutzutage: TIC Werkraum) ihre Uraufführung erlebte. Regisseurin Julie Pfleiderer nimmt es eher leicht und zurückhaltend, belässt es (zumal den Inzest) im Ungefähren - was in diesem Fall auch heißt: im Poetischen - auf dem und um den weißen Zottelteppichkreis in der Mitte der ansonsten leeren Bühne (Marcel Bühler). Alles dreht sich hier aber weniger um den Zottelteppichkreis als um Julia Kreusch, deren Ophelia quasi noch ein Kind ist, wohlerzogen lächelnd, scheu neugierig die Hände ringend oder sich insgesamt kringelnd, atemberaubend einsam in Wort und Blick. Ophelia sagt: "Hier kommt niemand mehr, keiner rein, keiner raus." Der Vater sagt: "Das ist doch nicht normal, wie Du bist." Andere werden erwachsen, sagt der Vater, und "besprungen", heiraten, kriegen Kinder, grillen, pflanzen Bäume. Ophelia sagt zu ihrer Mutter: "Ich hab das gemerkt, wie du weg warst. Ich bin ganz anders geworden." Die Mutter sagt: "Ich war doch gar nicht weg." Im wahrsten Sinne des Wortes entwickelt sich ein friedvolles Personengeflecht. Während Mutter und Bruder (Friederike Bellstedt und Daniel Seniuk, zumal wenn das Hasenkostüm einmal ausgezogen ist, beide zeigen sich jetzt im gepflegten Schnee- und Cremeweiß) als milde, wenngleich aktive Wesen aus einer anderen Welt erscheinen, ist der Vater, Thomas Marx, ein müder und schlecht rasierter Zeitgenosse: misslaunig, grob, praktisch immer anwesend, verschattet in der Ecke, an die Wand gelehnt. Anderthalb Stunden hat Ophelia Zeit, ihren Willen durchzusetzen (keiner rein, keiner raus). Einerseits gelingt das, andererseits liegt sie am Ende arg durchnässt im möglichen Hochzeitskleid auf dem Zottelteppichkreis. Mehr oder minder enden sie alle so, die traurigen Ophelias, die immer schon vergeblich vom Glück geträumt haben. Staatstheater Mainz, TIC: 5., 12., 20., 21., 29. Oktober, 20 Uhr. Karten-Tel. 06131/ 2851222. http://www.staatstheater-mainz.de |
Ring von Feuer TAZ0000020060927e29s00049 Kultur JENNI ZYLKA 743 Words 28 September 2006 taz - die tageszeitung taz Berlin lokal 27 German (c) 2006 taz, die tageszeitung |
Tolle Filme über todesmutige und noch durchgeknalltere Hinterwäldler in den USA: Das „Hillbilly Babylon”-Festival im Eiszeit-Kino feiert umfassend die Kauzigkeit Zum Glück lernt man ja nie aus. Dass es im Osten der USA, in der Appalachen-Bergkette, eine Unterbewegung der Pentecostalismus-Kirche (in Deutschland heißt sie „Pfingstbewegung) gibt, die sich „Church of Holiness” nennt und als besonders bekloppte Idee „Rattlesnake-Handling” und „Strychnin-Drinking” zum Seligwerden probiert, ist doch zum Beispiel mal eine interessante Information. |
In der Dokumentation „The True Meaning of Pictures”, die dem Fotografen Shelby Lee Adams durch die Appalachen folgt, wird man Zeuge eines solchen Rituals: Ein Mann wedelt bei einem Gottesdienst so lange mit einer ahnungslosen Klapperschlage herum, bis sie ihn in den Arm beißt. Der Fotograf, der als einer der wenigen Nicht-Church-of-Holiness-Anhänger bei diesem Quatsch Zeuge sein durfte, begleitet den Gläubigen bis ins Krankenhaus und danach wieder nach Hause – mit offener, den Arm komplett verunstaltender Bisswunde. Die Mitglieder dieser Gemeinde beziehen sich bei ihren gefährlichen Spielchen auf einen umstrittenen Absatz aus dem Markus-Evangelium, in dem es heißt, man könne „in Gottes Namen Schlangen aufheben und Todbringendes trinken”, ohne dass etwas passiert. Wenn doch etwas passiert – und es sterben bei den von offiziellen Kirchen verbotenen Ritualen regelmäßig Menschen –, hat man eine maue Erklärung parat: Dann lag es nicht am fehlenden Glauben, dann sollte der Mensch ohnehin gehen. Hillbillys eben. Sie sind in Deutschland höchstens durch die schlimme 70er-Jahre-Serie und deren nicht minder schlimme Kinoadaption „Ein Duke kommt selten allein” (2005) bekannt, in der zwei notorisch Ärger suchende Cousins unablässig in schmutzigen Blechkisten herumsausen und weder Pfützen noch Fettnäpfchen auslassen. Außerdem weiß man vielleicht, dass aus den Appalachen die Bluegrassmusik, Mutter des Country, kommt. Und seit den „Waltons” ist wohl bekannt, dass „Moonshining” das Schwarzwhiskybrennen bezeichnet – späterer Konsum härtet für noch späteren Strychningenuss ab. Das Kreuzberger Eiszeit-Kino hat ein umfassendes Programm rund um die merkwürdigen Hinterwäldler und ihre teilweise erstaunlichen Vorlieben zusammengewürfelt. Neben alten und neuen Dokumentationen über Menschen und Musik bietet es auch Spielfilme zum Thema: In „Der Tiger hetzt die Meute” (1973) mit Burt Reynolds werden dickste Südstaatenklischees rund um eine Whiskybrenner-nimmt-Rache-Geschichte aufgetürmt. Und in „Beim Sterben ist jeder der Erste” (1972) mit Jon Voigt werden vier Großstädter bei einem Appalachen-Trip von den krummnasigen, durch jahrhundertelangen Inzest eigenwillig gelaunten Eingeborenen angefallen. Besonders hübsch sind alte Schätzchen wie „Child Bride” von 1938, in dem ein ehemaliges Landei als gebildete Lehrerin in die fruchtbaren Dörfer zurückkehrt, um gegen die weit verbreitete Sitte der „Child Marriages” – Mädchen im Kindesalter mit erwachsenen Männern zu verheiraten – zu kämpfen. Über den Wahrheitsgehalt der Kübel Vorurteile, die in Filmen und modernen Legenden über die Hillbillys ausgegossen wurden, kann man sich aber am besten in den außergewöhnlichen Dokus ein Bild machen. Allen voran die wunderschön gefilmte Shelby-Lee-Adams-Dokumentation, aber sehenswert sind auch die beiden Filme über den spinnerten Stepptänzer Jesco White, der es bis zu einem Gastauftritt bei „Roseanne” schaffte. Der lässt sich – wenn man schon mal am Hollywood Boulevard ist – nach der Talkshow erst mal das krakelige, aus Versehen links herum in das Handgelenk gepikte Hakenkreuz übertätowieren. Den Soundtrack für diese Geschichten liefern Bluegrass-Balladen zum Banjo, typischerweise voller Inbrunst von einer zahnlosen Oma mit Pfeife im Mund gesungen und mit gichtigen Fingern gezupft. Zur Abwechslung gibt es aber auch die Profiform: Filme über Johnny Cash und die traditionell musikalische Country-Familie von Cashs Ehefrau June Carter („Rainbow Quest: Johnny Cash & June Carter” und „The Carter Family”) runden das Bild ab, das man sich nach diesem unglaublich vielseitigen Programm neu malen muss: Die Auseinandersetzung mit den Appalachen, die auch in den USA oft nur in Klischees und Prototypen (vergleichbar vielleicht mit dem hiesigen Bild des Ostfriesen) stattfindet, geht in eine neue Runde, in der zwar nicht alle Vorurteile aufgehoben, viele aber zumindest erklärt werden. Das Hillbilly-Land, das West Virginia und Teile von 12 anderen Staaten umfasst, seine Kultur und sein, wie es im Programmheft heißt, „rauer, unabhängiger und oftmals sehr armer Menschenschlag” ist auf jeden Fall eine Kinoreise wert. Und ob man nach dem Programm erst recht oder lieber auf gar keinen Fall selber mal hinfahren möchte, bespricht man am besten mit den Experten, die zu begleitenden Lesungen und Livekonzerten eingeladen wurden. JENNI ZYLKA Erst in der Stadt lässt man sich das verkehrt gepikte Hakenkreuz übertätowieren |
„Hillbilly
Babylon – Film and Music Festival”, bis 4. 10., Eiszeit-Kino, Kreuzberg,
www.hillbillybabylon.com |
Da wabert der Muff der alten Zeit GNLZGR0020060926e29q0009y Hans-Christoph Zimmermann 367 Words 26 September 2006 General Anzeiger German (c) 2006 General-Anzeiger, Bonn |
PREMIERE Nach dem Fundus-Brand startet das Bochumer Schauspielhaus mit "Rosmersholm" Von Hans-Christoph |
Zimmermann Beim Applaus feierte das Bochumer Premierenpublikum seinen sichtlich gerührten Intendanten Elmar Goerden mit Verve. Doch der Zuspruch war wohl eher als ein mutmachendes "Glück auf" nach dem verheerender Fundus-Brand zu verstehen, denn als Lob für die Saisoneröffnung mit Ibsens "Rosmersholm". Die entpuppt sich nämlich schnell als mutloses interpretatives Nachbuchstabieren. Doch die theatralische Biederkeit erscheint zunächst als Methode. Für den Landsitz der Familie Rosmer haben Sylvia Merlo und Ulf Stengl einen breitgezogenen Wohnraum mit dunklen Tapeten, schwerer Sitzgarnitur und Stehlampe entworfen. Im Esszimmer wabert der Muff einer alten Zeit. Das Neue verkörpert vor allem die burschikose Rebekka West (Imogen Kogge). Wie sie die Zeitung durchblättert, sich auf Sofa fläzt oder gastfreundlich Rektor Krull empfängt, schafft einen Kontrapunkt zur abgelebten Gemütlichkeit des Hauses. Doch in der Folge spult Goerden das Drama von seiner Oberfläche her ab. Da kommt der Hausherr Johannes Rosmer (Markus Boysen) als schroffer Eigenbrötler in Weste und Hemd daher. Nicht unfreundlich, eher unbeholfen verkapselt. Und Kroll (Benno Ifland), sein Schwager und späterer Widersacher, wirkt in kurzen Cargohosen und Blumendruckhemd wie ein jovialer Konservativer mit moralistischer Schlagseite. Dass diese Figuren absturzgefährdet über ihren seelischen schwarze Löchern aus Mord, Inzest und Lügen balacieren, ist nicht zu erkennen. Goedren lässt die Dialoge munter plätschern, buchstabiert das Stück brav am Text entlang. Sicher: Ibsens 1887 uraufgeführtes Drama "Rosmersholm" gehört nicht zu seinen stärksten. Fallhöhe hat es trotzdem: Die unehelich gezeugte Rebekka hatte (möglicherweise) ein Verhältnis mit ihrem leiblichen Vater; als sie sich später in Rosmer verliebte, trieb sie dessen Ehefrau in den Tod. Am Ende bringen sich Rosmer und Rebekka gemeinsam um. Manches an diesem Stück ist veraltet, doch das Bild einer Gesellschaft, die antriebslos dahindümpelt, sich unablässig selbst bespiegelt, statt zu handeln, ist aktuell. Zwar verfolgt die Raumdramaturgie vom düsteren Privatkabinett Rosmers über das später hell tapezierte Wohnzimmer bis zum strahlenden Esszimmer eine aufkärerische Tendenz. Doch die Inszenierung betreibt regelrecht eine Rettung der Figuren und operiert mit einfachster Symbolik. Und selbst Rebekkas Geständnis erschöpft sich in einem pseudovitalistischen Trotzdem. Die nächsten Aufführungen: 29. September, 4. und 13. Oktober, Karten: (0234) 33 33 111 |
Anlaufstellen ZOFNGR0020060925e29p00024 575 Words 25 September 2006 Zofinger Tagblatt German © 2006 ZOFINGER TAGBLATT. Sämtliche Rechte zu Artikeln des ZOFINGER TAGBLATT sind vorbehalten. Jede Verwendung, die die in Ihrem Factiva-Kundenvertrag geregelten Rechte überschreitet, nur unter Genehmigung der Redaktion. Kontaktaufnahme per Email unter ztredaktion@ztonline.ch. |
Wenn Männer Kinder «lieben» Kinder als Ziel Es gibt grobe Profile von Erwachsenen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Sie helfen, rechtzeitig aufmerksam zu werden. |
Silvia Schütz Für Schlagzeilen sorgt momentan der Fall Natascha Kampusch. Noch ist das Profil des Täters nicht klar. Warum er die Beziehung zu einem jungen Mädchen brauchte, das unter seiner Kontrolle aufwuchs, entzieht sich der Erkenntnis der Fachwelt. Es gibt indes zahlreiche unspektakulärere Fälle von «Beziehungen» zwischen Männern und Mädchen (oder Jungen), die abseits der Medienaufmerksamkeit geschehen. Experten gehen davon aus, dass jede vierte Jugendliche in der Schweiz schon sexuelle Gewalt erlebt hat. Wegen sexueller Handlungen mit Kindern wurden im Jahr 2004 laut Bundesamt für Statistik (BFS) 355 Täter verurteilt; pro Tag also beinahe ein Fall. Hoch ist der Bedarf an Beratung: Die Fachleute der Opferhilfe wurden im Jahr 2004 schweizweit in rund 4350 Fällen explizit wegen sexueller Integrität von Kindern um Rat gebeten. Und die Kinderschutzgruppe des Kinderspitals Zürichs erfasste im letzten Jahr 74 Fälle von sexueller Ausbeutung an Mädchen und 18 an Knaben. Was geht in Erwachsenen vor, die sich von Kindern sexuell angezogen fühlen? Christa Huber, Psychotherapeutin und Sexualtherapeutin am Zürcher Institut für klinische Sexologie & Sexualtherapie, referierte in einem Workshop im Rahmen der Tagung «Mädchen sind unschlagbar» über Täterprofile. Sie therapiert seit einigen Jahren verschiedene Täter. Die Fachfrau unterscheidet drei Gruppen von Pädosexuellen: Kernpädosexuelle, regressive Pädosexuelle und - selten - sadistische Pädosexuelle. Den Ausdruck Pädosexuell benutzt sie mit Absicht: «Pädophilie - also Kinderliebhaberei - wirkt verniedlichend.» Untherapierbar und deshalb für die Sexualtherapeutin uninteressant sind sadistische Pädosexuelle mit einer Psychopathie. Anders verhält es sich mit regressiv Pädosexuellen, die sich sexuell im Prinzip für Gleichaltrige interessieren, doch unter kumuliertem Stress episodisch meist Mädchen missbrauchen. Der Täter, der, so Huber, in der Regel erst im Erwachsenenalter tätig wird, ist eine unsichere Persönlichkeit. Durch die Tat versucht er eine spezifische Stresssituation zu bewältigen. In der Regel hat er berufliche und Beziehungsprobleme, deshalb wird das Mädchen zur Partnerin. Die meisten Inzest-Täter sind Pädosexuelle. Schuld und Scham empfinden sie laut Huber jeweils erst nach der Tat. Der Kernpädosexuelle wird bereits in der Adoleszenz aktiv und wird sexuell von Kindern angezogen, die ein ganz bestimmtes Alter haben. Er identifiziert sich laut Huber mit dem Kind, hat eine hohe emotionale Bindung und wählt in der Regel Knaben aus. Letztere sind oft emotional vernachlässigt und haben ein Bedürfnis nach Geborgenheit. Das befriedigt der «väterliche Freund» zwar mit viel Aufwand, nutzt es indes auch für sexuelle Übergriffe aus. Der Täter sei eine unreife, narzistische Persönlichkeit. Die Tat das Ergebnis von Prägung und Lebensgeschichte. Interessant sind diese Profile - «grobe Holzschnitte», wie Huber betont - für Laien deshalb, weil regressive, vor allem aber Kernpädosexuelle vor der Tat eine Beziehung zum Opfer und zum sozialen Umfeld des auserwählten Kindes suchten. Obwohl 9 Prozent der Kinder, die etwa beim Kindernotruf Hilfe suchen, über Missbrauch durch Frauen berichten, ist in der Forschung über Täterinnen wenig bekannt. «Das Argument: Frauen haben keinen Penis, was können sie schon anrichten?» lenke den Fokus auf die Männer, so Huber. Die Sexualtherapeutin gibt jedoch zu bedenken: «Frauen haben das gleiche Aggressionspotenzial wie Männer.» Ausserdem stammten sie wie die männlichen Täter aus allen Schichten und allen Altersgruppen. Täterinnen, so vermutet die Sexualtherapeutin, weisen möglicherweise ähnliche Profile auf wie Männer. Wissenschaftliche Daten gibt es dazu noch keine. claus Knézy Mädchenhaus Zürich Tel. 044 341 49 45, http://www.maedchenhaus.ch. Schlupfhuus Zürich Tel. 043 268 22 66, http://www.schlupfhuus.ch Sorgentelefon für Kinder und Jugendliche, Tel. 043 268 22 68. (sis) |
Geschichte kundig und knapp verpackt HABEND0020060919e29j0005r Kultur & Medien TV-Kritik Günther Wolf 126 Words 19 September 2006 Hamburger Abendblatt HA 9 219 German Copyright 2006 Axel Springer AG . Zusatzhinweis: "Dieser Artikel darf ohne die vorherige Zustimmung des Verlages nicht weiter-verbreitet werden. Dies ist eine Einschränkung der Rechte, die Ihnen generell hinsichtlich der Factiva-Dienste eingeräumt wurden." Notice: "This article may not be redistributed without the prior consent of the Publisher. This is a restriction on the rights granted under the terms of your subscription for Factiva Services." |
GALILEO (Montag, ProSieben) Gute Idee, den Vorabend etwas aufzupeppen. In fünf Folgen präsentiert "Galileo" (bis Freitag) typische Kultur- und Alltagsmomente aus dem Mittelalter. Auftakt: Liebe, Sex und Kirchenbann in früher Zeit. Idealschauplatz für locker nachgespielte Szenen: das Schloss Traunitz, hoch über Landshut. Kundig und knapp kommentierte der Historiker Professor Robert Jütte den Reigen der Leidenschaften. Schwierig die Quellenlage, doch in Bußbüchern und Gerichtsakten findet sich Sündiges. Zum Beispiel gemeinsame Bettlager von Stiefvater, Tochter und Mutter. Inzest, Ehebruch, Ausschweifung (auch von Geistlichen), alles registriert. Streng geahndet: Sodomie (Homosexualität, lesbische Liebe). Die Kirche regulierte und disziplinierte die Lust der Geschlechter - kein Beischlaf vor Pfingsten. Übrigens: Keuschheitsgürtel trugen edle Damen nur ausnahmsweise. Sagt Jütte, der Experte. |
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Anlaufstellen AARGZ00020060919e29j0001e 575 Words 19 September 2006 Aargauer Zeitung German © 2006 AARGAUER ZEITUNG. Sämtliche Rechte zu Artikeln der AARGAUER ZEITUNG sind vorbehalten. Jede Verwendung, die die in Ihrem Factiva-Kundenvertrag geregelten Rechte überschreitet, nur unter Genehmigung der Redaktion. Kontaktaufnahme per Email unter redaktion@azag.ch. |
Wenn Männer Kinder «lieben» Kinder als Ziel Es gibt grobe Profile von Erwachsenen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Sie helfen, rechtzeitig aufmerksam zu werden. |
Silvia Schütz Für Schlagzeilen sorgt momentan der Fall Natascha Kampusch. Noch ist das Profil des Täters nicht klar. Warum er die Beziehung zu einem jungen Mädchen brauchte, das unter seiner Kontrolle aufwuchs, entzieht sich der Erkenntnis der Fachwelt. Es gibt indes zahlreiche unspektakulärere Fälle von «Beziehungen» zwischen Männern und Mädchen (oder Jungen), die abseits der Medienaufmerksamkeit geschehen. Experten gehen davon aus, dass jede vierte Jugendliche in der Schweiz schon sexuelle Gewalt erlebt hat. Wegen sexueller Handlungen mit Kindern wurden im Jahr 2004 laut Bundesamt für Statistik (BFS) 355 Täter verurteilt; pro Tag also beinahe ein Fall. Hoch ist der Bedarf an Beratung: Die Fachleute der Opferhilfe wurden im Jahr 2004 schweizweit in rund 4350 Fällen explizit wegen sexueller Integrität von Kindern um Rat gebeten. Und die Kinderschutzgruppe des Kinderspitals Zürichs erfasste im letzten Jahr 74 Fälle von sexueller Ausbeutung an Mädchen und 18 an Knaben. Was geht in Erwachsenen vor, die sich von Kindern sexuell angezogen fühlen? Christa Huber, Psychotherapeutin und Sexualtherapeutin am Zürcher Institut für klinische Sexologie & Sexualtherapie, referierte in einem Workshop im Rahmen der Tagung «Mädchen sind unschlagbar» über Täterprofile. Sie therapiert seit einigen Jahren verschiedene Täter. Die Fachfrau unterscheidet drei Gruppen von Pädosexuellen: Kernpädosexuelle, regressive Pädosexuelle und - selten - sadistische Pädosexuelle. Den Ausdruck Pädosexuell benutzt sie mit Absicht: «Pädophilie - also Kinderliebhaberei - wirkt verniedlichend.» Untherapierbar und deshalb für die Sexualtherapeutin uninteressant sind sadistische Pädosexuelle mit einer Psychopathie. Anders verhält es sich mit regressiv Pädosexuellen, die sich sexuell im Prinzip für Gleichaltrige interessieren, doch unter kumuliertem Stress episodisch meist Mädchen missbrauchen. Der Täter, der, so Huber, in der Regel erst im Erwachsenenalter tätig wird, ist eine unsichere Persönlichkeit. Durch die Tat versucht er eine spezifische Stresssituation zu bewältigen. In der Regel hat er berufliche und Beziehungsprobleme, deshalb wird das Mädchen zur Partnerin. Die meisten Inzest-Täter sind Pädosexuelle. Schuld und Scham empfinden sie laut Huber jeweils erst nach der Tat. Der Kernpädosexuelle wird bereits in der Adoleszenz aktiv und wird sexuell von Kindern angezogen, die ein ganz bestimmtes Alter haben. Er identifiziert sich laut Huber mit dem Kind, hat eine hohe emotionale Bindung und wählt in der Regel Knaben aus. Letztere sind oft emotional vernachlässigt und haben ein Bedürfnis nach Geborgenheit. Das befriedigt der «väterliche Freund» zwar mit viel Aufwand, nutzt es indes auch für sexuelle Übergriffe aus. Der Täter sei eine unreife, narzistische Persönlichkeit. Die Tat das Ergebnis von Prägung und Lebensgeschichte. Interessant sind diese Profile - «grobe Holzschnitte», wie Huber betont - für Laien deshalb, weil regressive, vor allem aber Kernpädosexuelle vor der Tat eine Beziehung zum Opfer und zum sozialen Umfeld des auserwählten Kindes suchten. Obwohl 9 Prozent der Kinder, die etwa beim Kindernotruf Hilfe suchen, über Missbrauch durch Frauen berichten, ist in der Forschung über Täterinnen wenig bekannt. «Das Argument: Frauen haben keinen Penis, was können sie schon anrichten?» lenke den Fokus auf die Männer, so Huber. Die Sexualtherapeutin gibt jedoch zu bedenken: «Frauen haben das gleiche Aggressionspotenzial wie Männer.» Ausserdem stammten sie wie die männlichen Täter aus allen Schichten und allen Altersgruppen. Täterinnen, so vermutet die Sexualtherapeutin, weisen möglicherweise ähnliche Profile auf wie Männer. Wissenschaftliche Daten gibt es dazu noch keine. Mädchenhaus Zürich Tel. 044 341 49 45, http://www.maedchenhaus.ch. Schlupfhuus Zürich Tel. 043 268 22 66, http://www.schlupfhuus.ch Sorgentelefon für Kinder und Jugendliche, Tel. 043 268 22 68. (sis) claus Knézy |
Missglücktes Zuchtexperiment - Asia-Afrika-Löwen sollen aussterben SPGLO00020060919e29i00022 Wissenschaft / Erde 579 Words 18 September 2006 Spiegel Online (Deutsch) 0 German © 2006 SPIEGEL net GmbH. All rights reserved. |
(News) Weil das indische Gesetz verbietet, Tiere zu töten, vegetieren 21 Löwen in einem Zoo vor sich hin. Sie sind die letzten Überlebenden eines Zuchtexperiments, bei dem Asiatische und Afrikanische Löwen miteinander gekreuzt wurden. |
Die Löwen sind schwach. Lakshmi und Lajwanti schaffen nicht einmal die wenigen Schritte zum Futterplatz, seit einigen Tagen wird Lakshmi über einen Tropf mit Wasser und Glukose ernährt. "Auch wenn die Löwen sterben sollen, heißt das noch nicht, dass wir sie töten, in dem wir sie nicht behandeln", sagt Dharminder Sharma vom Chhatbir Zoos in der indischen Stadt Chandigarh, wo die beiden Löwen vor sich hinvegetieren. Tiere zu töten ist nach dem indischen Gesetz verboten. Man werde Lakshmi und Lajwanti wenigstens "in Würde" sterben lassen. Wenn es mit den beiden und 19 weiteren verbliebenen Löwen zu Ende geht, dann endet auch ein missglücktes Zuchtexperiment. In den achtziger Jahren wurden Asiatische Löwen mit einem Paar Afrikanischer Löwen, die mit einem Zirkus umherreisten, gekreuzt - damit der Chhatbir Zoo um eine Attraktion reicher werde und die Bestände des Asiatischen Löwen gesichert würden. Das Experiment glückte - und zugleich doch nicht, denn: Es entstand zwar eine Löwen-Mischform; die sogenannten Hybridtiere konnten auch Nachwuchs bekommen. Allerdings waren die Löwen schwach, ausgemergelt und anfällig für zahlreiche Infektionskrankheiten. Weil ihre Hinterbeine nicht stark genug waren, konnten die Tiere kaum laufen, und ihr Immunsystem war ebenfalls recht schwach. Auch Inzest unter den Mischlöwen wurde zum Problem. Bestände erholten sich auch ohne Kreuzungsexperimente Daraufhin sollte die Mischform der Asia-Afrika-Löwen wieder ausgerottet werden. Im Jahre 2000 wurde das Zuchtprogramm beendet; die männlichen Löwen wurden sterilisiert, damit sie keinen Nachwuchs mehr zeugen konnten. Bis zu 80 Mischlöwen gab es seinerzeit im Chhatbir Zoo, doch weil die Tierpopulation von alleine aussterben soll, schwindet sie nur langsam. Manche der Tiere gingen an Krankheiten zu Grunde, manche starben, weil andere Löwen sie verletzt hatten und die Wunden nicht heilten. Zurzeit gibt es noch 21 Mischlöwen in dem Tierpark, aber auch sie werden bald sterben. Dabei scheint das missratene Experiment gar nicht nötig gewesen zu sein. "Es bestand und besteht keine Notwendigkeit, Löwen-Unterarten miteinander zu kreuzen, nur um deren Bestände schnell hochzuziehen", sagt Hubert Lücker, Kommissarischer Geschäftsführer des Verbands Deutscher Zoodirektoren, zu SPIEGEL ONLINE. Mitte des 20. Jahrhunderts gab es noch knapp 15 Asiatische Löwen, die auch als Indische Löwen bezeichnet werden, da sie nur in Indien vorkommen. Im Gir-Nationalpark im indischen Bundesstaat Gujarat leben zurzeit etwa 300 dieser Großkatzen. Indische Behörden planen nächstes Zuchtprogramm "Solange genügend Tiere von einer Unterart vorhanden sind, sollten diese untereinander gekreuzt werden, nicht mit anderen Unterarten", so Zoologe Lücker. Eine Löwin brächte je Wurf etwa vier Welpen zur Welt; wenn diese gut aufgezogen würden, dann würden sich auch die Bestände schnell erholen. Lücker hält deswegen nichts von Züchtungsexperimenten wie denen in Indien, auch wenn die Kreuzung zweier Unterarten - was Afrikanische und Asiatische Löwen von der Art Löwe sind - "technisch kein Problem ist". "Zwei Unterarten zu kreuzen ist eh verpönt", sagt auch Gerd Nötzold, Kurator im Zoo Leipzig, zu SPIEGEL ONLINE. "Zoos als seriöse Tierhalten haben sich auf die Fahne geschrieben, nur rein zu züchten." Das haben nun, nach der missglückten Kreuzung, auch die indischen Behörden vor: Es sollen reine Indische Löwen herangezüchtet werden. Das neue Zuchtprojekt soll aber erst beginnen, wenn die Lebensgemeinschaft aus Asia-Afrika-Hybriden im Chhatbir Zoo ausgelöscht ist. <i>fba/rtr</i> http://www.spiegel.de/wissenschaft/erde/0,1518,437624,00.html |
PMGSPON-xPMG-spiegel-437624 |
Wanderin zwischen den Welten RHEPO00020060916e29g0003h Das Magazin Von annette Bosetti 955 Words 16 September 2006 Rheinische Post WO_END German © Copyright 2006. Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH. All rights reserved. For further information see http://www.rp-online.de |
Wäre Amélie Niermeyer eine Blume, dann sicherlich eine Rose: Schön, aufrecht, dornenreich. Wäre sie ein Tier, dann eine Löwin: mutig, kampfstark, abenteuerlustig. Als Generalintendantin kann sie diese Eigenschaften auch gut gebrauchen, zumal wenn sie Erfolg haben will. Und den hatte sie in ihrem bisherigen Leben nicht zu knapp. Als Regisseurin beschritt sie ungewöhnliche Wege, packte thematisch heiße Eisen an wie Inzest und Abtreibung, machte sich einen Namen als Spezialistin für Frauenfragen wie auch später als Regisseurin moderner Klassiker. |
Mit 36 Jahren bewerkstelligte sie als jüngste Theaterchefin Deutschlands ein „Aufbruchswunder“ - zog Publikum ans Freiburger Dreispartenhaus, wie es lange vor ihr niemand mehr an einem deutschen Haus geschafft hatte. Nun tritt die dynamische Theatermacherin in Düsseldorf an, zündet ein Feuerwerk an verheißungsvoll klingenden Premieren, um das Publikum in der Stadt - „in der mich noch kein Schwein kennt“ - neugierig zu machen. Das Schauspielhaus am Gustaf-Gründgens-Platz soll ganz oben in der Theaterliga mitspielen. „Zeit ist sehr kostbar“, das sagt Amélie Niermeyer in diesen Wochen vor den Premieren gerne, und doch nimmt sich die Vielbeschäftigte Zeit für die wichtigen Dinge, räubert am ehesten an ihren privaten Bedürfnissen. Wir treffen uns frühmorgens am Bühneneingang. Fröhlich kommt sie schnellen Schrittes zum Treffpunkt. Nach langem Zögern ist sie bereit, ihr privates Reich zu öffnen. Im schwarzen Dienst-Volvo geht es wenige Kilometer weit in eine kleine Siedlung. „Die Gegend entspricht nicht gerade meiner Welt“, entschuldigt sie sich, während wir in eine enge Straße mit Einfamilienhäusern einbiegen und vor einem besonders verwunschenen Haus anhalten. „Wegen Kasimir sind wir hierher gezogen“, erzählt sie. Kasimir ist ihr achtjähriger Sohn, der sich hier viel wohler fühle als zuvor in der großen Stadtwohnung. Wir gehen durch den Garten ins Haus, „den Rasen müsste ich auch mal wieder schneiden“, sagt sie schnell. Durch große Fenster sieht man in einen sparsam möblierten Raum. Die Tür steht auf, drinnen kocht das Au-Pair-Mädchen Kaffee. Im Gartenzimmer steht ein großes weißes Sofa, in der Ecke ein kindsgroßer Buddha, der „eigentlich nicht hierher passt, aber ein Abschiedsgeschenk der lieben Freiburger Kollegen ist“. Die Räume sind eine Art private Bühne der kreativen Rheinländerin, wohl komponiert - nichts Überflüssiges steht herum. Das passt zu ihr, die zielstrebig und mit offenen Augen durchs Leben zieht, die weiß, was sie in ihrem „verdammt harten Job“ will und doch immer bereit ist, ihre eigenen Strategien in Frage zu stellen. Chaos gehört zum atemlosen Alltag wie Flexibilität und Bewegung. Knallhartes Management ist gefragt, denn es kommt in so einem empfindlichen künstlerischen Gefüge immer alles anders als geplant. Jetzt zeigt sie auf die schwarz dominierten Bilder ihres Lieblingsmalers Michael Lösch, sagt ganz unvermittelt: „Dunkle Flecken gibt es auch in meinem Leben.“ Nebenan im Zimmer ein Holztisch mit Stühlen, ein Klavier, Regale, ein Vertiko. Sie kramt ein Foto hervor, das sie Wange an Wange mit ihrem Sohn zeigt, zwei strahlende Menschen, „ist das nicht schön?“ Allein erziehend ist Amélie Niermeyer nicht wirklich, denn da ist zum einen „das wunderbare Au-Pair“, und wenn Endproben oder Premierenstress ihren 14-Stunden-Tag ins Unendliche ausdehnen, rückt die Oma aus Bonn an. Kasimir ist auch regelmäßig in Hamburg bei seinem Vater, einem Schauspieler. Als die Familie noch zusammen war, waren Vater, Mutter und Kind ein halbes Jahr auf Weltreise. So ist Kasimir nicht nur 14 Mal umgezogen, sondern hat in jungen Jahren viel erlebt. Ein ungewöhnliches Leben für ein Kind? „Ja, aber ein anregendes.“ Ihre eigene Kindheit sah ganz anders aus. Wohlbehütet ist Amélie mit drei Geschwistern aufgewachsen in einem großbürgerlichen Bonner Elternhaus, der Vater Jurist, die Mutter Lehrerin. Als Kind schon war sie ehrgeizig, meinungsfreudig, aber aufmüpfig. Sie wusste immer genau, was sie wollte. So wie heute. Auch vielseitig talentiert ist Amélie Niermeyer, die in Studentenzeiten „grün“ dachte und bei Friedensdemos mitlief. So treibt sie leidenschaftlich Sport, vor allem Tennis, sie liebt die Musik, spielt Klavier. Nach der 11. Klasse, die sie in den USA machte, zog sie von Zuhause aus. Ihre neue Schule war ein Glücksfall, die „beste Schule der Welt“, auf der sie dank eines Theaterclubs mit 18 ihr erstes Stück inszenieren konnte. Nach dem Abitur zog es sie zum Theater, sie wollte Regie führen. Das war klar. Noch unklar war ihr damals, wie geradlinig ihre Karriere einmal verlaufen würde. Zunächst brach sie allerdings zu einer Weltreise auf. Ihre Reisen sind ein Teil ihres Lebens, Auszeiten, in denen sie neu zu sich findet, von der Höchstgeschwindigkeit, mit der sie lebt und arbeitet, herunter kommt. 18 Mal war sie in Indonesien, wo es sieben Namen für die Farbe Grün gibt. Dort lerne sie die Welt immer wieder neu zu begreifen, weil sie sich in andere Kulturen und Religionen tief versenken kann. „Man kommt zu dem wohltuenden Punkt, sich selber und das einzelne Leben nicht so wichtig zu nehmen. Würde ich in Bali einem Mann auf der Straße von meinem zähen Ringen um drei Sätze auf der Bühne erzählen, er würde mich gar nicht verstehen. Und das ist gut so.“ Uneitel ist die belesene Frau auch. Zum Shoppen fehlt ihr die Muße - und auch die Lust, höchstens mal ein Frustkauf, das kann ihr wohl passieren. Wenn Zeit bleibt, dann exklusiv für Kasimir, „denn unsere Rituale sind uns heilig“. Auf Fahrrädern geht es in die freie Natur - Erholung pur für die schwer eingespannte Theaterchefin. Oder sie liest. Kleist ist ihr Lieblingsautor, denn in seinen Werken findet sie alles, was einen großen Dichter ausmacht: Poesie und sprachliche Tiefe, perfektes Schreiben. „Einfach genial“, urteilt sie. Amélie Niermeyer ist in vielen Welten zuhause, am liebsten aber erschafft sie eigene Welten auf der Bühne. „Das Theater wird seine Magie nie verlieren“, so ihre Prognose, „denn auf der Bühne entsteht in einem Moment eine ganze Welt.“ Und darin kennt sie sich aus. |
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Die ganze Welt ist eine Bühne DBUND00020060914e29f0002e Kultur Heinrich Vogler 748 Words 15 September 2006 Der Bund 31 German (c) 2006 Der Bund Verlag AG |
Einfallsreich kombiniert Tim Parks in «Stille» kontinentaleuropäischen Tiefgang mit angelsächsischem Erzählaroma Hals über Kopf flieht ein Star-Fernsehjournalist aus London in die Einsamkeit der Südtiroler Berge, um sich und sein bisheriges, massloses Leben zu erkunden. Tim Parks verschmilzt in seinem Roman «Stille» wiederum gekonnt U und E zu einer Parabel über (Selbst-)Verantwortlichkeit. |
Heinrich Vogler Afrika mit seinen menschenleeren Wüsten unter dem weiten Sternenhimmel verheisst schon in Paul Bowles’ Kultroman «Himmel über der Wüste» Schutz und Stille für ein Drop-out-Paar aus den permissiv-psychedelischen Sechzigerjahren. Dem Helden Edgar Wibeau in Ulrich Plenzdorfs Neoklassiker «Die neuen Leiden des jungen W.» genügt ein altes Gartenhäuschen, um sich vor der DDR-Gesellschaft zu verschanzen. Vierzig Jahre später, in der hypermobilen Welt unserer Tage, schafft es Tim Parks’ Aussteiger und Zivilisationsflüchtling Harold Cleaver in einer Tagesreise von London bis nach Südtirol. Parks kennt diese Gegend von Ferienaufenthalten. Er lebt seit zwanzig Jahren in Verona. Der Essayist und Übersetzer ist längst ein profilierter Erzähler des ganz alltäglichen Beziehungswahns. Die Ehe, die Familie und die diesen Institutionen innewohnenden Zerstörungskräfte sind seit Jahren das Thema des Engländers. Im Roman «Schicksal» (2001) hat Parks schon einmal einen britischen Italienkorrespondenten durch die Hölle gejagt. Nach dem Selbstmord seines Sohnes wird dieser zur Galionsfigur einer rasanten Tragikomödie. Nun geht es im selben Milieu erneut schnell zur Sache, obgleich sich das Setting scheinbar unspektakulärer ausnimmt als auch schon. Der Sohn rechnet ab Harold Cleaver, unverheirateter Mitfünfziger und News-Shootingstar der BBC, hat zusammen mit einer Berufskollegin vier Kinder. Der älteste Sohn hat seinen Vater aus der Bahn des glamourösen Selbstdarstellers und zwanghaft rastlosen Schürzenjägers geworfen. Und zwar mit einem kaum durch Fiktion filtrierten Roman mit dem selbstredenden Titel «Im Schatten des Allmächtigen». Diese ungeschminkte Abrechnung entlarvt Vater Cleaver schonungslos als beziehungsunfähigen, gefallsüchtigen Egomanen, den ausser seinem nächsten Auftritt gar nichts interessiert. Diese Heimzahlung, die es bis auf die Shortlist des Booker-Preises gebracht hat, ist der Sprengstoff und der novellistische unerhörte Anlass für die Aufregung. Nachdem sein letzter Mobiltelefon-Akku seinen Dienst verweigert hat, findet sich der spontane Aussteiger in der rauen, alpinen Abgeschiedenheit und völligen Stille erstmals allein mit sich selbst konfrontiert und abgenabelt von den Seinen wie auf einem anderen Planeten wieder. Völlig untauglich für das praktische Überleben ohne Elektrizität kämpft der vom Erfolg Zerfressene auf 1800 Meter Höhe in einer abgelegenen Alphütte mit und gegen sich. Er hat sich selbst an die Wand gespielt. Cleaver trieb letztlich nur die eitle Angst, wegen des Romans seines Sohns sein Gesicht zu verlieren, in die Flucht. Eben hat er noch den amerikanischen Präsidenten in einem aufsehenerregenden Interview attackiert, während er nun völlig davon absorbiert ist, sein Herdfeuer am Brennen und mit Konserven seinen Stoffwechsel notdürftig aufrechtzuhalten. Dabei holt ihn das schlechte Gewissen ein, seine Partnerin und seine Kinder jahrelang sträflich vernachlässigt zu haben. Er geht durchs Fegefeuer, rechnet mit sich und seinem Sohn ab, der ihn in Südtirol aufstöbert – und entscheidet sich vorerst, in seinem Refugium zu bleiben. Mit unerbittlicher Präzision Tim Parks versteht es, aus einem solchen Stoff eine austarierte Dramaturgie aus Reflexion und Suspense zu destillieren. Cleavers vielsträngiger Bewusstseinsstrom reisst den Verunsicherten mit aller Kraft zu Boden. Man fährt mit dem gebeutelten Patienten auf der Achterbahn der Emotionen. Als sein Fell so richtig gegerbt wird, beginnt Cleaver endlich seiner bei einem Verkehrsunfall verstorbenen Tochter nachzutrauern. Er bedauert den permanenten Betrug an der Mutter seiner Kinder. Und er trauert immer noch dem grossen Meisterwerk nach, das er gerne vollendet hätte und welches jetzt vielleicht seinem Sohn gelungen sein könnte. Ob sich Cleaver seine klebrige Gefallsucht selbst austreiben kann, bleibt offen. Es genügt seinem Schöpfer wohl, dass er ihn in einem Schneesturm hat überleben lassen. Ebenso interessant wie der Protagonist sind in diesem Melodram die einheimischen Südtiroler. Parks erfasst mit unerbittlicher Präzision wie ein Ethnograf das miefig-bigotte Milieu, wo Inzest und historische Altlasten schwer wiegen. Mysteriöse Todesfälle und hellen Wahnsinn im Familienrahmen gibt es auf beiden Seiten. Beim Fremden wie bei seinen Gastgebern. Cleavers Kreuzweg spiegelt sich in demjenigen der Südtiroler Bergbewohner, deren Familiengeheimnisse der instinktive Rechercheur in Cleaver zu knacken droht. Der noch nicht geheilte Narziss muss letzten Endes auch in seiner hochalpinen Falle nicht ganz auf Publikum verzichten, und die verschrobenen Südtiroler Bauern kommen dank dem Eindringling zu einer rätselhaften Posse. Parks kombiniert in diesem dynamischen Roman einfallsreich kontinentaleuropäischen Tiefgang mit angelsächsischem Erzählaroma. [i] Das Buch Tim Parks. Stille. Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Verlag Antje Kunstmann, München 2006. 360 Seiten. Fr. 38.50. |
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